12. Weder kann es ausreichen, wenn lediglich plausible Gründe für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes vorgebracht werden, noch darf sich der Offenlegungsbeschluss auf ganze Kategorien von Beweismitteln beziehen. Für das Problem, dass der Kläger vielfach eine genaue Bezeichnung der Beweismittel nicht vorlegen kann, enthält das deutsche Zivil- und Zivilprozessrecht folgende ausgewogene Lösung:
Schwierigkeiten beim Nachweis des kartellrechtlichen Haftungstatbestands lassen sich in vielen Fällen über die Grundsätze der sekundären Darlegungslast lösen. Es ist seit langem anerkannte Rechtsprechung in Deutschland, dass den Gegner der primär darlegungsbelasteten Partei eine sekundäre Darlegungslast treffen kann. Immer dann, wenn eine behauptungsbelastete Prozesspartei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner hierüber verfügt und ihm nähere Angaben auch zumutbar sind, darf dieser sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, sondern muss mit einem detaillierten Sachvortrag erwidern. Genügt sein Vorbringen diesen Anforderungen nicht, gilt der entsprechende Sachvortrag des Klägers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. nur: BGH, Urteil vom 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - NJW 2008, 982, 984 m. w. N.; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 26. Aufl., § 138 Rn. 8b m. w. N.), so dass sich die Frage der Beweisbedürftigkeit des Klägervortrags von vornherein nicht stellt.
Gerade im kartellrechtlichen Schadenersatzprozess kommen der klagenden Partei überdies die Beweiserleichterungen des § 252 Satz 2 BGB und die Möglichkeit einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO zugute.
Im Rahmen der Beweisführung kann die beweisbelastete Partei beantragen, dass die Gegenpartei nach Maßgabe der in §§ 421 ff. ZPO genannten Voraussetzungen zur Vorlegung einer Urkunde verpflichtet wird. Unabhängig davon ist das Prozessgericht im Rahmen der Prozessleitung befugt, gemäß § 142 ZPO die Vorlegung von Urkunden anzuordnen. Eine solche Anordnung kann zu Urkunden ergehen, die sich im Besitz einer Partei oder eines Dritten befinden, sofern sich eine Partei auf die Urkunden bezogen hat. Kommt der Gegner dieser Anordnung nicht nach oder kommt das Gericht, wenn der Gegner den Besitz der Urkunde bestreitet, zu der Überzeugung, dass er nach dem Verbleib der Urkunde nicht sorgfältig geforscht habe, so kann eine vom Beweisführer vorgebrachte Abschrift der Urkunde als richtig angesehen werden. Kann der Beweisführer eine Abschrift nicht beibringen, so können seine Behauptungen über Beschaffenheit und Inhalt der Urkunde als bewiesen angenommen werden (vgl. § 427 ZPO). Da somit an die Vernichtung von Urkunden für die Parteien negative beweisrechtliche Folgen geknüpft werden können, sieht das deutsche Zivilprozessrecht wirksame Sanktionen vor, damit Beweismittel nicht vernichtet werden oder die gerichtlich angeordnete Offenlegung verweigert wird.
Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob die Offenlegungspflicht in der von der Kommission vorgeschlagenen Form ein wirksames und praktikables Mittel darstellen kann, um der klagenden Partei im Schadenersatzprozess über Darlegungs- und Nachweisschwierigkeiten hinwegzuhelfen. Diesbezügliche Zweifel ergeben sich in zweifacher Hinsicht:
Zum einen soll die Offenlegungspflicht nach Nummer 2.2 dritter Spiegelstrich des Weißbuchs (vgl. BR-Drucksache 248/08 (PDF), Seite 5) davon abhängen, dass der Kläger "die verschiedenen Kategorien von Beweismitteln, für die er eine Offenlegung beantragt, genau genug bezeichnet". Es stellt sich die Frage, ob die klagende Partei, die keinen Einblick in die betreffenden Vorgänge hat und gerade deshalb von ihrer Nachweislast befreit werden soll, dazu überhaupt in der Lage ist. Selbst wenn eine hinreichend exakte Bezeichnung der benötigten Beweismittelkategorien gelingt, ist unklar, auf welchem Wege die vollständige Erfüllung der gerichtlich angeordneten Offenlegungspflicht überwacht und gewährleistet werden kann. Auch besteht die Gefahr, dass die in Anspruch genommenen Unternehmen alle formaljuristischen Argumente und Möglichkeiten ausnutzen werden, um einer Offenlegung von Beweismitteln auszuweichen - und damit zahlreiche verfahrensverzögernde Nebenkriegsschauplätze eröffnen. Es muss deshalb bezweifelt werden, dass die vorgeschlagene Offenlegungspflicht ein hinreichend geeignetes Instrument zur Durchsetzung kartellrechtlicher Ersatzansprüche darstellt.
Zum anderen sind der Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln dadurch nicht unerhebliche Grenzen gesetzt, dass sich die beklagte Partei auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen berufen kann.
17. Schadenersatz Die Vorstellungen zum Schadenersatzumfang entsprechen der deutschen Rechtslage. Inhalt und Reichweite des nach § 33 Abs. 1 und 3 GWB geschuldeten Schadenersatzes richten sich nach den §§ 249 bis 252 BGB. Deshalb sind nicht nur die kartellbedingt erlittenen Vermögenseinbußen auszugleichen.
Vielmehr ist ebenso der entgangene Gewinn zu ersetzen. Auch die Pflicht, den Schadenersatzbetrag vom Eintritt des Schadens an zu verzinsen, ist bereits heute geltendes nationales Recht und in § 33 Abs. 3 Satz 4 und 5 GWB ausdrücklich normiert.
§ 287 ZPO räumt den Gerichten die Möglichkeit ein, die Schadenshöhe unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung auf der Grundlage konkreter Anhaltspunkte festzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 33 Abs. 3 Satz 3 GWB durch Zitierung der Vorschrift des § 287 ZPO dessen Bedeutung im Rahmen der kartellrechtlichen Schadensberechnung unterstrichen. Vor dem Hintergrund der Vielfältigkeit der auftretenden kartellrechtlichen Verletzungsfälle erscheint die gesetzliche Anordnung einer bestimmten Schadensberechnungsmethode nicht zielführend. Die Schadensermittlung sollte im jeweils zu beurteilenden Einzelfall den Gerichten unter Berücksichtigung des § 287 ZPO überlassen bleiben. Aber auch die von der Kommission beabsichtigte Ausarbeitung eines unverbindlichen Orientierungsrahmens für die Berechnung des Schadenersatzes birgt nach Auffassung des Bundesrates die Gefahr, dass die grundlegende Unterscheidung zwischen den drei Gewalten durch ein derartiges von der Kommission erlassenes so genanntes soft law, das einerseits zwar nicht die Geltung eines Gesetzes hat, andererseits aber auch mehr Bindungswirkung als eine bloße Meinung entfalten soll, angegriffen wird.