A. Problem und Ziel
Die geltende Rechtslage, wonach bei der Strafzumessung für Straftaten unter Rauschmitteleinfluss häufig der nach den §§ 21, 49 Absatz 1 StGB herabgesetzte Strafrahmen zu Grunde gelegt wird und bei rauschbedingter Schuldunfähigkeit im Anwendungsbereich des § 323a StGB eine Freiheitsstrafe von maximal fünf Jahren verhängt werden kann, ist insgesamt unbefriedigend. Sie ist geeignet den Eindruck zu erwecken, Alkohol- und Rauschmittelkonsum führten in der Regel zu milderen Strafen, was - insbesondere bei schweren Gewalttaten - nicht nur dem Rechtsempfinden der lauteren Bevölkerung zuwiderläuft, sondern zugleich ein verheerendes rechtspolitisches Signal an potentielle Straftäter sendet. Im Anwendungsbereich des § 323a StGB wird die absolute Strafrahmenobergrenze von fünf Jahren Freiheitsstrafe dem Gebot des gerechten Strafens sowie dem Gedanken der positiven Generalprävention vielfach nicht mehr gerecht. Sie führt dazu, dass die Strafe selbst dann einem moderaten, eher Fällen mittlerer Kriminalität entsprechenden Strafrahmen zu entnehmen ist, wenn es sich bei der Rauschtat objektiv um schwerste Verbrechen handelt.
Der Gesetzentwurf bezweckt daher den regelmäßigen Ausschluss der strafmildernden Strafrahmenverschiebung nach § 21 StGB bei selbstverschuldetem Rausch. Im Anwendungsbereich des § 323a StGB soll der Schwere der Rauschtat stärkeres Gewicht verliehen werden, um in Einzelfällen, namentlich bei Rauschtaten, die objektiv schwerstes Unrecht darstellen, eine gerechtere Bestrafung zu ermöglichen. Schließlich ist eine flankierende Strafverschärfung bei § 222 StGB (fahrlässige Tötung) in Fällen der Leichtfertigkeit beabsichtigt.
B. Lösung
Der Gesetzentwurf schlägt eine ergänzende Klarstellung in § 21 StGB vor, wonach eine Strafrahmenmilderung regelmäßig ausgeschlossen ist, wenn die erhebliche Verminderung der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, auf einem selbstverschuldeten Rausch beruht. Ferner sieht der Entwurf für § 323a StGB (Vollrausch) eine Ergänzung um einen Qualifikationstatbestand vor. Flankierend soll eine Strafrahmenerhöhung in § 222 StGB (Fahrlässige Tötung) für den Fall leichtfertiger Tatbegehung erfolgen, um systematische Spannungen im Verhältnis zum (geänderten) § 323a StGB zu vermeiden. Die Beibehaltung des bisherigen Strafrahmens des § 222 StGB, der jenem des geltenden § 323a StGB entspricht, hätte zur Folge, dass die Rauschtat künftig mit einer höheren Strafe bedroht wäre als die fahrlässige Tötung durch einen voll schuldfähigen Täter. Diesem Wertungswiderspruch soll dadurch begegnet werden, dass für die Fälle leichtfertiger Tötungen die Strafobergrenze auf zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben wird.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Belastungen des Bundes, der Länder und Gemeinden durch die Realisierung dieses Gesetzes mit zusätzlichen Kosten sind nicht ersichtlich.
E. Sonstige Kosten
Durch die Realisierung dieses Gesetzes entstehen keine zusätzlichen Kosten für die Wirtschaft.
F. Bürokratiekosten
Es werden keine zusätzlichen Informationspflichten geschaffen.
Gesetzesantrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes bei Rauschtaten
Freistaat Sachsen Dresden, 27. Mai 2019
Ministerpräsident
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Daniel Günther
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Sächsische Staatsregierung hat am 21. Mai 2019 beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes bei Rauschtaten mit dem Ziel zu übersenden, die Zuleitung gemäß Artikel 76 Absatz 1 Grundgesetz an die Bundesregierung zu beschließen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 978. Sitzung des Bundesrates am 7. Juni 2019 zu setzen und den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Kretschmer
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes bei Rauschtaten
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. März 2019 (BGBl. IS. 350) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 21 wird folgender Satz angefügt:
"Eine Milderung nach Satz 1 ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die erhebliche Verminderung der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, allein darauf beruht, dass er sich mittels alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel in einen selbstverschuldeten Rausch versetzt hat."
2. § 222 wird folgender Satz angefügt:
"Handelt der Täter leichtfertig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren."
3. In § 323a Absatz 1 werden nach Satz 1 folgende Sätze eingefügt:
"Droht das Gesetz für die im Rausch begangene Tat Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren an, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren. Satz 2 ist auch dann anzuwenden, wenn die im Rausch begangene Tat die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls erfüllt, der mit Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht ist."
In § 74 Absatz 2 des Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1151) geändert worden ist, wird nach Satz 1 folgender Satz eingefügt:
"Das gilt auch für das Vergehen des Vollrausches (§ 323a des Strafgesetzbuches), wenn die im Rausch begangene Tat ein in Satz 1 genanntes Verbrechen wäre."
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeiner Teil
Der Konsum von Alkohol und Rauschmitteln birgt nicht nur erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Einzelnen und soziale Risiken, sondern führt häufig auch zu Straftaten, weil er die Hemmschwelle zur Tatausführung erheblich herabzusetzen geeignet ist. Jedes Jahr wird eine erhebliche Zahl von Straftaten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss begangen, darunter eine Vielzahl von Straßenverkehrs-, aber auch schweren Gewaltdelikten, die mit bleibenden Gesundheitsschäden oder gar der Tötung von Menschen einhergehen.
Trunkenheit und andere Rauschzustände können je nach ihrem Ausmaß im Einzelfall zur bloßen Enthemmung, aber auch zu einer Einschränkung oder sogar zum vollständigen Fortfall der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Täters im Sinne der §§ 20, 21 StGB führen. Dies hat zur Folge, dass bei der Strafzumessung für Straftaten unter Rauschmitteleinfluss häufig der nach den §§ 21, 49 Absatz 1 StGB herabgesetzte Strafrahmen zu Grunde gelegt wird.
Ist der Täter rauschbedingt schuldunfähig (§ 20 StGB), kann er aus dem einschlägigen Straftatbestand grundsätzlich nicht bestraft werden. Soweit die Tat nicht nach den Grundsätzen der actio libera in causa geahndet werden kann oder die Verhängung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht kommt, verbleibt lediglich eine Bestrafung wegen Vollrauschs (§ 323a StGB). Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht, ihretwegen aber nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist. Dabei darf die Strafe nach § 323a Absatz 2 StGB nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Straftat angedroht ist.
Diese Rechtslage ist unbefriedigend. Sie ist geeignet den Eindruck zu erwecken, Alkohol- und Rauschmittelkonsum führten in der Regel zu milderen Strafen, was - insbesondere bei schweren Gewalttaten - nicht nur dem Rechtsempfinden der lauteren Bevölkerung zuwiderläuft, sondern zugleich ein verheerendes rechtspolitisches Signal an potentielle Straftäter sendet. Die Rechtslage bedarf daher der Klarstellung und Korrektur.
Im Anwendungsbereich des § 21 StGB ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zwar anerkannt, dass eine Strafrahmenmilderung in Fällen von selbst zu verantwortenden Rauschzuständen regelmäßig zu versagen ist (Fischer, StGB, 66. Auflage 2019, § 21 Rn. 25 m. w. N.). So hat der Große Senat für Strafsachen des BGH mit Beschluss vom 24. Juli 2017 entschieden, dass bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung auch dann tragen kann, wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 24. Juli 2017, GSSt 3/17). Dabei gelte, dass der Grund für die Versagung der Milderung umso gewichtiger sein muss, je gravierender sich die Beibehaltung des Regelstrafrahmens auswirkt. Nach dieser Entscheidung bedarf es regelmäßig keiner besonderen Einzelfallumstände (wie entsprechender Vorerfahrungen des Täters) mehr, um die Strafmilderung verweigern zu können. Hauptargument des Großen Senats ist, dass sich der Sich-Betrinkende in einen Zustand der Enthemmung versetze, der eine erhöhte Gefährlichkeit des Berauschten für seine Umwelt zur Folge habe. Dieses dem Alkoholkonsum innewohnende Risiko sei Allgemeinwissen und selbst Menschen von geringer Lebenserfahrung in aller Regel bekannt. Jeder wisse oder könne wissen, dass er mit seiner Trunkenheit das Risiko für die Begehung von Straftaten erhöhe.
Diese aktuelle Rechtsprechung bezieht sich jedoch ausdrücklich lediglich auf Rauschzustände durch Alkohol (GSSt 003/17 (PDF) Rn. 59), so dass bei einer Berauschung durch alle übrigen Suchtmittel weiterhin eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls positiv festzustellen ist. Zudem ist eine Kodifizierung dieser Entscheidung im Sinne eines Regelausschlusses der Strafrahmenverschiebung bei selbstverschuldetem Rausch angezeigt, um Rechtsklarheit zu schaffen. Denn § 21 StGB legt im Falle rauschbedingt erheblich verminderter Schuldfähigkeit eine Strafrahmenmilderung regelmäßig nahe. In der gerichtlichen Praxis wird von der Milderung daher relativ großzügig Gebrauch gemacht. Im Übrigen bejaht auch die Rechtsprechung trotz selbstverschuldeter Trunkenheit in aller Regel eine Strafmilderung nach § 21 StGB, wenn der Täter zum ersten Mal straffällig wird (vgl. zum Ganzen auch den Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, März 2000, S. 175 ff.).
Im Anwendungsbereich des § 323a StGB wird die absolute Strafrahmenobergrenze von fünf Jahren Freiheitsstrafe dem Gebot des gerechten Strafens sowie dem Gedanken der positiven Generalprävention vielfach nicht mehr gerecht. Sie führt dazu, dass die Strafe selbst dann einem moderaten, eher Fällen mittlerer Kriminalität entsprechenden Strafrahmen zu entnehmen ist, wenn es sich bei der Rauschtat objektiv um schwerste Verbrechen handelt (vgl. LK-Spendel, § 323a StGB, Rn. 18, 19, 287). Überdies ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung insbesondere bei suchtmittelabhängigen Tätern zu prüfen, ob die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters bereits zum Zeitpunkt des Sichberauschens eingeschränkt war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2007 - 4 StR 305/07 - Rn. 2, juris; BGH NStZ 1996, 334, jeweils m. w. N.). Dies kann dazu führen, dass selbst im Anwendungsbereich des § 323a StGB eine Strafrahmenmilderung nach § 21 StGB in Betracht kommt und sich die Höchststrafe somit auf drei Jahre neun Monate Freiheitsstrafe reduziert (§ 49 Absatz 1 Nummer 2 StGB).
Da der Strafrahmen in der konkreten Strafzumessung nur selten ausgeschöpft wird, müssen etwa drogenabhängige Amokläufer, die im Rausch mehrere Menschen lebensgefährlich verletzen (vgl. den Beispielsfall bei LK-Spendel, a. a. O., Rn. 19) oder gar töten, im Ergebnis lediglich eine Freiheitsstrafe im Bereich von drei Jahren gewärtigen. Zudem ist zu gewärtigen, dass eine erhebliche - wenn auch nicht näher bestimmbare - Anzahl der abgeurteilten Fälle des Vollrauschs nicht auf einem positiv festgestellten Grad von Alkoholisierung oder sonstiger Berauschung zur Tatzeit, sondern lediglich auf einem rein rechnerischen Wert unter Zugrundelegung von für den Täter günstigsten Abbauwerten und Sicherheitszuschlägen beruht. Auch vor diesem Hintergrund sind einschlägige Urteile weder den Opfern noch der Rechtsgemeinschaft hinreichend vermittelbar.
Der Entwurf hält die geltende Rechtslage für nicht länger hinnehmbar. Er schlägt vor, durch eine Änderung von § 21 StGB klarzustellen, dass ein Täter, der sich auf vorwerfbare Weise in einen Rausch versetzt und in diesem Zustand eine Straftat begeht, in aller Regel keine Strafmilderung zu erwarten hat. Im Anwendungsbereich des § 323a StGB soll der Schwere der Rauschtat stärkeres Gewicht verliehen werden, um in Einzelfällen, namentlich bei Rauschtaten, die objektiv schwerstes Unrecht darstellen, eine gerechtere Bestrafung zu ermöglichen.
Zur Erreichung dieser Ziele greift der Entwurf frühere Gesetzentwürfe (insb. BT-Drs. 14/759, 016/4021) auf und schreibt diese fort. Zudem werden Forderungen aus der Praxis (s. etwa Nack, schriftliche Stellungnahmen zur Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines 6. Strafrechtsreformgesetzes vom 4. Juni 1997, S. 28) und Vorschläge der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems (vgl. Abschlussbericht, März 2000, S. 175 ff.) aufgegriffen sowie der Kritik eines Teils der Wissenschaft (LK-Spendel, a. a. O., Rn. 287) entsprochen. u.a. zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wird ergänzend eine Anhebung des Strafrahmens des § 222 StGB (Fahrlässige Tötung) in Fällen von Leichtfertigkeit vorgeschlagen.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuchs)
Zu Nummer 1
Der Entwurf schlägt eine ergänzende Klarstellung in § 21 StGB vor, wonach eine Strafrahmenmilderung regelmäßig ausgeschlossen ist, wenn die erhebliche Verminderung der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, auf einem selbstverschuldeten Rausch beruht.
Die Terminologie knüpft dabei an jene des § 323a StGB an. Zur Auslegung des zentralen Tatbestandsmerkmals "Rausch" kann daher auf eine gesicherte Rechtsprechungspraxis zurückgegriffen werden. Erfasst werden alle Grade der Berauschung mit Ausnahme des die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit vollständig ausschließenden Rausches, der allein von § 20 StGB erfasst ist. Das ergibt sich aus der Gesetzessystematik, weil § 21 StGB lediglich die Möglichkeit einer Strafmilderung regelt.
Der regelhafte Ausschluss der Strafrahmenverschiebung setzt voraus, dass der Rausch selbstverschuldet ist. Dieser Terminus ist dem Strafgesetzbuch bisher fremd; er ist § 7 WStG entnommen. Selbstverschuldet in diesem Sinne ist ein Rausch, wenn der Täter wusste oder wissen musste, dass er sich durch Rauschmittel in einen Rausch versetzte und wenn ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann. Über schuldhaftes, also vorsätzliches oder fahrlässiges Sichberauschen, geht dieser Begriff insoweit hinaus, als dem Täter der Rauschmittelkonsum unter Umständen trotz Vorsatzes oder Fahrlässigkeit nicht zum Vorwurf gemacht werden soll. Hierbei geht es nicht um einen Vorwurf im sittlichmoralischen Sinn, sondern um die Steuerbarkeit der Herbeiführung des Rauschzustands. Vorwerfbar ist es, wenn der Täter ihm zumutbare Willensanstrengungen unterlässt, seinem Drang, sich zu berauschen, entgegenzusteuern. Erst wenn ihm die Möglichkeit zur Steuerung seines Verhaltens fehlt, weil er das Rauschmittel aus krankhaftem, unwiderstehlichem Verlangen konsumiert, ist nicht mehr von einer Vorwerfbarkeit auszugehen.
Für die Frage, wann ein Rausch in diesem Sinne nicht selbstverschuldet ist, kann auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden: Wenn der Täter alkoholkrank bzw. drogenabhängig ist und das Rauschmittel auf Grund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges konsumiert, trifft ihn nicht der gleiche Schuldvorwurf wie einen nicht Erkrankten. In solchen Fällen ist auch eine Strafrahmenverschiebung nicht regelhaft auszuschließen. Vielmehr kommt es, wie in der Rechtsprechung herausgearbeitet worden ist, darauf an, ob sich der Abhängige vorwerfbar in eine Situation begeben hat, in der es zu der Straftat gekommen ist. Trifft ihn auch in dieser Hinsicht kein Vorwurf, kann die Strafe nach dem allgemeinen Grundsatz des § 21 Satz 1 StGB-E gemildert werden (vgl. zum Ganzen BT-Drs. 016/4021, S. 8 f.).
Wie aus der Formulierung "allein darauf" folgt, bleibt eine Strafmilderung in Fällen der Berauschung auch dann zulässig, wenn sich die verminderte Schuldfähigkeit erst aus der Kombination von Rauschmittelkonsum und einer anderen krankhaften seelischen Störung im Rechtssinne ergibt, diese aber nicht verschuldet ist. Denn in diesem Fall beruht die verminderte Schuldfähigkeit nicht im Sinne des Entwurfs allein auf einem selbstverschuldeten Rausch.
Im Übrigen wird eine Strafmilderung unter den Voraussetzungen des § 21 Satz 2 StGB-E nur für den Regelfall ausgeschlossen. In besonders gelagerten Einzelfällen, etwa wenn die rauschbedingte Enthemmung des Täters eine untergeordnete Rolle für die Begehung der Straftat gespielt hat, bleibt die Strafrahmenverschiebung möglich. Bedeutung hat die gewählte Konstruktion auch für Fälle, in denen das Gesetz - wie etwa bei Mord - ausschließlich lebenslange Freiheitsstrafe androht. Ein genereller Ausschluss der Strafmilderungsmöglichkeit könnte hier in Einzelfällen zu einer der Schuld nicht mehr angemessenen Strafe führen. Anders als bei zeitiger Freiheitsstrafe kann die Trunkenheit oder der sonstige Rausch als Strafzumessungsgrund bei absoluter Strafdrohung keine Berücksichtigung finden, und zwar selbst dort nicht, wo der Rausch das Tatbild entscheidend prägt und eine lebenslange Freiheitsstrafe deshalb unangemessen wäre (vgl. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, März 2000, S. 179). Freilich wird die Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung in diesen Fällen einer besonders sorgfältigen Abwägung bedürfen, zumal angesichts der besonderen Schwere der Rechtsgutbeeinträchtigung auch der Kontrollverlust und die Umstände, die ihn ermöglicht haben, besonders schwer wiegen (BT-Drs. 016/4021, S. 9).
Schlussendlich verbietet § 21 Satz 2 StGB-E nicht generell jedwede strafmildernde Berücksichtigung rauschbedingter Enthemmung oder Beeinträchtigung. Vielmehr kann die Gesamtabwägung der Tatumstände, auch unter Einschluss der durch den Täter selbstverschuldeten Berauschung, im Einzelfall einen minder schweren Fall begründen. Auch im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungsregeln der § 46 ff. StGB bleibt die Berauschung grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Vorrangiges Anliegen des Gesetzentwurfs ist vielmehr nur, die Strafrahmenverschiebung des geltenden § 21 StGB in Fällen selbstverschuldeter Berauschung weitgehend auszuschließen. Damit verbunden ist das gewollte gesetzgeberische Signal, dass einem selbstverschuldeten Rausch kein erheblich schuldminderndes Gewicht (mehr) beizumessen ist. Ein vollständiger Ausschluss jeglicher Strafmilderung würde dagegen unter Berücksichtigung des Schuldprinzips zu weit führen.
Zu Nummer 2
Der Entwurf schlägt eine Strafrahmenerhöhung in § 222 StGB (Fahrlässige Tötung) für den Fall leichtfertiger Tatbegehung vor. Diese Änderung verfolgt zwei Ziele. Zum einen scheint der Strafrahmen des § 222 StGB im Hinblick auf die durch das 6. StrRG erfolgten Strafschärfungen sowohl für Körperverletzungsdelikte als auch für den minder schweren Fall des Totschlags zumindest in Fällen leichtfertiger Tatbegehung nicht mehr angemessen. Zum anderen dient die Anpassung der Vermeidung systematischer Spannungen im Verhältnis zu dem nach dem vorliegenden Entwurf ebenfalls zu ändernden § 323a Absatz 1 StGB. Im Einzelnen:
Nach dem geltenden § 222 StGB wird die fahrlässige Tötung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Diese Strafdrohung gilt auch für leichtfertiges Handeln, wobei Leichtfertigkeit einen erhöhten Grad der Fahrlässigkeit darstellt. Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186) und das 6. StrRG wurden die Strafrahmen für die Körperverletzungs- und Tötungsdelikte erheblich verschärft. Das Höchstmaß der Freiheitsstrafe wurde für Körperverletzung (§ 223 StGB) von drei auf fünf Jahre und für gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) von fünf auf zehn Jahre angehoben. Der Strafrahmen für minder schwere Fälle des Totschlags (§ 213 StGB) wurde von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren angehoben. Der Strafrahmen des § 222 StGB blieb indessen unverändert, weil über die Änderung des § 213 StGB (und die Aufhebung des früheren § 217 StGB) hinausgehende Maßnahmen einer umfassenderen Reform der Tötungsdelikte vorbehalten bleiben sollten.
Dies hat dazu geführt, dass für die Körperverletzung nach § 223 StGB nunmehr dieselbe Höchststrafe wie für fahrlässige Tötung angedroht wird. Die gefährliche Körperverletzung und minder schwere Fälle des Totschlags sind im Höchstmaß mit einer Strafe bedroht, die dem doppelten desjenigen für die fahrlässige Tötung entspricht.
Aus systematischen Gründen und im Hinblick auf den hohen verfassungsrechtlichen Rang des Rechtsguts des menschlichen Lebens ist es angezeigt, für die Fälle leichtfertiger Tötung, die einer bedingt vorsätzlichen nahe kommen, eine höhere Strafe vorzusehen. Der Entwurf hält insoweit einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren für angemessen. Die Strafverschärfung dient im Übrigen der Generalprävention; es dürfte auch dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen, in Fällen der leichtfertigen Vernichtung menschlichen Lebens harte Sanktionen zu ermöglichen.
Eine allgemeine Anhebung der Strafrahmenobergrenze des § 222 StGB von fünf auf zehn Jahre ist demgegenüber nicht angezeigt. Das geltende Strafrahmensystem sieht bei einer Höchststrafe von zehn Jahren Freiheitsstrafe bei Vergehen als Mindeststrafe ausschließlich Freiheitsstrafe von drei oder sechs Monaten vor. Um Systembrüche zu vermeiden, müsste bei einer generellen Anhebung der Strafrahmenobergrenze des § 222 StGB auf zehn Jahre Freiheitsstrafe zugleich die Untergrenze auf Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten angehoben werden. Geldstrafen könnten somit nur noch unter den Voraussetzungen des § 47 Absatz 2 StGB verhängt werden und müssten mindestens neunzig Tagessätze betragen. Insbesondere in Fällen leichtester Fahrlässigkeit könnte die Einführung einer erhöhten Mindeststrafe mit Blick auf das Schuldprinzip problematisch sein.
Mit der vorgeschlagenen Ergänzung des § 323a Absatz 1 StGB um einen Qualifikationstatbestand (dazu sogleich zu Nummer 3) wird ein erweiterter Strafrahmen für den Vollrausch geschaffen für Fälle, in denen die Rauschtat eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren androht Auf diese Weise wird insbesondere der Strafrahmen für Tötungsdelikte als Rauschtaten erhöht: An die Stelle der bisherigen Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe träte dadurch z.B. bei Mord oder Totschlag im Vollrausch ein Strafrahmen von drei Jahren bis zu zehn Jahren Unter Beibehaltung des bisherigen Strafrahmens des § 222 StGB, der jenem des geltenden § 323a StGB entspricht, hätte dies zur Folge, dass die Rauschtat künftig mit einer höheren Strafe bedroht wäre als die fahrlässige Tötung durch einen voll schuldfähigen Täter. Diesem Wertungswiderspruch wird dadurch begegnet, dass für die Fälle leichtfertiger Tötungen die Strafobergrenze auf zehn Jahre Freiheitsstrafe angehoben wird.
Zu Nummer 3
Nach ständiger Rechtsprechung können Art, Umfang und Gefährlichkeit der Rauschtat ohne Verstoß gegen den Schuldgrundsatz bei der Bemessung der Strafe grundsätzlich zu Lasten des Täters gewertet werden. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Rauschtat nicht nur als Beweis für das Bestehen, sondern auch als Anzeichen für den Grad der Rauschgefahr aufzufassen ist (LK-Spendel, a.a.O., Rn. 289, m. w. N.). Der Entwurf entwickelt diesen Gedanken in der Weise fort, dass er für den Fall, dass eine schwerwiegende Rauschtat gegeben ist, einen Qualifikationstatbestand normiert. Der Strafrahmen soll von drei Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reichen.
§ 323a Absatz 1 Satz 3 StGB-E berücksichtigt Strafverschärfungen in der Form besonders schwerer Fälle, die mit einer Höchststrafe von über fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Deren ausdrückliche Einbeziehung erscheint mit Blick auf die Vielzahl von Regelbeispielen unerlässlich, um die relevanten Fälle zu erfassen. Die Formulierung ist angelehnt an § 78b Absatz 4 StGB. Gemeint sind Konstellationen, in denen die Tat die Voraussetzungen eines Regelbeispiels erfüllt. Die Vorschläge ermöglichen gerechte Ergebnisse im Einzelfall und sind zugleich geeignet, krasse Ungereimtheiten des geltenden Rechts (dazu oben A. sowie LK-Spendel, a. a. O., Rn. 287) zu beseitigten (vgl. schon BT-Drs. 14/759, S. 4). In seinem materiellen Gehalt bleibt § 323a StGB im Übrigen unverändert.
Mit der Regelung wird die Zuständigkeit des Schwurgerichts auch für die Fälle begründet, in denen die Rauschtat eines der in § 74 Absatz 2 Satz 1 GVG genannten Verbrechen wäre. Dies erscheint wegen des engen Zusammenhangs sachgerecht. Zudem können unökonomische Verweisungen (§§ 209, 270 StPO) vermieden werden.
Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)
Artikel 3 regelt das Inkrafttreten.