Begründung zur Bewertung von Stoffen als sensibilisierend
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36. N-Methyl-N,2,4,6-tetranitroanilin (Tetryl)

(CAS-Nr.: 479-45-8)
(N-Methyl-N,2,4,6-tetranitrobenzolamin, N-Pikryl-N-methylnitramin, Nitramin, Tetralit)

Ausgabe: Februar 2000
(BArbBl. 2/2000 S. 90)



Vorkommen:

Tetryl wird als empfindlicher Sprengstoff insbesondere zur Füllung von Sprengkapseln, Granaten und Torpedos verwendet und wurde im 2. Weltkrieg verbreitet eingesetzt [11, 14].

Arbeitsmedizinische und experimentelle Daten:

CRIPPS [3] beschrieb bereits 1917 Hautveränderungen beim Umgang mit Tetryl und nahm eine irritative Wirkung an. Er forderte u. a. Maßnahmen eine Eignungsuntersuchung für diese Exposition.

Die "Tetryldermatitis" war in den vierziger Jahren in Munitionsfabriken die häufigste Hauterkrankung [16]. In Arbeitsbereichen mit hoher Belastung mit staubförmigem Tetryl kam es neben einer intensiven gelb-orange Verfärbung der Haut und Haare nach kurzer Expositionszeit zu einer hohen Inzidenz von akuter Kontaktdermatitis an unbedeckten Körperpartien. Nicht selten traten auch Beschwerden wie Irritation der Augen und der oberen Atemwege, Nasenbluten und asthmaähnliche Symptome auf. Für die Kontaktdermatitis werden Erkrankungsraten bis über 50 % (PROBST et al., 1944, 62 %; EDDY, 1943, 40 %; SCHWARTZ, 1944, 30 %; BERGMAN, 1952, 4,2 % bis 7,7 % über 10 Jahre) angegeben. Einige Autoren berichteten über "Gewöhnung" ("Hardening") nach einigen Wochen bei einem erheblichen Teil der Erkrankten, z.B. 3 von 4 [4], 8 5 % [15], 60- 68 % [5], die dann die Arbeit fortsetzen konnten.. Andere Betroffene erlitten bei geringstem Kontakt mit Tetryl Rezidive, so daß in diesen Fällen allergische Reaktionen angenommen wurden. Hauttestungen wurden nur selten durchgeführt. PARMEGGIANI [12] berichtete 1956, daß von 200 Exponierten in 2 Jahren 37 an einer Dermatitis erkrankten und in 2 Fällen davon der Hauttest positiv (in 5 weiteren schwach positiv) war. Nach BAIN u. THOMSON [1] war die Tetryldermatitis die häufigste Ursache für die Tätigkeitsaufgabe in der hochexponierten Abteilung einer englischen Munitionsfabrik.

Wegen des eingeschränkten Umganges gibt es nur wenige neuere Mitteilungen zum Tetryl. GOH u. RAJAN [9] sahen bei einer Frau mit Dermatitis beim Umgang mit Tetryl und Trinitrotoluo) (TNT) nur einen positiven Patch-Test mit 5 % TNT in Vaseline und nicht auf Tetryl (0,1 % in Olivenöl). Später wurde der Fall einer Munitionsarbeiterin mit Kontaktdermatitis beschrieben, die positive Tests auf 0,0 5 % bis 0,5 % Tetryl in Vaseline (negativ in Olivenöl und Aceton) zeigte, nachdem sie in einer früheren Testung nur positiv auf 5 % TNT in Vaseline und nicht auf 0,1 % Tetryl in Olivenöl reagierte (es wird nicht ganz klar, ob es sich hier um zwei verschiedene Fälle gehandelt hat). Die Autoren diskutieren eine Kreuzreaktion zwischen Tetryl und TNT. Die Testung mit Cyclotrimethylentrinitramin und 20 Kontrolltestungen mit 0,1 % Tetryl in Vaseline waren negativ [8].

GELL [7] exponierte Meerschweinchen durch (1) i.c. Injektion, (2) dermale Applikation auf verbrühter Haut, (3) subcutane Implantation, (4) dermale Einreibung in Lanolin und (4) Inhalation (0,4 mg/l, 6 Tage für 30 Mm, Gesamtaufnahme 7-10 mg). Nach intradermaler und subcutaner Induktion sowie Inhalation und kutaner Auslösung waren nahezu alle Tiere sensibilisiert. Durch die Methoden (2) und (4) wurden keine oder nur zweifelhafte Reaktionen ausgelöst. Nach Inhalation reagierten 6 Tiere im Hauttest positiv. Sensibilisierte Tiere zeigten Kreuzreaktionen zu Trinitrophenetol, Picrylchiorid, Methylpicramid, Picramid, nicht jedoch auf Trinitrotoluol. Tetryl war nicht hautreizend.

6 Ratten konnten mit der intradermalen Technik (10 mal 1 % Tetryl in Propylenglycol) nicht sensibilisiert werden [12].

In einem Bühler-Test am Meerschweinchen wurden für Tetryl und Dinitrobenzol keine und für Trinitrobenzol eine schwache sensibilisierende Wirkung gefunden. Tetryl wirkte stark irritierend am Kaninchenauge, jedoch nicht an der Haut [6].

Ob Tetryl auch durch Einatmen sensibilisierend wirken kann, ist bisher nicht ausreichend untersucht [10].

Bewertung:

Auch wenn die allergische Verursachung für einen großen Teil der Fallberichte nicht hinreichend abgeklärt wurde, ist sehr wahrscheinlich und durch positive Epikutantests in Einzelfällen belegt, daß Tetryl sensibilisierend durch Hautkontakt wirkt (R 43). Die Ergebnisse aus den Tierversuchen sind nicht eindeutig zu interpretieren.

Literatur:

1. Bain, W.A.; Thomson, G.H.: Pilot Trial of an Antihistaminic Drug in the Controlof "Tetryl" Dermatitis. Br. J. Ind. Med. 11 (1954), 25-30

2. Bergman, B.B.: Tetryl Toxieity: a summary of Ten Years Expenence. Arch. Ind. Hyg. Occup. Med. 5 (1952), 10-20

3. Cripps, L.: The Properties of Tetryl. Br. J. Dermatol. 29(1917), 3-17

4. Eddy J.H.: Some Toxic Reactions of common Exposives. Ind. Med. 12 (1943), 483-486

5. Fischer, C.N.; Murdock H.D.: Tetryl Exposure - Analysis of four Years of medical Experience with Tetryl. Ind. Med. 15 (1946), 428-429

6. Fitzgerald, G.B.; Austin, A.; Diguilio, N.: Acute Toxicity Evaluation of Nitroaromatic Compounds. Toxikon Corp., Woburn, WA, -USA, 199, 70 S.

7. Gell, P.G.H.: Sensitization to "Tetryl". Br. J. Exper. Path. 25 (1944), 174-192

8. Goh, C.L: Allergic contact dermatitis from tetryl and trinitrotoluene. Contact Dermatitis 10 (1984), 108

9. Goh, C.L.; Rajan, V.S.: Contact sensitivity totrinitrotoluene. Contact Dermatitis 9 (1983), 433-434

10 Greim, H. (Hrsg): Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten. N-Methyl-N,2,4,6-tetranitroanilin, 1995, Weinheim: WILEY - VCH-Losebl.-Ausg.

11. Kayser, D.; Schlede, E. (Hrsg.): Chemikalien und Kontaktallergie - Eine bewertende Zusammenstellung. München: MMV, 1997, Losebl.-Ausg.

12. Parmeggiani, L.; Bartalini, E.; Sassi, C.; Perini, A.: Patologia professionale e sperimentale da Tetrile: Ricerche sperimentali Osservazioni-cliniche e Prevenzione. Med. Lavoro 47 (1956), 293-313

13. Probst, E.W.: Mund, M.H. Lewis, L.D.: Effects of Tetryl. J. A. M. A. 126 (1944), 424-427

14. Römpp: Chemie Lexikon. Hrsg. Falbe, J.; Reglitz, M. 9. Auflage, Stuttgart: G.Thieme7Verlag, 1989-1992

15. Schwartz, L.: Dermatitis from Expiosives. r. A. M. A. 125 (1944), 186-190

16. Schwartz, L., Tulipan, L.; Birmingham, D.J.: Occupational Diseasas of the Skin. Philadelphia: Lea & Febiger, 1957, 439 -444

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