umwelt-online: Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor elektromagnetischen Feldern (3)
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A2.2.3 Einflüsse auf das kardiovaskuläre System

Auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse von Probandenstudien zur Variabilität des Herzschlags in Abhängigkeit von einer nächtlichen Magnetfeldexposition mit einigen 10 µT ([Sas 96] intermittierende Exposition; [Sal 99]) wurde die Hypothese aufgestellt, dass langfristige Expositionen mit niederfrequenten Magnetfeldern das Risiko von bestimmten Herzerkrankungen, wie z.B. akuter Herzinfarkt, erhöhen. Dabei wird angenommen, dass die Exposition die autonome Kontrolle des Herzens verringert. Herzerkrankungen, die auf langfristige Veränderungen des Gewebes, wie z.B. bei Arteriosklerose, zurückzuführen sind, sollten nicht betroffen sein. Eine epidemiologische Studie [Sav 99] fand einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Beschäftigung an einen Arbeitsplatz mit wahrscheinlich höherer Exposition und dem Auftreten von Todesfällen, die auf akute Herzrhythmusstörungen bzw. akuten Herzinfarkt zurückzuführen sind. Vor allem die indirekte retrospektive Expositionserfassung über lange Zeiträume und die Zuordnung und Interpretation der Todesursachen beschränken aber die Aussagekraft der Studie. Bei der Interpretation der Versuchsergebnisse ist zu bedenken, dass keine plausible Erklärung dafür vorliegt, wie eine akute, reversible Beeinflussung der Variabilität des Herzschlags zu einem höheren Risiko nach z. T. Jahrzehnten führen könnte. Eine weitere, gut kontrollierte Laborstudie zeigte keinen Einfluss einer nächtlichen Magnetfeldexposition (127 µT, 60 Hz) auf die Variabilität des Herzschlags [Gra 00a]. Möglicherweise tritt die Reaktion nur bei gleichzeitiger Störung des Schlafes durch andere Faktoren auf [Gra 00b].

Die Ergebnisse der Untersuchungen zur Frage, ob Einflüsse auf das kardiovaskuläre System auftreten, sind insgesamt als wissenschaftlicher Hinweis zu werten. Ob eine gesundheitlich relevante Reaktion vorliegt, kann aus Sicht der SSK nur mittels weiterer Forschung geklärt werden.

A2.2.4 Einflüsse auf den Melatoninhaushalt

Das Hormon Melatonin wird in der Zirbeldrüse gebildet. Die Freisetzung folgt einem Tag-Nacht-Rhythmus. Am Tage ist die Melateninkonzentration im Blut gering und in der Nacht hoch. Die Bildung. und Freisetzung in den Blutkreislauf wird bei Licht unterdrückt. Die inter- und intraindividuellen Variationen der Melatoninkonzentration sind sehr groß und werden von Faktoren wie Alter, Geschlecht, Lebensgewohnheiten (z.B. Rauchen) bestimmt. Melatonin dient als interner Taktgeber für physiologische Vorgänge und zeigt entsprechend vielfältige Wirkungen. Im Zusammenhang mit Krebserkrankungen werden vor allem die hemmende Reaktion auf die Zellteilung sowie die Eigenschaft des Melatonins als Radikalfänger betrachtet.

Bereits vor der Diskussion über eine Beeinflussung durch elektromagnetische Felder wurden Hypothesen aufgestellt, wonach eine Verringerung der Melatoninbildung mit einer Förderung der Krebsentwicklung einhergehen könnte. Nach einer zweiten Hypothese könnte eine verringerte Melatoninproduktion einen negativen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden haben. Allerdings haben die älteren Studien weder überzeugend einen Einfluss von Magnetfeldexpositionen auf den Melatoninhaushalt des Menschen zeigen können, noch sprachen die Studienergebnisse insgesamt für einen Zusammenhang zwischen niederfrequenten Feldern und Endpunkten wie Krebs oder Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens. Die Ergebnisse von Tierversuchen, die im Wesentlichen an Nagetieren durchgeführt wurden, haben kein einheitliches Bild ergeben. In den neueren Arbeiten konnte überwiegend kein Zusammenhang bei Tieren wie auch bei Probanden gefunden werden ([Yel 98; Bak 99; Lös 98; Joh 98; Hei 991 Probandenversuche: [Hon 01] bis ca. 10 µT; [Gra 00] 30 µT; [Ake 99] 50 Hz, 1 µT). In einer Untersuchung an Mxusen (chronische Exposition, 15 µT, Reaktion nach Generationen [Pic 98) und einer an Sibirischen Zwerghamstern (akute Reaktion bei 100 µT [Will 99]) zeigte sich im Zusammenhang mit der Exposition eine Verringerung des Melatoninspiegels. Bei einer Probandenstudie wurde eine Verzögerung des nächtlichen Anstieges der Melatoninkonzentration bei vorhergehender Exposition mit einem zirkular polarisierten Feld von 20 µT beobachtet [Woo 98].

Bei Beschäftigten an Arbeitsplätzen mit zeitlich stabiler Magnetfeldexposition bzw. mit Exposition mit einem elliptisch polarisierten Magnetfeld konnte im Gegensatz zu Beschäftigten an Arbeitsplätzen mit zeitlich variablerer Magnetfeldexposition bzw. mit Exposition mit linear polarisierten Feldern ein Einfluss auf die Melatoninkonzentration im Blut gezeigt werden [Dur 99; Bur 00]. Eine Studie zeigt bei Näherinnen, die während der Arbeitszeit einem erhöhten Magnetfeld ausgesetzt sind, eine verringerte nächtliche Melatoninproduktion im Vergleich zu Büroangestellten [Juu 00].

Die bisherigen Studienergebnisse liefern ein sehr uneinheitliches Bild bei Tierversuchen, jedoch keinen Hinweis für eine gesundheitliche Beeinträchtigung beim Menschen. Aus Sicht der 55K sollten die offenen Fragen durch entsprechende Untersuchungen geklärt werden.

A2.2.5 Einflüsse auf das zentrale Nervensystem (ZNS) und Beeinflussung kognitiver Funktionen

Die derzeit gültigen Grenzwerte für niederfrequente Felder orientieren sich an den Reizwirkungen in erregbaren Geweben. Das Phänomen der Magnetophosphene (magnetfeldinduzierte Lichterscheinung im Auge), die oberhalb von 2000 µT wahrgenommen werden können, wurde bisher nicht als kritisch für die Grenzwertfestlegung betrachtet, da Magnetophosphene selbst keine gesundheitliche Relevanz besitzen. In neueren Konzeptentwürfen werden Grenzwerte z. T. an Magnetophosphenen ausgerichtet [GNL 00], unter anderem, weil sie als Hinweise auf mögliche Beeinflussungen des ZNS gewertet werden [Rei 00]. Weitere Untersuchungen sollten klären, inwieweit Magnetophosphene tatsächlich als Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigung des ZNS zu sehen sind.

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