Der Bundesrat kommt mit dieser Stellungnahme der Einladung der Kommission an die nationalen Parlamente nach, auf neue Vorschläge und Konsultationspapiere zu reagieren, um die Politikformulierung und EU-Rechtsetzung zu verbessern.
Ich begrüße es, dass die Kommission so die Gelegenheit hat, die in der Stellungnahme des Bundesrates aufgeworfenen Fragen und Aufforderungen in Bezug auf die Sprachregime, hinsichtlich der Anwendung der Grundsätze von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, sowie bezogen auf die Initiative für "bessere Rechtsetzung" detailliert beantworten zu können. Ich füge die Stellungnahme der Kommission an, und hoffe, dass wir unseren fruchtbaren politischen Dialog auch in der Zukunft weiterführen werden.
- 1. Der Bundesrat stellt fest, dass dem Bericht ein ausführliches Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen lediglich in englischer Sprache beigefügt ist, das wichtige Informationen über die Reichweite der Grundsätze von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit enthält. Der Bundesrat sieht darin eine Beeinträchtigung der politischen Debatte in den Gremien der Mitgliedstaaten und der Regionen sowie in der Öffentlichkeit. Die Entscheidung über die Übersetzung eines Dokuments sollte nicht schematisch allein aufgrund rein formaler Kriterien getroffen werden, sondern die Bedeutung der Papiere mit in Betracht ziehen.
Die Kommission wird die Jahresberichte "Bessere Rechtsetzung" auch weiterhin in sämtliche EU-Amtssprachen übersetzen. Um mit beschränkten Übersetzungsressourcen die im Zuge der Erweiterungen der EU 2004 und 2007 erheblich gestiegene Nachfrage im Bereich der Übersetzung decken zu können, wurde unter anderem eine Höchstlänge für Kommissionsmitteilungen festgelegt. Um dennoch in ihren Jahresberichten der konkreten Anwendung der Grundsätze von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sowie daraus abzuleitenden politischen Schlussfolgerungen angemessenen Raum geben zu können hat die Kommission seit 2004 die Berichte in Form einer kürzeren - in alle Amtssprachen übersetzten - Mitteilung und eines nur in einer Sprache abgefassten Arbeitspapiers vorgelegt.
Dabei hat die Kommission sorgfältig darauf geachtet, die in der Mitteilung enthaltenen politischen Aussagen im begleitenden Arbeitspapier lediglich durch Fakten zu exemplifizieren nicht aber zu verändern oder auszuweiten. Da auch diese Fakten und Beispiele aufschlussreich und für die nationalen Parlamente von besonderem Interesse sind bedauert die Kommission, sie nicht länger in sämtlichen Amtssprachen vorlegen zu können. Sie wird weiterhin alle Möglichkeiten ausschöpfen, wichtige Dokumente auch auf Deutsch vorzulegen, wie beispielsweise die am 30. Januar 2008 beschlossene Zweite Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union,2 sowie den Bericht des unabhängigen Rates für Folgenabschätzung für das Jahr 2007.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die Kommission im Rahmen ihrer Berichterstattung entsprechend Nummer 9 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in den letzten Jahren dazu übergangen ist, den Schwerpunkt einseitig auf die Darstellung der Entwicklungen und Fortschritte der EU-Initiativen und Maßnahmen zur "Besseren Rechtsetzung" zu setzen. Er ist der Auffassung, dass die Kommission damit ihrer primärrechtlich verankerten Verpflichtung nicht hinreichend nachkommt, jährlich über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips substantiell zu berichten, und ersucht die Kommission, im kommenden 15. Bericht der Darstellung der Entwicklungen und Fortschritte in diesem Bereich deutlich breiteren Raum als bisher einzuräumen. Der Bundesrat erwartet, dass dabei zukünftig auch auf die Stellungnahmen der nationalen Parlamente zu den Konsultationspapieren angemessen eingegangen wird.
Da die Kommission im Januar 2008 ihre Zweite Strategische Überlegung für Bessere Rechtsetzung vorgelegt hat, hat sie - ohne Bindewirkung für die Folgejahre - beschlossen, sich in ihrem Jahresbericht für 2007 ganz auf die Berichterstattung zur Anwendung der Prinzipien von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zu konzentrieren. Sie wird dabei ihrer rechtlichen Verpflichtung zur Berichterstattung in vollem Maße nachkommen.
- 3. Der Bundesrat begrüßt, dass die Rolle der nationalen Parlamente bei der Subsidiaritätsprüfung durch die im EU-Reformvertrag vorgesehenen neuen Verfahrensrechte in Form der Subsidiaritätsrüge und Subsidiaritätsklage deutlich gestärkt wird. Die Kommission wird dadurch allerdings stärker als bisher bei der Erarbeitung von Rechtsetzungsvorschlägen zu bedenken haben, wie weit europäische Zuständigkeiten reichen und ab welchem Punkt auf die Entscheidungen der zuständigen Organe der Mitgliedstaaten vertraut werden kann.
Die Kommission sieht sich mit dem Bundesrat in der Einschätzung einig, dass der Überprüfung der Kompetenzzuweisung an die EU und der Berücksichtigung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit bei der Vorbereitung von Kommissionsinitiativen eine herausragende Bedeutung zukommt, die durch die Regelungen des Vertrages von Lissabon nach seinem Inkrafttreten noch gestärkt werden wird. Aus diesem Grund hat die Kommission in ihren internen Anweisungen für Folgenabschätzungen die Prüfung der Zuständigkeit, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Aktion zu einem unabdingbaren Bestandteil der vorbereitenden Analysen gemacht. Die Kommission hat ferner ihre Dienste angewiesen in den ihren Legislativvorschlägen vorangestellten Begründungen diese Aspekte in ausreichender Klarheit herauszustellen.
- 4. Der Bundesrat teilt nicht die Auffassung der Kommission, wonach die Frage der Zuständigkeit der EU nicht von der Subsidiaritätsrüge erfasst sei. Vielmehr schließt die Subsidiaritätsprüfung auch eine Prüfung der Zuständigkeit der EU mit ein. Der Grundsatz der Subsidiarität ist ein Kompetenzausübungsprinzip. Gegen das Subsidiaritätsprinzip wird auch dann verstoßen, wenn keine Kompetenz der Union besteht.
Die Kommission nimmt die Auffassung des Bundesrates zur Kenntnis und bekräftigt ihren Standpunkt, wonach die Prüfung der Zuständigkeit der EU grundsätzlich von der Subsidiaritätsprüfung zu unterscheiden ist sowie vor und unabhängig von dieser zu erfolgen hat.
- 5. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Kommission zu einem Ausbau der eigenen Subsidiaritätsprüfung und sieht erste positive Auswirkungen in der abnehmenden Zahl von Kommissionsvorschlägen in den letzten Jahren, die Anlass für die Erhebung von Subsidiaritätsbedenken gegeben haben.
Die Kommission hat sich in der Tat bemüht, die Subsidiaritätsprüfung im Rahmen der Folgeabschätzungen für ihre politischen und Legislativvorschläge zu verstärken. Auch der Rat für Folgeabschätzung hat in seine Prüfkriterien zur Begutachtung der Qualität der Folgeabschätzungen ausdrücklich die Beachtung der Subsidiaritätsprüfung im Folgeabschätzungsbericht aufgenommen und hat im Jahre 2007 für eine nennenswerte Anzahl individueller Folgeabschätzungen Verbesserungen in dieser Hinsicht erwirkt.
- 6. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der von der Kommission erarbeitete "Fragenund Anweisungskatalog", der als Annex 3 dem Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zum 14. Bericht "Bessere Rechtsetzung 2006" beigefügt ist, nach wie vor in weiten Teilen offen lässt, in welcher Weise die Kommission bei der Ausarbeitung eines konkreten Rechtsetzungsvorschlags dem Subsidiaritätsgedanken gerecht geworden ist. Der Bundesrat bittet die Kommission daher, die internen Vorgaben, die den Dienststellen der Kommission durch den Prüfkatalog gemacht werden weiter zu konkretisieren (Beispiele).
Die Kommission unterzieht gegenwärtig ihren Leitlinien für Folgenabschätzung einer grundlegenden Überprüfung und hat in ihrer Zweiten Strategischen Überlegung zur Verbesserung der Rechtsetzung eingeräumt, dass regionale und nationale Auswirkungen, auf die es bei der Beurteilung des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitskriteriums häufig ankommt, größerer Aufmerksamkeit bedürfen und - gegebenenfalls auch in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten oder Regionen - neue Methoden zu ihrer besseren Analyse erforderlich sein können. In diesem Zusammenhang wird die Kommission die vom Bundesrat vorgeschlagenen wichtigen Anregungen in Erwägung ziehen. Sie wird ebenfalls überprüfen, ob der Fragen- und Anweisungskatalog für die Erstellung der Begründungen in dieser Hinsicht überarbeitet werden sollte.
- 7. Der Bundesrat begrüßt die seit September 2006 praktizierte direkte Einbindung der nationalen Parlamente in die europäische Politikgestaltung durch die Kommission ausdrücklich und hält es für erforderlich, dass die nationalen Parlamente auch nach Inkrafttreten des EU-Reformvertrags weiterhin zu allen Vorschlägen und Konsultationspapieren nicht nur hinsichtlich der Frage des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sondern umfassend gegenüber der Kommission Stellung beziehen können.
Die Kommission ist der Auffassung, dass der kontinuierliche Dialog mit den nationalen Parlamenten den Prozess der Politikformulierung wesentlich verbessert und wird mit ihrer seit 2006 geübten Praxis zur Einbindung der nationalen Parlamente fortfahren.
- 8. Nach Auffassung des Bundesrates ist die Art und Weise, wie die Kommission in der überwiegenden Zahl der Fälle zu den Beiträgen des Bundesrates Stellung nimmt, verbesserungsbedürftig. Nur selten geht die Kommission auf die von ihm vorgetragenen Argumente ein. Auch bleibt im Unklaren, inwieweit die Kommission die Anregungen des Bundesrates im Rahmen des weiteren Willensbildungsprozesses tatsächlich berücksichtigt hat.
Die Kommission antwortet in jedem einzelnen Fall auf die Beiträge der nationalen Parlamente. Dies schließt Kommentare dazu ein, wie die darin vorgetragenen Argumente berücksichtigt werden. Die Kommission beabsichtigt die Stellungnahmen der nationalen Parlamente sowie ihre Antwortschreiben auf ihrer Webseite sowie sie auf der IPEX-Webseite zu veröffentlichen und sie dem Europäischen Parlament und dem Rat zu übermitteln. Nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist ferner eine systematische Wirkungsbewertung der Stellungnahmen der nationalen Parlamente vorgesehen.
- 9. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist für die Überwachung der Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zuständig. Die praktische Wirksamkeit der neuen Mechanismen zur Stärkung dieser Grundsätze im EU-Reformvertrag wird wesentlich vom Umfang der richterlichen Kontrolle des Subsidiaritätsgrundsatzes abhängen. Insofern wäre eine intensive materielle Prüfung durch den EuGH sehr hilfreich. ... Der EuGH ist auch bereits vor Inkrafttreten des Reformvertrags aufgerufen, dem Vorbringen von Verfahrensbeteiligten betreffend die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bei seiner Entscheidungsfindung Beachtung zu schenken.
Die Kommission behält sich vor, Erwartungen an die Arbeitsweise des Europäischen Gerichtshofes nicht zu kommentieren.
- 10. Der Bundesrat betont, dass die Kommission zu einer weitaus stärkeren und spürbaren Rechtsbereinigung als bisher kommen muss. Die hierzu bislang von der Kommission vorgelegten Vorschläge bleiben weit hinter den eigenen Ankündigungen und den berechtigten Erwartungen der Mitgliedstaaten zurück. Der Bundesrat fordert die Kommission auf, den Arbeiten zur Rechtsvereinfachung und -bereinigung Vorrang einzuräumen.
Die Kommission stimmt dem Bundesrat zu, dass bereits in Kraft befindliche Gesetze für die Bürger die größte Rolle spielen. Daher hat das für den Zeitraum 2005-2009 vorgelegte Programm mit über 160 Initiativen zur Vereinfachung und Bereinigung des EU-Rechts für die Kommission eine hohe Priorität. Sie hat für 2008 45 Initiativen als Teil ihres Arbeits- und Legislativprogramms vorgelegt. Das Vereinfachungsprogramm umfasst auch die Durchleuchtung des gesamten EU-Rechtsbestandes mit dem Ziel, durch Neufassung und Kodifizierung zu seiner Vereinfachung beizutragen, und es wird ergänzt durch ein ambitioniertes Aktionsprogramm zur Reduktion von der sich aus EU-Rechtsetzung ergebenden Verwaltungslasten um 25% bis 2012.
Jedoch können diese Vereinfachungen nur dann den Bürgern und der Wirtschaft zugute kommen wenn die Kommissionsvorschläge auch vom europäischen Gesetzgeber angenommen werden. Im Vereinfachungsprogramm sind von über 90 seit 2005 vorgeschlagenen oder angenommenen Kommissionsvorschlägen derzeit etwa 45 noch beim Gesetzgeber anhängig. Von etwa 150 von der Kommission für eine Kodifizierung vorgeschlagenen Rechtsakten sind 87 bereits erlassen worden und etwa 65 noch anhängig. Ihrer Behandlung sollte vom Rat und dem Europäischen Parlament hohe Priorität eingeräumt werden.
- 11. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission sich verpflichtet hat, die Transparenz und die Rechenschaftspflicht für ihre Sachverständigengruppen zu erhöhen und eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Fälle von EU-Selbstregulierung und Koregulierung zu erstellen. Daneben sieht der Bundesrat in der Einrichtung eines öffentlichen Registers für alle Interessensvertreter, die Einfluss auf Entscheidungen der EU-Organe nehmen wollen einen weiteren wichtigen Beitrag für mehr Transparenz im Rechtsetzungsverfahren auf EU-Ebene.
Die Kommission bestätigt, dass das im Jahresbericht 2006 angekündigte Verzeichnis der von ihr eingesetzten Expertengruppen sowie das Online-Register der existierenden Fälle von EU-Selbstregulierung und Koregulierung mittlerweile funktionsfähig und über die Netzseite des Kommission3 bzw. des Europäischen Wirtschafts- und Sozialrates4 zugänglich sind. Die Vorbereitungen für das öffentliche Register für Interessensvertreter befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium, so dass das Register im Frühjahr 2008 geöffnet werden kann.