A. Problem und Ziel
- Zu den wichtigsten Aufgaben des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft zählen die Überwachung und die Kontrolle der Geschäftsführung des Vorstands. Bei der Ausübung dieser ihm im Gesellschaftsinteresse zugewiesenen Befugnisse hat er sich von dem Gebot der effizienten Überwachung leiten zu lassen. Die Effizienz der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats steht und fällt mit den Fähigkeiten, dem Arbeitseinsatz und der Unvoreingenommenheit seiner Mitglieder. Die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass diese Rahmenbedingungen der Optimierung bedürfen. Ziel zur Erreichung einer dem gesetzlichen Leitbild entsprechenden Ausübung von Aufsichts- und Kontrollrechten in Unternehmen muss es daher sein, die verantwortungsbewusste Mandatswahrnehmung der Mitglieder des Aufsichtsrats sowie ihre notwendige Unbefangenheit und kritische Distanz zum Vorstand zu gewährleisten. Überregulierungen, die den erforderlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Unternehmen unnötig einschränken, sind hierbei zu vermeiden.
B. Lösung
- Um zu gewährleisten, dass das einzelne Aufsichtsratsmandat mit der notwendigen Sorgfalt ausgeübt werden kann, wird die zulässige Anzahl der gleichzeitig wahrnehmbaren Mandate abgesenkt. Personelle Verflechtungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften werden durch eine zeitlich befristete Inkompatibilität für die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten durch ehemalige Vorstandsmitglieder verringert. Die im Unternehmensinteresse bedeutsame Entscheidung über Art und Umfang der Vorstandsvergütung wird in die Gesamtverantwortung des Aufsichtsrats gestellt.
C. Alternativen
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Keine
2. Vollzugsaufwand
Zusätzlicher Vollzugsaufwand für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden ist nicht zu erwarten.
E. Sonstige Kosten
- Mit messbaren finanziellen Auswirkungen auf die Wirtschaft ist nicht zu rechnen.
- Auswirkungen auf die Einzelpreise und auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
F. Bürokratiekosten
- Bürokratiekosten sind nicht zu erwarten. Es werden keine zusätzlichen Informationspflichten geschaffen.
Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aufsichts- und Kontrollrechte in Aktiengesellschaften
Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, den 3. März 2009
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten
- Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aufsichts- und Kontrollrechte in Aktiengesellschaften
mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.
Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 3. April 2009 aufzunehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Rüttgers
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aufsichts- und Kontrollrechte in Aktiengesellschaften
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Das Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Artikel ... des Gesetzes vom ... (BGBl. I S. ...), wird wie folgt geändert:
- 1. § 100 wird wie folgt geändert:
- 2. In § 107 Absatz 3 Satz 2 werden nach der Angabe "§ 314 Abs. 2 und 3" die Wörter ", Entscheidungen über die Festsetzung oder Herabsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds" eingefügt.
Artikel 2
Änderung des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz
§ 12 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1185), das zuletzt durch Artikel ... des Gesetzes vom ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
- (3) Hat ein Aufsichtsratsmitglied am [einsetzen: Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes] eine höhere Zahl von Aufsichtsratsmandaten, als nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit Sätzen 2 und 3 des Aktiengesetzes in der ab dem [einsetzen: Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes] geltenden Fassung zulässig ist, so gilt für diese Mandate § 100 Abs. 2 des Aktiengesetzes in der bis zum [einsetzen: Tag vor dem Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes] geltenden Fassung bis zum Ablauf der jeweils für das Mandat geltenden Amtszeit fort.
Artikel 3
Änderung des SE-Ausführungsgesetzes
§ 27 des SE-Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3675), das zuletzt durch ... Artikel ... des Gesetzes vom ... (BGBl. I S. ...) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
Artikel 4
Inkrafttreten
- Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Ausgangslage
Das deutsche Aktienrecht enthält für die Unternehmensleitung durch Vorstände von Aktiengesellschaften einen umfangreichen Pflichtenkatalog. Bereits leicht fahrlässige Verletzungen dieser Pflichten lösen eine Schadensersatzpflicht des Vorstands gegenüber der Gesellschaft und eine unbeschränkte Haftung des Vorstands mit seinem gesamten Vermögen aus. Zugleich haben sich die Risikopotenziale für die Gesellschaften durch die Globalisierung der Märkte und die hieraus folgende zunehmende internationale Verflechtung von Unternehmen erhöht. Unternehmerische Fehlentscheidungen führen schneller zu irreversiblen Folgen bis hin zur Insolvenz des Unternehmens.
Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats haften der Gesellschaft persönlich, wenn sie ihre Pflichten schuldhaft verletzen. Zu den Pflichten des Aufsichtsrats gehört es dabei nicht nur, die Geschäftsleitung zu kontrollieren und zu überwachen, um Fehlentwicklungen abzuwenden. Ihm obliegt es auch, den Vorstand auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, wenn er ein pflichtwidriges Fehlverhalten feststellt. Ein Ermessen steht dem Aufsichtsrat insoweit nicht zu; verzichtet er auf die Geltendmachung von Ansprüchen, setzt er sich selbst einem Haftungsrisiko aus.
Eine effektive Kontrolle und Überwachung der Geschäftsleitung durch den Aufsichtsrat kann nur gelingen, wenn die Gesellschaft über ein geeignetes Informationssystem verfügt. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft ist daher nach § 91 Absatz 2 des Aktiengesetzes (AktG) zur Einrichtung eines Überwachungssystems verpflichtet, mit dem Risiken für das Unternehmen frühzeitig erkannt werden. Zudem sieht § 90 AktG als grundlegende Pflicht des Vorstands seine Berichterstattung gegenüber dem Aufsichtsrat vor. Dies ermöglicht es dem Aufsichtsrat, die Geschäftsführung des Vorstands in wirksamer Weise zu überwachen. Für das Vorhandensein und die Geeignetheit sowie die tatsächliche Nutzung eines Informationssystems sind insgesamt auch die Mitglieder des Aufsichtsrats verantwortlich (§ 116 AktG).
Nicht zuletzt die Erweiterung der Berichtspflicht des Vorstands durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 1. Mai 1998 (BGBl. I S. 786) um Geschäftspolitik und Unternehmensplanung hat dazu geführt, dass die wesentlichen die Gesellschaft betreffenden Vorgänge die Wahrnehmungsschwelle des Aufsichtsrats früher erreichen und ggf. Handlungspflichten auslösen.
Die Effizienz dieser Überwachungs- und Kontrollinstrumente des Aufsichtsrats steht und fällt aber mit seiner Kompetenz, aus den ihn erreichenden Informationen Bewertungen abzuleiten sowie seiner Bereitschaft, sich unvoreingenommen und distanziert mit allen für und gegen die Geschäftsstrategie des Vorstands sprechenden Argumenten auseinanderzusetzen und erforderlichenfalls aktiv gegenzusteuern.
Eine besondere Verantwortung kommt dabei dem Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften zu, da bei ihnen aufgrund der anonymen Beziehung zwischen Eigenkapitalgeber und Management die Unternehmensinteressen, insbesondere die Interessen der Aktionäre, dem besonderen Schutz des Aufsichtsrats anvertraut sind.
II. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs
Der Gesetzentwurf soll dazu beitragen, durch punktuelle Regelungen die Überwachungseffizienz des Aufsichtsrats zu stärken. Nur der professionell organisierte Aufsichtsrat, der seine Aufgaben strukturiert, mit angemessenem Zeiteinsatz und der notwendigen Distanz wahrnimmt, ist in der Lage, Schäden vom Unternehmen abzuwenden.
Im Interesse eines verbesserten Risikomanagements und zur effektiven Durchsetzung bestehender Haftungsansprüche sollen vorhandene Interessenkonflikte zwischen Leitungs- und Kontrollorgan verringert und zeitliche Überbeanspruchungen der Mitglieder des Aufsichtsrats vermieden werden.
Zugleich erscheint es angezeigt, Kontrolldichte und Transparenz der vertraglichen Ausgestaltung von Vergütungsregelungen für Mitglieder des Vorstandes von Aktiengesellschaften zu erhöhen und diese im Unternehmensinteresse bedeutsame Entscheidung in die Verantwortung des Aufsichtsrats als Gesamtorgan zu stellen.
Um die Kontroll- und Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats zu stärken, wird die Anzahl der gleichzeitig wahrnehmbaren Aufsichtsratsmandate abgesenkt. Hierdurch wird gewährleistet, dass das einzelne Aufsichtsratsmitglied seine Aufgaben mit der notwendigen Sorgfalt ausüben kann.
Zudem wird für börsennotierte Gesellschaften der Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat desselben Unternehmens oder einer es beherrschenden Gesellschaft durch Einführung einer zweijährigen Karenzzeit erschwert, um Interessenkollisionen durch personelle Verflechtungen zu verringern.
Gleichgelagerte Bestimmungen werden für die monistisch verfasste Europäische Aktiengesellschaft geschaffen.
III. Auswirkungen des Gesetzentwurfs auf die öffentlichen Haushalte, auf die Wirtschaft und das allgemeine Preisniveau
Mit messbaren finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte und auf die Wirtschaft ist nicht zu rechnen. Auswirkungen auf die Einzelpreise und auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
IV. Gesetzgebungskompetenz, Sonstiges
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nr. 11 des Grundgesetzes (Recht der Wirtschaft). Eine bundesgesetzliche Regelung ist zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit erforderlich, da die Kapitalmärkte die Aktiengesellschaft als standardisierte und gleichmäßig ausgestaltete Gesellschaftsform erwarten. Die in dem Gesetzentwurf angesprochenen Fragen sind zudem bereits heute bundesgesetzlich geregelt und werden durch ihn lediglich fortentwickelt.
Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar.
Der Gesetzentwurf hat keine erkennbaren gleichstellungspolitischen Auswirkungen.
Grundsätzlich sind Frauen und Männer von den Vorschriften des Entwurfs in gleicher Weise betroffen.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Aktiengesetzes)
Zu Buchstabe a
Nach geltendem Recht kann nicht zum Mitglied eines Aufsichtsrats bestellt werden, wer bereits in zehn Handelsgesellschaften, die gesetzlich einen Aufsichtsrat zu bilden haben, Aufsichtsratsmitglied ist, wobei § 100 Absatz 2 Satz 2 AktG hiervon bis zu fünf innerhalb eines Konzerns ausgeübte Aufsichtsratsmandate ausnimmt und § 100 Absatz 2 Satz 3 AktG für Aufsichtsratsämter, für die das Mitglied zum Vorsitzenden gewählt worden ist, aufgrund der größeren Beanspruchung eine doppelte Anrechnung vorsieht.
Mit der weiteren Limitierung der Zahl der Aufsichtsratsmandate soll sichergestellt werden, dass dem Mandatsträger für die Wahrnehmung der ihm zugewiesenen Aufgaben ausreichend Zeit und Arbeitskraft zur Verfügung steht. Infolge der Erweiterung des Pflichtenkreises der Mitglieder des Aufsichtsrats besteht bei einer Ausschöpfung der derzeit geltenden Höchstzahl die Besorgnis, dass die Wahrnehmung des einzelnen Mandats unter der Überlastung des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds leidet und zudem die Ausübung einflussreicher Positionen zu stark auf einen beschränkten Personenkreis konzentriert wird.
Der Wandel der Aufsichtsratstätigkeit von einer bloß rückschauenden Kontrolle der Unternehmensleitung hin zur Einbeziehung in das operative Unternehmensgeschehen durch die Erweiterung der Berichtspflicht des Vorstandes über die Geschäftspolitik und die Unternehmensplanung (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 1. Mai 1998, BGBl. I S. 786) und die steigende Bedeutung von Zustimmungsvorbehalten haben zu einem erhöhten Risiko von Fehlentscheidungen und einer Herabsetzung der Haftungsschwelle für Aufsichtsratsmitglieder geführt. Infolge dessen hat sich mit den gewachsenen Anforderungen an die Aufsichtsratstätigkeit der Zeitaufwand für eine verantwortungsbewusste Mandatswahrnehmung erhöht.
Zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des deutschen Aufsichtsratssystems ist daher eine Reduzierung der Zahl der gleichzeitig wahrnehmbaren Aufsichtsratsmandate notwendig, wobei eine Limitierung auf fünf Mandate einen sinnvollen Kompromiss darstellt: Auf der einen Seite wird der sich aus gestiegenen Anforderungen ergebenden zeitlichen Belastung Rechnung getragen. Auf der anderen Seite wird weiterhin in ausreichendem Maße sichergestellt, dass das Aufsichtsratsmitglied im Wege parallel wahrnehmbarer Mandate Erfahrungen und Vergleichsmöglichkeiten gewinnen kann, die wiederum die Kontrollkompetenz des Gesamtgremiums stärken.
Zu Buchstabe b
Das dem deutschen Aktienrecht zu Grunde liegende dualistische Modell der Unternehmensverfassung hat sich in der objektiven und unvoreingenommenen Überwachung der Geschäftsleitung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu bewähren.
Durch den in der Praxis häufigen direkten Wechsel eines Mitgliedes des Vorstands in den Aufsichtsrat derselben Gesellschaft oder eines sie beherrschenden Unternehmens wird eine wirksame Kontrolle der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat beeinträchtigt.
Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält in Ziff. 5.4.4 zur Eingrenzung dieser Beeinträchtigung für börsennotierte Unternehmen die Empfehlung, dass ein Wechsel des bisherigen Vorsitzenden oder eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsratsvorsitz oder den Vorsitz eines Aufsichtsratsausschusses nicht die Regel sein und eine entsprechende Absicht der Hauptversammlung besonders begründet werden soll.
Diese Empfehlung, die im Übrigen nach der letzten empirischen Erhebung des Berlin Center of Corporate Governance vom 18. April 2008 im DAX-30-Segment mit einer Zustimmungsquote von aktuell 71,4 % von allen Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex das geringste Akzeptanzniveau aufweist, ist im Juni 2005 in den Deutschen Corporate Governance Kodex aufgenommen worden. Sie stellt einen Kompromiss dar zwischen der für das Ziel guter Unternehmensführung notwendigen Unabhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats einerseits und der auch im Interesse der Gesellschaft liegenden Möglichkeit, die Sach- und Fachkompetenz ihrer Vorstandsmitglieder nach Beendigung ihrer Vorstandstätigkeit durch einen Wechsel in den Aufsichtsrat nahtlos weiter nutzen zu können, andererseits. Die Empfehlung löst das zwischen diesen beiden Zielen bestehende Spannungsverhältnis allerdings weitgehend zu Gunsten der nahtlosen Nutzungsmöglichkeit der unternehmensspezifischen Kompetenzen früherer Vorstandsmitglieder und damit zu Lasten des Ziels der Unabhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats auf.
Die Gewichte der beiden genannten Ziele haben sich inzwischen deutlich verändert.
Das Kriterium der Unabhängigkeit des Aufsichtsrats hat für das Konzept guter Unternehmensführung eine zentrale Bedeutung erlangt. Für die Sicherstellung der Qualität des dem deutschen Aktienrecht zugrunde liegenden dualistischen Modells der Unternehmensverfassung ist eine deutliche Stärkung der Unabhängigkeit der Mitglieder des Überwachungsorgans erforderlich. Die Einführung einer Karenzzeit für einen Wechsel früherer Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat der Gesellschaft trägt dazu in effektiver Weise bei. Mit dieser Maßnahme wird den Interessenkonflikten vorgebeugt, denen frühere Vorstandsmitglieder als Mitglieder des Aufsichtsrats ausgesetzt sind; denn ein ehemaliges Vorstandsmitglied kann in der Regel nicht unbefangen an der Überprüfung in der Vergangenheit getroffener Entscheidungen des Vorstands auf
Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit mitwirken, wenn es damit zugleich seine eigene frühere Tätigkeit bewerten muss. Die effektive Prüfung und Realisierung von Schadensersatzansprüchen gegen Mitglieder des Vorstands, zu der der Aufsichtsrat verpflichtet ist, kann durch den direkten Wechsel faktisch vereitelt werden, wenn das ehemalige Vorstandsmitglied aufgrund seiner Mitverantwortung für eine pflichtwidrige Geschäftsführung die eigene Inanspruchnahme befürchten muss oder sich mit dem betroffenen Mitglied des Vorstands aufgrund langjähriger Zusammenarbeit persönlich verbunden fühlt.
Um dem Spannungsverhältnis zwischen der für das Ziel guter Unternehmensführung notwendigen Unabhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats und der auch im Interesse der Gesellschaft liegenden Möglichkeit früherer Vorstandsmitglieder, ihre Sach- und Fachkompetenz weiterhin in das Unternehmen einzubringen, Rechnung zu tragen, ist eine zeitlich befristete Inkompatibilität für die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten durch ehemalige Vorstände geboten. Eine zweijährige Karenzzeit ist ausreichend, aber auch erforderlich.
Von dieser Karenzzeit erfasst werden nur Gesellschaften, die im Sinne von § 3 Absatz 2 AktG börsennotiert sind, was den in dieser Vorschrift umschriebenen - regulierten - Markt und die Zulassung der Aktien zu diesem Markt voraussetzt. Bei börsennotierten Gesellschaften sind das Bedürfnis nach Transparenz und die Anforderungen an die Professionalität des Aufsichtsrats höher als bei nicht am Kapitalmarkt tätigen, zumeist kleineren Aktiengesellschaften mit geringerer Streubreite der Anteile.
Der zahlenmäßig nicht überschaubare Kreis von Aktionären einer börsennotierten Gesellschaft ist typischerweise nicht in derselben Weise in der Lage, seine Organrechte so effizient und unmittelbar wahrzunehmen wie dies die - häufig nur wenigen -Anteilseigner einer kleineren Aktiengesellschaft vermögen. Zum Schutz der Anleger -mittelbar aber auch der Gläubiger und der Arbeitnehmer - kommt der Kontrollfunktion der Aufsichtsräte dieser Unternehmen daher eine besonders hohe Bedeutung zu.
Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, die Einführung einer Karenzzeit auf diese Unternehmen zu beschränken. Damit wird zugleich vermieden, dass in den nichtbörsennotierten, häufig in Familienbesitz befindlichen Gesellschaften eine Karenzzeit den dort gewünschten unmittelbaren Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat und damit die ordnungsgemäße Generationenfolge behindert.
Der Gesetzentwurf knüpft damit an das im Aktienrecht gängige Unterscheidungskriterium zwischen börsennotierten und nichtbörsennotierten Unternehmen an
Die Änderung sieht eine Ergänzung des in § 107 Absatz 3 Satz 2 AktG enthaltenen Katalogs der durch das Plenum des Aufsichtsrats nicht delegierbaren Entscheidungen um die Festsetzung oder Herabsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds vor.
Im Interesse einer Optimierung der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats ist es geboten, dass die Wahrnehmung der zentralen Aufgaben dem Gesamtaufsichtsrat vorbehalten bleibt und hierdurch eine Gesamtverantwortung aller Mitglieder begründet wird.
Die sich aus § 107 Absatz 3 Satz 1 AktG ergebende Befugnis des Aufsichtsrats, zum Zwecke des Effizienzgewinns aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse zu bilden, kann zu einer der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats abträglichen Zersplitterung und Segmentierung der Verantwortung führen. § 107 Absatz 3 Satz 2 AktG behält deshalb bestimmte Angelegenheiten zwingend dem Plenum des Aufsichtsrats vor.
Eine für das Unternehmensinteresse zentrale Aufgabe des Aufsichtsrats ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Vergütung des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu seinen Aufgaben und zur Lage der Gesellschaft steht. Die entsprechende Aufgabenzuweisung an den Aufsichtsrat in § 87 AktG bezweckt den Schutz der Gesellschaft, ihrer Aktionäre und Gläubiger vor einer Verschwendung des Gesellschaftsvermögens und ist damit zugleich Ausprägung der Vermögensbetreuungspflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats, die aus ihrer Stellung als Verwalter des für sie fremden Vermögens der Aktiengesellschaft folgt (Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. Dezember 2005 - 3 StR 470/04, Tz. 13).
Zur Beurteilung der Angemessenheit der Vorstandsbezüge ist dabei in erster Linie die jeweilige Gesellschaft selbst berufen, welche diese unternehmerische Führungs- und Gestaltungsaufgabe durch den Aufsichtsrat wahrnimmt. Dem Aufsichtsrat steht hierbei ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Dieser findet seine Rechtfertigung darin, dass unternehmerische Entscheidungen regelmäßig aufgrund einer zukunftsbezogenen Gesamtabwägung von Chancen und Risiken getroffen werden müssen, die wegen ihres Prognosecharakters die Gefahr erst nachträglich erkennbarer Fehlbeurteilungen enthält (Bundesgerichtshof, a. a. O., Tz. 15). Er entzieht sich damit weitgehend der näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber.
Die Entscheidung über Art und Umfang der Vorstandsbezüge bestimmt aber zugleich maßgeblich über die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit. Sie ist eine Kernaufgabe der Eigentümer, die insoweit durch den Aufsichtsrat als Ganzes repräsentiert wird. Solange sich die Vergütung von Vorständen am kurzfristigen Unternehmenserfolg ausrichtet und Risikokennziffern keine Rolle spielen, kann dies - wie die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit zeigen - zu bloßer Gewinntreiberei animieren. Leistungen an Vorstandsmitglieder müssen deshalb Anreizcharakter haben, sie also zu einem Handeln für die Gesellschaft im Unternehmensinteresse motivieren.
Diese Treubindung der dem Aufsichtsrat zugewiesenen Befugnis, über die Angemessenheit der Bezüge der Mitglieder des Vorstands zu befinden, erhöht zugleich die Anforderungen an die Transparenz der Entscheidung und die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats. Hiermit verträgt sich eine Delegation der Entscheidung des Aufsichtsrats an einen durch ihn gebildeten Personalausschuss nicht.
Zu Artikel 2 (Änderung des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz)
Es handelt sich um eine Übergangsbestimmung zu der in Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a vorgesehenen Änderung des § 100 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 AktG. Überschreiten einzelne Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Absenkung der Mandatszahl pro Person die zulässige Höchstzahl gleichzeitig wahrnehmbarer Aufsichtsratsmandate, so brauchen sie nicht sofort auszuscheiden, sondern können die Mandate, die sie innehaben, bis zum vorgesehenen Ende der Amtsperiode weiterführen. Für neu übernommene Mandate gilt die Neuregelung uneingeschränkt.
Die bisher in § 12 Absatz 3 des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz (EGAktG) enthaltene Übergangsbestimmung ist durch Zeitablauf gegenstandslos geworden.
Aus diesem Grund kann die Vorschrift neu besetzt werden.
Zu Artikel 3 (Änderung des SE-Ausführungsgesetzes)
Zu Nummer 1 (§ 27 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SE-Ausführungsgesetz)
Zu Buchstabe a
Die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft sieht in Artikel 38 Buchstabe b) für die Europäische Aktiengesellschaft (SE) die im deutschen Recht der Aktiengesellschaft nicht vorhandene Wahlmöglichkeit für das Verwaltungsorgan zwischen dem dualistischen System (Aufteilung in Vorstand und Aufsichtsrat) und dem monistischen System (Verwaltungsrat als einheitliches Organ) vor.
§ 27 Absatz 1 des SE-Ausführungsgesetzes greift für die monistisch verfasste SE die in § 100 Absatz 2 AktG für Aufsichtsratsmitglieder genannten Einschränkungen auf.
Diese sollen für den Verwaltungsrat ebenso gelten, da seine Mitglieder gegenüber den geschäftsführenden Direktoren eine vergleichbare Aufsichtsfunktion haben wie im dualistischen System der Aufsichtsrat gegenüber dem Vorstand.
Die Änderung des § 100 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 AktG ist daher in § 27 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des SE-Ausführungsgesetzes auf Grund der Wesensgleichheit der beiden Bestimmungen nachzuvollziehen. Im übrigen wird auf die Begründung zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe a verwiesen.
Auf die dualistisch organisierte SE finden demgegenüber die aktienrechtlichen Vorschriften entsprechende Anwendung. Für sie besteht daher im SE-Ausführungsgesetz kein Anpassungsbedarf.
Zu Buchstabe b
Die Verweisung auf die neu gefasste Übergangsbestimmung des § 12 Absatz 3 EGAktG stellt klar, dass Mitglieder des Verwaltungsrats der SE, welche die zulässige Höchstzahl gleichzeitig wahrnehmbarer Aufsichts- oder Verwaltungsratsmandate nach deren Absenkung überschreiten, laufende Mandate bis zum vorgesehenen Ende der Amtsperiode weiterführen können.
Zu Nummer 2 (§ 27 Absatz 1a SE-Ausführungsgesetz)
Mit der Einfügung des Absatzes 1a wird für die monistisch verfasste SE eine Regelung geschaffen, die die vom neuen § 100 Absatz 2a AktG für die Aktiengesellschaft erfassten Fallgestaltungen im Recht der SE abbildet, soweit nicht aufgrund der Strukturunterschiede beider Gesellschaftsformen ein Regelungsbedürfnis entfällt. Auf die Begründung zu Artikel 1 Nr. 1 Buchstabe b wird verwiesen.
Zu Artikel 4 (Inkrafttreten)
Die Bestimmung regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.