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TRGS 910-77: 1,2-Dichlorethan

(BArbBl. 11/89 S. 46)


Krebserzeugender
Stoff

Gruppen

I
(sehr stark gefährdend)
II
(stark gefährdend)
III
(gefährdend)

Massengehalte im Gefahrstoff in v. H.

1,2-Dichlorethan     > 1

Erläuterung:

1,2-Dichlorethan wurde Mäusen als ölige Lösung mit der Schlundsonde über 78 Wochen in Dosierungen zwischen ca. 100 und 300 mg/kg Körpergewicht verabreicht. Diese Behandlung führte zu Lungenadenomen, Adenokarzinomen, Vormagenkarzinomen und Uterustumoren. An Ratten ergaben Dosierungen von etwa 50 und 100 mg/kg Körpergewicht Vormagenkarzinome. Hämangiosarkome der Milz, subkutane Fibrome und Mammakarzinome.

In einem Lebenszeitversuch an Ratten und Mäusen mit Inhalation von 5 bis 150 ml/m3 über 78 Wochen (7 Std./Tag. 5 Tage/Woche) fand sich keine krebserzeugende Wirkung. Dabei lagen die inhalativen Dosierungen bei der höchsten Expositionskonzentration im gleichen Bereich wie bei der oralen Studie; 150 ml/m3 über 7 Stunden entsprechen bei der Maus 260 mg/kg Körpergewicht (Atemvolumen von 1,8 l/h/300 g Ratte).

Mutagene Effekte waren in einigen (jedoch nicht allen) in vitro-Systemen nachweisbar, insbesondere im Ames-Test nach Zugabe von Glutathion, nicht dagegen am Ganztier im host-mediated Assay oder Mikronukleus-Test.

Der Stoffwechsel verläuft oxidativ zum Chloracetaldehyd bzw. durch Konjugation mit Glutathion zum S-Chlorethylglutathion. Dieses Konjugat dürfte über ein reaktives Episulfonium-Ion die mutagene Wirkung in vitro maßgeblich bewirken.

Die obigen Befunde führten zur Einstufung von 1,2-Dichlorethan in die Gruppe III B der krebserzeugenden Arbeitsstoffe unter Zuordnung eines MAK-Wertes von 20 ml/m3 (1). Aufgrund neuerer Daten zur Pharmakokinetik und zur kanzerogenen Wirkung von pulsartig verabreichtem 1,2-Dichlorethan erfolgte 1989 eine Umstufung in die Gruppe III a 2 (2).

Die Gentoxizität zeigte sich nach intraperitonealer und oraler Gabe von 200 mg/kg Körpergewicht auch in vivo als DNA-Schädigung der Leber. Sie wird durch den Glutathion-abhängigen, nicht aber den oxidativen Stoffwechselweg zum Chloracetaldehyd hervorgerufen.

Nach intraperitonealer Gabe konnte an Ratten S-(2-(N7-Guanyl]-ethyl) glutathion als DNA-Addukt sowie das entsprechende Cysteinylglycin identifiziert werden. Dieser Mechanismus gilt auch für 1,2-Dibromethan, allerdings ist die biologische Aktivität der Bromverbindung viel ausgeprägter als die vom 1,2-Dichlorethan (3). Auch ist die kanzerogene Wirkung von 1,2-Dibromethan deutlicher als die der Chlorverbindung (2).

Vergleichende Untersuchungen bei ähnlichen Dosierungen nach oraler Gabe mit der Schlundsonde und inhalativer Exposition zeigten, daß der im niedrigen Dosisbereich überwiegende oxidative Stoffwechselweg mit seiner entgiftenden Funktion unter pulsartiger oraler Gabe (150 mg/kg Körpergewicht) eher gesättigt wird als unter gleichförmiger inhalativer Stoffbelastung (150 ml/m3, 6 h entsprechend ca. 100 mg/kg Körpergewicht). Bei Verabreichung mit der Schlundsonde wird der giftende Glutathion-abhängige Stoffwechselweg verstärkt beschritten, so daß nach Schlundsondierung, nicht jedoch nach Inhalation, eine deutliche Gentoxizität und Kanzerogenität nachweisbar wird. Ein ähnlicher Befund wurde nach inhalativer Exposition für die DNA-Bindung mit radioaktiv markierter Prüfsubstanz erhoben: Während eine längerdauernde Exposition (70 ppm über 4 Std., entsprechend 16800 ppm x min) nur zu einer geringfügigen Bildung von DNA-Addukten in Lunge und Leber der Ratten führten, ergab sich bei kurzer hoher Spitzenexposition (4000 ppm über wenige Minuten) eine starke, um den Faktor 40 erhöhte DNA-Bindung. Qualitativ ähnliche Befunde zeigten sich nach oraler, intraperitonealer und inhalativer Exposition für Einzelstrangbrüche und Alkalilabilität der DNa in der Leber der Maus.

Im Vergleich zum 1,2-Dibromethan ist die gentoxische und krebserzeugende Wirkung von 1,2-Dichlorethan erheblich schwächer ausgeprägt. Im Tierversuch ließ sich eine krebserzeugende Wirkung nur nach Schlundsondierung mit pulsartiger Substanzanflutung. nicht jedoch nach inhalativer Exposition nachweisen. Auch in mechanistischen Untersuchungen landen sich DNA-Schäden und -Bindungen nur nach überhöhten Dosierungen mit Überlastung des entgiftenden oxidativen Metabolismus. 1,2-Dichlorethan wird deshalb in die Gruppe der gefährdenden krebserzeugenden Arbeitsstoffe (Gruppe III) eingestuft. Wegen des niedrigen Siedepunktes von 83,7 °C wird jedoch die Grenzkonzentration schon bei>1 % festgelegt.

Literatur:

(1) "Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe" (Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten) der Arbeitsstoff-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Verlag Chemie, Weinheim, abgeschlossen am 4.12.1981.

(2) "Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe" (Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten) der Arbeitsstoff-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Verlag Chemie, Weinheim, abgeschlossen 1989.

(3) Van Bladeren et al. (1981), zitiert nach R. D. Storer et al., Cancer Res. (1984) 44,4267-4271.

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