2. Der Bundesrat stellt fest, dass die Bundesregierung die Zuspitzung in den Lebenslagen vieler Kinder und Familien unzureichend gewichtet.
Dies bezieht sich insbesondere auf die Ergebnisse des Zweiten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung, dem ein besorgniserregender Anstieg der Kinderarmut in Deutschland zu entnehmen ist. Im Nationalen Aktionsplan wird der Zusammenhang zwischen dem Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Zuspitzung von Lebenslagen von Kindern und Familien weitgehend ausgeblendet. Nicht erwähnt wird ebenso, dass insbesondere die Situation Alleinerziehender sich durch diese Entwicklung deutlich verschärft hat.
Ebenso verschweigt der Bund bei der Hervorhebung der zusätzlichen Transferleistungen für Familien, dass sich dadurch die Finanzsituation vieler Familien nicht verbessert hat, da andere Belastungen erheblich angestiegen sind. So wird beispielsweise eine Familie mit mehreren Kindern durch die Ökosteuer zwangsläufig wesentlich höher belastet als Haushalte ohne Kinder.
Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist die zunehmende Isolation der Lebenssituation vieler Familien, die von sich aus häufig keine Institution der Jugendhilfe und des Gesundheitsdienstes aufsuchen. So ist 2004 die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen wieder erheblich zurückgegangen.
Vor diesem Hintergrund teilt der Bundesrat die Zielsetzung des Bundes, die niedrigschwelligen familienfördernden Angebote vor Ort auszubauen. Der Bund bietet in seinem Aktionsplan und Maßnahmenkatalog jedoch keine konkreten Hilfestellungen an, um diese Ziele zu erreichen.
Der Bundesrat stellt fest, dass die im Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland von der Bundesregierung gemachten Vorschläge zum Kinder- und Jugendhilferecht bloße Absichtserklärungen ohne finanzielle Auswirkungen für den eigenen Haushalt darstellen.
Im Gegensatz zu den Absichtserklärungen der Bundesregierung stehen die vom Bundesrat eingebrachten Änderungsvorschläge zum Kinder- und Jugendhilferecht. Sie beinhalten nicht nur die Zurückgewinnung finanzpolitischer Gestaltungsspielräume für eine aktive Kinder- und
Familienpolitik, sondern auch Regelungen zur Verbesserung des Kinderschutzes und zum Umgang mit Kindeswohlgefährdungen.
Auch hier hat der Bund bisher nicht auf Vorschläge der Länder reagiert. Vielmehr hat der Bund sich entschlossen, mit der Abtrennung des Tagesbetreuungsausbaugesetzes (TAG) von dem zustimmungspflichtigen Gesetzesteil zum SGB VIII die Länder vom Entscheidungsprozess auszugrenzen. Die im Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland hervorgehobene Gemeinsamkeit des Handelns von Bund, Ländern und Gemeinden stellt bisher ein bloßes Lippenbekenntnis dar, während im politischen Alltag vom Bund eine Politik der zentralistischen und beratungsresistenten Vorgabenpolitik verfolgt wird.
Der Bundesrat fordert deshalb die Bundesregierung auf, den zweiten Teil eines Gesetzes zur Reform des Kinder- und Jugendhilferechts einzubringen und die zahlreichen Anträge des Bundesrates aufzugreifen, damit der Umgang mit Kindeswohlgefährdungen zukünftig besser und zielgerichteter erfolgen kann.
Den Vorschlag der Länder, das Ziel der Integration auch im Kinder- und Jugendhilferecht zu verankern, hat die Bundesregierung bisher nur unzureichend aufgenommen. Außerdem fehlen weiterhin die Voraussetzungen, die Betriebserlaubnis für Einrichtungen abzulehnen, die eindeutig das Ziel haben, das Aufwachsen muslimischer Kinder in Deutschland in internatsmäßigen Einrichtungen als Gegengesellschaft zu etablieren. Ebenso müssen die Vorschläge der Länder zur Entbürokratisierung und angemessenen Eigenbeteiligung Betroffener aufgegriffen werden, um die Gestaltbarkeit der für die Jugendhilfe zur Verfügung stehenden Mittel für die Kommunen zu erhöhen und damit dringend notwendige Umbauprogramme im Bereich niedrigschwelliger Familienangebote fördern zu können.