909. Sitzung des Bundesrates am 3. Mai 2013
A
Der federführende Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf insgesamt
- a) Der Bundesrat fordert, den vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Prävention im weiteren Gesetzgebungsverfahren grundlegend zu überarbeiten. Der Gesetzentwurf wird in dieser Form vom Bundesrat abgelehnt.
- b) Der Bundesrat geht davon aus, dass sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren bei der Überarbeitung an der Entschließung des Bundesrates - Schaffung eines Bundespräventions- und Gesundheitsförderungsgesetzes (BR-Drucksache 753/12(B) ) orientiert wird.
Begründung:
Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass sich der Bund nunmehr der Haltung der Länder angeschlossen hat, dass zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention ein verbesserter gesetzlicher Rahmen benötigt wird. Die Länder fordern seit langem ein eigenständiges Präventionsgesetz, wie es bereits von der rotgrünen Bundesregierung mit den Ländern erarbeitet und im Deutschen Bundestag beschlossen wurde. Leider fiel das Gesetz der Diskontinuität anheim.
Wir verfügen in Deutschland auch im politischen Raum über ein grundsätzliches Einverständnis über die notwendigen gesundheitlichen und wissenschaftlichen Instrumente und gesetzlichen Rahmenregelungen für eine zielgerichtete und wirkungsvolle Gesundheitsförderung und Prävention. Vor diesem Hintergrund enttäuscht die Vorlage der Bundesregierung umso mehr, die lediglich einige Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch vorsieht, ohne ein eigenständiges Präventionsgesetz zu schaffen.
Die Vorlage ist vollkommen unzureichend, Gesundheitsförderung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgaben zu organisieren und Gesundheitsförderung und Prävention im Alltag und in den Lebenswelten der Bürgerinnen und Bürger verstärkt zu verankern. Sie ist auch nicht geeignet, bestehende soziale Ungleichheit bezüglich der Gesundheitschancen in der Bevölkerung zu reduzieren.
Der Gesetzentwurf zielt ausschließlich auf das Gesundheitswesen und auf die Änderung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenkassen. Er ist insgesamt von einem überholten und engen Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention geprägt, das überwiegend auf individuelle Verhaltensänderungen und risikopräventive Leistungen abzielt.
Mit den zentralen Elementen des Gesetzentwurfs
- - gesetzlicher Eingriff in die Verwendung der Krankenkassenbeitragsmittel für die Prävention, - Verengung von Gesundheitsförderung und Prävention auf den Bereich der ärztlichen Behandlung,
- - Neuausrichtung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) als Leistungserbringerin im Bereich Prävention,
- - Schaffung einer unverbindlichen Präventionskonferenz wird die Bundesregierung weder den gesundheitspolitischen Möglichkeiten noch den Erfordernissen einer umfänglichen Regelung unter Einbeziehung der Gesamtgesellschaft und aller Sozialversicherungsträger gerecht.
Die Einbeziehung der Länder und Kommunen im Gesetzentwurf ist ungenügend und deren bisherige Programme und Maßnahmen werden vollständig ausgeblendet.
Ein nationaler Perspektivenwechsel hin zu einer sozial engagierten und verbindlichen gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik ist mit diesem Ansatz nicht zu schaffen.
Der Bundesrat hat am 22. März 2013 die Entschließung "Schaffung eines Bundespräventions- und Gesundheitsförderungsgesetzes" (BR-Drucksache 753/12(B) ) gefasst. Dieser Beschluss verarbeitet fundierte Wissens- und Erfahrungsbestände und setzt konsequent auf Zielorientierung, Lebenswelt- und Alltagsbezug, Chancengerechtigkeit, Langfristigkeit sowie auf einen umfassenden Ansatz, der die wesentlichen Akteure verbindlich einbindet.
Der Bundesrat betont in seinem Beschluss die Bedeutung der Landesebene mit ihren regionalen und kommunalen Strukturen als die geeignete Ebene für die Umsetzung von Prävention und Gesundheitsförderung. Länder und Kommunen haben eine Schlüsselfunktion im Hinblick auf wirksame Organisation und Steuerung der Prävention und Gesundheitsförderung.
Tragende Strukturbausteine dieser Umsetzungsstrategie sind Landespräventions- und Gesundheitsförderungsprogramme sowie Landespräventions- und Gesundheitsförderungsfonds auf Grundlage verbindlicher Kooperationsverfahren:
- - mehrjährige Landespräventions- und Gesundheitsförderungsprogramme, die in Kooperation von Ländern mit Sozialversicherungsträgern, Leistungserbringern und anderen erarbeitet und realisiert werden; - inhaltliche und finanzielle Beteiligung der Sozialversicherungsträger und der privaten Krankenversicherung;
- - Landespräventions- und Gesundheitsförderungsfonds, aus denen auf der Grundlage der Landespräventions- und Gesundheitsförderungsprogramme eine abgestimmte Finanzierung ermöglicht wird (unter Einbezug von Mitteln auch der Länder).
Hilfsempfehlung zu Ziffer 1
2. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 20 Absatz 2 Satz 1 SGB V)
In Artikel 1 Nummer 3 ist in § 20 Absatz 2 Satz 1 nach dem Wort "Qualität," das Wort "zeitnaher" einzufügen.
Begründung:
Damit die Durchführung der Maßnahme und deren Evaluation zeitlich nicht auseinanderfallen, hat die Evaluation zeitnah anzusetzen.
3. Zu Artikel 1 Nummer 12 - neu - (§ 268 Absatz 3 Satz 1 SGB V)
Dem Artikel 1 ist folgende Nummer 12 anzufügen:
- '12. In § 268 Absatz 3 Satz 1 werden nach dem Wort "Versichertentage" die Wörter ", die Postleitzahl des Wohnortes des Versicherten" eingefügt.'
Begründung:
Um auch künftig die Erhebung von versichertenbezogenen Regionalmerkmalen sicherzustellen, wird die Ermächtigungsgrundlage zugunsten des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 266 Absatz 7 SGB V gegenüber dem bisherigen Umfang erweitert.
Mit der Verordnung über das Verfahren zum Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung (RSAV) vom 3. Januar 1994, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Oktober 2012, hat das BMG von seiner Ermächtigungsgrundlage Gebrauch gemacht und Vorgaben über die Datenerhebung zur Durchführung und Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs erlassen. Gemäß § 34 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 RSAV haben die Krankenkassen für die Schätzung der Belastungen auf Grund der Einführung der Verteilungskriterien des Gesundheitsfonds für die in einem Land tätigen Krankenkassen ( § 272 SGB V; so genannte "Konvergenzregelung") ab dem Berichtsjahr 2007 zusätzlich zur Datenerhebung nach § 30 RSAV die Postleitzahl des Wohnortes des Versicherten erheben. Gemäß § 34 Absatz 2 RSAV erfolgt die Datenerhebung jedoch letztmalig in dem Jahr, in dem die Konvergenzregelung letztmalig durchgeführt wurde. Die Voraussetzungen für die Durchführung der Konvergenzklausel waren nach Angaben des BMG letztmalig im Berichtsjahr 2010 erfüllt, so dass nach dessen Auffassung ab dem Berichtsjahr 2011 die Rechtsgrundlage für die Erhebung von Regionaldaten durch die Krankenkassen entfallen ist.
Bereits aus Planungs- und Versorgungsgründen ist eine belastbare regionalisierte Datengrundlage erforderlich, wie einzelne Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zeigen: Nach den durch das Versorgungsstrukturgesetz neugefassten Regelungen zur ärztlichen Bedarfsplanung bestehen regionale Abweichungsmöglichkeiten von den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, soweit dies zur Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten, insbesondere der regionalen Demografie und Morbidität, für eine bedarfsgerechte Versorgung erforderlich ist (vergleiche § 99 Absatz 1 Satz 3 SGB V sowie § 90a SGB V). Diese Regelungen laufen letztlich ohne regionale Daten zur Morbidität - abgebildet im regionalen Leistungsgeschehen - ins Leere.
Die Regelungen zur Vergütung vertragsärztlicher Leistungen sehen ausdrücklich die Möglichkeit vor, Zu- oder Abschläge zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur zu vereinbaren ("regionale Euro-Gebührenordnung", vergleiche § 87a Absatz 2 Satz 2 SGB V). Zwar berücksichtigen die bundeseinheitlichen Zuweisungen die jeweilige Morbidität der Versicherten. Die Kosten- und Versorgungsstruktur bleibt bei diesen Zuweisungen jedoch unberücksichtigt, so dass der regionale Spielraum für Honorarverhandlungen nicht durchgreifend eröffnet ist.
Ohne die statistische Erfassung regionaler Versichertendaten mangelt es zudem an belastbaren Erkenntnissen über regionale Verteilungswirkungen. Dies wird auch im Hinblick auf die Versorgungsforschung bereits durch Vertreter der Wissenschaft beklagt (unter anderem Petition 37108 vom 17. Oktober 2012 an den Deutschen Bundestag). Eine gegebenenfalls erforderliche, sachgerechte Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) erscheint vor diesem Hintergrund nicht möglich und widerspricht letztlich der Konzeption des Morbi-RSA als "lernendem System".
4. Zu Artikel 1 Nummer 13 - neu - (§ 303e Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 SGB V)
Dem Artikel 1 ist nach der neuen Nummer 12 folgende Nummer 13 anzufügen:
- '13. In § 303e Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 werden nach den Wörtern "gesetzlichen Krankenversicherung" die Wörter "insbesondere in Fragen des Risikostrukturausgleichs, der Bedarfsplanung sowie der regionalen Versorgungssteuerung" eingefügt.'
Begründung:
Mit der Änderung werden in einer nicht abschließenden Aufzählung zur Klarstellung bedeutende Themenfelder der gesetzlichen Krankenversicherung benannt, zu deren Weiterentwicklung die Verarbeitung und Nutzung der bei der Datenaufbereitungsstelle gespeicherten Daten zulässig ist.
5. Zu Artikel 1a - neu - (§ 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 10a - neu - und Absatz 2 Satz 2 RSAV)
Nach Artikel 1 ist folgender Artikel 1a einzufügen:
§ 30 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung vom 3. Januar 1994 (BGBl I S. 55), die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
Begründung:
Mit § 30 Absatz 1 Satz 1 Nummer 10a - neu - RSAV wird sichergestellt, dass auch nach Ablauf der Konvergenzregelung und der daraufhin eingestellten Datenerhebung auf Grundlage von § 34 Absatz 1 Satz 1 RSAV (vergleiche § 34 Absatz 2 RSAV in Verbindung mit § 272 Absatz 3 SGB V) die jährliche Erhebung versichertenbezogener Regionalmerkmale durch die Krankenkassen erfolgt.
Soweit die über § 30 Absatz 1 Nummer 10a - neu - RSAV erlangten Daten auch zu anderweitigen Zwecken als zur Durchführung und Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs verwendet werden sollen (zum Beispiel Bedarfsplanung, regionale Versorgungssteuerung), ist § 30 Absatz 2 Satz 2 RSAV zu beachten, der dies - mit Ausnahme der Prüfung nach § 42 RSAV oder der Berücksichtigung nachträglicher Änderungen - grundsätzlich verbietet. Mit der Ergänzung wird klargestellt, dass diese Regelung keine Einschränkung der Vorschriften über die Datentransparenz bedeuten kann.
6. Zur Sicherstellung eines vollständigen und dauerhaften Ausgleichs für die Krankenkassen für den Wegfall der Praxisgebühr
Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Bundesregierung, den Stellenwert der Prävention im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung zu stärken.
Aus Sicht des Bundesrates rechtfertigt dieses Ziel auch dauerhaft höhere Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung. Um diese Mehrausgaben und auch die in anderen Leistungsbereichen weiter steigenden Ausgaben bestreiten zu können, ist es allerdings erforderlich, eine nachhaltige Finanzausstattung der Krankenkassen sicherzustellen. Dazu gehört auch, dass den Krankenkassen die durch den Wegfall der Praxisgebühr entstandenen Mehrausgaben vollständig und dauerhaft ausgeglichen werden.
Die derzeit geltenden Regelungen gewährleisten einen vollständigen Ausgleich für den Wegfall der Praxisgebühr jedoch nur bis 31. Dezember 2014.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung deshalb auf, schnellstmöglich eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die sicherstellt, dass die Krankenkassen einen vollständigen und dauerhaften Ausgleich für den Wegfall der Praxisgebühr auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 2014 erhalten.
Begründung:
Der Koalitionsausschuss der Parteien der Bundesregierung hat am 4. November 2012 unter anderem beschlossen, dass die Krankenkassen für die durch den Wegfall der Praxisgebühr entstehenden Mehrausgaben einen vollständigen und dauerhaften Ausgleich aus dem Gesundheitsfonds erhalten. Für das Jahr 2013 erfolgt der Ausgleich für den Wegfall der Praxisgebühr aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Für das Jahr 2014 ist eine Ausgleichsregelung im Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen enthalten.
Mit dem für die Jahre nach 2014 beabsichtigten Ausgleich im Rahmen des Verfahrens zur Ermittlung der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds kann dem Koalitionsbeschluss für einen dauerhaften und vollständigen Ausgleich aber nur solange entsprochen werden, als künftig die voraussichtlichen Ausgaben der Krankenkassen durch die voraussichtlichen Einnahmen des Gesundheitsfonds voll gedeckt werden. Übersteigen jedoch die Ausgaben der Krankenkassen die Einnahmen des Gesundheitsfonds, ist ein vollständiger Ausgleich der durch den Wegfall der Praxisgebühr entstehenden Mehrausgaben nicht mehr möglich. Um den Krankenkassen auch künftig die notwendige Finanzsicherheit zu geben, ist es erforderlich, den (vollständigen) Ausgleich für den Wegfall der Praxisgebühr für die Zeit nach dem 31. Dezember 2014 gesetzlich zu regeln.
B
- 7. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.