1. Der Bundesrat begrüßt die Überlegungen der Kommission, bei Scheidungen "internationaler Ehen" im Interesse der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts und der gerichtlichen Zuständigkeiten Harmonisierungsmaßnahmen zu ergreifen. Auf Grund der zunehmenden Mobilität der Bürger der EU ist ein entsprechender gemeinschaftsrechtlicher Rahmen, der die bestehenden Defizite beseitigt, sowohl für die Unionsbürger wie auch für die Gerichte der Mitgliedstaaten geboten. Die notwendigen gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen sollten sowohl bei der Vereinheitlichung der Kollisionsnormen als auch bei der Änderung der gegenwärtigen Zuständigkeitsregelung an Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im Folgenden: VO Nr. 2201/2003) anknüpfen. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass die Harmonisierung durch das Instrument der Richtlinie durchgeführt wird. Hierdurch würde gewährleistet, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie hinreichend Spielraum hätten, um die Harmonisierung möglichst in Übereinstimmung mit ihrer nationalen Rechtsordnung zu vollziehen.
Der Bundesrat weist vorsorglich darauf hin, dass die Harmonisierung sich aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht auf das materielle Familienrecht erstrecken darf. Die Regelungen einer künftigen Richtlinie müssen sich auf Regelungen für Sachverhalte mit grenzüberschreitenden Bezügen, die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sind, beschränken. Zweifelhaft ist nach Auffassung des Bundesrates insbesondere, ob die Gemeinschaft auch die Kompetenz für den Erlass von Kollisionsnormen gegenüber Drittstaaten besitzt.
Im Einzelnen nimmt der Bundesrat zu den Fragen wie folgt Stellung: Frage 1
Der Bundesrat weist darauf hin, dass sich weitere Probleme bei Scheidungen "internationaler Ehen" insbesondere aus den - vom Grünbuch bewusst ausgeklammerten - Scheidungsfolgesachen ergeben könnten. Eine Harmonisierung der für das Scheidungsverfahren geltenden Kollisions- und Zuständigkeitsnormen müsste, um wirklich effizient zu sein, mit einer Harmonisierung der Kollisionsnormen und Zuständigkeitsnormen in den übrigen Familiensachen einhergehen.
Frage 2
Der Bundesrat befürwortet eine Harmonisierung der Kollisionsnormen. Dies würde der Rechtssicherheit und der Voraussehbarkeit bei der Durchführung "internationaler" Scheidungen dienen und zur Lösung der in dem Grünbuch aufgeführten Beispielfälle beitragen. Es dürfte sich auf Grund der zweifelhaften Kompetenz der Gemeinschaft für den Erlass von Kollisionsnormen gegenüber Drittstaaten aber empfehlen, zunächst nur Kollisionsregeln im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander aufzustellen und es dem einzelnen Mitgliedstaat zu überlassen, ob er diese im Rahmen seines autonomen Rechts auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendet.
3.
Frage 4
Die harmonisierten Regeln sollten sich nach Auffassung des Bundesrates nicht nur auf die Scheidung, sondern auch auf die Trennung ohne Auflösung des Ehebands und die Ungültigkeitserklärung der Ehe erstrecken, da es sich um vergleichbare Problemlagen handelt.
Frage 5
Die Normierung eines ordrepublic-Vorbehaltes wird vom Bundesrat befürwortet. Es entspricht einem zentralen Grundprinzip des internationalen Privatrechts, dass die inländischen Gerichte durch die kollisionsrechtlichen Verweisungen auf ausländisches Recht nicht zu Entscheidungen veranlasst werden dürfen, die im Ergebnis grundlegenden deutschen Rechtsanschauungen widersprechen. Der Bundesrat erwartet, dass ein entsprechender ordrepublic-Vorbehalt bei der Anwendung der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats der EU in der Regel kaum eine Rolle spielen wird, weil die gesellschaftlichen und rechtlichen Wertvorstellungen in einem hohen Maße übereinstimmen werden. Um jedoch im Einzelfall Friktionen zu verhindern und die nationalen Rechts- und Verfassungstraditionen zu wahren, kann es im Einzelfall für ein nationales Gericht dennoch erforderlich sein, unter Berufung auf die ordrepublic-Regelung die Anwendung des ausländischen Rechts abzulehnen.
Frage 6
Der Bundesrat begrüßt die Überlegungen der Kommission zur Einführung einer Rechtswahl der Ehegatten. Für eine entsprechende Wahlmöglichkeit sprechen Gesichtspunkte der Rechtssicherheit, der Flexibilität sowie der Stärkung der
Privatautonomie.
Frage 7
Der Bundesrat weist jedoch im Anschluss an die Antwort auf Frage 6 darauf hin, dass die Möglichkeit einer Rechtswahl nicht schrankenlos gewährt werden sollte. Zu dem gewählten Recht muss ein objektiv bestehender und nachvollziehbarer Anknüpfungspunkt bestehen. Die Möglichkeit der Rechtswahl sollte hinsichtlich der anwendbaren Sachvorschriften auf die Anknüpfungspunkte der zu vereinheitlichenden Kollisionsnormen beschränkt werden (siehe Frage 3). Eine Beschränkung der Rechtswahl auf die "lex fori" ist nach Auffassung des Bundesrates nicht geboten. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es Fälle geben kann, in denen die Beschränkung der Rechtswahl auf Rechte der Mitgliedstaaten nicht geboten ist, da es denkbar ist, dass die Anwendung des Rechts eines Drittstaats sachgerecht ist.
Frage 8
Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass sich die Möglichkeit der Rechtswahl auch auf die Trennung ohne Auflösung des Ehebands und die Ungültigkeitserklärung der Ehe erstrecken sollte.
Frage 9
Der Bundesrat befürwortet eine Regelung, die ein Mindestmaß an formellen Voraussetzungen für die Rechtswahl der Ehegatten vorsieht. Insbesondere sollte im Zusammenhang mit der Rechtswahl gewährleistet werden, dass die Ehegatten sich neutral und sachkundig beraten lassen. Dies könnte etwa in Anlehnung an die Regelung in Artikel 14 Abs. 4 EGBGB dadurch geschehen, dass eine Rechtswahl nur dann gültig ist, wenn sie notariell beurkundet wird.
Frage 10
Nach den Erkenntnissen des Bundesrates führt die Regelung in Artikel 3 der VO Nr. 2201/2003 in der gerichtlichen Praxis in der Regel bislang nicht zu einem "Wettlauf vor Gericht". Gleichwohl weist der Bundesrat darauf hin, dass die geltende Fassung des Artikels 3 der VO Nr. 2201/2003 eine entsprechende latente Gefahr in sich trägt.
Frage 11
Der Bundesrat spricht sich dafür aus, die Zuständigkeitsgründe - ebenso wie die im Kollisionsrecht normierten Anknüpfungstatsachen für das anwendbare Recht - nicht wahlweise, sondern in Form einer "Stufenleiter" auszugestalten. Anzustreben ist eine Lösung, die im Hinblick auf Anknüpfungspunkte und Rangfolge einen "Gleichlauf" mit den Kollisionsnormen enthält. Ein solcher "Gleichlauf" zwischen Kollisionsnormen und Zuständigkeitsregelungen hätte den Vorteil, dass das zuständige Gericht im Regelfall zur Anwendung der "lex fori" gelangt. Hierdurch wäre eine Verfahrensbeschleunigung zu erwarten.
Frage 12
Der Bundesrat merkt hierzu an, dass er sich bereits bei der Antwort auf die Fragen 2 und 11 für eine Harmonisierung der Kollisionsnormen und für eine "abgestufte" Reihenfolge der maßgebenden Zuständigkeitsgründe ausgesprochen hat. Artikel 7 der VO Nr. 2201/2003 sollte nicht gestrichen werden. Es erscheint durchaus sinnvoll, eine Auffangregelung bei etwaigen Zuständigkeitslücken zu haben. Jedenfalls sollte, um Fälle wie den in Beispiel 4 des Grünbuchs aufgeführten zu vermeiden, sichergestellt werden, dass die Zuständigkeit des Gerichts eines EU-Mitgliedstaats gegeben ist, wenn wenigstens ein Ehegatte Angehöriger eines EU-Mitgliedstaats ist, wozu Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe b der VO Nr. 2201/2203 dahin gehend ergänzt werden könnte, dass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten besitzt, sofern ansonsten kein Gericht eines Mitgliedstaats zuständig wäre.
Frage 13
Die Grundsätze der Privatautonomie und der Flexibilität sprechen für die Möglichkeit einer Vereinbarung über die Zuständigkeit in Scheidungssachen. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu bedenken, dass einer der Ehepartner seine unter Umständen "stärkere" Stellung bei der Vereinbarung der Zuständigkeit zum eigenen Vorteil durchsetzen könnte. Frage 14
Nach Auffassung des Bundesrates sollte die Möglichkeit des Abschlusses einer Vereinbarung über die Zuständigkeit in Scheidungssachen auf Gerichte der Mitgliedstaaten beschränkt werden. Hinzukommen sollte als weitere Voraussetzung, dass nur die Zuständigkeit solcher mitgliedstaatlichen Gerichte vereinbart werden kann, zu denen die Parteien einen hinreichenden Bezug haben, sei es, dass sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder dass sie die entsprechende Staatsangehörigkeit besitzen. Bei Verwirklichung des "Gleichlaufs" zwischen Kollisionsnormen und Zuständigkeitsregelungen sollten die Rechtswahlmöglichkeiten derart ausgestaltet werden, dass sie diesem Ziel entsprechen.
Frage 15
Der Bundesrat hält bei einer entsprechenden Zuständigkeitsvereinbarung im Interesse der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit eine notarielle Beurkundung, jedenfalls aber die Einhaltung der in dem Mitgliedstaat geltenden Beurkundungsform für notwendig.
Fragen 16 bis 18
Der Bundesrat steht der Einführung einer entsprechenden Verweisungsmöglichkeit ablehnend gegenüber. Es erscheint weder sinnvoll noch praktikabel, eine Verweisungsmöglichkeit über die Staatsgrenzen hinweg vorzusehen. Gestaltet man die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeitsnorm - zur Zeit der Artikel 3 der VO (EG) Nr. 2201/2003 - im Sinne von "abgestuften" Zuständigkeitskriterien an Stelle von nebeneinander bestehenden um, so würde sich die Frage einer Verweisung in den im Grünbuch beschriebenen Fällen nicht stellen.
Fragen 19 und 20
Der Bundesrat spricht sich für eine Kombination der angesprochenen Lösungen - Harmonisierung der Kollisionsnormen und eine damit möglichst gleichlaufende Neufassung der Zuständigkeitsanknüpfungspunkte in Artikel 3 der VO (EG) Nr. 2201/2003 - aus.