umwelt-online: Vergleichende Bewertung der biologischen Wirksamkeit verschiedener ionisierender Strahlungen (4)
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2.3.4 Gegenüberstellung der Konzepte von wR und Q(L)

Die Frage, wie die Dualität der Wichtungsfaktoren wR und Q(L) begründet ist und ob sie beibehalten werden sollte, lässt sich unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden, aus der Strahlenschutzpraxis erwachsenen Intention beantworten.

a) Das Konzept des Wichtungsfaktors wR

Mit der Zuordnung der wR -Werte zu bestimmten von außen in den Körper einfallenden oder aus inkorporierten Radionukliden emittierten, in die Körpergewebe eindringenden Strahlungen verfolgt ICRP 60 [ICRP 91] ein konsequent empirisches Konzept: Orientiert an den im Tierversuch beobachteten RBW-Werten für stochastische Strahlenwirkungen erlauben die wR -Werte in einer für Strahlenschutzzwecke ausreichenden Näherung eine Wichtung der im menschlichen Körper erzeugten Organ-Energiedosen entsprechend der biologischen Wirksamkeit der jeweiligen Strahlungsart und -qualität. Der Bezug auf das externe Strahlungsfeld bzw. auf die aus den Radionukliden emittierte Strahlung erlaubt im Prinzip die direkte Übertragung der tierexperimentellen RBWWerte auf den Menschen, selbstverständlich mit den notwendigen physikalischen Korrekturen zur Berücksichtigung der im menschlichen Körper entstehenden Sekundärstrahlungen. Auf der Grundlage der so gewichteten Körperdosisgrößen, insbesondere der effektiven Dosis, ist es möglich, einheitliche, für alle ionisierenden Strahlungen numerisch gleiche Dosisgrenzwerte festzulegen.

Durch die unmittelbare Anlehnung der wR -Werte an tierexperimentelle RBW-Werte erübrigt sich - von Sonderfällen abgesehen - der Rückgriff auf mikrodosimetrische Arbeitsschritte, d. h. die Messung oder Berechnung von LET-Spektren für die einzelnen Organe und die Berechnung entsprechender Mittelwerte des Qualitätsfaktors Q(L). Die durch die grobe Abstufung der wR -Werte in Kauf genommenen Näherungen, beispielsweise die Festsetzung wR = 1 für alle locker ionisierenden Strahlungen, dienen der praxisnahen Vereinfachung und bleiben hinsichtlich ihrer zahlenmäßigen Einflüsse übersichtlich. Beim Vorliegen eines Strahlengemisches gilt die Additivität, d. h. die mit wR gewichteten Dosisanteile der einzelnen Komponenten der einfallenden Strahlung summieren sich zu einem resultierenden Wert, der mit dem Dosisgrenzwert verglichen werden kann.

Das wR-Konzept vereint daher in sich die Gesichtspunkte der Einfachheit und der Verwendbarkeit für die Zwecke der Expositionsbegrenzung.

b) Das Konzept des Wichtungsfaktors Q(L)

Andererseits ist bei den auf der ICRU-Kugel und auf dem LET-abhängigen Wichtungsfaktor Q(L) basierenden Messgrößen der Strahlenschutztechnik, der Ortsdosis und Personendosis, das Argument des richtigen Messens als notwendige, ebenfalls sicherheitsrelevante Forderung anzuerkennen. Die Realisierung der Messgrößen, der Reproduzierbarkeit und Vergleichbarkeit der Messergebnisse, die Erkennung und Limitierung von Messfehlern und die Qualitätsanforderungen an Messgeräte sind nur auf der Basis einer zahlenmäßig eindeutigen Größendefinition möglich, wie sie mit Hilfe des Wichtungsfaktors Q(L) geschaffen worden ist [ICRU 93b]. Durch diese ICRU-Empfehlung wurden weltweit einheitliche Verfahren der Strahlenschutzmetrologie geschaffen, die nunmehr in die strahlenschutztechnische Routine eingegangen sind. Das Q(L)-Konzept ist daher als Voraussetzung für das richtige Messen von Orts- und Personendosis und damit als eine der Grundlagen einer zuverlässigen Strahlenschutzüberwachung anzuerkennen.

c) Weitere Entwicklung

Das durch ICRP 60 eingeführte "duale Konzept" der auf wR beruhenden Körperdosen und der auf Q(L) beruhenden Dosis-Messgrößen (Orts- und Personendosis) hat auf dem Wege über die EU-Richtlinien [EUR 96] Eingang in das deutsche Strahlenschutzrecht [STR 01, RÖV 03] und gesetzliche Messwesen gefunden. Die zugehörigen Begriffe und Definitionen wurden durch die DIN-Normen [DIN 99] ins Deutsche übertragen. In der gegenwärtigen Konsolidierungsphase - nach dem In-Kraft-Treten der Neufassungen von Strahlenschutzverordnung und Röntgenverordnung - hat die Stabilität und Nachhaltigkeit dieses Konzepts für den praktischen Strahlenschutz große Bedeutung, so dass von einer grundsätzlichen Änderung dieses Konzepts abzuraten ist. Modifikationen am System der Wichtungsfaktoren sollten sich daher im gegenwärtigen Zeitpunkt auf einzelne numerische Korrekturen beschränken, soweit solche nach neueren Erkenntnissen notwendig geworden sind (siehe Abschnitte 4 und 5 dieser Begründung).

Angesichts der Einführung eines dualen Systems von Wichtungsfaktoren wR und Q(L) durch ICRP 60 [ICRP 91] ist allerdings die Notwendigkeit unverkennbar, ein künftiges Divergieren dieser Wichtungsfaktoren in strahlenbiologischer oder numerischer Hinsicht zu vermeiden. Ein Vorteil der wR -Werte liegt in ihrer Orientierung an experimentellen RBW-Werten für stochastische Strahlenwirkungen; diese strahlenbiologische Orientierung sollte auch hinsichtlich der Q(L)-Werte, z.B. für Neutronen, aufgezeigt werden und erhalten bleiben. Ein Vorteil der Q(L)-Werte ist der direkte Bezug auf das Strahlungsfeld im menschlichen Körper einschließlich der im Körper entstehenden Sekundärstrahlungen, dieser Bezug darf - wie in den Abschnitten 3.5 und 4.5 genauer erläutert - bei der Festsetzung von wR -Werten nicht verloren gehen. Unabdingbar notwendig wird es auch in Zukunft sein, die numerische Konsistenz der mit Hilfe von wR ermittelten Körperdosen und der mit Hilfe von Q(L) ermittelten Dosis-Messgrößen in der Praxis zu demonstrieren, d. h. zu gewährleisten, dass die Dosis-Messgrößen die Körperdosen konservativ abschätzen. Das Bewusstsein, dass zwischen dem "äußeren" Wichtungsfaktor wR und dem "inneren" Wichtungsfaktor Q(L) ein enger biophysikalischer Zusammenhang besteht, darf nicht verloren gehen [ICRU 93b].

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(Stand: 16.06.2018)

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