932. Sitzung des Bundesrates am 27. März 2015
Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Gesetzentwurf wird dem Ziel, den Menschenhandel zu bekämpfen und den Schutz der von Menschenhandel Betroffenen zu verbessern, nur unzureichend gerecht. Der Bundesrat bedauert, dass es der Bundesregierung nach wie vor nicht gelungen ist, ein ganzheitliches Konzept zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer vorzulegen.
Dieses Versäumnis wiegt umso schwerer, als die mit dem vorgelegten Gesetzentwurf im Strafrecht sowie im Strafprozessrecht vorgesehenen Änderungen fast wörtlich den Änderungen entsprechen, die bereits vor längerem im Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten vorgesehenen waren (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drucksache 17/13706 vom 4. Juni 2013). Dieses Gesetz war der Diskontinuität anheimgefallen, nachdem es der Bundesrat mit dem Ziel der grundlegenden Überarbeitung an den Vermittlungsausschuss überwiesen hatte. Auf die ausführliche Begründung dieses Beschlusses wird verwiesen, vgl. BR-Drucksache 641/13(B) .
Der Bundesrat teilt nicht die Auffassung der Bundesregierung, dass es keiner weiteren gesetzgeberischen Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU bedarf. So erfassen beispielsweise die Handlungsalternativen im geltenden § 232 Absatz 4 StGB nicht alle von Artikel 2 Absatz 1 der Menschenhandelsrichtlinie benannten, unter Strafe zu stellenden Handlungsweisen. Vielmehr müssen die Handlungsalternativen der Täuschung, des Missbrauchs von Macht und der Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit zusätzlich benannt werden. Auch ist nicht ersichtlich, wie die Verpflichtung der Einrichtung einer nationalen Berichterstatterstelle nach Artikel 19 der Richtlinie erfüllt wurde. Diese Stelle soll Entwicklungen in Bezug auf Menschenhandel bewerten, Ergebnisse bei der Bekämpfung messen und hierüber berichten. Derzeit wird die Berichterstattungsfunktion lediglich durch die Datenerhebung in der Polizeilichen Kriminalstatistik und in den Lagebildern des Bundeskriminalamtes wahrgenommen. Daten in Bezug auf die Durchsetzung der Rechte der Betroffenen, Beratung et cetera werden nicht systematisch erhoben. Auch erfolgt keine regelmäßige Bewertung der staatlichen Maßnahmen gegen Menschenhandel in Bezug auf ihre Wirksamkeit. Im Hinblick auf diese Aufgaben ist es erforderlich, dass die einzurichtende Berichterstattungsstelle institutionell unabhängig ist.
Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der vorliegende Gesetzentwurf nach seiner Begründung lediglich als erster Schritt für ein ausstehendes umfassendes Regelwerk angesehen wird. Er erwartet insbesondere eine Neuordnung der Regelungen zum Menschenhandel im Strafrecht sowie die Schließung von Lücken im Bereich der Opferentschädigung. Ferner bedarf die Einführung eines gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrechts für Beraterinnen und Berater weiterer Prüfung ( § 53 StPO).
2. Zu Artikel 1 Nummer 2a - neu - (§ 78b Absatz 1 Nummer 1a -neuStGB)
Nach Artikel 1 Nummer 2 ist folgende Nummer 2a einzufügen:
Begründung:
Nach Artikel 9 Absatz 2 der umzusetzenden Richtlinie 2011/36/EU treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit die vom Rahmenbeschluss in den Artikeln 2 und 3 näher beschriebenen Menschenhandelsdelikte, bei denen dies aufgrund ihres Charakters erforderlich ist, während eines hinreichend langen Zeitraums strafrechtlich verfolgt werden können, nachdem das Opfer die Volljährigkeit erreicht hat. Dem wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht gerecht.
Die Tatbestände der §§ 232 bis 233a StGB werden bisher von § 78b StGB nicht erfasst, der vornehmlich bei Sexualdelikten das Ruhen der Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers anordnet. Auch wenn in Fällen des Menschenhandels nach den §§ 232 und 233 StGB bzw. im Fall der qualifizierten Förderung des Menschenhandels nach § 233a Absatz 2 Nummer 1 StGB aufgrund des bestehenden Strafrahmens die Verjährungsfrist nach § 78 Absatz 3 Nummer 3 StGB zehn Jahre beträgt, sind durchaus Fälle denkbar, in denen die Frist bei kindlichen oder jugendlichen Opfern kaum über die Volljährigkeit hinausreichen wird. Auch sehr junge Kinder können - zumal der Anwendungsbereichs des § 233 StGB auf Betteltätigkeiten oder zur Begehung von Straftaten ausgeweitet wird (§ 233 Absatz 1 Nummer 2 und 3 StGB-E) - von Menschenhandel betroffen sein und sind unter Umständen, insbesondere, wenn sie in ein fremdes Land gebracht wurden, vor Erlangung der Volljährigkeit nicht in der Lage, das ihnen zugefügte Unrecht den Strafverfolgungsbehörden zu offenbaren. Ihre Anzahl ist bereits heute nicht unbedeutend. Der statistische Bericht der EU "Trafficking in human beings" aus dem Jahr 2014 verweist auf 30 146 in der EU registrierte Opfer, die in den Jahren 2010 bis 2012 Opfer von Menschenhandel geworden sind (vgl. Seite 23 des Berichts), und etwa zwei Prozent dieser Opfer (mithin rund 602 Personen) waren jünger als zwölf Jahre (Seite 26 des Berichts).
Ein Ruhen der Verjährung zumindest bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Opfer von Menschenhandel ist auch mit Blick auf im Ausland begangene Taten angezeigt. Nach § 6 Nummer 4 StGB unterfallen die im Ausland begangenen Straftaten der hiesigen Strafgewalt und es wäre dem Ansehen Deutschlands nicht förderlich, wenn trotz des Artikels 9 Absatz 2 der Richtlinie ein Auslieferungsersuchen zur Verfolgung von Menschenhandelsdelikten wegen einer nur in Deutschland eingetretenen Verfolgungsverjährung abgelehnt werden müsste (vgl. unter anderem § 9 Nummer 2 IRG, Artikel 10 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und Artikel 4 Nummer 4 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl).