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7. Erläuterung zu Nickeltetracarbonyl

(BArbBl. 5/95 S. 35)


Ein TRK-Wert für Nickeltetracarbonyl (NC) wird nicht festgelegt, da der Stoff zur Zeit nur eine geringe technische Bedeutung hat.

NC ist in der TRGS 905 (Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe) als krebserzeugend und fruchtschädigend in die Kategorien C 3 und RE 2 - gemäß der Richtlinie 93/72/EWG - eingeordnet. Die Internationale Krebsforschungsagentur der WHO (IARC) führt NC wie alle Nickelverbindungen als Gruppe-l-Stoff (krebserzeugend für den Menschen) [1].

  Arbeitsmedizinische Erfahrungen

Nach akuten Intoxikationen durch Nickeltetracarbonyl treten zunächst unspezifische Symptome wie Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel auf. Die Inhalation von Nickelcarbonyl führt in Abhängigkeit zur Expositionshöhe ferner zur Reizung der oberen Atemwege und zu substernalen Schmerzen. Nach dieser Sofortsymptomatik beobachtet man nach einem häufig symptomfreien Intervall von einigen Stunden interstitielle Pneumonien mit Lungenödemen und teilweise ausgeprägter Dyspnoe, verbunden mit hohem Fieber und Anstieg der Leukozytenzahlen. Nach schweren Intoxikationen wurden auch Zeichen der Nieren- und Nebenniereninsuffizienz beobachtet. Auch einer Myocarditis ähnliche EKG-Veränderungen wurden beschrieben[1]

In epidemiologischen Untersuchungen aus Nickelraffinerien, in denen auch Nickeltetracarbonyl auftrat, wurden schon 1939 für Lungen- und Nasenkarzinome erhöhte Mortalitätsraten beschrieben. Bei Nachuntersuchungen zeigte sich, daß nach 1930 das Erkrankungsrisiko deutlich reduziert werden konnte. Die Studien umfaßten insgesamt 2521 Personen, die mindestens 5 Jahre von 1902 bis 1969 in der Nickelraffinerie beschäftigt waren [1].

Untersuchungen an Kollektiven, die ausschließlich gegenüber Nickelcarbonyl exponiert waren, sind bislang nicht publiziert worden [2].

Toxikologische Erfahrungen

Nach einmaliger, dreißigminütiger Exposition 80 männlicher Wistar-Ratten in einer Atmosphäre von 250 mg NC/m3starben 52 Tiere innerhalb der ersten Woche. 2 von den 3 Ratten, die nach zwei Jahren noch lebten, entwickelten Lungentumore (ein Schuppenzellkarzinom und zwei Bronchialadenome). Parallel dazu wurden chronische Inhalationsversuche mit zwei Männchengruppen desselben Rattenstamms durchgeführt, die ein Jahr lang wöchentlich je 30 Minuten 30 bzw. 60 mg NC/m3ausgesetzt wurden. Alle chronisch behandelten Tiere reagierten mit entzündlichen Erkrankungen der Atemwege, bei einigen zeigten sich Metaplasien des Bronchialepithels. In der Niedrigdosisgruppe lebten nach 2 Jahren noch 5 Tiere (7,8 %), wovon bei einem ein Lungenkarzinom nachgewiesen wurde, ebenso wie bei dem nach 2 Jahre einzigen überlebenden Tier (von ursprünglich 32) der Hochdosis-Gruppe. Bei letztgenanntem Tier wurden auch Metastasen festgestellt. Das NC wurde bei diesen Experimenten als Ethanol-Diethylether-Lösung verdampft. Die 41 Kontrollratten (Exposition nur gegen das Lösungsmittelgemisch) bekamen keine Lungentumoren; es wurde aber ein Phäochromozytom der Nebenniere diagnostiziert. Es sei angemerkt, daß nach Ablauf von 2 Jahren noch 3 Tiere der Kontrollgruppe am Leben waren, 27 starben schon innerhalb der ersten 12 Monate nach Versuchsbeginn [3].

In einer späteren Studie wurde ein Lungen-Adenokarzinom in einer Gruppe von 35 männlichen Wistar-Ratten beobachtet, die eine einmalige dreißigminütige Inhalation von 600 mg NC/m3um zwei Jahre oder mehr überlebt hatte. Das Experiment war mit 285 Tieren gestartet worden. Etwa ein Viertel der Ratten überlebte die ersten drei Wochen nach der Exposition und entwickelte eine Vielzahl maligner Tumoren (insbesondere Lymphome), die sich jedoch quantitativ nicht von der Kontrolle unterschieden. Die Gabe des Komplexbildners Dithiocarb nach der NC-Inhalation wirkte lebensverlängernd, während die Tumorrate fast unverändert blieb. Auch in diesem Fall war ein metastasierendes Lungenkarzinom auffällig. Eine dritte Gruppe, bestehend aus 64 Wistar-Rattenmännchen, wurde bis zum Tod dreimal pro Woche je 30 Minuten einer NC-Konzentration von 30 mg/m3in der Atemluft ausgesetzt. Nur 8 Tiere überlebten den Versuchsbeginn um mehr als 2 Jahre. In diesem Kollektiv zeigte sich bei einer Ratte ein Lungen-Adenokarzinom mit Metastasen. 44 von den ursprünglich insgesamt 70 Kontrolltieren der drei Gruppen lebten 2 Jahre nach Beginn des Experiments noch; rund ein Drittel entwickelte maligne Tumoren, ein Lungenkarzinom war nicht darunter [4].

Einmalig intravenös verabreichtes NC (22 mg Nickel/kg KGW) erzeugte keine signifikante Steigerung der Tumorrate bei Sprague-Dawley-Ratten. Dagegen war die Inzidenz maligner Tumoren bei Ratten, die 6 NC-Injektionen (je 9 mg Nickel/kg KGW in Abständen von 2 oder 4 Wochen ) i.v. erhielten, deutlich höher als in der Kontrolle (s. Tab.). Unter den 19 bösartigen Neubildungen der letztgenannten Gruppe traten im einzelnen auf: 6 undifferenzierte Sarkome (Lunge. Pleura, Leber, Pankreas, Bauchwand), 3 Fibrosarkome (Hals, Ohrmuschel, Augenhöhle), 3 Karzinome (Leber, Niere, Brust), 1 subkutanes Hämangiosarkom, 1 Leukämie und 5 Lungenlymphome. Statistisch signifikante Unterschiede bezüglich der Ausbildung benigner Tumoren (Fibroadenome der Brust bei weiblichen bzw. subkutane Rankenneurome bei männlichen Tieren) wurden nicht beobachtet. Im Gegensatz zu den Inhalationsversuchen war die Lebensdauer der i.v. behandelten Tiere nicht wesentlich verringert [5].

Zusammenfassend muß festgestellt werden, daß aufgrund der hohen Mortalität die Aussagekraft der oben beschriebenen Inhalationsexperimente begrenzt ist. Die Autoren der betreffenden Studien messen den gefundenen Neubildungen der Lunge jedoch große Bedeutung zu, da diese spontan bei Ratten nur relativ selten austreten. Daneben liegt nur eine weitere Kanzerogenitätsstudie mit Ratten vor, in der ein eher ungewöhnlicher Aufnahmeweg (intravenöse Injektion) gewählt wurde. Es wird allgemein angenommen, daß NC in der Zelle langsam in elementares Nickel und Kohlenmonoxid zerfällt; anschließend kann Nickel zu Ni2+oxidiert und CO abgeatmet werden [6,7]. Damit wäre Ni2+ als das eigentliche krebsauslösende Prinzip aufzufassen. Über die kanzerogene Potenz anderer Ni (II)-Verbindungen gibt es eine Fülle von Daten, und es existieren derzeit zahlreiche Hypothesen zum möglichen Mechanismus der Nickel-Kanzerogenese [8].

Spezielle Untersuchungen zum Krebsentstehungsmechanismus durch NC ergaben in einzelnen Organen von Nagern eine Beeinträchtigung der RNA- und DNA-Synthese, die auf eine Hemmung von RNA- bzw. DNA-Polymerasen zurückgeführt wird. Ähnliche Effekte ergaben sich mit Nickel (II)-chlorid. Die Bindung von Nickel an die Leber- und Nieren-DNa bei mit63Ni(Co)4 behandelten Ratten wurde zwar gemessen, könnte aber auch ein Präparationsartefakt sein [9]. Nach Exposition von Ratten gegen NC wurde eine Hemmung der Induktion von Tryptophan-Pyrrolase, Cytochrom P 450 (Leber [10, 11]) sowie Benzpyrenhydrolase und Aminopyrendemethylase (Leber, Lunge [12,13]) nachgewiesen.

Die teratogene und embryotoxische Wirkung von NC ist durch Experimente mit Ratten und Hamstern belegt (Übersicht s. [8]). Ein Dominant-Letal-Mutationstest mit männlichen Fischer-344-Ratten. die NC 2-6 Wochen vor der Paarung einatmeten (0,145 mg/l. 15 min) ergab keine Beeinträchtigung von Fruchtbarkeit und Nachkommenzahl. Intravenöse Injektion von 64 mg NC/kg KGW 5 Wochen vor der Zeugung führte hingegen zu einer Reduzierung der Anzahl lebender Föten bzw. Jungen. Dieses Ergebnis wird als Indiz für Chromosomenschäden während des Meiosestadiums der Spermarogenese gewertet [14].

Tabelle: Tumorinzidenzen bei weiblichen (w) und männlichen (m) Sprague-Dawley-Ratten nach intravenöser NC-Injektion

0 mg/kg KGW 1 x 64,0 mg/kg KGW 6 x 26.2 mg/kg KGW
benigne Tumoren w 10/32
m 2/15
w 13/46
m 0/26
w 11/60
m 0/61
maligne Tumoren
- Lungen lymphome w 2/32
m 0/15
w 2146
m 2/26
w 2/60
m 3/61
- sonstige w 0/32
m 0/l5
w 1/46
m l/26
w 7/60
m 7/61

Analytik

Zur Messung von Nickeltetracarbonyl in der Luft in Arbeitsbereichen stehen anerkannte Verfahren nach ZH 1/120.21 zur Verfügung.

Beim diskontinuierlichen Verfahren wird mit Hilfe einer Pumpe ein definiertes Luftvolumen nach Vorabscheidung nickelhaltiger Partikel durch Aktivkohle gesaugt. Das im sorbierten Nickeltetracarbonyl enthaltene Nickel wird nach Naßaufschluß atomabsorptionsspektroskopisch bestimmt.

Die Bestimmungsgrenze des diskontinuierlichen Verfahrens liegt bei Verwendung der üblichen Personal Air Samplern (Probeluftvolumen ca. 30 l/Schicht) bei 0,02 ml Ni (CO)4/m3. (0,15 mg/m3).

Herstellung und Verwendung

In der Bundesrepublik Deutschland fällt Nickeltetracarbonyl in Mengen von 3 bis 5 Tonnen pro Jahr in einem Betrieb als Nebenprodukt bei der Herstellung von Eisencarbonyl an. Nickeltetracarbonyl wird nicht mehr isoliert und abgefüllt, sondern direkt in der Anlage im geschlossenen System in einem Reaktor zu Nickel zersetzt. Weitere Hersteller oder Verwender sind derzeit nicht bekannt.

Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen

Aus der vorne genannten Anlage liegen 15 personenbezogene Schichtmittelwerte vor, deren Ergebnisse ausnahmslos unter 0,02 ml/m3liegen. Neben diesen Messungen wird die Carbonylkonzentration (alle Metallcarbonyle) in der Anlage durch kontinuierliche Meßgeräte überwacht, wobei Konzentrationen für alle Carbonyle oberhalb der Nachweisgrenze (0,03 ml/m3) nur in Ausnahmefällen (Reparatur und Wartung) gemessen werden.

Hinweis

Da die vorliegenden Meßergebnisse aller unterhalb der Bestimmungsgrenze des anerkannten Meßverfahrens liegen, ist eine Aussage über den Stand der Technik derzeit nicht möglich. Für Nickeltetracarbonyl wird deshalb kein TRK-Wert festgelegt.

Sollte Nickeltetracarbonyl jedoch über den bekannten Anfall als Nebenprodukt hinaus wieder technische Bedeutung erlangen, ist durch eine Arbeitsbereichsanalyse unverzüglich festzustellen, ob ein Wert von 0,02 ml/m5(0,15 mg/m3) eingehalten ist. Die Ergebnisse der Arbeitsbereichsanalyse sind dem Ausschuß für Gefahrstoffe (AGS) mitzuteilen.

Der genannte Wert orientiert sich insbesondere an den Möglichkeiten der Analytik. Ein von NIOSH (Nr. 6007) entwickeltes Verfahren müßte dahingehend überprüft werden, ob die unter Laborbedingungen ermittelte Bestimmungsgrenze in der Praxis erreicht wird. Darüber hinaus sollte auch das Desorptionsverfahren überprüft werden.

Literatur:

[1] International Agency for the Research on Cancer: IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans. Vol. 49: Chromium, nickel and welding. Lyon (1990).

[2] Literaturrecherche in Toxall (Stand 01.06.94)

[3] Sunderman, F. W., Donnelly, A. J., West, B. und Kincaid. J. F.: Nickel poisoning. IX. Carcinogenesis in rats exposed to nickel carbonyl. Arch. Ind. Health 20 (1959) 36-41

[4] Sunderman, F. W. u. Donnelly, A. J.: Metastasizing pulmonary tumors in rats exposed to nickel carbonyl. Am. J. Pathol. 46 (1965) 1027-1041

[5] Lau, T. J., Hackett, R. L. u. Sundermann. F. W.: The carcinogenicity of intravenous nickel carbonyl in rats. Cancer Res. 32 (1972) 2253-2258

[6] Kasprzak, K. S. u. Sundermann, F. W.: The metabolism of nickel carbonyl -14C. Toxicol. Appl. Pharmacol. 15 (1969) 295-303

[7] Oskarsson, A. u. Tjälve, H.: The distribution and metabolism of nickel carbonyl in mice. Br. J. Ind. Med. 36 (1979) 326-335

[8] United Nations Environment Programme, International Labour Organisation, World Health Organization: Environmental Health Criteria. Vcl. 108: Nickel. Genf (1991)

[9] Hui, G. u. Sunderman, F. W: Effects of nickel compounds on incorporation of [3 H] thymidine into DNa in rat and liver kidney. Carcinogenesis 1 (1980) 297-304

[10] Sundermann, F. W.: Nickel carbonyl inhibition of cortisone induction of hepatic tryptophan pyrrolase; Cancer Res. 27 (1967) 1595-1599

[11] Sunderman, F. W.: Nickel carbonyl inhibition of phenobarbital induction of hepatic cytochrome P-450. Cancer Res. 28 (1968) 465-470

[12] Sunderman, F. W.: Inhibition of induction of benzpyrene hydroxylase by nickel carbonyl; Cancer Res. 27 (1967) 950-955

[13] Sundermann, F. W. u. Leiman, K. C.: Nickel carbonyl inhibition of induction of aminopyrine demethylase activity in liver and lung. CancerRes. 30 (1970) 1645-1650

[14] Sunderman, F. W., Reid, M. C., Shen, S. K. und Kevorkian, C. B.: Embryotoxicity and teratogenicity of nickel compounds. In: Clarkson, T. W., Nordberg, G. F. und Sager, P. R. (Hrsg.): Reproduction and developmental toxicity of metals. New York und London: Plenum Press (1983) pp. 399-416

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