857. Sitzung des Bundesrates am 3. April 2009
A.
Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 68 Absatz 1 Satz 1, Absatz 3 Satz 3 - neu - , 4 - neu - , Absatz 4 Satz 4 StPO)
Artikel 1 Nummer 6 § 68 ist wie folgt zu ändern:
Begründung
[Die Angabe des Geburtsnamens eines jeden Zeugen ist in der Regel nicht für dessen Identifizierung erforderlich. Die mit dem Gesetzentwurf erstrebte Harmonisierung der Begrifflichkeiten der Strafprozessordnung mit anderen Gesetzen, hier insbesondere mit § 111 Absatz 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), wird hierdurch nicht erreicht. Die gewählte Fassung entspricht auch nicht dem Wortlaut des OWiG, da nach der dortigen Vorschrift der Betroffene nicht nur über "Vornamen, Nachnamen, Geburtsnamen, Alter, Beruf und Wohnort" befragt werden soll, sondern über "Vor-, Familien- oder Geburtsnamen, den Ort oder Tag seiner Geburt, seinen Familienstand, seinen Beruf, seinen Wohnort, seine Wohnung oder seine Staatsangehörigkeit" befragt werden kann. Die laut Einzelbegründung gewünschte Rechnungstragung der "polizeilichen Praxis" verkennt, dass die Angabe des Vor- und Zunamens einer Person im Strafverfahren der Identitätsfeststellung dient und hauptsächlich das Ziel verfolgt, Personenverwechslungen zu vermeiden. Soweit sie auch für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen Bedeutung hat, haben Zeugen auf Verlangen ohnehin weitere Angaben zu ihren Personalien zu machen, das heißt zum Beispiel auch zum Geburtsnamen oder zu einem früheren Ehenamen.]
[nur Ziffer 1]
Der Satz "Soweit dem Zeugen gestattet wurde, Daten nicht anzugeben, sind sie in der gesamten Akte unkenntlich zu machen." erfasst nach dem Wortlaut und über § 163 Absatz 3 StPO-E auch "Gestattungen" durch Beamte des Polizeidienstes. Dieser Einschätzung müssen sich jedoch weder die Staatsanwaltschaft noch die Gerichte anschließen, so dass die beabsichtigten Regelungen ihnen die Sachherrschaft über das Verfahren in diesem Bereich entziehen würden. Eine Unkenntlichmachung der in Rede stehenden Daten in der gesamten Akte widerspräche dem Grundsatz der Aktenklarheit und Aktenwahrheit. Die Regelung ist zwar geeignet zu verhindern, dass Beschuldigte die Angaben mittels der von ihren Verteidigern durchgeführten Akteneinsichten in Erfahrung bringen. Dass die Ermittlungsbehörden jedoch Teile der Akten gegebenenfalls unwiderruflich unleserlich machen, bricht mit den bisherigen Prinzipien der Aktenführung. Verteidiger und dem Gericht müssen die vollständigen Akten vorgelegt werden. Geschieht das nicht, kann darin ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegen, der ein Verfahrenshindernis darstellt. Soweit es nur darum geht, zu Beginn einer Zeugenvernehmung die Anschrift des Zeugen zu schwärzen, wird zwar niemand vermuten, dass dadurch beweisrelevante Daten unterdrückt werden. Angaben zur Person eines Zeugen, die dessen Identifizierung ermöglichen, können sich aber in jedem Vermerk und jeder Vernehmung - auch anderer Personen - in den Akten befinden. Insofern können die Schwärzungen auch jeden weiteren Aktenbestandteil, gegebenenfalls sogar Augenscheinsobjekte wie z.B. Lichtbilder betreffen, ohne dass die Verfahrensbeteiligten nachprüfen können, was dort unleserlich gemacht worden ist.
nur Ziffer 2
In der Praxis würde die "Unkenntlichmachung" insbesondere bei großen vielbändigen Verfahren auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, wenn die Voraussetzungen dafür erst in einem späteren Stadium des Verfahrens eintreten oder festgestellt werden sollten. Es wird kaum sicherzustellen sein, dass die entsprechende Tilgung von Daten in der gesamten Akte vollständig erfolgt. Auch wird dadurch nicht das Problem gelöst, dass die unkenntlich zu machenden Daten durch zwischenzeitlich erfolgte Akteneinsichten den Verfahrensbeteiligten bereits bekannt sein können.
Die Regelungen in Absatz 4 Satz 5 und 6 haben in der Regel nur Bedeutung für verdeckte Ermittler und V-Leute. Aus diesem Grund sollte die entsprechende Regelung auch in den Absatz 3 der Vorschrift aufgenommen werden.
3. Zu Artikel 1 Nummer 8a - neu - ( § 81c Absatz 5 StPO)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens im Interesse eines effektiven Opferschutzes die Möglichkeit der Einführung einer staatsanwaltschaftlichen Eilkompetenz in § 81c Absatz 5 StPO auch für Fälle des Absatzes 3 Satz 3 zu prüfen.
Begründung
§ 81c StPO regelt die Untersuchung von Zeugen ohne deren Einwilligung. Voraussetzung einer solchen Untersuchung ist, dass zur Erforschung der Wahrheit festgestellt werden muss, ob sich am Körper des Zeugen eine bestimmte Spur oder Folge einer Straftat befindet. Zeugnisverweigerungsberechtigte Personen können auch Untersuchungen oder Entnahmen von Blutproben ablehnen (§ 81c Absatz 3 StPO). Haben sie keine genügende Vorstellung von der Bedeutung ihres Untersuchungsverweigerungsrechts (bei Minderjährigen mangels Verstandesreife oder Minderjährigen oder Betreuten wegen einer psychischen Krankheit oder wegen einer geistigen oder seelischen Behinderung), so entscheidet der gesetzliche Vertreter (§ 81c Absatz 3 Satz 2 StPO). Ist dieser selbst beschuldigt, so bedarf es grundsätzlich der Bestellung eines Ergänzungspflegers. Ist der gesetzliche Vertreter von der Entscheidung ausgeschlossen und ein Ergänzungspfleger nicht rechtzeitig zu bestellen, die sofortige Untersuchung zur Beweissicherung aber erforderlich, können diese Maßnahmen nach § 81c Absatz 3 Satz 3 StPO von einem Richter angeordnet werden. Nach § 81c Absatz 3 Satz 3 StPO erhobene Beweise dürfen im weiteren Verfahren allerdings nur mit Einwilligung des hierzu befugten Vertreters verwertet werden (§ 81c Absatz 3 Satz 5 StPO).
Gravierende praktische Probleme treten auf, wenn eine richterliche Entscheidung nach § 81c Absatz 3 Satz 3 StPO nicht herbeigeführt werden kann, obwohl die unverzügliche Untersuchung zur Vermeidung von Beweismittelverlusten notwendig ist. Denn § 81c Absatz 5 StPO schließt eine Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen auch bei Gefahr im Verzug aus. Eine Eilzuständigkeit könnte die Situation für die Opfer aber in mehrfacher Hinsicht verbessern. Sie könnte gewährleisten, dass sich das Opfer alsbald von den Spuren der Tat reinigen kann, ohne dass ein Beweismittelverlust eintritt. Zudem könnten Verletzungen besser erkannt und versorgt werden. Schließlich würde die effektive Strafverfolgung der Täterin oder des Täters erleichtert, die dem Opfer nicht nur eine Genugtuung verschaffen, sondern es auch vor Wiederholungstaten schützen kann.
Selbst vergleichsweise kurze zeitliche Verzögerungen können fatale Folgen für die Aufklärbarkeit einer Straftat haben. Eine Untersuchung kann bei den in Rede stehenden dringlichen Fällen anders als eine Aussage nicht nachgeholt werden. Vielmehr versetzt eine durchgeführte Untersuchung den nicht ausgeschlossenen, sondern nur vorübergehend verhinderten gesetzlichen Vertreter bzw. einen Ergänzungspfleger erst in die Lage, nach Sicherung der objektiven Beweise, mit der gebotenen Sorgfalt über die spätere Einwilligung zu entscheiden. Sind die Beweise erst einmal verloren, wäre dem Vertreter bzw. Ergänzungspfleger diese Möglichkeit genommen.
Vor diesem Hintergrund sollte eine Änderung des § 81c Absatz 5 StPO in Betracht gezogen werden. Hierbei wäre die Einführung einer Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug in Fällen schwerwiegender Delikte zu erwägen, wenn die Ermittlungen ansonsten erheblich erschwert oder die Sachverhaltsaufklärung unmöglich werden würde.
4. Zu Artikel 1 Nummer 11 Buchstabe b ( § 138 Absatz 3 StPO)
In Artikel 1 Nummer 11 Buchstabe b § 138 Absatz 3 ist die Angabe "und 2 Satz 1" zu streichen.
Begründung
Während der grundsätzliche Gleichlauf der Rechte eines Angeklagten mit denen des von ihm Verletzten - so die Intention des Gesetzentwurfs - nicht zu kritisieren ist, ist es dagegen nicht erforderlich, dass ein Nebenkläger außerhalb des in § 138 Absatz 1 StPO genannten Kreises auch weitere Personen mit seiner Vertretung beauftragen kann. Eine solche Regelung macht für den Angeklagten - beispielsweise im Bereich von Steuerdelikten durch die zusätzliche Beauftragung eines Steuerberaters - oftmals Sinn, eine Übertragung auf den Nebenkläger, Nebenklagebefugten, Verletzten, Privatkläger und Zeugen ist jedoch nicht notwendig und zur Stärkung der Verletztenrechte auch nicht zielführend.
Durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Verweisung auf § 138 Absatz 2 Satz 1 StPO-E könnten mit Genehmigung des Gerichts Privatpersonen schlechthin zugelassen werden, ohne dass diese bestimmte Mindestqualifikationen aufweisen müssten. Dies erscheint nicht sachgerecht, da sowohl das Strafverfahren als auch die für den Verletzten damit oft zusammenhängenden zivilrechtlichen Fragen in der Regel große Erfahrung und juristischen Sachverstand erfordern.
Die Vertretung von Zeugen und Verletzten sollte daher dem in § 138 Absatz 1 StPO genannten Personenkreis vorbehalten bleiben.
5. Zu Artikel 1 Nummer 12 ( § 142 Absatz 1 StPO)
Artikel 1 Nummer 12 ist zu streichen.
Begründung
Die durch den Gesetzentwurf in § 142 Absatz 1 vorgesehene Änderung, Pflichtverteidiger nicht mehr möglichst aus der Zahl der in dem Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte zu bestellen, würde zu erheblichen, sachlich nicht gerechtfertigten Mehrkosten für die Staatskasse führen, da dann ein vom Beschuldigten oder dem Zeugen/Verletzten bezeichneter Verteidiger/Beistand ohne Rücksicht auf die Ortsnähe und ohne Rücksicht auf ein bestehendes Vertrauensverhältnis in der Regel beigeordnet werden müsste.
Infolge der Bestellung ortsfremder Rechtsanwälte werden aufgrund von Terminkollisionen sowie Anreise- und Postlaufwegen längere Verfahrensverzögerungen eintreten als bei der Bestellung eines ortsansässigen Rechtsanwalts. Dies steht in eklatantem Widerspruch zu dem im Strafverfahren maßgebenden Beschleunigungsgrundsatz, dessen Bedeutung vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betont wird. Der Beschleunigungsgrundsatz stellt entgegen der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung gerade ein höherrangiges Interesse im Sinne des Artikels 12 GG dar.
Die bisherige Gesetzesfassung bringt durch das Wort "möglichst" zum Ausdruck, dass im Einzelfall wegen vorrangiger anderer Gesichtspunkte ein Verteidiger außerhalb des Gerichtsbezirks bestellt werden kann, insbesondere beim Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Das geltende Recht ermöglicht damit eine hinreichend flexible Handhabung. Die vorgesehene Neuregelung ist daher nicht notwendig. Eine sprachliche Klarstellung des Absatzes 1 ist nicht erforderlich.
6. Zu Artikel 1 Nummer 14 ( § 154f StPO)
In Artikel 1 Nummer 14 § 154f sind die Wörter "Eröffnung oder Durchführung des Hauptverfahrens" durch die Wörter "Fortführung oder dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens" zu ersetzen und die Wörter "und ist die öffentliche Klage noch nicht erhoben" zu streichen.
Begründung
Die gesetzliche Regelung der langjährigen, durch Nummer 104 RiStBV geregelten Praxis der analogen Anwendung des § 205 StPO durch die Staatsanwaltschaften sollte auch in ihrem Wortlaut dem Verfahrensstand bei der vorläufigen Einstellung Rechnung tragen. Ein Abschluss der Ermittlungen liegt in den Fällen, die durch § 154f StPO-E geregelt werden sollen, gerade noch nicht vor. Die Entscheidung, ob öffentliche Klage erhoben oder gar das Hauptverfahren eröffnet wird, lässt sich in vielen Fällen auch noch nicht vorwegnehmen.
Die bislang durch den Gesetzentwurf vorgesehene, § 205 StPO entnommene Formulierung suggeriert das Erfordernis des endgültigen Abschlusses der Ermittlungen, obgleich nach der Begründung des Gesetzentwurfs § 154f StPO-E gerade auch dann Anwendung finden soll, wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen werden konnten. Es erscheint vorteilhafter, diese auch der bisherigen Praxis der Staatsanwaltschaften entsprechende Intention durch die Formulierung "Steht der Fortführung oder dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens" deutlich zum Ausdruck zu bringen. Der Hinweis auf das Erfordernis, dass die öffentliche Klage nicht erhoben sein darf, ist dann entbehrlich.
7. Zu Artikel 1 Nummer 17 (§ 163 Absatz 3 Satz 1 StPO)
Artikel 1 Nummer 17 § 163 Absatz 3 Satz 1 ist wie folgt zu fassen: "Bei der Vernehmung eines Zeugen durch Beamte des Polizeidienstes sind § 52 Absatz 3 und § 55 Absatz 2 entsprechend anzuwenden; dasselbe gilt für § 57 Satz 1 und die §§ 58, 58a, 68 bis 69, soweit dem nicht Besonderheiten der polizeilichen Aufgabenerfüllung entgegenstehen."
Begründung
Ziel der Neuregelung in § 163 Absatz 3 StPO-E ist der Entwurfsbegründung zufolge nicht eine Beseitigung von Missständen bei der polizeilichen Zeugenvernehmung, sondern die wünschenswerte Systematisierung. Zu diesem Zweck werden Belehrungspflichten, die bisher in § 163a Absatz 5 StPO geregelt sind, in die neue Vorschrift verlagert. Darüber hinaus sollen allerdings auch die Belehrungspflichten der Polizei denjenigen von Staatsanwaltschaft und Gericht angepasst werden, um angebliche Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. In der Praxis haben sich jedoch aus dem Umstand, dass die §§ 58, 68, 68a und 69 StPO von der Polizei lediglich als "allgemeine Vernehmungsrichtlinie" anzuwenden sind (vgl. Begründung, BR-Drs. 178/09 (PDF) , S. 42), keine Unzuträglichkeiten ergeben. Die nunmehr gewollte verbindliche Anwendung dieser Vorschriften - § 58a StPO ist ohnehin nur eine Soll-Vorschrift - sowie des neuen § 57 Satz 1 und § 68b StPO-E bei polizeilichen Zeugenvernehmungen würde deswegen kein praktisches Problem lösen, dafür jedoch eine neue Rechtsunsicherheit in das Ermittlungsverfahren tragen.
Der neue § 163 Absatz 3 StPO-E wendet § 68 StPO-E auch auf die polizeiliche Vernehmung an. Die Polizei muss jedoch unter Umständen arbeiten, die sich nur teilweise mit denen von Staatsanwaltschaft und Gericht vergleichen lassen.
So wird die Polizei häufig an Tatorte gerufen, bei denen sie sich erst einmal durch Befragen der Anwesenden einen Überblick über das Tatgeschehen verschaffen muss. Hier ist selbst die informatorische Befragung der Tatverdächtigen eine Zeugenvernehmung im Sinne der Strafprozessordnung (herrschende Meinung, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, Einl. Rnr. 79). Es wäre völlig lebensfremd und ist sicherlich auch nicht gewollt, von der Polizei in derartigen Fällen die Einhaltung der Förmlichkeiten nach § 68 StPO-E zu verlangen.
Besonderheiten ergeben sich auch beim Schutz von Zeugen.
Bei V-Personen und Verdeckten Ermittlern wird zwar regelmäßig eine Sperrerklärung auch auf die persönliche Gefährdung des Zeugen bzw. seiner Umgebung gestützt. Es sind jedoch Konstellationen vorstellbar, in denen eine solche Gefährdung zu verneinen, eine Sperrung aber gleichwohl notwendig ist, um die weitere Verwendung der V-Person oder des Verdeckten Ermittlers zu ermöglichen. Für den Verdeckten Ermittler ist dieser Aspekt ausdrücklich in § 110b Absatz 3 Satz 3 StPO angesprochen. Insoweit könnte § 110b Absatz 3 StPO auch für die polizeiliche Zeugenvernehmung eines Verdeckten Ermittlers fruchtbar gemacht werden; der angestrebten Rechtsklarheit würde dies freilich nicht dienen. Mangels einer besonderen Regelung für den Einsatz von V-Personen müsste demgegenüber deren Identität bei der Vernehmung protokolliert werden, sofern nicht zugleich eine Gefährdung attestiert werden kann.
Wenn § 68 StPO-E für polizeiliche Zeugenvernehmungen verbindlich würde, müssten zudem die Vorgaben von Absatz 3 Satz 3 und 4 beachtet werden. Demnach hätte die Staatsanwaltschaft die Unterlagen über die Identität von Hinweisgebern, V-Personen und gegebenenfalls Verdeckten Ermittlern zu verwahren, in gewissen Zeitabständen den Wegfall der Gefährdung zu prüfen und die Dokumente zu den Gerichtsakten zu nehmen, nachdem die Gefährdung entfallen ist. Eine solche Verfahrensweise läge weder im Interesse der Polizei noch der Justiz. Sie würde bedeuten, dass über kurz oder lang, die Staatsanwaltschaften die Echtpersonalien sämtlicher Informanten und V-Personen kennen. Diese brisanten Informationen werden innerhalb der Polizei mit Verschlüsselungssystemen besonders geschützt und nur von den Fachdienststellen mit hohem Sicherheitsaufwand betreut. Falls ein Hinterlegen der Echtpersonalien bei den Staatsanwaltschaften Standard werden sollte, muss kurz- und mittelfristig mit einem deutlichen Anstieg der Gefährdungslagen bzw. Zeugenschutzfälle und langfristig mit einer erheblichen Schwächung des Beweismittels VP-Führung gerechnet werden.
Auf Seiten der Justiz wäre der Aufwand für einen sicheren Umgang mit den Daten erheblich. Die Staatsanwaltschaft wäre zudem fortan ebenfalls Adressat von gerichtlichen Ersuchen um Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift von Hinweisgebern, V-Personen und gegebenenfalls auch von Verdeckten Ermittlern und müsste entsprechende Sperrerklärungen nach § 96 StPO abgeben.
Probleme sind auch durch die zwingende Anwendung des neuen § 68b StPO-E vorgezeichnet.
Nach § 68b Absatz 2 StPO-E ist Zeugen, die keinen anwaltlichen Beistand haben, ihre Befugnisse bei der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen können und deren schutzwürdigen Interessen auch nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden kann, für die Dauer der Vernehmung ein Rechtsanwalt beizuordnen. Dabei entscheidet die Staatsanwaltschaft über die Beiordnung eines Zeugenbeistandes (§ 163 Absatz 3 Satz 2 StPO-E). Durch den Verweis von § 68b Absatz 2 Satz 2 auf § 142 Absatz 1 StPO-E ergibt sich die grundsätzliche Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, dem Zeugen Gelegenheit zu geben, binnen einer zu bestimmenden Frist selbst einen Rechtsbeistand zu benennen.
Diese Regelung ist im Rahmen staatsanwaltlicher und gerichtlicher Vernehmungen angemessen, lässt aber die Besonderheiten der polizeilichen Vernehmung außer Acht.
Vor allem dann, wenn sich die Polizei am Tatort durch informatorische Befragungen Klarheit über den Sachverhalt verschaffen will, nimmt sie eine Zeugenvernehmung vor, auch und gerade gegenüber Tatverdächtigen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, a. a. O.). Da die dort angetroffenen Personen regelmäßig noch nicht anwaltlich vertreten sind und wegen des möglichen Tatverdachts zudem ihre schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt werden könnten, wäre das in § 68b StPO-E beschriebene Verfahren einzuhalten, wenn z.B. nicht nur geringfügig Verletzte nach einer Schlägerei befragt werden sollen. Da die Vernehmung nach Sinn und Zweck der Bestimmung nur in Anwesenheit des bestellten Rechtsbeistandes erfolgen darf, wäre eine informatorische Befragung Verletzter am Tatort einer Schlägerei deswegen künftig wohl nur noch eingeschränkt möglich.
Aber auch das Befragen von Personen, die allem Anschein nach Opfer einer Straftat sind, wäre am Tatort nicht mehr ohne Weiteres zulässig. Das gilt vor allem in Fällen von häuslicher Gewalt, in denen dem verletzten Tatopfer ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Da der Zeuge aufgrund seiner Verletzung möglicherweise nicht in der Lage ist, das Für und Wider einer Inanspruchnahme des zu seinen Gunsten bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts ausreichend abzuwägen, droht auch insoweit eine Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen. Die Polizei wäre dann gezwungen, auf eine Vernehmung am Tatort zu verzichten, selbst auf die Gefahr hin, dass das Opfer vor seiner späteren Vernehmung verstirbt.
Auch wenn sich die vorstehenden Ausführungen auf die §§ 68 und 68b StPO-E beschränken, sollte der Vorbehalt doch, wie vorgeschlagen, weiter gehen, weil sich die Besonderheiten polizeilicher Einsatzlagen nicht abschließend erfassen lassen. Der Änderungsvorschlag hält sich dabei im Rahmen des geltenden Rechts, bringt aber insoweit die Klarstellung mit sich, dass die genannten Vorschriften grundsätzlich auch für die Polizei gelten, der ebenfalls denkbare Umkehrschluss aus den Einzelverweisungen mithin ausgeschlossen ist.
8. Zu Artikel 1 Nummer 17 (§ 163 Absatz 3 Satz 2 StPO)*
In Artikel 1 Nummer 17 § 163 Absatz 3 Satz 2 sind nach dem Wort "Zeugenbeistands" die Wörter "und über die Aufzeichnung der Vernehmung auf Bild-Ton-Träger" einzufügen.
- * Die Ziffern 8 und 9 werden bei Annahme zusammengefasst.
Begründung
Nach § 163 Absatz 3 StPO-E soll die Vorschrift des § 58a StPO-E auch für die polizeiliche Zeugenvernehmung gelten. Zu Recht weist die Begründung des Entwurfs darauf hin, dass der mit einer Bild-Ton-Aufzeichnung verbundene erhebliche Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen sowie die angestrebte Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes in jedem Fall eine sorgfältige Abwägung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit erfordere. Mit der Vornahme der gebotenen Abwägung könnten die Beamten des Polizeidienstes im Einzelfall jedoch überfordert sein. Die Entscheidung darüber, ob die polizeiliche Vernehmung eines Zeugen auf Bild-Ton-Träger aufzuzeichnen ist, sollte deshalb der Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben.
9. Zu Artikel 1 Nummer 17 (§ 163 Absatz 4 - neu - StPO)*
Artikel 1 Nummer 17 ist wie folgt zu fassen:
- "17. Dem § 163 werden folgende Absätze 3 und 4 angefügt:
- (3) <wie Gesetzentwurf>
- (4) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor der Polizeibehörde zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag oder ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Bei unberechtigtem Ausbleiben oder unberechtigter Weigerung eines Zeugen kann die Staatsanwaltschaft von den in den §§ 51 und 70 vorgesehenen Maßregeln Gebrauch machen. § 161a Absatz 2 Satz 2, Absatz 3 gilt entsprechend."
Begründung
Das geltende Strafverfahrensrecht sieht eine Verpflichtung des Zeugen, vor der Polizei zu erscheinen und auszusagen, nicht vor. Nach § 161a Absatz 1 Satz 1 StPO sind Zeugen verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen. Die Polizei hat nur die Möglichkeit, den Zeugen darauf hinzuweisen, dass sie im Weigerungsfalle auf seine Vernehmung durch den Staatsanwalt oder den Richter hinwirken werde, bei welchem für den Zeugen eine Erscheinens- und Aussagepflicht bestehe.
- * Die Ziffern 8 und 9 werden bei Annahme zusammengefasst.
Ermittlungsverfahren könnten effizienter geführt werden, wenn für Zeugen eine Erscheinens- und Aussagepflicht bei der Polizei bestünde. Der Antrag greift insoweit einen Vorschlag aus dem Gesetzentwurf des Bundesrates zur Effektivierung des Strafverfahrens (vgl. BR-Drs. 660/06 (PDF) = BT-Drs. 016/3659) auf. Die Strafverfolgungsbehörden haben es nicht selten mit wankelmütigen und bedrohten Zeugen zu tun, deren Aussagebereitschaft - auch bei der Polizei - gefördert werden sollte. Für den Ermittlungserfolg kann es entscheidend sein, wenn gerade solche Zeugen so frühzeitig wie möglich vernommen werden und schon bei der ersten Vernehmung weiterführende Angaben machen. Die Effektivität der Strafverfolgung bedingt, dass bei der Vernehmung von Zeugen auch das Erfahrungswissen der Polizei umfassend nutzbar gemacht wird. Insbesondere bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität müssen die verfügbaren kriminaltaktischen Möglichkeiten bestmöglich genutzt werden. Einer frühzeitigen Erstvernehmung durch die Polizei kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn besonderes polizeiliches Erfahrungswissen nutzbar zu machen ist oder etwa auf Datenbestände und Erkenntnisse aus der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, die der Staatsanwaltschaft nicht unmittelbar zur Verfügung stehen, zurückgegriffen werden muss. In den die kleinere und mittlere Kriminalität betreffenden Ermittlungsverfahren erscheinen zudem auch weniger bedeutsame, aber dennoch letztlich von der Staatsanwaltschaft zu vernehmende Zeugen oftmals auf polizeiliche Ladung aus Bequemlichkeit, wegen damit verbundener Kosten oder wegen des erforderlichen Zeitaufwands nicht. Ein weiterer wichtiger Anwendungsbereich der Neuregelung werden Fälle sein, in denen die sachleitende Staatsanwaltschaft noch nicht genügend Kenntnis von dem Sachverhalt hat. In einer solchen Situation kann die Staatsanwaltschaft nach der vorgeschlagenen Neuregelung des § 163 Absatz 4 StPO-E die Polizei beauftragen bzw. ersuchen, den Zeugen zu laden, ohne dass dafür in jedem Einzelfall nötig wäre, dass die Staatsanwaltschaft vor dem Auftrag bzw. Ersuchen von der Polizei umfassend über den Verfahrensstand informiert würde. Eine Erscheinenspflicht bei der Polizei dürfte sich in den genannten Anwendungsfällen der Neuregelung schon deshalb beschleunigend, entlastend und Kosten senkend auswirken, weil derartige Zeugen - einmal erschienen - in aller Regel aussagebereit sind. Besteht zugleich eine Aussagepflicht bei der Polizei, wird der Entlastungseffekt verstärkt.
Rechtsstaatliche Bedenken gegen die vorgeschlagene Stärkung der Rolle der Polizei im Ermittlungsverfahren bestehen nicht. Auftrag und Ersuchen (§ 161 Absatz 1 Satz 2 StPO) der Staatsanwaltschaft bringen die Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft in dem erforderlichen Maße zur Geltung. Der Auftrag oder das Ersuchen kann allgemein oder für den Einzelfall erklärt werden.
Eine Entscheidungsbefugnis der Polizei über Zwangsmaßnahmen oder Ordnungsmittel gegen nicht erschienene oder aussageunwillige Zeugen ist mit der vorgeschlagenen Maßnahme nicht verbunden. Diese Befugnisse verbleiben bei der Staatsanwaltschaft. Ein so schwerwiegender Eingriff wie die Vorführung eines Zeugen darf im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht ohne Mitwirkung eines Justizorgans erfolgen. Ob eine Zeugenaussage wegen ihrer Bedeutung erzwungen werden darf, lässt sich oftmals nur aus einer der Staatsanwaltschaft obliegenden Gesamtschau des Verfahrens unter Berücksichtigung der materiellen sowie prozessualen Rechtslage beurteilen.
10. Zu Artikel 1 Nummer 18a - neu - ( § 200 Absatz 1 StPO)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob im Rahmen von § 200 Absatz 1 StPO-E eine Möglichkeit geschaffen werden kann, dass es in der Anklageschrift der Angabe der ladungsfähigen Anschrift der Zeugen nicht bedarf.
Begründung
Im Interesse des Zeugenschutzes sollte die Nichtaufnahme der ladungsfähigen Anschrift eines Zeugen in Anklageschriften, Strafbefehlen und Antragsschriften als ausdrückliche gesetzliche Regelung aufgenommen werden. Durch Angabe lediglich des Vor- und Zunamens eines Zeugen, seines Wohnorts, gegebenenfalls noch des Stadtbezirks sowie der Fundstellen der Vernehmungen und der Fundstelle der ladungsfähigen Anschrift in den Akten kann den Rechten von Angeschuldigten ausreichend Rechnung getragen werden.
Zu Artikel 1 Nummer 22 (§ 395 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 StPO)
Artikel 1 Nummer 22 § 395 Absatz 1 ist wie folgt zu ändern:
- 11. a) Nummer 2 ist zu streichen.
- 12. b) In Nummer 3 sind die Wörter "die versucht wurde" durch die Wörter "jeweils in Verbindung mit §§ 22, 23 des Strafgesetzbuches" zu ersetzen.
- 13. c) In Nummer 4 ist die Angabe "223 bis" durch die Angabe "225," zu ersetzen. (bei Annahme entfallen Ziffern 16 und 17, bei Ablehnung entfällt Ziffer 15)
Begründung
Der Gesetzentwurf verfolgt das begrüßenswerte Ziel einer in sich stimmigen Gesamtkonzeption und Neujustierung des § 395 StPO. Diese Gesamtkonzeption soll sich durchgängig und erkennbar am Maßstab des Schutzes der besonders schutzbedürftigen Opfer orientieren. Diesen Opfern schwerwiegender Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter soll als Verfahrensbeteiligten eine besondere Stellung eingeräumt werden, um ihre speziellen Bedürfnisse besser vertreten zu können.
Die Schutzbedürftigkeit folgt insbesondere aus der Schwere der gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichteten Straftaten sowie aus den Folgen der Tat für das Opfer. Dies entspricht auch den Erkenntnissen wissenschaftlicher Untersuchungen, in denen festgestellt wurde, dass es Opferzeugen mit zunehmender Schwere der Verletzung neben der Hilfe für die eigene Krisenbewältigung vor allem um die Möglichkeit des Einflusses auf den Gang der Dinge im Strafverfahren geht.
Delikte, die typischerweise nicht als schwerwiegend einzustufen sind und keine schweren Folgen beim Opfer nach sich ziehen, sollten daher nicht mehr zum Anschluss als Nebenkläger berechtigen. Die - relativ leichtgewichtigen - Beleidigungsdelikte sollten - jedenfalls für sich genommen - keine Anschlussbefugnis zur Nebenklage mehr auslösen.
Zu Buchstabe a:
Die Beleidigungsdelikte stellen nach dem bisherigen Gesetzentwurf den einzig verbliebenen "Fremdkörper" im neuen § 395 StPO-E dar, der ansonsten auf Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter abstellt, die für das Opfer schwere Folgen auslösen. Die Beleidigungsdelikte sollten daher vollständig aus dem Katalog der zur Nebenklage berechtigenden Straftaten gestrichen werden.
Zu Buchstabe b:
Die sprachliche Fassung des § 395 Absatz 1 Nummer 3 StPO-E sollte verbessert werden.
Zu Buchstabe c:
Der neue Absatz 1 folgt der Ratio, speziell die Opfer schwerwiegender Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter zu schützen und dies als Maßstab für die Anschlussberechtigung zur Nebenklage zugrunde zu legen. Es werden daher nur die Delikte in den Katalog der zur Anschlussberechtigung als Nebenkläger führenden Straftaten aufgenommen, die aller Lebenserfahrung nach vorwiegend als schwere Aggressionsdelikte einzustufen sind, sich gegen höchstpersönliche Rechtsgüter richten und bei denen nach viktimologischen Erkenntnissen die Opfer als besonders schutzbedürftig erscheinen.
Herauszunehmen aus dem Katalog des Absatzes 1 sind vor diesem Hintergrund die einfache Körperverletzung nach § 223 StGB und die gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB. Eine besondere Schutzbedürftigkeit des Verletzten ist nicht automatisch wegen der Art und Weise der Tatbegehung gegeben; vielmehr können sowohl bei der einfachen als auch bei der gefährlichen Körperverletzung die Folgen der Tat dem Bagatellbereich zuzuordnen sein. Straftaten nach den §§ 223, 224 StGB sollten nur bei Vorliegen schwerer Folgen durch die Tat zur Nebenklage berechtigen.
Artikel 1 Nummer 22 ( § 395 Absatz 3 StPO)
Artikel 1 Nummer 22 § 395 Absatz 3 ist wie folgt zu ändern:
- 14. a) Nach den Wörtern "rechtswidrige Tat" ist die Angabe ", insbesondere" zu streichen.
- [15.] [b) Vor der Angabe "§§ 229" ist die Angabe "§§ 223, 224," einzufügen.] [nur In setzt Annahme von Ziffer 13 voraus, bei Annahme entfallen Ziffern 16 und 17]
- c) Nach der Angabe "255" ist das Wort "und" durch das Wort "oder" zu ersetzen. noch Ziffer 14
- d) Nach dem Wort "Strafgesetzbuches" ist das Komma zu streichen.
Begründung:
[Der Gesetzentwurf verfolgt das begrüßenswerte Ziel einer in sich stimmige Gesamtkonzeption und Neujustierung des § 395 StPO. Diese Gesamtkonzeption soll sich durchgängig und erkennbar am Maßstab des Schutzes der besonders schutzbedürftigen Opfer orientieren. Diesen Opfern schwerwiegender Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter soll als Verfahrensbeteiligten eine besondere Stellung eingeräumt werden, um ihre speziellen Bedürfnisse besser vertreten zu können.
[nur Ziffer 15]
Die Schutzbedürftigkeit folgt insbesondere aus der Schwere der gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichteten Straftat sowie aus den Folgen der Tat für das Opfer. Dies entspricht auch den Erkenntnissen wissenschaftlicher Untersuchungen, in denen festgestellt wurde, dass es Opferzeugen mit zunehmender Schwere der Verletzung neben der Hilfe für die eigene Krisenbewältigung vor allem um die Möglichkeit des Einflusses auf den Gang der Dinge im Strafverfahren geht.
Delikte, die typischerweise nicht als schwerwiegend einzustufen sind und keine schweren Folgen beim Opfer nach sich ziehen, sollten daher nicht mehr zum Anschluss als Nebenkläger berechtigen. Die einfache und die gefährliche Körperverletzung sollten jedenfalls für sich allein genommen keine Anschlussbefugnis zur Nebenklage mehr auslösen. Soweit sie jedoch im Einzelfall schwere Folgen beim Opfer zur Folge hat, sollte die Nebenklage zulässig sein.] ...
Der Straftatenkatalog in § 395 Absatz 3 StPO-E sollte abschließend sein. Die aufgezählten Nebenklagedelikte decken den wichtigsten Teil der sonstigen Nebenklagefälle ab. nur Ziffer 14
Soweit aber der Entwurf bislang über diese klar umrissenen Tatbestände hinausgeht und die Nebenklagebefugnis allgemein zulassen will, sofern dies wegen der schweren Folgen geboten erscheint, besteht die Gefahr der Ausuferung. Indem der Entwurf bisher die Delikte gemäß den §§ 229, 244 Absatz 1 Nummer 3, §§ 249 bis 255 und 316a StGB als Regelbeispiele behandelt, eröffnet er letztlich jedem Verletzten einer Straftat die Möglichkeit, einen Antrag auf Zulassung der Nebenklage zu stellen. Die Einschränkung der Nebenklagedelikte auf "besondere Gründe" bzw. Fälle mit "schweren Folgen", insbesondere wenn dies "zur Wahrnehmung der Interessen" des Verletzten "geboten erscheint", sind im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu unbestimmt und zu wenig aussagekräftig. Schon relativ geringfügige Eigentumsverletzungen könnten je nach der Person des Verletzten für diesen eine besonders schwere Folge der Tat darstellen. Auch eine objektive Bestimmung der Begriffe "besondere Gründe" oder "schwere Folgen" würde zu langwierigem Klärungsbedarf in der Rechtsprechung, insbesondere im Bereich der Vermögensdelikte, und damit im Einzelfall auch zu nicht unerheblichen Verzögerungen des Verfahrens sowie zur Eröffnung von "Nebenkriegsschauplätzen" führen. Insbesondere bei ohnehin aufwendigen (Kapitalanlage-)Betrugsverfahren, dürfte mit zahlreichen, meist wohl unbegründeten Zulassungsanträgen, die die Gerichte unnötig belasten würden, zu rechnen sein. Dies erscheint jedoch weder sachlich notwendig noch praktisch wünschenswert. Zudem sollte der Gefahr, über die Nebenklage einzelne problematische zivilrechtliche Fragestellungen in den Strafprozess zu verlagern, von vornherein der Boden entzogen werden. Letzteres wäre nicht nur im Interesse einer zügigen Strafrechtspflege, sondern auch im Interesse des Gesetzentwurfs, der im Kern die Rechte von Opfern von Aggressions- und Gewaltdelikten stärken will.
Der auch bislang abschließende Straftatenkatalog hat sich mit Blick auf die Notwendigkeit einer zügigen und effizienten Verfahrensführung bewährt; dieses System sollte beibehalten werden.
Zu Artikel 1 Nummer 22 (§ 395 Absatz 1 Nummer 4, Absatz 3 StPO)
Artikel 1 Nummer 22 § 395 ist wie folgt zu ändern:
- 16. a) In Absatz 1 Nummer 4 ist die Angabe "223" durch die Angabe "224" zu ersetzen. (entfällt bei Annahme von Ziffer 13 oder 15, bei Ablehnung entfällt Ziffer 17)
- 17. b) In Absatz 3 ist die Angabe "§§ 229" durch die Angabe "§§ 223, 229" zu ersetzen. (setzt Annahme von Ziffer 16 voraus, entfällt bei Annahme von Ziffer 13 oder 15)
Begründung
Nach § 395 Absatz 1 StPO-E ist jeder zur Nebenklage berechtigt, der - ohne dass es weiterer Voraussetzungen bedarf, insbesondere unabhängig etwaiger Tatfolgen - durch eine rechtswidrige Tat nach § 223 StGB (§ 395 Absatz 1 Nummer 4 StPO-E) verletzt ist.
Dies erscheint, insbesondere im Hinblick auf die Intention des Gesetzentwurfs, sich bei der Berechtigung zur Nebenklage konsequenter als bisher am Schutzbedürfnis besonders betroffener Opfer schwerwiegender Aggressionsdelikte ausrichten zu wollen, weder sachgerecht noch konsequent. Ausdrücklich stellt der Entwurf darauf ab, dass Opfer, die durch ein gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtetes Aggressionsdelikt verletzt sind, nach kriminologischen und viktimologischen Erkenntnissen besonders schutzbedürftig erscheinen. Deshalb will er sich verstärkt an der Schutzbedürftigkeit der Opfer orientieren. Unter diesem Blickwinkel betrachtet erscheinen jedoch Opfer einer einfachen Körperverletzung nicht in jedem Fall besonders schutzbedürftig. [Schutzbedürftigkeit dürfte auch in diesen Fällen konsequenterweise nur dann angenommen werden, wenn - wie es die Regelung des § 395 Absatz 3 StPO-E insbesondere für die dort genannten Delikte vorsieht - besondere Gründe hinzutreten. Es sprechen nicht nur systematische, sondern auch sachgerechte Erwägungen dafür, dass derjenige, der durch eine Tat nach § 223 StGB verletzt ist, sich ausschließlich dann dem Verfahren mit der Nebenklage anschließen kann, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Intereressen geboten erscheint. Deshalb sollten die Delikte nach § 223 StGB statt in § 395 Absatz 1 StPO-E in den Katalog der Taten des Absatzes 3 aufgenommen werden. Auch durch diese Regelung würde dem Opferschutz hinreichend Rechnung getragen werden. Zudem würde dadurch eher der in § 395 StPO-E zum Ausdruck kommenden Gewichtung der Taten entsprochen werden.] [nur Ziffer 17]
18. Zu Artikel 1 Nummer 24 (§ 397a Absatz 1 Nummer 3, 4 StPO)
Artikel 1 Nummer 24 § 397a Absatz 1 ist wie folgt zu ändern:
- a) In Nummer 3 ist die Angabe "234 bis 235, 238 bis 239b, 249, 250, 252, 255 und 316a" durch die Angabe "238 Absatz 3, 239a und 239b" zu ersetzen.
- b) In Nummer 4 sind die Angaben "221," und "235," zu streichen und nach der Angabe "§ 240 Absatz 4" die Angabe "Satz 2 Nummer 1 und 2" einzufügen.
Begründung
Nach § 397a Absatz 1 StPO-E ist den Opfern bestimmter schwerer Nebenklagedelikte auf Antrag ein anwaltlicher Beistand beizuordnen, ohne dass es auf die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe ankommt. Hierdurch wird das Risiko des nicht prozesskostenhilfeberechtigten Nebenklägers, später einen Kostenerstattungsanspruch gegen einen mittellosen Verurteilten nicht durchsetzen zu können oder im Falle des Freispruchs des Angeklagten nicht einmal zu erlangen, aus Opferschutzgründen vom Staat übernommen.
§ 397a StPO-E schützt Verletzte, die Opfer von erheblichen Angriffen auf fundamentale Persönlichkeitsrechte, namentlich ihren höchstpersönlichen Lebensbereich oder ihr Leben geworden sind, so dass sie regelmäßig besonders traumatisiert und daher in besonderem Maße schutzwürdig sind. Darüber hinaus kommt der Zeugenaussage solcher Opfer in Anbetracht der gerade bei Sexual- und Beziehungstaten häufig anzutreffenden "Aussagegegen-Aussage"-Situationen regelmäßig besondere Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund sehen sie sich auch oftmals einer besonders kritischen Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit ausgesetzt.
Die im Gesetzentwurf enthaltene Ausweitung des Katalogs des § 397a StPO zur Bestellung eines kostenlosen Opferanwalts für den Nebenkläger ist zu weitgehend, da sie zu einer unüberschaubaren Belastung der Länderhaushalte führen würde. Ausgehend von der Strafverfolgungsstatistik 2006 wäre durch die vorgesehene Erweiterung des § 397a StPO um die §§ 221, 234, 234a, 235, 239, 249, 250, 252, 255, 316a StGB (die in den Gesetzentwürfen des Bundesrates, BR-Drs. 245/08(B) und BR-Drs. 656/07(B) geforderten Erweiterungen sind insoweit nicht einbezogen) im Jahr 2006 in rund 12 139 zusätzlichen Fällen ein Opferanwalt auf Staatskosten möglich gewesen. Auch unter starker Gewichtung des Opferschutzes erscheint es daher aus finanziellen Erwägungen nicht möglich, jedem Opfer eines Verbrechens einen Opferanwalt auf Staatskosten zur Verfügung zu stellen. Insoweit sollte es grundsätzlich bei der Möglichkeit nach § 397a Absatz 2 StPO verbleiben, unter bestimmten Voraussetzungen Prozesskostenhilfe zu erhalten.
Es erscheint jedoch gerechtfertigt, die Möglichkeit, einen Opferanwalt nach § 397a StPO-E zu erhalten, auf die Opfer von Zwangsheirat, von Nötigungen zu sexuellen Handlungen, von Nötigungen zum Schwangerschaftsabbruch und von schwerem Stalking auszudehnen, da diese Opfer erheblichen Angriffen auf ihre fundamentalen Persönlichkeitsrechte, namentlich ihren höchstpersönlichen Lebensbereich oder ihr Leben ausgesetzt waren, so dass sie regelmäßig besonders traumatisiert und daher in besonderem Maße schutzwürdig sind.
Bei Bestimmung des Umfangs, in dem eine Einbeziehung von "Stalking"- und Nötigungsopfern in § 397a StPO-E angezeigt ist, wird nach dem Grad der Betroffenheit des Opfers differenziert.
In Bezug auf Opfer des erpresserischen Menschenraubes, der Geiselnahme und der schweren Körperverletzung ist es gerechtfertigt, diese in den Kreis der in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich besonders tangierten Personen aufzunehmen. Die schwere Körperverletzung gemäß § 226 StGB ist ein Verbrechen, das bei den Verletzten schwere physische Schäden verursacht, von denen sie oftmals ihr Leben lang betroffen sind. Opfer eines erpresserischen Menschenraubes oder einer Geiselnahme haben unter den Folgen der Tat oftmals stark zu leiden. Die Sondersituation dieser Opfer wird gerade auch durch die bei diesen Straftaten zu verhängende Mindeststrafe von fünf Jahren hervorgehoben.
19. Zu Artikel 1 Nummer 24 (§ 397a Absatz 1 Nummer 4 StPO)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob in Artikel 1 Nummer 24 § 397a Absatz 1 Nummer 4 nach der Angabe "238 Absatz 2" die Angabe "und 3" eingefügt werden sollte.
Begründung
Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, die Regelung über den sogenannten Opferanwalt in § 397a StPO unter Berücksichtigung berechtigter Belange des Opferschutzes sachgerecht zu erweitern. Insofern nimmt er ausdrücklich Bezug auf den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Verbesserung des Schutzes der Opfer von Zwangsheirat und schwerem "Stalking" (BR-Drs. 872/07(Beschluss) = BT-Drs. 016/9448).
Der Bundesratsinitiative entsprechend differenziert der Gesetzentwurf der Bundesregierung hinsichtlich der qualifizierten Nachstellung - am Schutzbedürfnis der Opfer orientiert - zwischen den Fällen des Verbrechens gemäß § 238 Absatz 3 StGB und denen des Vergehens nach § 238 Absatz 2 StGB.
Allerdings weist die vorgeschlagene Fassung des § 397a StPO-E - leicht zu behebende - Unstimmigkeiten auf:
Die vorgeschlagene Fassung birgt die Gefahr der Schlechterstellung der Opfer von "Stalking"-Verbrechen gegenüber den Verletzten von "Stalking"-Vergehen und lässt Raum für unbeabsichtigte Lücken beim Schutz der Verbrechensopfer.
Dies kann zum Tragen kommen, wenn durch die Tat eine dem "Stalking"-Opfer nahe stehende Person zu Tode gekommen ist, die nicht zum engen Kreis der Angehörigen im Sinne des § 395 Absatz 2 Nummer 1 StPO-E gehört.
Sind durch die Tat bei dem "Stalking"-Opfer selbst die in § 397a Absatz 1 Nummer 3 StPO-E vorausgesetzten schweren körperlichen oder seelischen Schäden noch nicht eingetreten oder zu erwarten, so kann dem Verbrechensopfer ein Opferanwalt nach der vorgeschlagenen Fassung des § 397a Absatz 1 Nummer 4 StPO-E selbst dann nicht beigeordnet werden, wenn das Opfer noch keine 18 Jahre alt ist oder seine Interessen nicht selbst hinreichend wahrnehmen kann.
Denn die Fassung der Nummer 4, die den Schutz der minderjährigen Opfer und der Opfer, die ihre Interessen nicht ausreichend wahrnehmen können, bezweckt, ist ausdrücklich auf die Fälle des Vergehens gemäß § 238 Absatz 2 StGB beschränkt.
Die durch die fehlende Nennung von § 238 Absatz 3 StGB in Nummer 4 möglichen Wertungswidersprüche verdeutlicht etwa folgendes Beispiel:
Wird der Verlobte eines "Stalking"-Opfers durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder die Gefahr des Todes gebracht, so hat das "Stalking"-Opfer, das seine Interessen trotz Volljährigkeit selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann, ohne Weiteres einen Anspruch auf Beiordnung eines Opferanwalts. Stirbt der Verlobte, so ist dies nicht (mehr) der Fall. Denn dann müssen zusätzlich die von § 397a Absatz 1 Nummer 3 StPO-E vorausgesetzten Folgen bei dem "Stalking"-Opfer selbst eingetreten oder zu erwarten sein.
Diese Unstimmigkeiten sind zu beseitigen, indem der Fall des Verbrechens der Nachstellung sachgerecht den in Nummer 4 genannten Delikten gleichgestellt wird.
Die ausdrückliche Benennung des § 238 Absatz 2 StGB in Nummer 4 sollte nur der Abgrenzung zu den weniger schutzwürdig erscheinenden Fällen des Grunddelikts nach § 238 Absatz 1 StGB, nicht aber dem Ausschluss der besonders schutzwürdigen Verbrechensopfer nach § 238 Absatz 3 StGB dienen.
20. Zu Artikel 1 Nummer 24 ( § 397a Absatz 1 StPO)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die Systematik des § 397a Absatz 1 StPO-E, insbesondere der Nummern 3 und 4 verbessert werden kann.
Begründung
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung regelt in § 397a StPO-E, wann einem Nebenkläger auf Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand (sogenannter Opferanwalt) zu bestellen ist. Opfer bestimmter Delikte haben danach die Möglichkeit, ihre Interessen im Strafverfahren unabhängig von den wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe anwaltlich vertreten zu lassen.
Nach Nummer 1 besteht dieser Anspruch, wenn der Nebenkläger durch ein dort aufgezähltes Verbrechen verletzt worden ist. Nach Nummer 2 besteht der Anspruch, wenn der Nebenkläger durch ein versuchtes Tötungsdelikt verletzt worden ist bzw. für die Angehörigen eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten.
Die Ansprüche nach den Nummern 3 und 4 setzen neben dem Vorliegen bestimmter enumerativ aufgezählter Delikte noch zusätzlich einen schweren körperlichen oder seelischen Schaden voraus (Nummer 3) bzw. die Minderjährigkeit bei Antragstellung oder die Unfähigkeit, eigene Interessen ausreichend wahrnehmen zu können.
Diese Zusatzvoraussetzungen in Verbindung mit den jeweils enumerativ aufgezählten Delikten führen nicht immer zu sachgerechten Ergebnissen. Dies zeigen folgende Beispiele:
Während ein bei Antragstellung minderjähriges Opfer einer Misshandlung von Schutzbefohlenen ( § 225 StGB), einer schweren Nachstellung (§ 238 Absatz 2 StGB) oder einer "Zwangsehe" ( § 240 Absatz 4 StGB) gemäß § 397a Absatz 1 Nummer 4 StPO-E ohne Weiteres Anspruch auf einen Opferanwalt hat, ist dies nicht der Fall, wenn das Opfer zur Tatzeit zwar unter 18 Jahre alt war, aber nicht mehr bei Antragstellung, oder wenn das Opfer bereits bei Tatbegehung das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte. In dieser Konstellation hängt es vom Einzelfall ab. Lediglich dann, wenn im konkreten Fall das Gericht entscheidet, dass das Opfer seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann, kommt eine Bestellung eines Opferanwalts in Betracht.
Warum beispielsweise ein bei Antragstellung minderjähriges Opfer eines Menschenraubes ( § 234 StGB), eines erpresserischen Menschenraubes (§ 239a StGB), einer Geiselnahme (§ 239b StGB), eines (schweren) Raubes (§§ 249, 250 StGB), einer (schweren) räuberischen Erpressung (§§ 255, 250 StGB) oder eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316a StGB) dagegen zusätzlich schwere körperliche oder seelische Schäden aufweisen muss, damit ein Anspruch auf Bestellung eines Opferanwalts besteht, ist sachlich nicht nachzuvollziehen. Ein Unterschied vom Gewicht der Straftaten, der diese unterschiedliche Deliktsbehandlung rechtfertigt, lässt sich nicht erkennen. Vergleicht man die abstrakten Strafrahmen, so fällt vielmehr auf, dass die zuletzt genannten Delikte im Vergleich zu beispielsweise den §§ 225, 238 Absatz 2 und § 240 Absatz 4 StGB allesamt eine höhere Mindeststrafe vorsehen. Während die §§ 234, 239a, 239b, 249, 250, 255, 316a StGB eine Mindeststrafe von einem Jahr bzw. von fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsehen, sehen die §§ 225, 238 Absatz 2 und § 240 Absatz 4 StGB eine Mindeststrafe von drei bzw. sechs Monaten Freiheitsstrafe vor.
Aus diesem Grund sollte die Gesetzessystematik des § 397a Absatz 1 Nummer 3 und 4 StPO-E insoweit überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden.
21. Zu Artikel 1 Nummer 24a - neu - ( § 406 Absatz 2 StPO)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob im Rahmen von § 406 Absatz 2 StPO klargestellt werden kann, dass ein Angeklagter aufgrund eines abgegebenen Anerkenntnisses verurteilt werden darf, wenn es im Übrigen an einer strafrechtlichen Verurteilung fehlt.
Begründung
Gemäß § 406 Absatz 2 StPO ist im Adhäsionsverfahren ein Anerkenntnisurteil zulässig. Ungeklärt ist jedoch, ob aufgrund eines abgegebenen Anerkenntnisses der Angeklagte verurteilt werden darf, wenn es im Übrigen an einer strafrechtlichen Verurteilung fehlt. Dagegen spricht, dass nach § 406 Absatz 1 Satz 1 StPO eine Verurteilung nur im Fall eines Schuldspruchs in Betracht kommen soll und dass bei Aufhebung des Schuldspruchs in der Rechtsmittelinstanz auch der Ausspruch über den Adhäsionsantrag aufgehoben wird, selbst wenn das Urteil insoweit nicht angefochten wurde (vgl. § 406a Absatz 3 Satz 2 StPO). Dafür könnte sprechen, dass der das Anerkenntnis regelnde § 406 Absatz 2 StPO eine § 406 Absatz 1 Satz 1 StPO entsprechende Einschränkung gerade nicht enthält und damit als Spezialvorschrift vorgeht. Eindeutig ist die Gesetzeslage nicht. Sie könnte im Rahmen der Reform geklärt werden. Im Sinne des Schutzes des Opfers, dem ein Klageweg vor den Zivilgerichten erspart werden kann, wäre eine ausdrückliche Regelung vorzuziehen, nach der ein Angeklagter gemäß seinem Anerkenntnis zu verurteilen ist, wenn er den vom Antragsteller gegen ihn geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise anerkannt hat, auch wenn das strafrechtliche Verfahren gegen ihn eingestellt oder er freigesprochen werden sollte.
Zu denken wäre an eine Formulierung wie "Erkennt der Angeklagte den vom Antragsteller gegen ihn geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise an, ist er gemäß seinem Anerkenntnis zu verurteilen, auch wenn das Verfahren gegen ihn eingestellt oder er freigesprochen wird."
22. Zu Artikel 1 Nummer 26 Buchstabe a (§ 406e Absatz 2 Satz 3 StPO)
Artikel 1 Nummer 26 Buchstabe a ist zu streichen.
Begründung
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Formulierung in § 406 Absatz 2 lässt unberücksichtigt, dass es auch nach Abschluss der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft zu Situationen kommen kann, in denen die Gewährung von Akteneinsicht den Untersuchungszweck gefährden könnte, wie zum Beispiel bei anstehenden Durchsuchungen und Festnahmen. Überwiegend schutzwürdige Interessen anderer Personen an der Versagung der Akteneinsicht werden auch durch den Abschluss der Ermittlungen nicht beseitigt. In diesen Fällen muss weiterhin die Möglichkeit bestehen, die Einsichtnahme in die Akten zu versagen, was nach der im Gesetzentwurf vorgesehenen Formulierung nicht zulässig wäre.
23. Zu Artikel 1 Nummer 26 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb (§ 406e Absatz 4 Satz 4 StPO)
Nummer 31 Buchstabe b (§ 478 Absatz 3 Satz 3 StPO)
In Artikel 1 Nummer 26 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb § 406e Absatz 4 Satz 4 und Artikel 1 Nummer 31 Buchstabe b § 478 Absatz 3 Satz 3 sind jeweils die Wörter ", solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind" zu streichen.
Begründung
Die bisherigen Regelungen des § 406e Absatz 4 Satz 3 bzw. des § 478 Absatz 3 Satz 2 StPO, nach der die Entscheidung des Gerichts generell unanfechtbar ist, sollten beibehalten werden.
Soweit die Begründung des Gesetzentwurfs darauf abstellt, dass ein Gleichklang mit der Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft hergestellt werden muss, überzeugt dies nicht. Anders als bei der Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft steht Artikel 19 Absatz 4 GG dem nicht entgegen, denn diese Vorschrift garantiert den Rechtsweg, nicht einen Rechtsmittelzug. Es ist kein zwingender sachlicher Grund ersichtlich, warum die Entscheidung des Gerichts über die Versagung der Akteneinsicht in gewissen Fällen anfechtbar sein müsste. Nicht nur unter Beachtung des Beschleunigungsgebotes in Strafsachen bedeutet die Einlegung der Beschwerde des Geschädigten einen erheblichen Mehraufwand, welcher sachlich nicht gerechtfertigt erscheint.
24. Zu Artikel 2 Nummer 3a - neu - (§ 143 Absatz 1 GVG)
In Artikel 2 ist nach Nummer 3 folgende Nummer 3a einzufügen:
- "3a. § 143 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:
"(1) Die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bestimmt sich nach der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts, bei dem sie besteht. Fehlt es im Geltungsbereich dieses Gesetzes an einem zuständigen Gericht oder ist dieses nicht ermittelt, ist die zuerst mit der Sache befasste Staatsanwaltschaft zuständig. Ergibt sich im Fall des Satzes 2 die Zuständigkeit eines Gerichts, ist das Verfahren an die nach Satz 1 zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben, sobald der Verfahrensstand dies zulässt." "
Begründung
Durch die Neufassung des § 143 Absatz 1 GVG wird insbesondere in Fällen von im Ausland begangenen Straftaten eine klare und effektive Bestimmung der für die Verfahrensbearbeitung zuständigen nationalen Staatsanwaltschaft ermöglicht.
Zu § 143 Absatz 1 Satz 1 GVG-E:
Es erfolgt lediglich eine redaktionelle Änderung, nach der für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit die Staatsanwaltschaft selbst und nicht wie bisher ihre Beamten in Bezug genommen wird. Dieser zeitgerechter erscheinende Ansatz wurde bereits in dem im Jahr 2000 angefügten § 143 Absatz 5 GVG gewählt.
Zu § 143 Absatz 1 Satz 1 GVG-E:
Nach der geltenden Fassung des § 143 Absatz 1 GVG ist die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften abhängig von der Zuständigkeit eines Gerichts. Fehlt es im Geltungsbereich dieses Gesetzes an einem zuständigen Gericht oder ist ein solches nicht ermittelt, ist derzeit nicht gesetzlich bestimmt, welche Staatsanwaltschaft für die Bearbeitung von Strafanzeigen zuständig ist. Erst wenn der Bundesgerichtshof gemäß § 13a StPO ein zuständiges Gericht bestimmt hat oder ein solches nach den §§ 7 bis 13 StPO nachträglich ermittelt werden konnte, greift die Zuständigkeitsbestimmung des § 143 Absatz 1 GVG ein. Dadurch bestehen in diversen Fallkonstellationen Lücken, die zu Unsicherheiten bei der Bestimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft und damit auch zu Kompetenzkonflikten und Verfahrensverzögerungen führen können. Diese Lücken werden durch den vorgeschlagenen Satz 2 sachgerecht dadurch geschlossen, dass in derartigen Fällen zukünftig diejenige Staatsanwaltschaft die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen hat, die zuerst mit der Sache befasst wurde. Dies dürfte in weiten Teilen der schon bisher geübten Praxis entsprechen, für die nunmehr jedoch eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird. Hinweise auf örtlich nicht zuzuordnende Straftaten, die zuerst der Polizei oder dem Amtsgericht bekannt werden, sollten dabei - wie dies ebenfalls bereits die Regel sein dürfte - von diesen Stellen an die für sie zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden.
Damit kann nun insbesondere in den folgenden Fällen eine zuständige Staatsanwaltschaft unproblematisch bestimmt werden:
Die Neuregelung erfasst zunächst die bisher nicht geregelten Verfahren, in denen eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Bundesgerichtshof nach § 13a StPO ausscheidet, weil die Tat nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt und es deshalb an einem für die Durchführung eines strafgerichtlichen Verfahrens zuständigen deutschen Gericht dauerhaft fehlt. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs z.B. der Fall, wenn sich der Tatvorwurf auf Personen bezieht, die nach den §§ 18 bis 20 GVG als Exterritoriale von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1984 - 2 ARs 252/84 -, BGHSt 33, 97, 98) oder wenn für eine im Ausland begangene Tat das deutsche Strafrecht nicht gilt (vgl. BGH Beschluss vom 18. April 2007 - 2 ARs 32/07 -, NStZ 2007, 534, 535). Wurde im letztgenannten Fall die Tat in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen und durch sie eine Person verletzt, die im Bundesgebiet wohnhaft ist, soll nunmehr in § 158 Absatz 3 StPO-E geregelt werden, dass die Staatsanwaltschaft eine bei den hiesigen Strafverfolgungsbehörden erstattete Anzeige unter den dort bezeichneten Voraussetzungen an die für die Strafverfolgung zuständige Stelle des anderen Mitgliedstaats zu übermitteln hat. Die insoweit örtlich zuständige nationale Staatsanwaltschaft kann dann durch den vorgeschlagenen Satz 2 bestimmt werden.
Zudem erfasst die Neuregelung Verfahren, in denen der Verfahrensabschluss die Einbindung eines Gerichts nicht erfordert und in denen deshalb die Bestimmung eines zuständigen Gerichts durch den Bundesgerichtshof ein äußerst aufwändiger und im Ergebnis nicht gewinnbringender Formalismus wäre. Dies betrifft vor allem im Ausland begangene Taten, auf die das deutsche Strafrecht zwar anwendbar ist, für die sich aus den §§ 7 bis 13 StPO jedoch kein Gerichtsstand ergibt, und bei denen die Staatsanwaltschaft z.B. von deren Verfolgung gemäß § 153c Absatz 1 Nummer 1 StPO absieht oder das Verfahren gemäß § 170 Absatz 2 StPO einstellt. Ein insoweit sehr häufig auftretendes Beispiel ist eine im Ausland begangene Tat, durch die ein Deutscher verletzt wurde, bei der es jedoch keine Hinweise darauf gibt, dass sich der Täter im Bundesgebiet aufhält oder aufgehalten hat.
Die vorgeschlagene Neuregelung trägt dabei vor allem auch dazu bei, dass die Staatsanwaltschaften bei Hinweisen auf Straftaten stets zeitnah und effektiv tätig werden können. Gerade im Ermittlungsverfahren ist nicht selten ein sofortiges Handeln geboten, um einen sonst drohenden Beweismittelverlust zu verhindern. Es muss daher jederzeit eine leicht feststellbare Staatsanwaltschaft in der Lage sein, Ermittlungshandlungen selbst durchzuführen, zu veranlassen oder bei Gericht zu beantragen. Die in § 143 Absatz 2 GVG geregelte Notzuständigkeit reicht hierzu nicht aus, weil sie nur solche Amtshandlungen eines unzuständigen Beamten der Staatsanwaltschaft erfasst, die innerhalb seines Bezirks vorzunehmen sind.
Zu § 143 Absatz 1 Satz 3 GVG-E:
Ergibt sich in den Fällen, in denen eine Staatsanwaltschaft nach Satz 2 zuständig geworden ist, im Nachhinein die Zuständigkeit eines Gerichts, so erscheint es sachgerecht, dass die weitere Bearbeitung des Verfahrens entsprechend dem allgemeinen Grundsatz des vorgeschlagenen § 143 Absatz 1 Satz 1 GVG-E von der Staatsanwaltschaft übernommen wird, in deren Bezirk das für das Verfahren zuständige Gericht gelegen ist. Deshalb wird durch den neuen Satz 3 bestimmt, dass die nach Satz 2 zuständig gewordene Staatsanwaltschaft das Verfahren an die nach § 143 Absatz 1 Satz 1 GVG-E zuständige Staatsanwaltschaft abgibt. Dabei wird jedoch durch die Formulierung "sobald der Verfahrensstand dies zulässt" verdeutlicht, dass die Zuständigkeit der nach Satz 2 tätig gewordenen Staatsanwaltschaft nicht automatisch in dem Zeitpunkt endet, in dem ein zuständiges Gericht ermittelt oder bestimmt worden ist, sondern noch so lange weiterbesteht, bis eine Verfahrensabgabe ohne zu befürchtenden Beweismittelverlust erfolgen kann. Die nach Satz 2 zuständig gewordene Staatsanwaltschaft ergreift daher noch alle Maßnahmen, die keinen Aufschub dulden.
25. Zu Artikel 4 Nummer 2 (§ 53 Absatz 3 Satz 1 RVG)
In Artikel 4 Nummer 2 § 53 Absatz 3 Satz 1 sind nach dem Wort "Vergütungsvereinbarung" die Wörter "gegen den Nebenkläger, den nebenklageberechtigten Verletzten oder den Zeugen" einzufügen.
Begründung
Nach § 53 Absatz 2 Satz 1 RVG kann der dem Nebenkläger oder dem nebenklageberechtigten Verletzten und künftig auch dem Zeugen als Beistand bestellte Rechtsanwalt die Gebühren eines gewählten Beistands nur von dem Verurteilten erlangen. § 53 Absatz 3 RVG-E macht hiervon eine Ausnahme: Der bestellte Beistand soll unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche aus einer Vergütungsvereinbarung auch gegenüber dem Nebenkläger, dem nebenklageberechtigten Verletzten oder dem Zeugen geltend machen dürfen.
Mit dem Änderungsvorschlag soll klargestellt werden, dass sich die Regelung auf die Durchsetzung von Ansprüchen aus einer Vergütungsvereinbarung gegen den Nebenkläger, den nebenklageberechtigten Verletzten oder den Zeugen bezieht. Ohne die Ergänzung könnte der unzutreffende und nicht gewollte Eindruck erweckt werden, der zum Beistand bestellte Rechtsanwalt könnte Ansprüche aus einer (mit dem Nebenkläger, den nebenklageberechtigten Verletzten oder den Zeugen abgeschlossenen) Vergütungsvereinbarung gegen den Verurteilten oder die Staatskasse geltend machen.
B.
- 26. Der Ausschuss für Frauen und Jugend empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.