Der Bundesrat hat in seiner 883. Sitzung am 27. Mai 2011 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob das Gesetz gemäß Artikel 104a Absatz 4 GG der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Begründung:
Gemäß Artikel 104a Absatz 4 GG bedürfen Gesetze der Zustimmung des Bundesrates, wenn sie die Länder zur Erbringung von Geldleistungen verpflichten und die daraus entstehenden Mehrausgaben von den Ländern zu tragen sind. Ausweislich des Vorblattes des Gesetzentwurfs und seiner Begründung (vgl. BR-Drs. 213/11 (PDF) , S. 9) entstehen Mehrausgaben für die Länder, zum einen durch die Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren und zum anderen durch die verbindliche Fassung der Qualitätsanforderungen an Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte.
2. Zu Artikel 1 Nummer 7 Buchstabe b (§ 397a Absatz 3 Satz 3 StPO)
Artikel 1 Nummer 7 ist wie folgt zu fassen:
- '7. § 397a Absatz 1 wird wie folgt geändert:
"<wie Gesetzentwurf>" '
Begründung:
Die Aufhebung der Regelung des § 397a Absatz 3 Satz 3 StPO ist abzulehnen.
Die in Aussicht genommene Anfechtbarkeit der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts würde in vielen Fällen zu einer nicht unbeachtlichen Verzögerung des Verfahrensablaufs führen und damit dem Beschleunigungsgebot zuwiderlaufen. Auch stünde eine derartige Anfechtbarkeit in Widerspruch zur Regelung des § 404 Absatz 5 Satz 3 StPO, nach der die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Adhäsionsverfahren weiterhin nicht angegriffen werden kann.
Zudem würden weitere Kosten verursacht, ohne dass ein Bedarf ersichtlich oder dargetan wäre. Hingegen ist nicht erkennbar, dass es de lege lata zu willkürlichen Entscheidungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in den Fällen des § 397a Absatz 2 StPO kommt. Auch ist eine etwaige fehlende Einheitlichkeit der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang bislang nicht bekannt geworden.
3. Zu Artikel 2a - neu - (§ 78b Absatz 1 Nummer 1 StGB)
Nach Artikel 2 ist folgender Artikel 2a einzufügen:
In § 78b Absatz 1 Nummer 1 des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird das Wort "achtzehnten" durch das Wort "einundzwanzigsten" ersetzt.'
Begründung:
Die erschütternde Vielzahl der im letzten Jahr aufgedeckten Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs, die sich teilweise über Jahrzehnte hinweg in verschiedensten Betreuungseinrichtungen für Kinder zugetragen haben, hat die Notwendigkeit eines besseren Schutzes der Opfer auch durch das Strafrecht deutlich gemacht.
So hat sich gezeigt, dass die meisten der ans Licht gekommenen Fälle strafrechtlich nicht mehr geahndet werden können, weil die Taten bereits verjährt sind. Das Institut der Verjährung beruht auf der Annahme eines nach bestimmter Zeit auch ohne Verurteilung wieder eingetretenen Rechtsfriedens. Diese Annahme wird anhand der aktuell diskutierten Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs durch die anhaltende und intensiv geführte öffentliche Debatte widerlegt: Von einem bereits erreichten Rechtsfrieden, der durch eine justizielle Aufarbeitung nur gefährdet würde, kann hier keine Rede sein. Die Einrichtung des Runden Tisches "Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen, in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich" durch die Bundesregierung war vielmehr nicht zuletzt eine Reaktion auf den Umstand, dass den Opfern durch die Justiz nicht mehr geholfen werden kann. Zwar spielte dabei auch die besondere Kumulation erst spät bekannt gewordener Fälle eine Rolle, die in der gesellschaftlichen Tabuisierung der Problematik in zurückliegenden Jahrzehnten eine mögliche Ursache hat. Dass sexueller Kindesmissbrauch für viele Opfer eine traumatisierende Erfahrung bedeutet, die erst nach vielen Jahren der Aufarbeitung eine Entscheidung für oder gegen eine Strafanzeige ermöglicht, wird jedoch auch für zukünftige Betroffene gelten. Für sie muss sichergestellt werden, dass ihnen der Weg zur Justiz lange genug offen steht.
Es ist daher erforderlich, dass die Verjährung bei den in § 78b Absatz 1 Nummer 1 StGB genannten Straftaten nicht mehr nur wie gegenwärtig bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, sondern in Zukunft bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Opfers ruht. Mit der Schaffung der Norm durch das 30. Strafrechtsänderungsgesetz im Jahr 1994 wollte der Gesetzgeber der spezifischen Situation vieler Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs Rechnung tragen, die sich oft gegenüber dem Täter in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden und für die deshalb eine Anzeigeerstattung mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Von Bedeutung ist dabei nicht nur der rechtliche Umstand der Minderjährigkeit der Opfer, sondern genauso die faktische, zum Beispiel wirtschaftliche Abhängigkeit vom Täter. In dieser Dimension enden Abhängigkeitsverhältnisse in der heutigen Lebenswelt vielfach nicht bereits mit Eintritt der Volljährigkeit, sondern reichen Jahre darüber hinaus.
Mit einer Verlängerung des Ruhens der Verjährung bis zum 21. Lebensjahr des Opfers wird aber nicht nur Abhängigkeitssituationen Rechnung getragen, sondern auch dem Umstand, dass viele Opfer durch die Tat erheblich traumatisiert werden. In diesen Fällen besteht ein weiteres, häufig ebenfalls durch die fortbestehende Beziehung zum Täter mitbedingtes Hindernis für eine rechtzeitige Entscheidung für oder gegen eine Strafanzeige. Diesen Opfern muss eine möglichst große Chance zuteil werden, ein Trauma vor Verjährungseintritt so weit zu überwinden, dass eine freie Entscheidung über die Anzeigeerstattung noch rechtzeitig möglich ist.
Die Maßnahme bewirkt zugleich eine Annäherung an die gegenwärtige Rechtslage im Zivilrecht, wo nach § 208 BGB die Verjährung von Ansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung jedenfalls bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers gehemmt ist.
4. Zu Artikel 3 (Änderung des JGG)
Artikel 3 ist zu streichen.
Begründung:
Die in den vorgesehenen Regelungen formulierten Anforderungen an die Ausbildung und die Qualifizierung von Jugendrichtern und Jugendstaatsanwälten sind zu weitreichend und daher abzulehnen:
- a) Für die in Aussicht genommene Änderung gemäß § 36 Absatz 1 Satz 2 JGG-E erscheint ein Bedürfnis zweifelhaft, zumal gerade im Rahmen der Einarbeitung in einer Jugendabteilung alle Besonderheiten des Jugendverfahrens hinreichend thematisiert und die jungen Assessoren durch eine enge Anbindung an einen erfahrenen Ausbilder im Rahmen der Gegenzeichnung umfassend auf den Einsatz beim Jugendgericht vorbereitet werden.
- b) Auch ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen Referendare gemäß § 36 Absatz 2 Satz 2 JGG-E Sitzungen in Jugendverfahren nur unter Aufsicht und im Beisein eines Jugendstaatsanwalts wahrnehmen können sollen. Referendare können durch ihre erfahrenen Ausbilder in erforderlicher Weise auf die Besonderheiten des Jugendstrafrechts mit besonderem Blick auf den Erziehungsgedanken vorbereitet werden. Einer Begleitung in die Hauptverhandlung bedarf es daher nicht.
- c) Bedenken bestehen auch gegen die in § 37 Absatz 1 Satz 2 JGG-E formulierten Anforderungen an die besondere Qualifikation von Jugendrichtern und Jugendstaatsanwälten sowie die in Satz 3 vorgesehene Einschränkung der Zuweisung dieser Aufgaben.
Die Befähigung zum Amt des Staatsanwalts bzw. des Richters richtet sich nach § 122 Absatz 1 sowie den §§ 5 bis 7 DRiG. Darüber hinausgehende Voraussetzungen zur Ausübung einer Tätigkeit in der Justiz sind abgesehen von einigen formalen Besonderheiten (Übertragung der Aufgaben eines Vorsitzenden eines Schöffengerichts oder einer Familienabteilung) nicht vorgesehen.
Insbesondere die Forderung nach sozialwissenschaftlichen Kenntnissen erscheint bedenklich, da diese nicht vorgeschriebener Bestandteil der juristischen Ausbildung sind. Letztlich könnte eine neue Art des Richteramtes geschaffen werden, das entsprechend dem Grundsatz der amtsangemessenen Besoldung eine herausgehobene Besoldung verlangen würde.
Darüber hinaus ist nicht erkennbar, was "belegbare Kenntnisse" in drei von vier anspruchsvollen, dem Juristen aufgrund seiner Ausbildung grundsätzlich fremden Fachgebieten bedeuten mögen. Daraus könnten in der Konsequenz erhebliche Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts und der Anklagebehörden in Jugendsachen folgen.
Unabhängig davon erscheint die Qualifikation der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte, welche die bestehenden Fortbildungsangebote rege nutzen, bereits heute ausreichend.
Erstes und wichtigstes Kriterium für die Eignung zum Jugendrichter und zum Jugendstaatsanwalt sind seine Kenntnisse der einschlägigen Rechtsvorschriften des Jugendstrafrechts und der von Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten Grundsätze. Kenntnisse auf dem Gebiet der Kriminologie, Pädagogik, Sozialpädagogik und Jugendpsychologie sind zwar wünschenswert, sollten aber nicht als zwingende und zu belegende Voraussetzung für eine Tätigkeit im Jugendstrafrecht im Gesetz festgeschrieben werden. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Teilnahme an entsprechenden Fortbildungsveranstaltungen noch nicht bedeutet, dass die darin mitgeteilte Materie dann auch im Wissen verankert ist und die Kenntnisse in der Praxis angewendet werden. Andererseits belegen entsprechende Kenntnisse nicht gleichzeitig auch die geforderte "erzieherische Befähigung" im Sinne des § 37 JGG. Diese wird sich in der Regel erst nach längerer Tätigkeit in einem Jugenddezernat belegbar beweisen lassen.
- d) Auch die in Artikel 3 Nummer 2 Buchstabe b vorgesehenen Regelungen sind abzulehnen, da die Schaffung getrennter Strukturen im Bereich der Ermittlungs- und Bereitschaftsrichter für die Praxis einen ganz erheblichen organisatorischen und personellen Aufwand bedeuten würde, der schwerlich zu leisten sein dürfte.
- e) Insgesamt betrachtet besteht die Gefahr einer nicht hinnehmbaren Einschränkung der im Rahmen der geltenden Regelungen der §§ 36 und 37 JGG liegenden Gestaltungsmöglichkeiten beim Personaleinsatz durch die Behörden und Gerichte, die letztlich einen ersten Schritt der Abkehr vom grundsätzlich universell einsetzbaren Richter oder Staatsanwalt bedeuten könnte.
Die Ausbildung spezieller Fachkenntnisse ist vielmehr einer wohlverstandenen Personalentwicklung durch die Präsidenten und Behördenleiter zugänglich. Besondere Bedeutung erlangen dabei auch die persönliche Eignung und die soziale Kompetenz der eingesetzten Richter und Staatsanwälte, die einer "Belegbarkeit der Kenntnisse" unzugänglich sind.
Da Artikel 3 gestrichen wird, bedarf es keiner diesbezüglichen gesonderten Regelung für ein Inkrafttreten der Gesetzesänderung wie in Artikel 7 Absatz 2 vorgesehen, so dass diese Vorschrift ebenfalls zu streichen ist.
5. Zu Artikel 4 Nummer 1 Buchstabe a (§ 197 Absatz 1 Nummer 1 BGB)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob bei den Schadenersatzansprüchen, die in den Katalog des § 197 Absatz 1 BGB aufgenommen werden sollen, Einschränkungen vorzunehmen sind.
Begründung:
Der Gesetzentwurf verfolgt den Zweck, die Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs zu stärken. Die Verjährungsfristen dienen jedoch der Herstellung des Rechtsfriedens. Sie sollen verhindern, dass sich ein Antragsteller auf Tatsachen beruft, gegen die eine wirksame Rechtsverteidigung nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich ist. Insbesondere vor diesem Hintergrund sollten die Schadenersatzansprüche, die in den Katalog des § 197 Absatz 1 BGB aufgenommen werden, nochmals kritisch überprüft werden. Nicht jede vorsätzliche Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit, die unabhängig von einer sonstigen Zwangslage erfolgt, rechtfertigt eine dreißigjährige Verjährungsfrist.
Außerdem wird angeregt zu prüfen, ob die langen Verjährungsfristen auch Erwachsenen, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, zugute kommen sollen. Anlass des Gesetzentwurfs sind die bekannt gewordenen Fälle von sexuellem Missbrauch bzw. Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen in Heimen, Schulen und anderen Einrichtungen. Auch Missbrauch in Familien betrifft nach der Begründung des Gesetzentwurfs im Wesentlichen Kinder und Jugendliche, die aufgrund der Abhängigkeit vom Schädiger Ansprüche zunächst nicht geltend machen. Ob eine vergleichbare psychische Ausgangslage für Erwachsene besteht, wird in dem Gesetzentwurf nicht weiter ausgeführt. Auch hier mögen Abhängigkeiten vom Schädiger bestehen, die zu einer verzögerten Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen führen; ob diese jedoch eine dreißigjährige Verjährungsfrist rechtfertigen, erscheint zweifelhaft.