Land Brandenburg Potsdam, 24. April 2018
Der Ministerpräsident
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller
Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Landesregierungen von Brandenburg und Niedersachsen haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates für eine Modernisierung und Erweiterung der EU-Regelungen für Notbremsassistenten und Abstandswarner in schweren Nutzfahrzeugen zuzuleiten.
Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 967. Sitzung des Bundesrates am 27. April 2018 zu setzen und sodann den Ausschüssen zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dietmar Woidke
Entschließung des Bundesrates für eine Modernisierung und Erweiterung der EU-Regelungen für Notbremsassistenten und Abstandswarner in schweren Nutzfahrzeugen
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,
gegenüber der Kommission eine Anpassung der Verordnungen (EG) Nr. 661/2009
und (EU) Nr. 347/2012
in folgenden Punkten einzufordern:
- 1. Wegen des hohen Anteils von Auffahrunfällen durch schwere Nutzfahrzeuge besonders auf Bundesautobahnen und der schweren Folgen müssen die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Notbrems-Assistenzsysteme für solche Situationen erhöht werden. Auffahrkollisionen müssen nicht nur bei bewegten, sondern auch bei stehenden Vorausfahrzeugen möglichst vermieden bzw. die Kollisionsgeschwindigkeit deutlich reduziert werden.
- 2. Die Notbrems-Assistenzsystem (Advanced Emergency Breaking System - (AEBS))-Funktion soll permanent verfügbar sein. Ein manuelles "Ausschalten" durch Fahrzeugführende soll grundsätzlich technisch nicht mehr möglich und verhaltensrechtlich nicht zulässig sein. Nach einer situationsbedingten kurzzeitigen Unterbrechung soll eine automatische Wiedereinschaltung das System erneut aktivieren.
- 3. Für die weiterhin notwendige Übersteuerbarkeit der AEBS-Bremsfunktionen sollten nur bewusste Fahrer-Aktionen, wie zum Beispiel Lenk- oder Bremsaktionen, zulässig sein. Sie sollten nicht versehentlich ausgelöst werden können.
- 4. Um einerseits Fehlwarnungen weiter zu verringern, aber andererseits bei kollisionsrelevanten Fahrsituationen Fahrzeugführende möglichst zuverlässig warnen zu können, ist die Identifikation kollisionsrelevanter Fahrzeuge weiter zu verbessern. Es sollten auch kleinere Fahrzeuge inklusive Motorräder erkannt werden und dies sollte bei Bedarf zu AEBS-Warnungen und Notbremsungen führen. Demensprechend ist die Verordnung (EU) Nr. 347/2012
anzupassen.
- 5. Um Fahrzeugführenden in kritischen Fahrsituationen die Möglichkeit zu geben, eine drohende Auffahrkollision mit bewussten Aktionen selbst zu beherrschen, ist die Kollisionswarnung um eine zeitlich vorgelagerte Abstandsinformation (Abstandswarnung) zu ergänzen.
Begründung:
Der Bundesrat hatte in seinem Beschluss 676/16 (PDF) die Bundesregierung erstmalig aufgefordert, bei der Kommission eine Anpassung der Verordnungen (EG) Nr. 661/2009
und (EU) Nr. 347/2012
mit dem Ziel einzufordern, ein dauerhaftes Ausschalten von Notbremssystemen in schweren Nutzfahrzeugen auszuschließen und so Auffahrkollisionen nicht nur bei bewegten, sondern auch bei stehenden Vorausfahrzeugen (Stauende) zu vermeiden.
Die Bundesregierung hatte in ihrer Stellungnahme vom 16.12.2016 ausgeführt:
"Derzeit liegen der Bundesregierung jedoch keine belastbaren Erkenntnisse vor, die eine Anpassung der technischen Anforderung an Notbremsassistenzsysteme in den harmonisierten internationalen Regelwerken stützen."
Mehrere schwere Auffahrunfälle von Lkw und Reisebussen auf deutschen Autobahnen seitdem, bei denen viele Tote und Schwerverletzte zu beklagen waren, erfordern eine Neubewertung durch die Bundesregierung 0(7/2017: A9, Bus; 1/2018: A2, Lkw; 2/2018: A3, Bus und Lkw, A5, Lkw).
Unfallursache ist dabei oft, dass stehende oder langsam fahrende Vorausfahrzeuge am Stauende zu spät - aufgrund von Ablenkung oder Unachtsamkeit - wahrgenommen werden. Um diese Unfälle zu vermeiden bzw. deren Folgen zu vermindern, müssen alle vorhandenen technischen Möglichkeiten eingesetzt werden. Wie Praxistests gezeigt haben (ADAC 2017), ist die Deaktivierung von Notbremsassistenten unnötig und nicht sinnvoll. Es fehlt aktuell weniger an der verfügbaren Technik als mehr an den verbindlichen und verpflichtenden rechtlichen Vorgaben, diese Technik möglichst optimal einzusetzen. Dazu ist die dauerhafte manuelle Deaktivierung des Notbremsassistenten durch eine automatische Reaktivierung nach kurzer Zeit (oder wenigen Sekunden) auszuschließen.
Die gesetzlichen Anforderungen an das Notbremssystem von schweren Nutzfahrzeugen liegen mittlerweile sehr weit unter den technischen Möglichkeiten. Daher müssen die rechtlichen Vorgaben der EU entsprechend angepasst werden. Aus Sicht der Länder ist dabei keine Zeit zu verlieren, es bedarf nicht einer weiteren vertieften technischen Untersuchung im Rahmen eines Forschungsprojektes. Auf nationaler Ebene muss zusätzlich eine Verhaltensvorschrift eingeführt werden, dass ein Abschalten des Notbrems-Assistenzsystems unzulässig ist.