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59. 1-Nitronaphthalin
(CAS-Nr.: 86-57-7)
Ausgabe: September 1999
(BArbBl. 9/1999 S. 69)
Erfahrungen am Menschen
Zur Toxizität von 1-Nitronaphthalin (1-NN) liegen lediglich Erfahrungen am Menschen nach Mischexposition gegenüber verschiedenen nitrierten Naphthalinen vor. Die beobachteten Effekte lassen sich nicht allein auf 1-NN zurückführen.
Kanzerogenität
Orale Applikation
Zwei Gruppen mit je 50 männlichen und 50 weiblichen Mäusen (B6C3F) erhielten 78 Wochen lang 0,12% bzw. 0,06% (≅ 156 bzw. 78 mg/kg/Tag) 1-Nitronaphthalin (technisch, Schmelzpunkt 50-530C) im Futter und wurden anschließend weitere 18-20 Wochen beobachtet. Zwei Gruppen mit je 50 männlichen und 50 weiblichen Tieren dienten als Kontrolle. Mehr als 80 % der Mäuse überlebten 80 Wochen. In einer weiteren Untersuchung an Ratten (Fischer 344, 50/Geschlecht! Gruppe), die 78 Wochen lang 0,18 % bzw. anfangs 0,05 % dann 0,06 % (90 bzw. 25 oder 30 mg/kg/Tag) Nitronaphthalin (technisch, Schmelzpunkt 50-53 °C) im Futter erhielten und weitere 29-31 Wochen beobachtet wurden, betrug die Überlebensrate nach 52 Wochen mehr als 80 %. In beiden Untersuchungen wurden sowohl bei den behandelten Tieren als auch bei den Kontrolltieren Tumore in den Atemwegen, Verdauungstrakt und im endokrinen System gefunden. Es wurden keine substanzbedingt erhöhten Tumorinzidenzen beobachtet. Die verabreichten Dosen entsprachen nicht den maximal tolerierten Dosen (NCI, 1978; zitiert in DFG, 1983).
Intraperitoneale Applikation
Nach i.p.-Applikation von 25 mg/kg (zweimal pro Woche über 12 Wochen) an Sprague-Dawley-Ratten (20) wurden eine substanzbedingte Retardierung der Körpergewichtsentwicklung sowie 3 fokale Hyperplasien der Blase und ein nicht infiltrierendes Zellkarzinom des Übergangsepithels der Blase beobachtet. An den Einstichstellen wurden bei 8 Tieren feste Knoten (mesenteriale oder peritoneale Zysten) gefunden, die vom Autor als substanzbedingt angesehen wurden (Johnson, 1976; zitiert in DFG, 1983).
Gentoxizität
Untersuchungen zur Gentoxizität von 1-Nitronaphthalin sind in den Tabellen 1 und 2 zusammengestellt.
in vitro
Die Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen mit Bakterien (Ames-Test, umu-Test, rec-Test) sind positiv. Die Studien mit Säugerzellkulturen ergaben uneinheitliche Ergebnisse (Tabelle 1).
Im bakteriellen Rückmutationstest mit Salmonella typhimurium (Ames-Test) war 1-Nitronaphthalin in den Stämmen TA98, Ta 100, Ta 1535 und Ta 1538 mutagen (niedrigste effektive Konzentration 19 µg/ml) (Nakamura, 1987; Rosenkranz et al., 1985; Mortelmans et al., 1986). Keine mutagene Aktivität wurde bei den Stämmen Ta 97 oder TA1537 (Mortelmans et al., 1986; Rosenkranz et al., 1987) oder bei Escherichia coli WP2 uvra (Dunkel et al., 1985) festgestellt.
Die Mutagenität von Nitroarenen in Bakterien ist von der Fähigkeit zur Reduktion der Nitrogruppe abhängig (Rosenkranz et al., 1985; Vance & Levin, 1984). In den Nitrogenase-defizienten Stämmen TA98NR und TA100NR wurde ohne S9 eine im Vergleich zu den Nitroreduktase-produzierenden Stämmen schwächere Mutagenität gefunden. Quantenchemische Betrachtungen ergaben, daß die bevorzugte DNA-Bindungstelle von 1-Nitronaphthalin die O6-Position des Guanins ist (Rosenkranz et al., 1985).
In 2 von 5 Serien war die Frequenz von Thioguanin-Resistenzen in V79-Zellen signifikant erhöht; die erhaltenen Werte waren jedoch deutlich niedriger als die der Positivkontrolle (Boyes et al., 1991). Die Autoren interpretierten diese Ergebnisse als uneinheitlich und erachteten 1-NN als schwach gentoxisch, für das ein Kanzerogenitätstest nicht sensitiv genug ist.
in vivo
Zur Beurteilung der Gentoxizität in vivo liegen keine geeigneten Studien vor. Es stehen lediglich ein geschlechtsgebundener Letal-Test und Mutations- und Rekombinationstests mit Drosophila melanogaster zur
Verfügung, deren Ergebnisse uneinheitlich sind (Tabelle 2). Nach oraler Applikation oder Injektion fanden Valencia et al. (1984) keine erhöhten Mutationsfrequenzen. Batiste-Alentorn et al. (1995) beobachteten bei einem der drei untersuchten Endpunkte (wing spot) bei der höchsten getesteten Konzentration von 2,0 mM (≅ 346,4 µg/ml) im Futter ein positives Resultat. Die Ergebnisse der beiden anderen Endpunkte (zeste-white, white-ivory) sind fragwürdig.
Metabolismus
1-Nitronaphthalin wurde in vitro durch Leberpräparationen bzw. -mikrosomen von Ratte, Maus, oder Kaninchen unter Inertgasatmosphäre zu 1-Naphthylamin metabolisiert, Durch Sauerstoff wurde die Reaktion verhindert vergleichbar der Cytochrom P-450-abhängigen N-Oxidation von 1-Naphthylamin (Übersichten bei MAK, 1983; IARC, 1989; BG Chemie 1995). Tatsumi et al. (1986) konnten N-Hydroxy-1-naphthylamin qualitativ als Metabolit von 1-NN in vitro in Kaninchen-leber-Mikrosomen und Cytosol nach NADPH- bzw. NADH-abhängiger Metabolisierung isolieren und massenspektroskopisch identifizieren. Der Nachweis war jedoch nur unter anaeroben Bedingungen möglich.
Auch in vivo wurde nach i.p.-Applikation von 1-NN 1-Naphthylamin als Metabolit im 24 h-Urin von Ratten nachgewiesen. Die postulierten Zwischenstufen der NADPH-abhängigen Reduktion, N-Nitrosonaphthalin und N-Hydroxy-1-naphthylamin konnten jedoch nicht nachgewiesen werden (Johnson & Cornish, 1976; 1978). Die Ursache ist vermutlich in der hohen Reaktivität bzw. Instabilität dieser Verbindungen unter den Testbedingungen zu sehen.
In einer neueren, nur als Abstract vorliegenden Untersuchung an der Ratte wurden nach i.p.-Verabreichung von [14C]1-NN (100 mg/kg) ca. 58 % der Dosis mit dem Urin ausgeschieden, 15 % mit den Fäzes und ca. 0,3 % wurden ausgeatmet. Folgende Metabolite wurden im Urin identifiziert: 1-Naphthylamin, N-Acetyl-1-naphthylamin, 1-Hydroxynaphthylamin und das entsprechende Sulfatkonjugat, 1-Hydroxynitronaphthalin und das zugehörige Sulfatkonjugat, N-Acetyl-S-(1-hydroxynitronaphthalin-L-cystein sowie N-Acetyl-S-(1-nitronaphthalin)-L-cystein (Halladay et al., 1998). Eine Quantifizierung der nachgewiesenden Metaboliten wurde nicht berichtet.
1-Nitronaphthalin wird in vivo und in vitro in einer NADPH-abhängigen Reaktion oxidiert bzw. reduziert. Dem quantitativ dominierenden oxidativen Stoffwechselweg, der Ringhydroxylierung, kommt hinsichtlich der Gentoxizität nur geringe oder keine Bedeutung zu.
Die Rolle der Darmflora bei der oralen Aufnahme von 1-NN kann hinsichtlich der Nitroreduktion und Hydroxylaminbildung derzeit nicht abgeschätzt werden.
(Stand: 20.08.2018)
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