935. Sitzung des Bundesrates am 10. Juli 2015
A
Der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 2c Absatz 4 Satz 2 - neu - AtG), Nummer 2 (§ 9i Absatz 2 Satz 2 - neu - AtG)
Artikel 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) In Nummer 1 ist dem § 2c Absatz 4 folgender Satz anzufügen:
"Die Übermittlung des Auskunftsverlangens nach diesem Absatz an die Auskunftsverpflichteten und der erteilten Auskünfte an das für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständige Bundesministerium erfolgen über die zuständigen Behörden der Länder."
- b) In Nummer 2 ist dem § 9i Absatz 2 folgender Satz anzufügen:
"Die Übermittlung des Auskunftsverlangens nach diesem Absatz an die Auskunftsverpflichteten und der erteilten Auskünfte an das für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständige Bundesministerium erfolgen über die zuständigen Behörden der Länder."
Begründung:
Der Gesetzentwurf sieht in Artikel 1 Nummer 1 ( § 2c Absatz 4 AtG) und Nummer 2 ( § 9i Absatz 2 AtG) vor, dass das für die kerntechnische Sicherheit und den Strahlenschutz zuständige Bundesministerium Auskünfte von den Entsorgungspflichtigen und Besitzern abgebrannter Brennelemente bzw. radioaktiver Abfälle einholen kann. Da das Atomrecht von den Ländern in Bundesauftragsverwaltung vollzogen (§ 24 Absatz 1 Satz 1 AtG, Artikel 87c, 85 GG) wird, unterfallen Auskunftsverlangen gegenüber Dritten grundsätzlich der Wahrnehmungskompetenz der Länder. Auch besteht keine sog. stillschweigend mitgeschriebene Verwaltungskompetenz des Bundes aus der Natur der Sache, denn die Auskünfte können genauso gut unter Einschaltung der Atomaufsichtsbehörden der Länder eingeholt werden. Daher sollte im Gesetzeswortlaut klargestellt werden, dass die Wahrnehmungskompetenz der Länder gewahrt bleibt.
2. Zu Artikel 1 Nummer 2 (§ 9h Nummer 2 AtG)
In Artikel 1 Nummer 2 ist § 9h Nummer 2 wie folgt zu fassen:
"2. den Inhaber einer Genehmigung zum Umgang mit radioaktiven Stoffen, deren Hauptzweck in der Behandlung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Lagerung radioaktiver Abfälle besteht, soweit es sich nicht um die Genehmigung für eine kerntechnische Anlage im Sinne des § 2 Absatz 3a Nummer 1 handelt."
Begründung:
Der Änderungsvorschlag dient der Klarstellung der Zielsetzung von Artikel 3 Nummer 8 der Richtlinie 2011/70/EURATOM. Die Regelung zielt auf Tätigkeiten, die mit der Handhabung, Vorbehandlung, Behandlung, Konditionierung, Lagerung radioaktiver Abfälle zusammenhängen. Wenn im Anwendungsbereich nur allgemein der Umgang mit radioaktiven Stoffen mit dem Ziel, diese geordnet zu beseitigen, erwähnt wird, kann dies im Vollzug zu Unklarheiten führen, da auch Labore und medizinische Einrichtungen im Rahmen ihrer Umgangsgenehmigung radioaktive Abfälle lagern mit dem Ziel, diese geordnet zu beseitigen, dies aber nicht selbst durchführen, sondern die Abfälle einem Dritten überlassen bzw. sie an die Landessammelstellen abgeben. Die zutreffenden Ausführungen in der Gesetzesbegründung reichen für die Vollzugspraxis nicht aus.
3. Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a Doppelbuchstabe cc - neu -, dd - neu -, Buchstabe b (§ 46 Absatz 1 Nummer 5, 6 - neu -, Absatz 2 AtG)
Artikel 1 Nummer 4 ist wie folgt zu ändern:
Begründung:
Zu Buchstabe a:
Anders als in zahlreichen Gesetzen des Umweltrechts oder anderer Gesetze, die eine staatliche Überwachung vorsehen, namentlich
§ 52 Absatz 2 i.V.m. § 62 Absatz 2 Nummer 4 BImSchG,
§ 101 Absatz 1 und 2 i.V.m. § 103 Absatz 1 Nummer 17 und 18 WHG,
§ 47 i.V.m. § 69 Absatz 2 Nummer 4 bis 7 KrWG,
§ 21 Absatz 3 und 4 i.V.m. § 26 Absatz 1 Nummer 9 ChemG,
§ 25 Absatz 2 und 3 i.V.m. § 38 Absatz 1 Nummer 10 und 11 GenTG,
§ 63 Absatz 1 bis 3 i.V.m. § 68 Absatz 1 Nummer 37 und 38 PflSchG,
§ 16 Absatz 2 und 3 i.V.m. § 18 Absatz 1 Nummer 26 TierSchG,
§ 52 Absatz 1 und 2 i.V.m. § 69 Absatz 2 Nummer 24 und 25 BNatSchG,
§ 36 i.V.m. § 39 Absatz 1 Nummer 14 ProdSG,
§ 9 Absatz 2 i.V.m. § 10 Absatz 1 Nummer 3, 4 und 5 GGBefG,
§ 22 i.V.m. § 28 Absatz 1 Nummer 11 GastG,
§ 139b i.V.m. § 147 GewO und
§ 14 Absatz 3, 4 und 5 i.V.m. § 22b Absatz 1 Nummer 4, 5 und 6 KrWaffKontrG
sind im Atomgesetz die Befugnisse der Überwachungsbehörde nach § 19 Absatz 2 AtG (z.B. Auskunftsrecht, Betretungsrecht) nicht bußgeldbewehrt.
Das Bedürfnis, Verstöße gegen Befugnisse und Maßnahmen der Aufsichtsbehörde ahnden zu können, besteht aber auch beim Vollzug des Atomrechts.
Zudem stellt es einen Wertungswiderspruch dar, dass dasjenige Gesetz, welches die Technik mit dem größten Gefährdungspotenzial regelt, über ineffektivere Mittel verfügt als Gesetze, die weniger großen Gefahren begegnen.
Die Befugnis der Aufsichtsbehörde und der von ihr nach § 20 AtG zugezogenen Sachverständigen sowie der Beauftragten anderer zugezogener Behörden, Orte jederzeit betreten zu dürfen und dort alle zur Aufgabenerfüllung notwendigen Prüfungen anzustellen, erstreckt sich außer auf die Orte, an denen sich radioaktive Stoffe, Anlagen, Geräte und Vorrichtungen befinden, auch auf Orte, an denen hiervon herrührende Strahlen wirken. Diese Befugnis erstreckt sich nach dem Gesetzeswortlaut des § 19 Absatz 2 Satz 1 AtG ferner auf Orte, für die diese Voraussetzungen den Umständen nach (bloß) anzunehmen sind.
Zu denken ist etwa an Kontaminationsverschleppungen (z.B. auf Nachbargrundstücken).
Den Befugnissen der Aufsichtsbehörden und der zugezogenen Sachverständigen entspricht eine Pflicht zur Duldung der Aufsichtsmaßnahmen. Teilweise besteht eine aktive Handlungs-, Mitwirkungs- und Unterstützungspflicht (z.B. Auskünfte erteilen, benötigte Arbeitskräfte und Hilfsmittel bereitstellen, Unterlagen vorlegen).
Die Pflicht, die behördlichen Überwachungsmaßnahmen nach § 19 Absatz 2 AtG zu dulden, muss als eine Pflicht aufgefasst werden, die potenziell jedermann treffen kann, denn es ist von vorneherein nicht bestimmbar, wo die radioaktiven Strahlen wirken oder deren Wirkung anzunehmen ist. Die Duldungspflichten dieser gesetzlichen Regelung beschränken sich daher nicht auf Anlagen- oder Genehmigungsinhaber. Niemand darf die der Behörde gesetzlich eingeräumten Befugnisse vereiteln.
§ 19 Absatz 2 Satz 2 AtG nennt für eine Auskunftsverpflichtung ausdrücklich einen Adressatenkreis. Diese Vorschrift bestimmt, dass die Aufsichtsbehörde Auskünfte von "verantwortlichen oder dort beschäftigten Personen" verlangen kann.
§ 19 Absatz 2 Satz 3 AtG ordnet eine entsprechende Geltung des § 36 des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) an. Die in Bezug genommene Rechtsnorm nennt als Verpflichtete zur Mitwirkung im Rahmen der staatlichen Aufsicht den Eigentümer von überwachungsbedürftigen Anlagen und Personen, die solche Anlagen herstellen oder betreiben. Dieser Personenkreis ist mithin verpflichtet, die in § 36 ProdSG genannten Handlungen vorzunehmen.
Zu Buchstabe b:
Der Regelungstext des Gesetzentwurfs wird dahingehend ergänzt, dass in § 46 Absatz 2 der Bußgeldrahmen für den unter Buchstabe a geregelten Tatbestand aufgenommen wird.
Es erscheint sachgerecht, denselben Bußgeldrahmen zu wählen, der auch für die meisten anderen Ordnungswidrigkeiten in dieser Vorschrift vorgesehen ist. Die Durchsetzung der Aufsichtsbefugnisse ist von erheblicher Bedeutung, die sich in der Höhe des Bußgeldrahmens ausdrücken sollte.
B
- 4. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.