954. Sitzung des Bundesrates am 10. März 2017
Der federführende Verkehrsausschuss (Vk), der Finanzausschuss (Fz) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
Zum Gesetzentwurf allgemein
- 1. Der Bundesrat lehnt den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Infrastrukturabgabengesetzes ab.
- 2. Die Infrastrukturabgabe baut Schranken zwischen Deutschland und seinen europäischen Nachbarn auf. Leidtragende sind insbesondere Grenzregionen, in denen heute vielfältige Handels- und Alltagsbeziehungen die europäische Idee mit Leben füllen. Die Einführung der Infrastrukturabgabe ist und bleibt auch mit den Änderungen des vorliegenden Gesetzes eine Belastung für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und gefährdet bisherige Erfolge der europäischen Integration.
- 3. Die Ausgestaltung der Infrastrukturabgabe in Form von zeitabhängigen Vignetten ist aus Sicht des Bundesrates für die verfolgte Ausweitung der Nutzerfinanzierung ungeeignet, da die Vignetten nutzungsunabhängig und damit nicht entfernungsabhängig vorgesehen sind. Überdies kann die Infrastrukturabgabe ohne Bezug zur Fahrleistung nicht die notwendige Lenkungswirkung zu umweltverträglichem Verhalten entfalten.
- 4. Für den Bundesrat ist die von der Bundesregierung in der Begründung angeführte stärkere Orientierung der Infrastrukturabgabe an den EU-Rechtsrahmen für Straßenbenutzungsgebühren für schwere Lkw nicht nachvollziehbar. Vielmehr würde im Kontext zum Bundesfernstraßenmautgesetz, wonach die Lkw-Maut für Fahrzeuge im Güterkraftverkehr ab 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht zu entrichten ist, mit der Infrastrukturabgabe eine Bemautungslücke für Lkw bis 7,5 Tonnen sowie für Kraftomnibusse entstehen, die kontraproduktiv und verkehrspolitisch nicht begründbar ist. Dies betrifft eine Größenordnung von circa 2,3 Millionen Fahrzeugen, die weder über das Bundesfernstraßenmautgesetz noch über das Infrastrukturabgabengesetz bemautet würden. Dagegen lässt der EU-Rechtsrahmen die Bemautung von Lkw ab 3,5 Tonnen ausdrücklich zu.
- 5. Für die Einführung der Infrastrukturabgabe werden hohe Anlaufkosten erwartet. Es treten einmalige Implementierungskosten für den Aufbau des Vignettensystems und die Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuerbescheide auf. Hinzukommen jährlich laufende System- und Verwaltungskosten. Die Gesamtsumme muss aus den Mauteinnahmen gedeckt werden. Die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geplanten Änderungen bei der Preisstaffelung für Kurzzeitvignetten und die mit dem Zweiten Verkehrssteueränderungsgesetz geplanten Anpassungen der Steuerentlastungsbeträge im Kraftfahrzeugsteuergesetz sollen in Umsetzung der Einigung zwischen der Bundesregierung und der Kommission vom 1. Dezember 2016 Euro 6 Pkw gegenüber den ursprünglichen Plänen entlasten. Da der Anteil von Euro 6 Pkw zukünftig deutlich zunehmen wird, ist in den Folgejahren von einem erheblichen Rückgang der Einnahmen auszugehen. Es wird bezweifelt, dass die voraussichtlichen Mauteinnahmen die Ausgaben noch decken können.
6. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat teilt grundsätzlich das Ziel einer nachhaltigen Ausgestaltung der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung. Aufgrund der Bedenken des Nationalen Normenkontrollrates sowie des Bundesrechnungshofes sieht der Bundesrat das Missverhältnis zwischen dem anfallenden Erfüllungsaufwand und den zu erwartenden Einnahmen mit großer Sorge. Verschiedene Gutachten kommen zu dem Ergebnis, dass sich dieses Missverhältnis durch die Anpassungen im vorliegenden Gesetzentwurf noch verschärft.
Der Bundesrat bedauert, dass die Bundesregierung bisher keine nachvollziehbaren und soliden Berechnungen für die zu erwartenden Einnahmen aus der PKW-Maut sowie den Ausgaben für die Implementierung und den Betrieb des Maut-Konzeptes vorgelegt hat. Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren nunmehr ausreichend valide Berechnungen vorzulegen.
- 7. Der Bundesrat teilt die Bedenken des Nationalen Normenkontrollrates sowie die des Bundesrechnungshofes hinsichtlich des Missverhältnisses zwischen dem anfallenden Erfüllungsaufwand und den zu erwartenden Einnahmen.
- 8. Die Infrastrukturabgabe bleibt deshalb auch mit den geplanten Änderungen unverhältnismäßig und mit einem nicht vertretbaren Bürokratieaufwand verbunden.
- 9. Für den Bundesrat ist auch nach der Einigung der Bundesregierung mit der Kommission vom 1. Dezember 2016 nicht auszuschließen, dass die Regelungen zur Infrastrukturabgabe eine mittelbare Diskriminierung von nicht in Deutschland Kfzsteuerpflichtigen Fahrzeughaltern aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellen können. Ein aktuelles Gutachten der Europaabteilung des Deutschen Bundestages zur "Vereinbarkeit des Infrastrukturabgabengesetzes und des Zweiten Verkehrssteueränderungsgesetzes in der Fassung der von der Bundesregierung beschlossenen Änderungsgesetze mit dem Unionsrecht" vom 6. Februar 2017 belegt, dass fortgesetzt europarechtliche Bedenken bestehen. Der Bundesrat sieht daher nach wie vor die Gefahr, dass in einem erneuten EU-Vertragsverletzungsverfahren oder in einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof die mit dem Verkehrssteueränderungsgesetz beabsichtigte Kompensation inländischer Kfz-Halterinnen und Halter für rechtswidrig erklärt wird.
- 10. Der Bundesrat wiederholt seine Bedenken hinsichtlich wirtschaftlich sehr nachteiliger Auswirkungen auf grenznahe Regionen und die dort ansässigen Unternehmen.
- 11. Das vorliegende Änderungsgesetz berücksichtigt nicht, dass infolge der Einführung der Infrastrukturabgabe erhebliche wirtschaftlich nachteilige Auswirkungen auf grenznahe Unternehmen zu befürchten sind. Zwar sollen im Ausland zugelassene Fahrzeuge nur auf den Bundesautobahnen mautpflichtig sein. Damit wird aber der Tatsache nicht Rechnung getragen, dass viele grenznahe deutsche Kommunen aus dem Ausland nur im Autobahnnetz günstig erreichbar sind. Die Abgabepflicht auf diesen Autobahnen, insbesondere der verhältnismäßig hohe Preis für Kurzzeitvignetten, wird einen erheblichen Teil der europäischen Nachbarn davon abhalten, grenznahe Unternehmen beispielsweise des Einzelhandels und des Gastgewerbes aufzusuchen. Auch besteht die Gefahr, dass durch Ausweichverkehre in den grenznahen Regionen eine erhebliche Mehrbelastung der nachgeordneten Bundes-, Landes- und Kreisstraßennetze entsteht.
- 12. Darüber hinaus konterkariert die Infrastrukturabgabe die bisherigen Erfolge in der grenznachbarschaftlichen Zusammenarbeit und baut dort, wo die Schranken einst gefallen sind, neue Hürden. Der Bundesrat sieht darin die Gefahr, bestehende, kulturell zusammengewachsene und -gehörende Regionen wieder stärker zu zerschneiden.
- 13. Der Bundesrat hält daher eine Regelung, mit der in den Grenzregionen bestimmte Autobahnabschnitte von der Abgabenpflicht freigestellt werden können, für zwingend erforderlich.
- 14. Der Bundesrat äußert große Sorge vor der politischen Signalwirkung, die im Ausland mit der Erhebung einer Infrastrukturabgabe ausschließlich für ausländische Kfz-Halterinnen und Halter verbunden sein wird. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass vor dem Hintergrund der angekündigten Klagen europäischer Nachbarländer sowie mit Blick auf die derzeit wachsende politische Fragilität beim Zusammenhalt der Europäischen Union dieses Signal nicht mit den Grundgedanken und Zielen der europäischen Einigung vereinbar ist.
15. Zu Artikel 1 Eingangssatz, Nummer 1 und 2 - neu - (§ 2 Absatz 3)
Artikel 1 ist wie folgt zu fassen:
'Artikel 1
Das Infrastrukturabgabengesetz vom 8. Juni 2015 (BGBl. I S. 904) wird wie folgt geändert:
1. Nach § 2 Absatz 3 wird folgender Absatz eingefügt:
"3a. Die Bundesregierung wird ermächtigt, auf Antrag eines Landes durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates auf die Entrichtung der Infrastrukturabgaben auf genau bezeichneten Abschnitten von Bundesfernstraßen im Sinne von § 1 Absatz 2 Nummer 1 des Bundesfernstraßengesetzes (Bundesautobahnen) zu verzichten, wenn dies zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen auf grenznahe Unternehmen gerechtfertigt ist."
2. Die Anlage (zu § 8) wird in Absatz 1 wie folgt geändert:
Begründung:
Infolge der Einführung der Infrastrukturabgabe sind erhebliche nachteilige wirtschaftliche Auswirkungen auf grenznahe Unternehmen zu befürchten.
Zwar sieht das Gesetz vor, dass im Ausland zugelassene Fahrzeuge nur auf den Bundesautobahnen mautpflichtig sind.
Damit wird aber der Tatsache nicht Rechnung getragen, dass viele grenznahe deutsche Kommunen aus dem Ausland nur im Autobahnnetz gut erreichbar sind. Die Abgabepflicht auf diesen Autobahnen wird viele ausländische Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, grenznahe Unternehmen beispielsweise des Einzelhandels und des Gastgewerbes aufzusuchen.
Es ist daher zwingend eine Regelung erforderlich, die es ermöglicht, bestimmte Autobahnabschnitte von der Abgabenpflicht freizustellen, wenn dies zur Vermeidung nachteiliger Auswirkungen auf Unternehmen in Grenzregionen gerechtfertigt ist.
* von Vk als Hilfsempfehlung zu Ziffer 1 beschlossen