A. Problem und Ziel
In Deutschland wandeln sich die Bedingungen für die Gründung von Familien und das Leben mit Kindern. An den sich wandelnden Bedürfnissen hat sich eine moderne Familienpolitik auszurichten. Das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes wird den heutigen Bedingungen und Bedürfnissen für ein Leben mit Kindern nicht gerecht.
Angesichts des hohen Investitionsbedarfs im Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung in Deutschland liegt es nahe, statt der Einführung eines Betreuungsgeldes mehr in die Infrastruktur für Kleinkinder zu investieren. Ziel muss sein, ein bedarfsgerechtes Angebot an qualitativ hochwertigen Plätzen für Kinder unter drei Jahren zu schaffen.
Frühkindliche Bildung ist anerkannt der Schlüssel zu lebenslangem Lernerfolg. Unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Umfeld sollen allen Kindern gleiche Bildungschancen für das künftige Leben ermöglicht werden. Studien belegen, dass von einer qualitativ hochwertigen Förderung alle Kinder profitieren. Während Kinder mit günstigen familiären Voraussetzungen in Betreuungseinrichtungen zusätzlich gefördert werden, können bei Kindern mit weniger guten Startbedingungen Defizite vor dem Schuleintritt ausgeglichen werden. Dieses Ziel wird mit Einführung eines Betreuungsgeldes konterkariert.
Ein zentraler Leitgedanke moderner Familienpolitik ist die Förderung von Wahlfreiheit bezogen auf die individuelle Lebensführung. Wahlfreiheit ist dann gegeben, wenn Menschen eine private Entscheidung zwischen mindestens zwei Alternativen - wie die Entscheidung über die Betreuung ihres Kindes - ohne staatliche Einmischung treffen können. Wahlfreiheit besteht nicht, wenn das Fehlen einer Alternative keine Auswahl anbietet. Mütter und Väter sind nicht frei darin, ihre Berufstätigkeit und ihr Familienleben so miteinander in Einklang zu bringen, wie es für sie notwendig ist und wie sie es sich vorstellen. Beruf und ein Leben mit Kindern sind Bestandteile der Lebensplanung der Mehrzahl junger Frauen und Männer. Um entscheiden zu können, wie schnell nach der Geburt eines Kindes beide Elternteile wieder einem Beruf nachgehen, benötigen die Eltern ausreichende Plätze in den Einrichtungen oder in der Tagespflege. Echte Wahlfreiheit, ob Kinder zu Hause oder in einer Einrichtung betreut werden, besteht für Familien erst dann, wenn ein bedarfsdeckendes und qualitativ gutes Angebot an Kindertageseinrichtungen zur Verfügung steht und sie tatsächlich auch auswählen können. Dies wird mit dem Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes nicht erreicht und auch nicht angestrebt.
Die Einführung des Betreuungsgeldes schafft insbesondere für Frauen einen finanziellen Anreiz, von einer früheren Rückkehr in den Beruf abzusehen und stattdessen die Geldleistung vom Staat für die Kinderbetreuung zu Hause in Anspruch zu nehmen, ohne die eigene wirtschaftliche Existenz abzusichern. Dies widerspricht dem Ziel des im Jahr 2007 eingeführten Elterngeldes durch das Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG) vom 5. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2748). Ziel des BEEG ist es, dass es beiden Elternteilen auf Dauer besser gelingt, ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern. Es soll dauerhafte Einbußen mit der Gefahr einer Abhängigkeit von staatlichen Fürsorgeleistungen vermeiden, Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf eröffnen und wirtschaftliche Selbstständigkeit fördern.
Vor diesem Hintergrund müssen die erheblichen Mittel, die für das Betreuungsgeld eingesetzt werden sollen, stattdessen für den weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau entwicklungsfördernder Bildungs- und Betreuungsangebote für unter dreijährige Kinder eingesetzt werden.
B. Lösung
Das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) wird aufgehoben.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Keine.
E. Sonstige Kosten
Keine bekannt.
F. Bürokratiekosten
Keine. Der durch die Einführung eines Betreuungsgeldes zu erwartende Verwaltungsaufwand entfällt.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes
Der Bundesrat hat in seiner 908. Sitzung am 22. März 2013 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Der Gesetzentwurf ist gemäß Artikel 76 Absatz 3 Satz 4 des Grundgesetzes besonders eilbedürftig.
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom 15. Februar 2013 (BGBl. I S. 254) wird aufgehoben.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
Mit dem Gesetz zur Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes wird eine neue finanzielle Leistung (Betreuungsgeld) für Familien mit Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr nicht eingeführt.
Das Betreuungsgeldgesetz vom 15. Februar 2013 ist am 20. Februar 2013 verkündet worden, tritt aber erst am 1. August 2013 in Kraft. Die schwebende Wirkung des Betreuungsgeldgesetzes ist zwar schon existent, hat aber das Stammgesetz in seinem Wortlaut noch nicht geändert (vgl. Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Bundesanzeiger vom 22. September 2008, Rn. 438). Tritt ein Änderungsgesetz in Kraft, so vollziehen sich seine Änderungsbefehle im jeweiligen Stammgesetz und werden hierdurch gegenstandslos. Die Wirkung hat zur Folge, dass Änderungsgesetze, sobald sie einmal in Kraft getreten sind, nicht mehr geändert werden können. Demzufolge kann ein Änderungsgesetz nur geändert werden, soweit und solange es noch nicht in Kraft getreten ist (Handbuch der Rechtsförmlichkeit, aaO, Rn. 675). Insoweit ist auch eine Aufhebung eines Änderungsgesetzes vor dem Inkrafttreten möglich.
Das Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes hält Kinder vom Bildungsangebot der Kindertagesstätte ab und verfestigt überholte Rollenvorstellungen über die Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit.
Das Betreuungsgeld setzt bildungs- und integrationspolitisch falsche Anreize, weil es Kindern den Zugang zu frühkindlicher Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe verschließt. Zudem werden mit dem Gesetz finanzielle Anreize geschaffen, die Bildungsbeteiligung von Kindern und die Erwerbstätigkeit von Eltern zu verringern statt zu erhöhen. Denn mit dem Betreuungsgeld wird ein finanzieller Anreiz geschaffen, dass Familien auf die Einlösung des Rechtsanspruchs auf die frühe Förderung ihrer Kinder in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege verzichten.
Das Betreuungsgeld folgt nicht dem Gebot der Wahlfreiheit, ein Kind zu Hause selbst zu betreuen oder in einer Einrichtung betreuen zu lassen, solange nicht für alle, die es möchten und benötigen, ein Betreuungsplatz in einer Einrichtung entsprechend dem von den Eltern angegebenen Bedarf zur Verfügung steht und Eltern hierdurch gezwungen werden, länger als gewünscht vom Beruf auszusetzen. Vielmehr besteht daher eine echte Wahlfreiheit für Familien erst dann, wenn ein bedarfsdeckendes Angebot an Kindertageseinrichtungen hinsichtlich Anzahl der Plätze und Dauer der Betreuung zur Verfügung steht und sie tatsächlich auch auswählen können. Dies wird mit dem Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes nicht erreicht und auch nicht angestrebt.
Das Betreuungsgeld steht zudem im Widerspruch zu entscheidenden familienpolitischen Weichenstellungen der letzten Jahre - wie der Einführung des Elterngeldes (das einen Anreiz zum frühen Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit und zur partnerschaftlichen Aufteilung der Kinderbetreuung bietet), der Reform des Unterhaltsrechts (die durch die Einschränkung des Betreuungsunterhalts einen Anreiz zum frühen Wiedereinstieg setzt) und vor allem dem Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur für Kinder unter drei Jahren. Wer arbeitet, verliert doppelt: durch die Zahlung des Krippenplatzes und den Verzicht auf das Betreuungsgeld. Damit werden die falschen Anreize beim Krippenausbau gesetzt.
Die - auch aktuell von der OECD - als ineffizient kritisierte Transferlastigkeit des deutschen Systems der Familienleistungen wird weiter verstärkt.
Das Betreuungsgeld ist nicht zuletzt unter finanz- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten verfehlt. Internationale Erfahrungen zeigen, dass entsprechende Leistungen in der Tendenz zu einem Rückgang der Erwerbsbeteiligung von Müttern und bei der Nutzung frühkindlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen führen. Eine sinkende Erwerbsbeteiligung ist vor allem bei Müttern mit geringerem Bildungsgrad zu erwarten, für die eine kontinuierliche Erwerbsbiographie im Interesse einer eigenständigen Alterssicherung besonders wichtig wäre. Zudem steht zu befürchten, dass von einer zurückgehenden Nutzung von Kindertageseinrichtungen insbesondere Kinder betroffen wären, die von einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Betreuung individuell besonders stark - und auch mit besonders positiven gesamtgesellschaftlichen Effekten - profitieren würden.
Vor diesem Hintergrund müssen die erheblichen Haushaltsmittel, die für das Betreuungsgeld eingesetzt werden sollen, stattdessen für den weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau entwicklungsfördernder Bildungs- und Betreuungsangebote für unter dreijährige Kinder eingesetzt werden.
Das Betreuungsgeld ist auch gleichstellungspolitisch ein Schritt in die falsche Richtung, denn es ist ein Anreiz und trägt dazu bei, dass insbesondere Frauen die Wiederaufnahme einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit aufschieben. Es konterkariert damit die Bemühungen von Bund und Ländern, dem zunehmenden Fachkräftebedarf unter anderem durch eine stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen zu begegnen.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1
Die Vorschrift regelt die Aufhebung des Betreuungsgeldgesetzes.
Zu Artikel 2
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten am Tag nach der Verkündung des Gesetzes.