831. Sitzung des Bundesrates am 9. März 2007
A.
Der federführende Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 4 (§ 1 Abs. 1 Gesetz zur Bereinigung des Besatzungsrechts)
In Artikel 4 § 1 Abs. 1 sind die Wörter "zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Regelungsgebiete betrafen, die den Artikeln 73, 74 und 75 des Grundgesetzes zuzuordnen waren" durch die Wörter "Regelungsgebiete betreffen, die den Artikeln 73 und 74 des Grundgesetzes zuzuordnen sind" zu ersetzen.
Begründung
Der Entwurf geht im Grundsatz von der zu billigenden Annahme aus, dass der Bund dasjenige Besatzungsrecht aufheben darf, das seinen Kompetenztiteln des Grundgesetzes zuzuordnen wäre, wenn es sich um deutsches Recht handelte (vgl. BR-Drs. 063/07 (PDF) , S. 45 ff.). Mit der Formulierung, dass die besatzungsrechtlichen Vorschriften "zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Regelungsgebiete betrafen, die den Artikeln 73, 74 und 75 des Grundgesetzes zuzuordnen waren", wird allerdings ohne nachvollziehbare Begründung auf eine historische Kompetenzlage abgestellt. Eine jetzt vom Bund in Anspruch genommene Aufhebungskompetenz kann sich aber nur nach dem aktuellen Umfang seiner Gesetzgebungskompetenzen bestimmen. Die geänderte Fassung des letzten Satzteils bringt dies zum Ausdruck und berücksichtigt zugleich den Wegfall der Rahmenkompetenz des Bundes nach dem bisherigen Artikel 75 GG.
2. Zu Artikel 5 ( § 3 Abs. 2 BVerfGG)
In Artikel 5 sind nach dem Wort "haben" die Wörter "und nach Maßgabe des Einigungsvertrags einen gesetzlich geregelten juristischen Beruf aufnehmen dürfen" einzufügen.
Begründung
Die bisher im Einigungsvertrag Anlage I Kapitel III Sachgebiet F Abschnitt III Buchstabe a enthaltene Maßgaberegelung, dass auch Juristen zu Richtern des Bundesverfassungsgerichts gewählt werden dürfen, die im Beitrittsgebiet als Diplomjuristen tätig waren, soll als Dauerrecht in § 3 Abs. 2 BVerfGG aufgenommen werden, da entsprechende Anwendungsfälle noch auf Jahrzehnte hinaus denkbar sind.
Die Regelung ist im Grunde zu begrüßen.
Schon die ursprüngliche Regelung des Einigungsvertrags hat jedoch keine deutliche Vorsorge getroffen, dass Diplomjuristen, die ihr Diplom an der Juristischen Hochschule Potsdam-Eiche oder einer vergleichbaren Einrichtung erworben haben, hiervon ausgeschlossen bleiben müssten.
Die Juristische Hochschule Potsdam-Eiche war die Hochschule des MfS und hatte die Aufgabe, den juristischen Nachwuchs des Staatssicherheitsdienstes zu schulen. Diese Ausbildung, in der für ein rechtswissenschaftliches Studium grundlegende Gebiete wie das Zivilrecht nur eine untergeordnete Rolle spielten, war nur dem Namen, nicht aber dem Inhalt nach ein juristisches Studium. Aus diesem Grunde ist gemäß Einigungsvertrag Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe y Doppelbuchstabe ee, ff, gg, hh und jj dort erworbenen juristischen Diplomen jegliche Anerkennung für die Ausübung juristischer Berufe versagt worden. Demgegenüber sehen weder die bisherige Regelung des Einigungsvertrags Anlage I Kapitel III Sachgebiet F Abschnitt III Buchstabe a noch die bisherige Fassung des Artikels 5 des Gesetzentwurfs für Bundesverfassungsrichter eine solche Einschränkung ausdrücklich vor. Daher sollte nunmehr in § 3 Abs. 2 BVerfGG für eine klare Regelung gesorgt werden.
3. Zu Artikel 16
In Artikel 16 sind nach dem Wort "wird" die Wörter "als Bundesrecht" einzufügen.
Begründung
Nach Artikel 16 des Gesetzentwurfs soll die Verordnung zur Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten (2331-9) - ohne Einschränkungen - aufgehoben werden. Aufgehoben werden soll demnach auch Artikel 4 dieser Verordnung, wonach § 29 des Reichssiedlungsgesetzes auf die Bereitstellung von Kleingärten entsprechende Anwendung findet. § 29 Reichssiedlungsgesetz regelt die Befreiung von "allen Gebühren, ... Steuern des Reichs, der Bundesstaaten und sonstigen öffentlichen Körperschaften". Im Ergebnis bedeutet die entsprechende Anwendung dieser Regelung eine Befreiung von Gebühren und Steuern auch der Länder, um die Bereitschaft zu fördern, Kleingärten zur Verfügung zu stellen.
Soweit Gebühren und Steuern der Länder betroffen sind, sind § 29 Reichssiedlungsgesetz und Artikel 4 der Verordnung zur Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten nach Artikel 125 GG (auch) Landesrecht. Dies kommt auch in der Aufnahme dieser Vorschriften in die entsprechenden Rechtssammlungen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene zum Ausdruck.
Die vollständige Aufhebung der Verordnung zur Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten nach Artikel 16 des Gesetzentwurfs berücksichtigt diese Rechtslage nicht. Dabei handelt es sich möglicherweise um ein Versehen, da die Begründung des Gesetzentwurfs eingehend die Vermengung von Bundes- und Landesrecht in einer Reihe von betroffenen Vorschriften behandelt und mit der zum Teil vorgesehenen Aufhebung ausdrücklich (nur) "als Bundesrecht" eine entsprechende Lösung gefunden wurde (namentlich in Artikel 9 bis 11 des Gesetzentwurfs, vgl. insbesondere auch BR-Drs. 063/07 (PDF) , S. 47 f.). Diese Lösung bietet sich auch für Artikel 16 an; dessen Wortlaut soll daher entsprechend ergänzt werden.
4. Zu Artikel 38
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die vorgesehene Aufhebung des Gesetzes über die Neubezeichnung von Blättern für öffentliche Bekanntmachungen nicht die Schaffung einer entsprechenden Regelung im Vereinsrecht des BGB erforderlich macht.
Begründung
Das aufzuhebende Gesetz über die Neubezeichnung von Blättern für öffentliche Bekanntmachungen bestimmt, dass Bekanntmachungen eines eingetragenen Vereins, einer Handelsgesellschaft oder einer Genossenschaft, die satzungsmäßig in einem bestimmten Blatt zu veröffentlichen sind, das derzeit nicht erscheint, bis zu einer anderweitigen Regelung durch die Satzung in einem der Blätter zu erfolgen haben, in dem Eintragungen in das jeweilige Register veröffentlicht werden.
Die gesellschafts- und genossenschaftsrechtlichen Fälle werden über § 25 AktG, § 30 Abs. 2 GmbHG bzw. den künftigen § 158 GenG erfasst. Eine Lücke würde jedoch nach der Aufhebung im Vereinsrecht entstehen. Zwar käme hier eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 3 BGB in Betracht, dieser erfasst jedoch nur Fälle der Auflösung des Vereins und der Entziehung seiner Rechtsfähigkeit. Nicht selten jedoch sehen Vereinssatzungen vor, dass für die Einberufung einer Mitgliederversammlung die Veröffentlichung in einem bestimmten Blatt zu erfolgen hat. Besteht dieses Blatt nicht mehr, z.B. weil die in der Satzung genannte Lokalzeitung nicht mehr erscheint, kann die Mitgliederversammlung nicht mehr ordnungsgemäß einberufen werden. Nur eine ordnungsgemäß einberufene Mitgliederversammlung kann jedoch wirksame Beschlüsse fassen.
Um hier Unsicherheiten und Rechtsunklarheit zu vermeiden, sollte eine entsprechende Bestimmung an geeigneter Stelle in das Vereinsrecht des BGB übernommen werden.
5. Zu Artikel 56
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens sicherzustellen, dass von der Aufhebung des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten keine Vorschriften erfasst werden, die Änderungsbefehle enthalten, sofern diese Änderungsbefehle derzeit geltende Regelungen geschaffen haben.
Begründung
Das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten sollte entsprechend der grundsätzlichen Konzeption des Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz (vgl. BR-Drs. 329/05 (PDF) S. 117 f.), an der sich auch dieser Gesetzentwurf orientiert, aus folgendem Grund nicht aufgehoben, sondern aufgelöst werden:
Gegen die Aufhebung ganzer Artikelgesetze bestehen grundsätzliche Bedenken, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die mit der Aufhebung der Änderungsgesetze einhergehende nachträgliche Beseitigung von Änderungsbefehlen zu vermeidbarer und - gemessen am Ziel der Maßnahme - auch unverhältnismäßiger Rechtsunsicherheit führen wird.
Das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten enthält in seinen Artikeln 1 bis 149 zahlreiche Änderungsvorschriften, die - vor allem in der Strafprozessordnung, aber beispielsweise auch im Strafgesetzbuch, im Straßenverkehrsgesetz oder im Flurbereinigungsgesetz - zum Teil heute noch geltendes Recht gesetzt haben. Beispielhaft erwähnt seien § 295 StGB, §§ 127a, 132, 430 bis 442 Abs. 1, §§ 444, 464 Abs. 2 und 3, §§ 464a, 465 Abs. 2, § 467 StPO, § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 154 Abs. 3 Flurbereinigungsgesetz. Eine Aufhebung auch dieser Änderungsbefehle würde zu vermeidbarer Rechtsunsicherheit darüber führen, ob die dadurch eingeführten Änderungen fortgelten oder außer Kraft getreten sind.
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht die Ansicht vertreten, die Aufhebung einer Norm, die einen Änderungsbefehl enthalte, führe nicht zu einer Außerkraftsetzung der Änderung (BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1999 - 11 A 21/98 -, NJW 1999, 1729). Diese Entscheidung gibt aber keineswegs eine gefestigte Rechtsprechung oder allgemein geteilte Rechtsauffassung wieder. Vielmehr beruht die Praxis des Bundesgesetzgebers selbst zum Teil auf der gegenteiligen Auffassung. So wird etwa im Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 2. Aufl., Rnr. 695 f., ausgeführt, die Befristung einer Änderung könne erreicht werden, indem das Außerkrafttreten des Änderungsbefehls vorgesehen werde. Entsprechend wird auch bei Änderungsgesetzen verfahren (vgl. etwa Artikel 2 des Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes - StUÄndG - vom 22. Februar 1994, BGBl. I S. 334, und Artikel 5 des Gesetzes zur Organisationsstruktur der Telematik im Gesundheitswesen vom 22. Juni 2005, BGBl. I S. 1720, 1721). Da zwischen dem Außerkrafttreten und der Aufhebung eines Änderungsbefehls keine wesensmäßigen Unterschiede bestehen, muss in der Konsequenz dieser Gesetzgebungspraxis davon ausgegangen werden, dass auch die Aufhebung eines Änderungsbefehls die nachträgliche Beseitigung der vorgenommenen Änderung zur Folge haben kann. Diese Auffassung wird zudem mit nachvollziehbaren Argumenten in der Rechtsliteratur vertreten (vgl. Tiedemann, NJW 1998, 3475).
Erschwerend kommt hier hinzu, dass sich aus der Gesetzesbegründung jedenfalls nicht unmittelbar ergibt, dass der Gesetzgeber für das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten abweichend von dieser Praxis eine verminderte Tragweite der Aufhebung von Änderungsbefehlen wünscht. Damit fehlt auch ein deutlicher Anhalt für eine enge Auslegung von Artikel 56.
Vor diesem Hintergrund sollte insbesondere mit Rücksicht auf die Bedeutung der betroffenen Änderungsvorschriften ein unnötiges rechtliches Risiko vermieden und auf die Aufhebung des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten zu Gunsten seiner Auflösung verzichtet werden. Jedenfalls sollte die eingeschränkte Regelungsintention in der Gesetzesbegründung klargestellt werden.
6. Zu Artikel 79 Abs. 2 (Inkrafttreten)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob im Gesetz klargestellt werden muss, dass trotz der in Artikel 79 Abs. 2 vorgesehenen "verzögerten" Außerkraftsetzung von Vorschriften die Länder auch aus der Sicht des Bundes nicht gehindert sind, nach dem Inkrafttreten des Gesetzes im Übrigen die entsprechenden Materien wie insbesondere das Hinterlegungsrecht im Wege der Landesgesetzgebung neu zu ordnen.
Begründung
Artikel 17 will ungeachtet der zwischen Bund und Ländern umstrittenen Kompetenzfrage das Hinterlegungsrecht der Disposition der Länder überantworten. Dazu soll die Hinterlegungsordnung mit der Rechtsfolge der Entsperrung (Artikel 72 Abs. 1 GG) aufgehoben werden, wobei zur Vermeidung von Regelungslücken in den Ländern Artikel 17 gemäß Artikel 79 Abs. 2 drei Jahre nach Inkrafttreten der übrigen Vorschriften des Gesetzes in Kraft treten soll. Diese Intention verfolgt Artikel 79 Abs. 2 auch bei anderen von dieser Vorschrift erfassten Materien.
Nach allgemeiner Meinung endet die Sperrwirkung gemäß Artikel 72 Abs. 1 GG mit der Aufhebung des Bundesgesetzes, das sie bewirkt hat (Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 8. Aufl., Artikel 72 Rnr. 9; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl., Artikel 72 Rnr. 17, Degenhart, in: Sachs, GG, 3. Aufl., Artikel 72 Rnr. 30; Oerter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl., Artikel 72 Rnr. 83). Dabei ist unter Aufhebung das Inkrafttreten des Aufhebungsgesetzes zu verstehen. Dem Bundesgesetzgeber ist es allerdings unbenommen, eine Materie schon vor der Aufhebung des Bundesrechts für die Landesgesetzgebung freizugeben. Dies müsste allerdings ausdrücklich so geregelt werden. Eine entsprechende Regelung fehlt in dem Gesetzentwurf.
B.
- 2. Der Ausschuss für Kulturfragen und der Verkehrsausschuss empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.