895. Sitzung des Bundesrates am 30. März 2012
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ), der Finanzausschuss (Fz), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In), der Rechtsausschuss (R), der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk), der Wirtschaftsausschuss (Wi) und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung (Wo) empfehlen dem Bundesrat, zu den Vorlagen gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 11. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich die mit dem Richtlinienvorschlag der Kommission zur Vergabekoordinierungsrichtlinie verfolgte Zielsetzung der Vereinfachung und Flexibilisierung im Sinne einer Modernisierung des öffentlichen Auftragswesens.
- 12. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Bestrebungen, durch den Richtlinienvorschlag die bestehenden Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe zu vereinfachen und zu flexibilisieren, um die Effizienz der Beschaffungen zu steigern und den Zugang für KMU zu erleichtern.
- 13. Der Bundesrat begrüßt die Zielstellungen der vorgeschlagenen Richtlinie, soweit sie eine Verschlankung bestehender Regelungen sowie die Erleichterung des Zugangs von KMU betreffen. Ausdrücklich abgelehnt wird aber die geplante Ausweitung nationaler Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung des EU-Vergaberechts und zum Ausschluss von Vetternwirtschaft und Korruption in der vorgeschlagenen Form.
- 14. Der Bundesrat fordert bei der Vergabe öffentlicher Aufträge die Möglichkeiten, stärker auf ökologische und soziale Kriterien sowie Genderaspekte zu achten. Ein Kernziel der Europa - 2020 - Strategie und damit ein gemeingesellschaftliches Ziel der EU ist, bis 2020 die Anhebung der Beschäftigungsquote bei den 20- bis 64-Jährigen auf 75 Prozent, indem mehr Menschen - insbesondere Frauen, Jugendliche, ältere und gering qualifizierte Personen sowie Migrantinnen und Migranten - in Beschäftigung gebracht werden. Die verstärkte Berücksichtigung gleichstellungspolitischer Aspekte im öffentlichen Auftragswesen kann diesem Ziel dienen.
- 15. Der Bundesrat fordert, in Artikel 1 oder zumindest in den Erwägungsgründen klarzustellen, dass die Übertragung von Aufgaben und Zuständigkeiten von einer öffentlichen Stelle auf eine andere im Wege einer Organisationsmaßnahme, nicht Gegenstand dieser Richtlinie ist. Dies ist als nationale Organisationsmaßnahme mangels Kompetenz einer europaweiten Regelung nicht zugänglich und enthält auch keine Elemente einer Auftragsvergabe.
- 16. Der Bundesrat hält es für erforderlich, notarielle Tätigkeiten von dem Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie auszunehmen.
Die Einbeziehung notarieller Tätigkeiten in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie würde die Kompetenz der Mitgliedstaaten berühren, den Notaren in den von ihnen unterhaltenen Systemen der vorsorgenden Rechtspflege die Funktion eines Rechtspflegeorgans zuzuweisen, dem gewerbliches Verhalten untersagt ist und dessen Vergütung durch gesetzliche Regelungen bestimmt wird.
In Deutschland wäre den Notaren die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen für notarielle Leistungen untersagt, da hierin ein gewerbliches Handeln liegen würde, das mit der Stellung des Notars als Rechtspflegeorgan nicht vereinbar wäre.
Zudem können die maßgeblichen Ziele des Vergabeverfahrens, nämlich Kosten- und Leistungswettbewerb, bei notariellen Leistungen von vornherein nicht erreicht werden.
Die Einbeziehung notarieller Tätigkeiten in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie wäre ein ungeeignetes Instrument zur Erreichung eines Kostenwettbewerbs. Das Vergabeverfahren dient dem Ziel, durch eine Ausschreibung das wirtschaftlich günstigste Angebot oder den günstigsten Preis zu finden und so bestmögliche Beschaffungsergebnisse im Sinne eines optimalen Preis-Leistungs-Verhältnisses zu gewährleisten. Aufgrund der - der Kompetenz der Mitgliedstaaten unterfallenden - gesetzlichen Festlegung der vom Notar zu erhebenden Gebühren und Auslagen würde bei einer Ausschreibung notarieller Leistungen jedoch jedes Angebot von vornherein denselben Inhalt haben.
Eine Einbeziehung notarieller Leistungen in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie verfehlt zudem das Ziel des Leistungswettbewerbs. Sie würde nämlich für den wichtigen Bereich der Beurkundung von Rechtsgeschäften unberücksichtigt lassen, dass der Notar keinesfalls der Vertreter einer der an dem Rechtsgeschäft beteiligten Personen ist, sondern vielmehr als Amtsträger allen an der Beurkundung beteiligten Personen gleichermaßen verpflichtet ist. Dementsprechend entscheiden die Urkundsbeteiligten gemeinsam, welcher Notar mit der Beurkundung beauftragt wird. Keinesfalls kann durch die Ausschreibung einer notariellen Leistung durch einen öffentlicher Auftraggeber einseitig festgelegt werden, welcher Notar die Beurkundung vornehmen wird. In der Folge hat der Notar Amtspflichten gegenüber allen am Rechtsgeschäft beteiligten Personen und nicht nur gegenüber der öffentlichen Hand. Ein Leistungswettbewerb allein zum Wohle der öffentlichen Hand ist daher gerade nicht denkbar.
Hinsichtlich der gegenüber allen Beteiligten bestehenden Verpflichtung zur Unparteilichkeit ist die Situation bei notariellen Leistungen damit vergleichbar mit der bei Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen. Für diese ist in Artikel 10 Satz 1 Buchstabe c des Richtlinienvorschlags ein Ausschluss vorgesehen. Grund hierfür ist ausweislich des Erwägungsgrundes 26 der derzeit geltenden Vergaberichtlinie (Richtlinie 2004/18/EG vom 31. März 2004, ABl. L 134 vom 30. April 2004, Seite 114), dass diese Leistungen "normalerweise von Organisationen und Personen übernommen [werden], deren Bestellung oder Auswahl in einer Art und Weise erfolgt, die sich nicht nach Vergabevorschriften für öffentliche Aufträge richten kann.". Diese Erwägungen gelten erst recht für notarielle Tätigkeiten.
- 17. Auch hinsichtlich solcher Rechtsdienstleistungen, die nicht in einer notariellen Tätigkeit bestehen, bedarf es nach Auffassung des Bundesrats einer näheren Überprüfung, ob die in dem Richtlinienvorschlag vorgesehene Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinie den Besonderheiten dieser Tätigkeiten hinreichend Rechnung trägt. Dies gilt insbesondere für Rechtsdienstleistungen, die durch Rechtsanwälte erbracht werden.
Notwendige Voraussetzung für eine effektive Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Rechtsanwälte ist ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem Rechtsanwalt. Darüber hinaus schuldet der Rechtsanwalt in vielen Fällen eine Tätigkeit, die nicht im Voraus eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann, sondern schöpferische und gestalterische Freiräume verlangt. Eine Auftragsvergabe allein auf der Grundlage wirtschaftlicher Kriterien wird diesen Besonderheiten anwaltlicher Rechtsdienstleistungen nicht gerecht. Darüber hinaus sind wirtschaftliche Kriterien für die Auftragsvergabe häufig auch deswegen ungeeignet, weil die Vergütung des Rechtsanwalts aufgrund von Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts nur in begrenztem Umfang verhandelbar ist.
Der Bundesrat regt deshalb an, die Anwendbarkeit der Vergaberichtlinie auf Rechtsdienstleistungen durch Rechtsanwälte zu überprüfen, oder sie jedenfalls einem besonderen, in Anlehnung an die Artikel 74 bis 76 des Richtlinienvorschlags ausgestalteten Vergaberegime zu unterstellen.
- 18. Der Bundesrat geht davon aus, dass Dienstleistungen, die durch Gerichte im Rahmen ihrer Rechtsprechungsaufgaben angefordert werden, nicht in den Anwendungsbereich des Richtlinienvorschlags fallen. Insofern dürfte kein "öffentlicher Auftrag" im Sinne von Artikel 2 Absatz 7 des Richtlinienvorschlags vorliegen, da die Vergabe nicht im Wege eines schriftlich geschlossenen entgeltlichen Vertrags erfolgt, sondern durch gerichtlichen Beschluss.
Gleichwohl hält der Bundesrat wegen der beabsichtigten generellen Ausweitung der Geltung des Vergaberechts eine ausdrückliche Klarstellung für geboten, dass es sich bei allen gerichtlich angeordneten Dienstleitungen (z.B. Bestellung von Betreuern, Pflichtverteidigern, Insolvenzverwaltern, Sachverständigen) um Ausübung öffentlicher Gewalt handelt, auf die das EU-Vergaberecht von vornherein nicht anwendbar ist. Gemäß den Artikeln 51 und 62 AEUV gelten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit insoweit nicht. Die EU-Vergaberichtlinien dürfen nicht weiter gehen als das EU-Primärrecht.
Im Übrigen müssen gerichtlich angeordnete Dienstleistungen von allen vergaberechtlichen Vorgaben frei bleiben, weil das gerichtliche Auswahl- und Bestellungssystem besonderen Bedingungen unterliegt, die mit dem klassischen Instrumentarium und den Grundprinzipien des Vergaberechts unvereinbar sind. So müssen die Dienstleister in diesen Fällen in der Regel sehr schnell eingesetzt werden, um ein effektives Verfahren zu gewährleisten. Die Anordnung des Gerichts ist daher im laufenden Verfahren in der Regel nicht isoliert angreifbar und irreversibel. Aufgrund der engen Kooperation zwischen den Dienstleistern und dem Gericht bedarf es auch einer besonderen, persönlichen Vertrauensbasis. Nicht alle Auswahlkriterien sind daher im strengen Sinne justiziabel, das Gericht soll vielmehr die Eignung des Dienstleisters eigenverantwortlich beurteilen dürfen. Gegen die Einbeziehung gerichtlich angeordneter Dienstleistungen in das Vergaberecht spricht auch, dass die Verfahrensbeteiligten zum Teil Mitspracherechte bei der Bestellung des Dienstleisters haben. Dies gilt insbesondere bei der Beiordnung des Anwalts bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie bei der Bestellung des Pflichtverteidigers und des Betreuers, da es hier eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Dienstleister und Betroffenem bedarf. Eine Anwendung des Vergaberechts wäre schließlich auch deshalb nicht praktikabel, weil die Vergabe sich für diese Dienstleistungen nicht an den typischen Auswahlkriterien (günstigster Preis, wirtschaftlich günstigstes Angebot) orientieren kann. Der Preis für diese Dienstleistungen wird nicht ausgehandelt, sondern durch das gesetzliche Gebühren- bzw. Vergütungssystem bestimmt.
- 19. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die im Richtlinienvorschlag vollzogenen Vereinfachungen insgesamt nicht konsequent genug verfolgt werden.
- 20. Das sogenannte Toolbox-Konzept erscheint grundsätzlich sinnvoll. Neben den offenen und den nichtoffenen Verfahren sollten jedoch das Verhandlungsverfahren wie auch der wettbewerbliche Dialog verpflichtend, also als ein in allen Mitgliedstaaten zwingend umzusetzendes Instrument vorgesehen werden. In der vergaberechtlichen Praxis gibt es durchaus Sachverhalte, die nur im Wege des Verhandlungsverfahrens geregelt werden können. Sofern das Instrument jedoch nicht verbindlich in allen Mitgliedstaaten eingeführt wird, ist nicht nur die Vereinheitlichung der Verfahrenssysteme bei der öffentlichen Beschaffung im Binnenmarkt [relativiert] bzw. {gefährdet}; es besteht auch das Risiko, dass in dem Mitgliedstaat, der das Verhandlungsverfahren nicht in nationales Recht überführt hat, durch die öffentlichen Auftraggeber keine sachgerechten und mit dem europäischen Vergaberecht im Einklang stehenden öffentlichen Beschaffungen durchgeführt werden können. Die primärrechtlichen Grundsätze der Transparenz, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung führen zwingend auch für das Verhandlungsverfahren zu Verfahrenserfordernissen, die in der Vergabekoordinierungsrichtlinie klar geregelt werden können, wonach eine Bieterbenachteiligung wie auch im offenen und im nichtoffenen Verfahren auszuschließen ist. Allein die Komplexität der Verfahrensart darf nicht dazu führen, dass sie in den Mitgliedstaaten als optional behandelt werden kann.
- 21. In Artikel 30 Absatz 2 Buchstabe d sollte die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung nicht an die restriktive Voraussetzung der "höheren Gewalt" gebunden werden. Stattdessen sollte die bisherige Regelung beibehalten werden, die insoweit lediglich voraussetzt, dass der Auftraggeber das Ereignis, das zur zwingenden Dringlichkeit führt, "nicht voraussehen konnte". Die dadurch mögliche größere Flexibilität für die Vergabestellen muss erhalten bleiben.
- 22. In der vorliegenden Form wird der Wegfall der Unterscheidung zwischen den "prioritären" und "nichtprioritären" Dienstleistungen ("A"- und "B"-Dienstleistungen) abgelehnt.
- 23. Die speziellen Regelungen, die für das Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen gelten, müssen auf andere Bereiche ausgedehnt werden. Dies gilt insbesondere für die Rechtsberatung. Auch der in Artikel 4 Buchstabe d festgelegte Schwellenwert ist, vor dem Hintergrund der in diesen Bereichen oft vereinbarten längeren Vertragslaufzeiten, zu niedrig angesetzt.
- 24. Der Bundesrat hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Wegfall der Differenzierung zwischen prioritären und nichtprioritären Dienstleistungen und die Einführung eines Schwellenwertes zur Festlegung einer fehlenden grenzüberschreitenden Bedeutung von Dienstleistungen.
- 25. Allerdings führt der Wegfall der herkömmlichen Unterscheidung zwischen sogenannten prioritären und nichtprioritären Dienstleistungen ("A"- und "B"- Dienstleistungen) zu erheblichem Mehraufwand bei den öffentlichen Auftraggebern, ohne dass ein Nutzen erkennbar wäre. Die Kommission hat bisher nicht schlüssig nachweisen können, dass für die nachrangigen Dienstleistungen ein Binnenmarktinteresse der Marktteilnehmer besteht, das den vorrangigen Dienstleistungen vergleichbar wäre. Vor diesem Hintergrund ist der Paradigmenwechsel, dass alle Dienstleistungen, die nicht formal dem Sonderregime unterworfen wären, dem Vergaberecht vollumfänglich unterliegen, nicht akzeptabel. Im Regime der Richtlinie 2004/18/EG wird bei Dienstleistungen, die nicht im Katalog der prioritären Dienstleistungen enthalten sind, zu Recht keine grenzüberschreitende Bedeutung unterstellt. Andererseits ist der Schwellenwert in Höhe von 500 000 Euro vor dem Hintergrund der üblicherweise längeren Vertragslaufzeiten in vielen Vergabeverfahren gerade auch im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen schnell überschritten. Berücksichtigt man hier weiter die tatsächliche grenzüberschreitende Bedeutung z.B. bei Rettungsdienstleistungen und den tatsächlichen Umfang der grenzüberschreitenden Teilnahme von Bietern an Vergabeverfahren, ist der Schwellenwert deutlich zu niedrig angesetzt. Ferner ist beim Kommissionsvorschlag nicht nachvollziehbar, warum weitere Branchenbereiche, wie z.B. die Rechtsberatungsdienstleistungen, als bisherige nichtprioritäre Dienstleistungen nicht ebenfalls durch Anwendung des Schwellenwertes privilegiert werden. Gerade hier führt die volle Anwendung des Vergaberegimes vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung zu den erhöhten Begründungsanforderungen bei grenzüberschreitender Bedeutung von nichtprioritären Dienstleistungen zu unbilligen Ergebnissen.
- 26. Die in Artikel 2 Absatz 8 des Richtlinienvorschlags vorgenommene Unterscheidung in Bauleistung und Bauvorhaben ist nicht verständlich und bedarf einer Klarstellung.
- 27. Die Definition "Lebenszyklus" in Artikel 2 Absatz 22 des Richtlinienvorschlags ist in sich nicht logisch und deshalb klarer zu fassen.
- 28. In Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 3 des Richtlinienvorschlags ist nicht hinzunehmen, dass im Zweifelsfall der Hauptauftragsgegenstand entscheidend dafür sein soll, welche Richtlinie einschlägig ist. Für den Bereich der Verteidigung und Sicherheit würde dies bedeuten, dass die Sicherheitsinteressen bei untergeordnetem Umfang des sicherheitsrelevanten Teils der Vergabe umfänglich zurückstehen müssten.
- 29. Die in Artikel 5 Absatz 6 des Richtlinienvorschlags vorgesehene Regelung, dass bei Bauleistungen für die Berechnung des geschätzten Auftragswerts nun nicht nur vom Auftraggeber zur Verfügung gestellte Lieferungen sondern auch Dienstleistungen zu berücksichtigen sind, ist zu konkretisieren. Es muss klargestellt werden, dass unter die Dienstleistungen nicht die an Architektur- bzw. Ingenieurbüros vergebene Planungsleistungen fallen. Bei diesen Planungsleistungen wird nämlich nicht die Dienstleistung dem Auftragnehmer für die Ausführung der Bauarbeiten zur Verfügung gestellt, sondern nur das Ergebnis einer Dienstleistung.
- 30. Der Bundesrat fordert, zur Klarstellung in den Erwägungen darauf hinzuweisen, dass unter "privater Beteiligung" im Sinne des Artikels 11 nicht eine bloße private Rechtsform zu verstehen ist, sondern die Beteiligung von privatem Kapital.
- 31. Der Bundesrat hat keine Bedenken, dass Artikel 11 Absatz 3 Satz 1 und Satz 2 Buchstabe b die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Inhouse-Vergaben bei gemeinsam durch mehrere öffentliche Auftraggeber ausgeübter Kontrolle wiedergibt. Demgegenüber ergibt sich Buchstabe a des Satzes 2 nicht aus der EuGH-Rechtsprechung; die dortige Regelung kann angesichts der unterschiedlichen gesellschaftsrechtlichen Konstruktionen zu Auslegungsschwierigkeiten führen und ist im Hinblick auf die klare Feststellung in Artikel 11 Absatz 3 Satz 1 Buchstabe a auch nicht erforderlich. Die in Artikel 11 Absatz 3 Satz 2 Buchstaben c und d geforderten Voraussetzungen für eine Nichtanwendbarkeit der Vergaberichtlinie sind nicht durch die Inhouse-Rechtsprechung des Gerichtshofs gedeckt. Diese spielen vielmehr nur eine Rolle für die Anwendbarkeit des Vergaberechts bei der in Artikel 11 Absatz 4 geregelten horizontalen, nichtinstitutionalisierten Zusammenarbeit öffentlicher Stellen, deren Voraussetzungen aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Juni 2009 zum Fall der Stadtreinigung Hamburg (Az. C 480/06) abgeleitet werden. Diese ungerechtfertigte Vermischung unterschiedlicher Anwendungsfälle im Richtlinienvorschlag führt zu einer Verschärfung der Inhouse-Kriterien. Die Regelungen in Artikel 11 Absatz 3 Satz 2 Buchstaben a, c und d sind daher abzulehnen.
- 32. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission sich im Bereich der InhouseVergabe und der innerstaatlichen Kooperation einschließlich der öffentlichöffentlichen Zusammenarbeit um eine Klarstellung im Richtlinientext bemüht.
Es ist jedoch abzulehnen, dass eine diesbezügliche Regelung über die bisher vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Rahmenbedingungen hinausgeht und zu einer weiteren Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der öffentlichen Auftraggeber führt.
- 33. Der Bundesrat wendet sich gegen die Formulierung in Artikel 11 Absatz 4 Buchstabe a "...und umfasst wechselseitige Rechte und Pflichten der Parteien". Wenn die gemeinsame Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe im Vordergrund steht, liegt schon keine Beschaffung vor. Hinsichtlich der Ausgestaltung muss den Kommunen ein großer Spielraum verbleiben, da die Fallgestaltungen sehr unterschiedlich sind. Sie können sich im Einzelfall auch auf die Mitbenutzung einer Einrichtung gegen Kostenausgleich im Sinne des Artikels 11 Abs. 4 Buchstabe d beschränken (zum Beispiel Mitbenutzung einer Stadtbibliothek durch eine Nachbargemeinde). Auf die Wechselseitigkeit der Rechte und Pflichten darf daher nicht abgestellt werden.
- 34. Der Wegfall des Ausnahmetatbestandes für Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen, ist nicht nachvollziehbar. Die dem öffentlichen Auftragswesen zur Verfügung stehenden Vergabeverfahren sind nicht geeignet, auf kurzfristige Änderungen der Verhältnisse am Kapitalmarkt zu reagieren.
Das in diesem Bereich erforderliche hohe Maß an Flexibilität wäre nicht gegeben. Der tägliche Geldhandel sowie Kreditaufnahmen müssen weiterhin ohne Ausschreibung möglich sein. Der Bundesrat [lehnt daher die Regelung in Artikel 10 Buchstabe d ab und] fordert den Artikel dahingehend auszugestalten, dass Finanzdienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten, insbesondere Geschäfte, die der Geld oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen, oder anderen Finanzinstrumenten im Sinne der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie Dienstleistungen der Zentralbanken und mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität durchgeführte Transaktionen ausgenommen sind.
- 35. Der Bundesrat wendet sich dagegen, dass künftig die bisher ausgenommenen "Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen" in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen sollen, da in Artikel 10 kein entsprechender Ausschluss mehr vorgesehen ist. Damit fällt künftig zum Beispiel die Kreditaufnahme der Kommunen in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Ein Ausschreibungsverfahren nach den Vorgaben der Richtlinie ist viel zu schwerfällig und langwierig, um auf die oft kurzfristigen Anforderungen und Bedarfe bei der Kapitalbeschaffung reagieren zu können.
- 36. Sofern im Richtlinienvorschlag für sogenannte subzentrale öffentliche Auftraggeber Verfahrensvereinfachungen enthalten sind, ist die Grundintention, öffentliche Auftraggeber nach dem Umfang der öffentlichen Beschaffungen zu unterscheiden, zwar grundsätzlich zu begrüßen, die vorgenommene Differenzierung nach Verwaltungsebenen ist jedoch dogmatisch nicht schlüssig. Ferner sind die tatsächlichen Regelungsinhalte im Sinne einer Erleichterung bei den Transparenzvorgaben und der Verkürzung der Verfahrensfristen so marginal, dass sich die Frage stellt, ob sich hierfür eine Differenzierung der Verfahrensvorgaben lohnt. Das Ziel der Vereinfachung des Vergaberechts wird hiermit nicht vorangebracht. Sofern die Regelungen jedoch umgesetzt werden, sollte zwingend auf das Erfordernis eines gegenseitigen Einvernehmens zwischen Auftraggeber und den ausgewählten Bewerbern über die Fristverkürzung gemäß Artikel 26 Absatz 4 verzichtet werden, da der damit verbundene Zeit- und Arbeitsaufwand sonst den Nutzen der Fristverkürzung infrage stellen könnte.
- 37. Die im Richtlinienvorschlag enthaltenen Regelungen zur elektronischen Auftragsvergabe sind umfassend und schlüssig geregelt und werden vom Bundesrat insoweit grundsätzlich begrüßt. Allerdings dürften einige Instrumente, wie z.B. die elektronische Auktion, der beabsichtigten Stärkung von mittelständischen Unternehmen (KMU) entgegenstehen. Aufgrund bisheriger Erfahrung führen derartige Unterbietungswettbewerbe häufig zu Angeboten, die eine Auskömmlichkeit der Preise zumindest bezweifeln lassen und damit vor allem für kleine und mittlere Unternehmen in eine Existenz gefährdende Lage münden können. Darüber hinaus wird eine verbindliche Umsetzung der technischen Voraussetzungen für eine elektronische Auftragsvergabe in den Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist von zwei Jahren, obwohl die dafür erforderlichen einheitlichen bzw. aufeinander abgestimmten technischen Lösungen weder auf EU-Ebene noch in den Mitgliedstaaten auf Seiten der Auftraggeber und Auftragnehmer vorhanden sind, nachdrücklich abgelehnt. Es ist bereits deutlich, dass eine entsprechende Umsetzung innerhalb der Frist nicht möglich ist.
- 38. Die Straffung und Vereinfachung der Verfahrensregelungen unterstützt die beabsichtigte Modernisierung und Vereinfachung in der öffentlichen Beschaffung. Insbesondere die Konkretisierung von Vorgaben beim Ausschluss vom Vergabeverfahren sowie bei Verfahrensänderungen wird die Rechtssicherheit im öffentlichen Beschaffungswesen erhöhen; die Regelungen werden deshalb vom Bundesrat unterstützt.
- 39. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag neben dem auch weiterhin vorrangigen Ziel einer wirtschaftlichen Beschaffung auch die Möglichkeit zur Berücksichtigung strategischer Ziele ausdrücklich zulässt.
- 40. Die ausdrückliche Verankerung der strategischen Ziele neben dem Ziel einer wirtschaftlichen Beschaffung, wie im Rahmen der Binnenmarktakte vorgesehen, wird vom Bundesrat begrüßt.
- 41. Die Spielräume und Grenzen bei der Berücksichtigung sozialer Aspekte und umweltbezogener Aspekte werden allerdings nicht hinreichend deutlich. Die im Erwägungsgrund 43 aufgezeigten Ausführungen geben erforderliche Hinweise für die vergaberechtliche Praxis. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, warum hier wesentliche Vorgaben erläutert werden, die sich im Regelungskontext der Richtlinie nicht wiederfinden. Die allgemeine Formulierung im Erwägungsgrund führt mangels Konkretisierung zu einer erheblichen, auch jetzt bereits im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG bestehenden Rechtsunsicherheit. Anders als bei den Ausführungen zu den Zuschlagskriterien des Artikels 66 Absatz 2 ist zu den Auftragsausführungsbedingungen im Artikel 70, der sich aus dem Erwägungsgrund 43 ergebende Bezug zum Auftragsgegenstand nicht geregelt.
- 42. Der Bundesrat stellt aber fest, dass ein sachlicher Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand zwingend erforderlich ist. Der Bundesrat nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass die Kommission in ihrem Richtlinienentwurf das Erfordernis eines Zusammenhangs mit dem Auftragsgegenstand vorschreibt und einen solchen sowohl für Zuschlagskriterien als auch für Bedingungen zur Auftragsausführung verlangt.
Im Hinblick auf Bedingungen zur Auftragsausführung regt der Bundesrat allerdings eine entsprechende Klarstellung in Artikel 70 an, da sich das genannte Erfordernis dort bisher nur mittelbar aus der Formulierung "für die Ausführung des Auftrags" sowie aus Erwägungsgrund 43 ergibt.
- 43. Sofern hier ein von der Kommission gleichartiger Bezug zum Auftragsgegenstand beabsichtigt ist, ist die Formulierung im Artikel 70 entsprechend zu ergänzen. Andererseits ist die Regelung auch noch insoweit zu konkretisieren, ob der Bezug zum Auftragsgegenstand bereits dann gewährleistet ist, wenn die Vorgabe als ergänzende Ausführungsbestimmung bei Gelegenheit der Ausführung, d.h. während der zeitlichen Durchführung des Auftrages, übernommen wird. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der Anwendungsbereich für soziale Kriterien in der öffentlichen Auftragsvergabe sehr eng sein.
- 44. Der Bundesrat lehnt die Vorgaben in Artikel 27 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Richtlinienvorschlags ab, wonach nunmehr in der Auftragsbekanntmachung die einzuhaltenden Mindestanforderungen und die Spezifizierung der Zuschlagskriterien zu beschreiben sind. Dies ist bei komplexen Vergaben zu diesem frühen Zeitpunkt oftmals nicht möglich. Es ist ausreichend, wenn diese Angaben in der Leistungsbeschreibung vollständig und abschließend angegeben werden.
- 45. Nach Artikel 27 Absatz 3, Unterabsatz 2 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags darf die Beschreibung der Auftragsvergabe im Laufe der Verhandlungen nicht geändert werden. Der Bundesrat regt an, die Regelung dahingehend abzuändern, dass unwesentliche Änderungen zulässig sind.
- 46. In Artikel 27 Absatz 6 des Richtlinienvorschlags soll verbindlich vorgegeben werden, dass nach Abschluss der Verhandlungen noch einmal Angebote mit Fristsetzung abgefragt werden. Hierbei ist nicht klar, welche Bieter einbezogen werden sollen. Der Bundesrat regt an, dass diese "last offer" nur von denjenigen Bietern abgefragt werden müssen, mit welchen zuletzt noch verhandelt wurde.
- 47. In Artikel 30 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Richtlinienvorschlags wird eine Definition für die Ausnahme-Konstellation "kein oder kein geeignetes Angebot" versucht. Der Bundesrat regt an, die Definition für ein nicht geeignetes Angebot weniger streng zu formulieren. Insbesondere wird vorgeschlagen, die Voraussetzungen in den zwei Aufzählungsstrichen mit "oder" zu verbinden. Die "und"-Verknüpfung ist nicht hinnehmbar, da damit ein Verhandlungsverfahren nicht zulässig ist, wenn zum Beispiel alle Angebote aus formalen Gründen ausscheiden und damit nur die Voraussetzung im ersten Aufzählungsspiegelstrich erfüllen.
- 48. Der Bundesrat regt an, eine Definition für den Begriff des Elektronischen Katalogs in Artikel 34 des Richtlinienvorschlags vorzusehen.
- 49. Der Bundesrat hält es im Interesse der Rechtsklarheit für erforderlich, in Artikel 37 einen neuen Absatz 3 einzufügen, der ausdrücklich klarstellt, dass vor einer Vereinbarung im Sinne des Artikel 37 Absatz 1, wonach mehrere öffentliche Auftraggeber eine bestimmte Auftragsvergabe gemeinsam durchführen, hinsichtlich der Verständigung auf die gemeinsame Durchführung kein Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Dies muss auch für den Fall gelten, dass der oder die die Beschaffung durchführenden öffentlichen Auftraggeber dafür vergütet werden. Auch sollte klargestellt werden, dass eine solche gemeinsame Auftragsvergabe nicht unter die Anwendung des Artikels 36 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 17 Buchstabe c fällt.
- 50. Der Bundesrat lehnt die Verpflichtung, die sich aus Artikel 44 des Richtlinienvorschlags ergibt, bei EU-Vergaben ab einem Auftragswert von 500 000 Euro gesondert in der Auftragsbekanntmachung zu begründen, warum eine Losvergabe für nicht sinnvoll erachtet wird, ab. Die entsprechende Dokumentation im Vergabeakt reicht nach Ansicht des Bundesrates aus, um den erforderlichen Schutz der KMU zu gewährleisten.
- 51. Nach Artikel 46 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags können subzentrale öffentliche Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen die Vorinformation als Bekanntmachung nutzen. Dafür muss aber die Vorinformation spätestens zwölf Monate vor dem Zeitpunkt der Absendung der eigentlichen Angebotsaufforderung veröffentlicht worden sein. Der Bundesrat regt an, hier eine kürzere Frist zu bestimmen.
- 52. Der Bundesrat lehnt die Verpflichtung in Artikel 51 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags ab, dem zufolge die öffentlichen Auftraggeber ab dem Datum der Veröffentlichung der Bekanntmachung uneingeschränkten und vollständigen Zugang anhand elektronischer Mittel zu den Auftragsunterlagen bieten. Die Verpflichtung lässt sich nicht mit der Verpflichtung in Artikel 19 Absatz 7 des Richtlinienvorschlags vereinbaren, wonach die Verwendung von elektronischen Kommunikationsmitteln erst zwei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist greifen soll.
- 53. Der Bundesrat begrüßt die Möglichkeit für den öffentlichen Auftraggeber in Artikel 55 Absatz 3 Unterabsatz 1 Buchstabe d des Richtlinienvorschlags, einen Wirtschaftsteilnehmer unter bestimmten Voraussetzungen aufgrund von schlechten Vorerfahrungen auszuschließen. Der Bundesrat ruft aber dazu auf, die vorbenannten Voraussetzungen weniger streng zu fassen. Nach Ansicht des Bundesrates muss der öffentliche Auftragnehmer bei dieser Entscheidung einen Beurteilungsspielraum haben. Die Anforderungen an das geforderte Bewertungssystem lassen sich nach Ansicht des Bundesrates nicht in der Weise festlegen, dass sie in allen Einzelfällen zu sinnvollen Ergebnissen führen können.
- 54. Der Bundesrat regt an, die Auswahlkriterien nicht, wie in Artikel 56 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Richtlinienvorschlags geschehen, verbindlich vorzugeben. Zumindest sollten andere, auf den konkreten Auftrag bezogene, Auswahlkriterien zulässig sein, sofern sie im konkreten Einzelfall sinnvoll sind.
- 55. Der Bundesrat lehnt mit Nachdruck die Vorgaben in Artikel 57 Absatz 3 Unterabsatz 2 des Richtlinienvorschlags ab, der zufolge Bescheinigungen und Nachweise nicht verlangt werden, die demselben öffentlichen Auftraggeber in den vergangenen vier Jahren für ein früheres Verfahren übermittelt wurden und nach wie vor gültig sind. Die Regelung würde dazu führen, dass für Aufträge des Bundes, auch wenn sie dezentral in den Ländern im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung vergeben werden, Bescheinigungen und Nachweise bundesweit zentral erfasst und vorgehalten werden müssten. Entsprechendes gilt für Ländervergaben. Die Regelung führt zu erheblichem Verwaltungsaufwand und Bürokratie und steht somit im eklatanten Gegensatz zu den vorgeblichen Zielen der Richtlinie.
- 56. Die Einführung eines Online-Datenarchivs (e-Certis) ist unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Vergaberechtsnovelle grundsätzlich zu begrüßen. Die in Artikel 58 Absatz 2 aufgenommene Verpflichtung, dass öffentliche Auftraggeber nur die in e-Certis genannten Bescheinigungen und Nachweise verlangen dürfen, ist aber zu weitgehend. Für eine solche Verpflichtung wäre es erforderlich, dass Artikel 58 die einzustellenden Dokumente eindeutig definiert, z.B. unter Bezugnahme auf den vorstehenden Artikel 57. Darüber hinaus ist es nicht möglich, in einem Zeitraum von zwei Jahren alle möglichen Bescheinigungen und Nachweise zu erfassen. Aus Sicht des Bundesrates ist die im Artikel 58 Absatz 1 verankerte Pflicht der öffentlichen Auftraggeber zur Aktualisierung ausreichend. Sollte auf die im Artikel 58 Absatz 2 vorgegebene Pflicht zur Erfassung binnen zwei Jahren nicht verzichtet werden, ist diese Frist in jedem Fall zu verlängern.
- 57. Der Bundesrat lehnt die Verpflichtung in Artikel 59 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags ab, wonach die Behörde, die den Europäischen Pass für die Auftragsvergabe ausstellt, die einschlägigen Informationen direkt von den zuständigen Behörden einholt. Die Regelung ist nicht zielführend, da der Antragsteller über die einschlägigen Unterlagen in der Regel ohnehin bereits verfügt und es deshalb einen zusätzlichen Aufwand darstellt, wenn die ausstellende Behörde die Dokumente noch einmal beschafft.
- 58. Der Bundesrat fordert die Streichung der in Artikel 66 Absatz 4 vorgesehenen Verpflichtung der Auftraggeber zur effektiven Prüfung der von den Bietern beigebrachten Informationen und Nachweise zu den Zuschlagskriterien. Die sogenannte Wienstrom-Rechtsprechung des EuGH verlangt lediglich, dass die Zuschlagskriterien so formuliert sein müssen, dass sie überprüfbar sind. Die geplante lückenlose Kontrollpflicht geht weit darüber hinaus und würde zu einem erheblichen Mehraufwand führen. Die Auftraggeber müssen sich grundsätzlich auf die Angaben der Bieter verlassen dürfen und einzelfallbezogen über den jeweils angemessenen Umfang bzw. die Tiefe der Kontrolle entscheiden können.
- 59. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass es strenger Vorgaben für die Bewertung der Kosten nach dem Lebenszyklusansatz - wie in Artikel 67 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags vorgesehen - nicht bedarf. Der öffentliche Auftraggeber muss hier einen Beurteilungsspielraum haben, den er ausfüllt, indem er die angewandte Methode (spätestens) in den Vergabeunterlagen erläutert. Der Bundesrat lehnt zudem die Befugnis in Artikel 67 Absatz 3 Unterabsatz 2 Satz 2 des Richtlinienvorschlags ab, nach der die Kommission delegierte Rechtsakte in diesem Bereich erlassen kann; da hier eine Verschärfung des Vergaberegimes bewirkt werden kann, soll dies nicht einseitig von der Kommission bestimmt werden können.
- 60. Der Bundesrat lehnt nachdrücklich den Richtlinienvorschlag im Titel IV zu den Governance-Regelungen insoweit ab, als die Mitgliedstaaten im Rahmen des Artikels 84 zur Beaufsichtigung und Koordinierung der Durchführungstätigkeiten im Vergaberecht eine Aufsichtsbehörde einrichten sollen. Der Bundesrat stellt hierzu fest, dass Regelungen zum Verwaltungs- und Kontrollsystem nicht in die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten eingreifen dürfen. Außerdem steht in der Bundesrepublik Deutschland bereits das föderale Verfassungssystem einer solchen Regelung im Wege. Bei rund 25 000 Vergabestellen in Deutschland ist eine derartige Aufsichtsbehörde praktisch nicht umsetzbar. Allein der von der Kommission angeführte Umstand, dass nicht alle Mitgliedstaaten die Umsetzung und das Funktionieren der Vergabevorschriften systematisch überwachen, begründet keine Kompetenz der EU, ausnahmslos für alle Mitgliedstaaten Überwachungsbehörden zu schaffen bzw. schaffen zu lassen. Schließlich verfügt die Kommission heute schon über ausreichende Möglichkeiten, gegen einzelne Verletzungen europäischer vergaberechtlicher Vorschriften vorzugehen. Die nach Artikel 84 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags vorgesehenen Aufgaben und Befugnisse der Aufsichtsstelle stehen zum Teil im Widerspruch zu nationalen Rechtsgrundsätzen (Überwachung der Entscheidungen nationaler Gerichte; Rechtsberatung). Die Vorgaben des Artikels 84 verstoßen ebenso gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wie die verbindliche Einrichtung von Wissenszentren im Artikel 87. Die Kompetenz zur Beurteilung, ob eine derartige Servicestelle erforderlich ist, obliegt allein den Mitgliedstaaten. Außerdem bestehen heute bereits in Deutschland viele fachbezogene und institutionelle Einrichtungen - wie etwa PPP-Kompetenzzentren und Auftragsberatungsstellen. Die in Artikel 86 vorgesehene Berichterstattung der Mitgliedstaaten an die Kommission sowie die in Artikel 84 Absatz 2 vorgesehene Verpflichtung zur Veröffentlichung von Orientierungsdokumenten, Stellungnahmen und Jahresberichten bedeuten für alle Beteiligten einen erhöhten Aufwand ohne erkennbaren Nutzen. Gleiches gilt für die von öffentlichen Auftraggebern anzulegenden Verzeichnisse.
Die bestehenden Statistikpflichten der Mitgliedstaaten sind bereits jetzt belastend und sollten auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden. Der Bundesrat lehnt es insbesondere auch ab, dass nach Artikel 86 Absatz 2 Buchstabe d die subzentralen öffentlichen Auftraggeber über die bisherigen Statistikpflichten hinaus künftig auch alle Aufträge unterhalb der Schwellenwerte statistisch erfassen und melden müssen. Dies widerspricht völlig dem Ziel der Kommission zum Abbau bürokratischer Lasten in der öffentlichen Auftragsvergabe.
- 61. Der Bundesrat stellt nachdrücklich fest, dass Regelungen zum Verwaltungs- und Kontrollsystem (Teil IV "Governance" des Richtlinienvorschlags) nicht in die Organisationshoheit der Mitgliedstaaten eingreifen dürfen. Die nach Artikel 84 Absatz 3 vorgesehenen Aufgaben und Befugnisse der Aufsichtsstelle stehen zum Teil im Widerspruch zu nationalen Rechtsgrundsätzen (Überwachung der Entscheidungen nationaler Gerichte; Rechtsberatung). Die zwingende Schaffung einer Aufsichtsstelle nach Artikel 84 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags entzieht sich mangels einschlägiger Einzelermächtigung einer EU-weiten Regelung und wird abgelehnt.
- 62. Die geplante Einrichtung einer nationalen Aufsichtsstelle bringt weiteren Verwaltungsaufwand ohne ersichtlichen Mehrwert mit sich. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Subsidiarität sind die Befugnisse der Mitgliedstaaten zur Einrichtung dezentraler Aufsichtsstellen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu wahren, zumal das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Aufsicht des Bundes über die Kommunen als größte öffentliche Auftraggeber ohnehin nicht zulassen.
- 63. Der Bundesrat wendet sich gegen die mit dem Richtlinienvorschlag verbundene Zunahme an Bürokratie. Die in dem Richtlinienvorschlag insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Ziel einer wirkungsvollen Bekämpfung von Korruption und Günstlingswirtschaft festgelegten Meldungen, Berichten und Statistiken führen zu einem erhöhten Umfang an Bürokratie und nicht zu einem schlanken Vergaberecht. Es liegt im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaaten und in deren Organisationshoheit, durch welche Maßnahmen sie Korruption und Günstlingswirtschaft bekämpfen wollen.
- 64. So sollen öffentliche Auftraggeber verpflichtet werden, den Wortlaut abgeschlossener Verträge der nationalen Aufsichtsstelle vorzulegen, damit diese die Verträge auf verdächtige Muster überprüfen kann, und interessierten Parteien Zugang zu den betroffenen Dokumenten zu verschaffen. Dies erscheint ohne konkrete Anhaltspunkte auch bei einer Begrenzung auf hochvolumige Auftragssummen mit einem Umfang von zehn bis 20 Prozent aller Beschaffungen unverhältnismäßig.
- 65. Der Bundesrat lehnt die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Orientierungsdokumenten, Stellungnahmen sowie eines Jahresberichts nach Artikel 84 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags ab. Ein Mehrwert kann nicht festgestellt werden. Die Verpflichtung würde erheblichen Verwaltungsaufwand erzeugen, der die vorgeblichen Ziele der Richtlinie konterkarieren würde.
- 66. Die in Artikel 84 Absatz 3 Buchstabe g der vorgeschlagenen Richtlinie vorgesehene Überwachung der Entscheidungen nationaler Gerichte im Anschluss an Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes oder an Feststellungen des EuGH bei von der Union kofinanzierten Projekten durch die nationale Aufsichtsstelle greift in unzulässiger Weise in die Autonomie der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten ein und missachtet das allgemeine Gebot der Unabhängigkeit der Gerichte. Gerichte sollen Behörden kontrollieren und nicht umgekehrt.
- 67. Der Bundesrat lehnt die Verpflichtung zur fachlichen Unterstützung sowie die Rechts- und Wirtschaftsberatung der Bieter nach Artikel 87 des Richtlinienvorschlags ab. Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Auftraggeber, potentielle Auftragnehmer mit Beratungsleistungen zu versorgen.