umwelt-online: TRAS 410 - Erkennen und Beherrschen exothermer chemischer Reaktionen (1)

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Regelwerk

Technische Regel für Anlagensicherheit
TRAS 410 - Erkennen und Beherrschen exothermer chemischer Reaktionen

Endfassung (April 2000)


Zur aktuellen Fassung

Präambel

(1) Die Technischen Regeln für Anlagensicherheit (TRAS) enthalten dem Stand der Sicherheitstechnik im Sinne des § 2 Nr. 5 der Störfall-Verordnung (BGBl. 2000 I S. 603) entsprechende sicherheitstechnische Regeln und Erkenntnisse. Betriebs- und Beschaffenheitsanforderungen, die aus anderen Regelwerken zur Erfüllung anderer Schutzziele resultieren, bleiben unberührt.

(2) Die TRAS werden gemäß § 31a BImSchG vom Technischen Ausschuss für Anlagensicherheit (TAA) unter Berücksichtigung der für andere Schutzziele vorhandenen Regeln erarbeitet und, soweit erforderlich, dem Stand der Sicherheitstechnik angepasst. Sie werden dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vorgeschlagen und können von ihm nach Anhörung der für die Anlagensicherheit zuständigen Landesbehörden im Bundesanzeiger veröffentlicht und in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften in Bezug genommen werden.

1. Einleitung

1.1 Die in verfahrenstechnischen Anlagen durchgeführten chemischen Reaktionen können zu Gefahren für Menschen und Umwelt führen, wenn Drücke oder Temperaturen bei den Prozessen über die Auslegungsgrenzen der Anlagenteile ansteigen und unkontrolliert Energie und Stoffe freigesetzt werden. Das Schutzziel dieser Regel ist die Vermeidung solcher Zustände.

1.2 Diese Regel ist eine Anleitung zur systematischen Erarbeitung der bei der fabrikmäßigen Herstellung von Stoffen durch chemische Umwandlung auftretenden Gefahren gemäß Abschnitt 1.1, zu deren Bewertung sowie zur Auswahl und zum Umfang der sich daraus ergebenden Maßnahmen zur Verhinderung von Störfällen. Dabei stehen vorbeugende Maßnahmen im Vordergrund. Diese Regel behandelt nicht die Anforderungen an konstruktive Maßnahmen und an die gefahrlose Ableitung aus Druckentlastungseinrichtungen.

1.3 Neben dieser Regel sind insbesondere folgende Rechtsnormen zu beachten:

1.4 Diese Regel ist aus dem Leitfaden des Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit TAA-GS-05 hervorgegangen und deckt dessen Ausführungen inhaltlich vollständig ab.

2. Anwendungsbereich

2.1 Diese Regel ist anzuwenden auf die fabrikmäßige Herstellung von Stoffen durch chemische Umwandlung in genehmigungsbedürftigen Anlagen, die den Regelungen der Störfall-Verordnung unterliegen.

2.2 Die Ausführungen können sinngemäß auch auf andere verfahrenstechnische Operationen angewandt werden, bei denen Stoffe thermisch belastet werden..

3. Begriffe

Abstoppersystem

Als Abstoppersystem wird hier ein System bezeichnet, mit dem aus einem Vorlagebehälter eine inhibierende Substanz - unabhängig von den sonst in einem Reaktionsbehälter durchzuführenden Verfahrensschritten - schnell und wirksam in den Reaktionsbehälter eingespeist werden kann. Die Auslösung des Abstoppersystems kann von Hand oder bei Überschreiten von bestimmten Prozeßparametern automatisch erfolgen.

Adiabatische Temperaturerhöhung

Die adiabatische Temperaturerhöhung (ΔTadiab) ist die Temperaturerhöhung, die sich in einem Reaktionssystem einstellt, wenn das Verfahren ohne Wärme- (und Stoff-) Austausch mit der Umgebung (z.B. durch völligen Ausfall der Kühlung in einem geschlossenen Reaktor) abläuft.

Autokatalyse / Reaktionsbeschleunigung

Bei der Autokatalyse wirkt ein während einer Reaktion gebildetes Reaktionsprodukt als Katalysator, wodurch auch bei konstanter Temperatur der Fortlauf der Reaktion beschleunigt wird. Als Beispiel sei hier die säurekatalysierte Verseifung verschiedener Ester und verwandter Verbindungen genannt. Experimentell lassen sich autokatalytische Reaktionen mit Hilfe von Differenz-Thermoanalyse-Messungen nachweisen. Neben der Autokatalyse gibt es weitere Mechanismen, die zu einer solchen Reaktionsbeschleunigung führen (z.B. Abbau eines Inhibitors).

Bestimmungsgemäßer Betrieb

hier: Der bestimmungsgemäße Betrieb umfaßt den Betrieb, für den eine Anlage nach ihrem technischen Zweck bestimmt, ausgelegt und geeignet ist, sowie Betriebszustände, die bei einer Fehlfunktion von Komponenten oder bei einer Fehlbedienung auftreten, ohne daß sicherheitstechnische Gründe einer Fortführung des Betriebes entgegenstehen oder zulässige Grenzwerte überschritten werden (zulässiger Fehlbereich). Der bestimmungsgemäße Betrieb umfaßt

Deflagration

Eine Deflagration ist eine Reaktion, die an einer vorgegebenen Stoffmenge örtlich begrenzt auslösbar ist und die sich von dort selbständig durch die gesamte Stoffmenge hindurch in Form einer Reaktionsfront fortpflanzt. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reaktionsfront ist niedriger als die Schallgeschwindigkeit im Stoff. Bei einer Deflagration können große Mengen an heißen Gasen freigesetzt werden, die unter Umständen auch brennbar sind. Die Deflagrationsgeschwindigkeit steigt mit der Temperatur und i.d.R. auch mit dem Druck.

Detonation

hier: Eine Detonation ist ein örtlich auslösbarer und einen Stoff in Form einer Reaktionsfront durchlaufender exothermer Zerfall, der nicht über Wärmetransport, sondern über eine Stoßwelle weitergeleitet wird, die von der freigesetzten Energie unterhalten wird. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reaktionsfront (Detonationsfront) ist höher als die Schallgeschwindigkeit im Stoff.

Differenz-Thermoanalyse

Die Differenz-Thermoanalyse (DTA) und die Dynamische Differenz-Kalorimetrie (DSC) sind Meßmethoden, die es gestatten, mit geringen Probenmengen (i.d.R. einigen Milligramm) den Wärmeumsatz bei physikalischen und chemischen Umwandlungen zu ermitteln. Sie eignet sich insbesondere zur Untersuchung der thermischen Stabilität von Stoffen und kann in vielen Fällen zur Abschätzung des thermischen Potentials von chemischen Reaktionen herangezogen werden.

Druckentlastung

Das Schutzprinzip der Druckentlastung von Apparaten besteht darin, den Druck unter Abführung von gasförmigen oder mehrphasigen Stoffströmen im Falle einer Explosion oder einer durchgehenden Reaktion durch Freigabe von vorbestimmten Öffnungen so zu begrenzen, daß der Druck im Behälter einen zulässigen Wert nicht überschreitet.

Druckfeste Bauweise

Eine druckfeste Bauweise liegt vor, wenn auch im Falle einer Explosion oder einer durchgehenden Reaktion der maximal auftretende Systemdruck den Auslegungsdruck des Behälters oder Apparates nicht übersteigen kann. Bei der Zersetzung von kondensierten Stoffen ist wegen der zu erwartenden hohen Drücke eine druckfeste Bauweise i.d.R. nur mit hohem Aufwand zu realisieren.

Einzelfehlertoleranzprinzip

hier: Ein verfahrens-/anlagentechnisches System erfüllt das Einzelfehlertoleranzprinzip, wenn es so gestaltet oder ausgerüstet ist, daß ein einzelner Fehler noch nicht zu einem (unerwünschten) Ereignis führt. Ist das Ereignis mit einer hohen Gefährdung verbunden und das System nicht bereits aus sich heraus (d.h. aus naturgesetzlichen Gründen und ohne zusätzliche Maßnahmen) einzelfehlertolerant, sind besondere Maßnahmen wie das Vorsehen von redundanten Schutzeinrichtungen erforderlich, die die Fehlerwege "sicherheitstechnisch hoch verfügbar" unterbrechen.

Ereignis

hier: Das Überschreiten der Auslegungsgrenzen der (verfahrenstechnischen) Anlagenteile.

Grenztemperatur

Die Grenztemperatur (Texo) ist die maximal zulässige Temperatur, bei der ein Stoff oder Reaktionsgemisch gerade noch gefahrlos gehandhabt werden kann. Sie wird unter Berücksichtigung der Verfahrensparameter und der Meßverfahren, die bei der Ermittlung der Stoffkenngrößen angewendet wurden, festgelegt. So ist zum Beispiel bei einem kontinuierlichen Verfahren, bei dem die Stoffe nur verhältnismäßig kurzzeitig thermisch belastet wurden, die Grenztemperatur höher anzusetzen als bei einem Batch-Verfahren, bei dem die Stoffe über längere Zeit höheren Temperaturen ausgesetzt sein können.

Kalorimetrie

Die Kalorimetrie stellt eine Meßtechnik dar, bei der u.a. aus Temperaturmessungen Rückschlüsse auf die Wärmeumsätze gezogen werden, die bei chemischen oder physikalischen Vorgängen auftreten. Es haben sich Reaktionskalorimeter bewährt, bei denen in einem Reaktionsvolumen von 0,1 bis 2 Litern der Prozeß unter betriebsnahen Bedingungen durchgeführt werden kann.

Normalbetrieb

Der Normalbetrieb umfaßt den Betrieb, für den eine Anlage nach ihrem technischen Zweck bestimmt und geeignet ist (Gutbereich). Der Normalbetrieb umfaßt auch

Davon zu unterscheiden ist der → bestimmungsgemäße Betrieb. Reaktionswärme (Brutto-Reaktionswärme) Die Brutto-Reaktionswärme (QR) beschreibt die Summe aller Wärmen, die mit dem Ablauf chemischer Reaktionen verbunden sind. Diese sind neben der Reaktionsenthalpie insbesondere Mischungs-, Lösungs- und Kristallisationswärmen sowie Phasenumwandlungswärmen. Die Brutto-Reaktionswärme wird zumeist als spezifische Brutto-Reaktionswärme in der Einheit kJ/kg angegeben. Dabei ist die Reaktionsenthalpie (ΔHR) die auf den jeweiligen Formelumsatz einer chemischen Reaktion bezogene Wärmemenge, die bei konstantem Druck vom System

Die Reaktionsenthalpien vieler Reaktionen sind literaturbekannt und werden in der Einheit kJ/mol angegeben.

Wärmeabfuhrleistung

Die Wärmeabfuhrleistung (dQK/dt) beschreibt die insgesamt pro Zeiteinheit aus einem System abführbare Wärmemenge. Sie kann sich zusammensetzen aus Kühlleistung, Verdampfungsleistung und anderen Formen.

Wärmeproduktionsgeschwindigkeit / Reaktionsleistung

Die Wärmeproduktionsgeschwindigkeit (dQR/dt) beschreibt die pro Zeiteinheit freigesetzte Wärmemenge. Sie ist, solange keine Phasenübergänge oder anderen physikalischen Prozesse ablaufen, proportional zur Reaktionsgeschwindigkeit. Die Reaktionsgeschwindigkeit ist eine Funktion von Konzentrationen und Temperatur.

4. Sicherheitstechnische Bewertung der Reaktion bei Normalbetrieb

4.1 Grundprüfungen

Eine chemische Reaktion läßt sich in der Regel durch Reaktionsgleichungen beschreiben, aus denen die beteiligten Stoffe ersichtlich sind und aus denen auch Hinweise auf entstehende Zwischen-/Nebenprodukte und mögliche Gasfreisetzungen erhalten werden können. Zur Identifizierung des möglichen Gefahrenpotentials aus der Exothermie von chemischen Umsetzungen dient eine Reihe von physikalisch-chemischen Kenngrößen der beteiligten Stoffe und von apparativen Kenngrößen. Ganz wesentlich hierbei sind

  1. die Reaktionswärme QR sowohl der gewünschten Reaktion als auch möglicher Neben-/Folgereaktionen (z.B. Zersetzungen)
  2. die mögliche Gasentwicklung M und Gasentwicklungsgeschwindigkeit (dM/dt) (oder entsprechende abgeleitete Größen) aus Reaktion oder möglicher Zersetzung
  3. die Wärmeproduktionsgeschwindigkeit (dQR/dt, Reaktionsleistung), ggf. als Funktion der Temperatur
  4. die Wärmeabfuhrleistung des Systems (dQK/dt)
  5. die Grenztemperatur Texo für die thermische Stabilität der beteiligten Stoffe und der Reaktionsgemische unter Verfahrensbedingungen. Dabei ist die Temperatur Texo nicht allein stoffspezifisch, sondern wird wesentlich von dem Zusammenspiel von (dQR/dt) und (dQK/dt) bestimmt. Sie ist deshalb nicht eindeutig durch ein Meßverfahren für einen Stoff definiert. Sie kann auf unterschiedliche Weise, dem Verfahren und der Anlage angepaßt, gewonnen werden, wobei sich unterschiedliche Zahlenwerte für Texo ergeben können. Je nach Einzelfall kommen Meßverfahren, die konkrete Anlagenbedingungen simulieren oder dahin extrapolierbar sind, oder adiabatische Meßverfahren zur Bestimmung und Festlegung in Betracht.

In der Praxis haben sich beispielsweise folgende alternative Festlegungen für Texo bewährt.

  1. die um 100 K reduzierte Temperatur des Beginns einer exothermen Reaktion nach einer Screening-DTa (Aufheizgeschwindigkeit 1...10 K/min)
  2. die um 10 K reduzierte Temperatur für eine adiabatische Induktionszeit (bis zum maximalen Umsatz) von 24 Stunden (AZT 24)
  3. die um 10 K reduzierte Temperatur, bei der die Wärmeproduktion des Systems 0,1 W/kg erreicht.

Eine vergleichende Betrachtung findet sich in der Literatur /1/. Von den hier genannten Festlegungen für Texo kann abgewichen werden, wenn ausreichende zusätzliche Informationen über z.B. die Aktivierungsenergie oder die Nachweisempfindlichkeit der benutzten Untersuchungsgeräte vorliegen und nach sachkundiger Einschätzung berücksichtigt werden.

Dem Vorgehen liegen typische Verweilzeiten und Ansatzgrößen für Reaktionen und verfahrenstechnische Operationen zugrunde. Für davon deutlich abweichende Randbedingungen, wie sie zum Beispiel bei der Lagerung von Stoffen und Stoffgemischen über längere Zeiträume und bei extremen Ansatzgrößen vorliegen können, sind diese entsprechend bei der Festlegung von Texo zu berücksichtigen.

Die o.g. Kenngrößen sind nicht nur zu betrachten für den normalen Ablauf der Reaktionen, sondern auch für mögliche Störungen (s. Abschnitt 5). Meßverfahren zur Bestimmung der Stoffkenngrößen, z.B. Differenz-Thermoanalyse (DTA), Kalorimetrie, adiabatische Versuche, sowie ihre Einsatzmöglichkeiten und Anwendungen sind in der Literatur /2, 3, 4, 5, 6, 7/ beschrieben.

Eine Sonderstellung nehmen Stoffe und Stoffgemische ein, die deflagrations- oder detonationsfähig sind. Bei diesen ist die Wärme- und Gasproduktionsgeschwindigkeit nicht mehr eine Funktion der Prozeßtemperatur, so daß z.B. auf einer solchen Funktionalität aufbauende Maßnahmen zur Beherrschung exothermer Prozesse wirkungslos bleiben. Dies betrifft vornehmlich Explosivstoffe, organische Peroxide und selbstzersetzliche Stoffe (Klassen 1, 5.2 bzw. 4.1 der Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter). Zur Beherrschung von Reaktionen, an denen solche Stoffe einschließlich ihrer intermediären Reaktionsgemische /8/ beteiligt sind, werden i.d.R. weitere Maßnahmen erforderlich, die nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Betrachtungen sind. Kriterien und Prüfverfahren für die Beurteilung solcher Stoffe sind u.a. im UN-Prüfhandbuch und anderen einschlägigen Vorschriften zu finden /9/. Für die Bewertung von Reaktionen mit solchen Stoffen ist die Regel jedoch sinngemäß anwendbar.

4.2 Sicherheitstechnische Bewertung unter Verfahrensbedingungen

Wesentliche Voraussetzung für die sicherheitstechnische Bewertung exothermer Reaktionen ist außerdem die Kenntnis der Randbedingungen, unter denen die Reaktionen ablaufen sollen. Dazu gehören im besonderen die Verfahrensführung, z.B.

und die anlagentechnische Gegebenheiten, z.B.

In dem Ablaufschema (Schema 1) ist das Vorgehen bei der Ermittlung und sicherheitstechnischen Bewertung des Gefahrenpotentials dargestellt.

Die Bewertung beginnt mit einer Beurteilung der Einsatzstoffe. Zu beantworten ist die Frage, ob alle am Verfahren beteiligten Einsatzstoffe im vorgesehenen Temperatur- und Zeitbereich einschließlich ihrer Wechselwirkungen mit den verwendeten Werkstoffen als thermisch stabil anzusehen sind. Informationen über die thermische Stabilität von Stoffen und Gemischen können bereits mit vergleichsweise geringem Aufwand gewonnen werden. Es ist bekannt, daß bei Vorhandensein bestimmter funktioneller Gruppen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit exothermer Zersetzung zu rechnen ist. Eine Liste besonderer Verbindungstypen und Stoffe findet sich im Anhang 1.

Über diese rein gedankliche Analyse hinaus sind in der Regel experimentelle Screening-Methoden anzuwenden, die es erlauben, das mit der Handhabung eines Stoffes oder Gemisches verbundene Gefahrenpotential zu ermitteln. Bezüglich der Anwendungsmöglichkeiten und Grenzen dieser Screening-Methoden wird auf die angegebenen Literaturstellen verwiesen /10, 11/. Die Anwendung dieser Screening-Methoden erlaubt in erster Linie eine Aussage über die Stabilität im vorgesehenen Temperaturbereich. Treten gravierende thermische Effekte im vorgesehenen Temperaturbereich auf, so ist i.d.R. durch weiterführende Untersuchungen, z.B. adiabatische Versuche oder vergleichbare Techniken, die Frage der zeitlichen Belastbarkeit unter Berücksichtigung der Reaktionszeit und der vorliegenden Abmischungen zu überprüfen.

Wurde aufgrund der Überprüfung eine ausreichende Stabilität aller am Verfahren beteiligten Einsatzstoffe festgestellt, so gilt es im nächsten Schritt, die gewünschte Reaktion einschließlich ihrer Neben- und Folgereaktionen im Normalbetrieb zu beurteilen. Eine wesentliche Grundlage hierfür ist die stöchiometrische Umsatzgleichung der gewünschten Reaktion. Geht aus dieser Umsatzgleichung hervor, daß mit der Bildung eines Gases oder Leichtsieders als Reaktionsprodukt zu rechnen ist, so ist anlagentechnisch sicherzustellen, daß der resultierende gasförmige Massenstrom ausreichend und adäquat abgeführt werden kann. Ebenso ist zu berücksichtigen, daß bei nicht isothermer Fahrweise verstärkt Lösungsmittel verdampfen kann.

Kernstück der Beurteilung der Reaktion ist wieder die thermische Einschätzung. Eine Vorentscheidung für die Beurteilung der Sicherheit des Normalbetriebes kann bereits aus der Kenntnis der Reaktionswärme QR abgeleitet werden. Hieraus kann die adiabatische Temperaturerhöhung ΔTadiab ermittelt werden..

Schema 1: Iterative Bewertungsstrategie des Normalbetriebes.

Bei Kenntnis der adiabatischen Temperaturerhöhung gilt für den vorgesehenen Prozeß folgende Abschätzung:

Vorteilhaft für die Beurteilung der Reaktionsleistung einer exothermen Reaktion ist es, wenn z.B. mit Hilfe der Reaktionskalorimetrie der Zeitverlauf der Wärmefreisetzung unmittelbar experimentell ermittelt worden ist. Ersatzweise kann in erster Näherung die Reaktionsleistung aus der Reaktionswärme zusammen mit anderen Messungen oder Beobachtungen abgeschätzt werden. Voraussetzung für eine derartige Abschätzung ist jedoch die Kenntnis des ungefähren Reaktionsmechanismus. Handelt es sich um eine Reaktion, die bei einer detaillierten Auswertung mit Hilfe eines reaktionskinetischen Potenzansatzes (effektive Reaktionsordnung =1) beschrieben werden kann, so kann z.B. für dosierungskontrollierte Fahrweise die Leistung aus dem Quotienten von Reaktionswärme und Dosierzeit abgeschätzt werden. Voraussetzung hierzu ist eine hinreichend hohe Reaktionsgeschwindigkeit, die eine gefährliche Reaktandenakkumulation verhindert. Ähnliches gilt für kontinuierliche Verfahren unter Verwendung der Verweilzeit. (Diese Methode ist nicht mehr zulässig bei deutlich autokatalytischem Verhalten!) Bei heterogenen Systemen ist zusätzlich der Einfluß der Phasenverhältnisse zu berücksichtigen.

Ein kritischer Punkt eines chemischen Verfahrens liegt an der Stelle der maximalen Reaktionsleistung vor. Dieser Maximalwert ist mit der gesamten vorgegebenen maximalen Wärmeabfuhrleistung zu vergleichen. Ist diese Wärmeabfuhrleistung ausreichend, auch diese maximale Reaktionsleistung sicher abführen zu können, so kann die im Normalbetrieb ablaufende Reaktion als sicher bezeichnet werden. Für genauere Analysen wird auf die Literatur verwiesen /12/13.

Der Bewertungsvorgang wird abgeschlossen durch eine Beurteilung der während des Verfahrens entstehenden Stoffe hinsichtlich der thermischen Stabilität im vorgesehenen Temperatur- und Zeitbereich einschließlich ihren Wechselwirkungen mit den verwendeten Werkstoffen. Die Methoden hierfür unterscheiden sich nicht von den oben zitierten für die Beurteilung der Einsatzstoffe. Betont werden muß aber, daß hier u. U. nicht die alleinige Untersuchung der reinen Reaktionsprodukte ausreichend ist, sondern ggf. auch repräsentative Proben der Reaktionsmischung mit unterschiedlichen Umsetzungsgraden zu bewerten sind.

In allen Fällen, bei denen die zu beantwortenden Fragen im Ablaufdiagramm nicht eindeutig zu beantworten sind, sind entweder weitergehende Untersuchungen erforderlich, oder es sind Modifizierungen an Verfahren oder Anlage vorzunehmen. Die Gesamtbeurteilung des Verfahrens ist im nächsten Schritt hinsichtlich der Auswirkung möglicher Abweichungen (Störungen) fortzusetzen. Resultieren aus der Störungsbeurteilung Anlagen- und Verfahrensmodifizierungen, so ist auch der Normalbetrieb iterativ neu zu überprüfen.

4.3 Besondere Betriebszustände

Für besondere Betriebszustände wie Inbetriebnahme, Probebetrieb, Reinigungs-, Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen etc., die zum bestimmungsgemäßen Betrieb gehören, ist sinngemäß zu verfahren.

5. Sicherheitstechnische Bewertung der Reaktion bei Abweichungen

Bei der sicherheitstechnischen Bewertung chemischer Reaktionen sind - ausgehend vom Normalbetrieb eines Verfahrens/einer Anlage - denkbare Abweichungen (Störungen) und ihre möglichen Auswirkungen auf Reaktionswärme QR, entstehende Gasmenge M und Gasentwicklungsgeschwindigkeit (dM/dt), Wärmeflußbilanz (dQR/dt) - (dQK/dt) und Grenztemperatur Texo für die thermische Stabilität unter den jeweiligen Verfahrensbedingungen zu betrachten. Die Störungen können in zwei Kategorien gegliedert und in ihren Auswirkungen nach den folgenden Tabellen beurteilt werden. In diesen Tabellen stellen die Matrixfelder keine Datenfelder dar, in die Zahlenwerte einzutragen wären. Vielmehr sollen sie ein gedankliches Gerüst dafür bieten, an welche Punkte zu denken ist und auf welche Beurteilungsgrößen eine bestimmte Störung in welcher Weise einwirkt. Die Liste der aufgeführten Störungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ggf. können nach entsprechender Überlegung/ Prüfung die für das Verfahren relevanten Felder angekreuzt werden. (Zur Erstellung von Checklisten siehe z.B. /14/.)

Tabelle 1: Auswirkungen aufgrund von Abweichungen im chemischen Verfahren

Störung bei QR dM/dt (dQR/dt)
(dQk/dt)
Texo . Δn Stoff*
Ausgangsstoffen (Spezifikation, Art, Eigenschaften), z.B.
Verunreinigungen mit katalytischer/-inhibierender Wirkung          
Konzentrationserhöhung/-erniedrigung          
Rückstände aus vorheriger Nutzung          
Abbau von Aktivatoren/Inhibitoren (z.B. infolge zu langer Lagerung)          
Präsenz von Ausgangs-/Hilfsstoffen, z.B.
vorgelegtes Lösungsmittel          
Lösungsvermittler          
Aktivator/Katalysator          
Inhibitor          
Dosierung, z.B.:
falscher Stoff          
falsche Mengen/-verhältnisse          
geänderte Dosierfolge          
falsche Dosiergeschwindigkeit          
Reaktionsbedingungen, z.B.:
pH-Wert-Abweichungen          
Temperaturerhöhung/-abfall          
Druckerhöhung/-abfall          
Reaktions-/Verweilzeit          
verzögerter Reaktionsstart          
Anreicherung von Nebenprodukten/ Rückständen          
Verlust von Lösungsmittel/ Überschußkomponente          
Vermischung, z.B.:
Unzureichende Rührung          
Abscheiden von Feststoff/Katalysator          
Δn Stoff: Bildung von neuen, ungewollten Produkten oder Nebenprodukten, die zu einer Erhöhung der Reaktionswärme oder Gasbildung oder Erniedrigung der Grenztemperatur Texo führen.


Tabelle 2: Auswirkungen aufgrund von Abweichungen im anlagentechnischen Betrieb

Störung bei QR dM/dt (dQR/dt)
(dQk/dt)
Texo. Δn Stoff*
Verfügbarkeit von Hilfsenergien, z.B.:
Druckluft          
Stickstoff          
elektrischer Strom          
Heizmedium          
Kühlmedium          
Absaugung          
Heiz-/Kühlmedien, z.B.:
Über-/Unterschreitung der zur sicheren Verfahrensführung festgelegten Temperaturen oder Drücke          
MSR-Einrichtungen, z.B.:
Ausfall/Fehlfunktion          
Stoffströmen, z.B.:
Ausfall von Pumpen/Ventilen          
Fehlschalten von Ventilen          
Verstopfen von Leitungen/Armaturen(insbesondere Belüftungsleitungen)          
Rückströmen aus anderen Anlagenteilen          
Füllstand, z.B.:
Überfüllen          
Auslauf aus Bodenablaßventil          
Fluten von Kondensatoren (Wärmeaustauschern)          
Rührung, z.B.:
Ausfall          
erhöhte Viskosität          
mechanischer Wärmeeintrag          
Integrität von Bauteilen, z.B.:
Korrosion (insbesondere mit der          
Folge von Stoffübertritt von/zu Wärmeträgersystemen)          
mechanische Beschädigung          
Δn Stoff: Bildung von neuen, ungewollten Produkten oder Nebenprodukten, die zu einer Erhöhung der Reaktionswärme oder Gasbildung oder Erniedrigung der Grenztemperatur Texo führen.

Neben den Auswirkungen aufgrund von Abweichungen im chemischen Verfahren oder anlagentechnischen Betrieb sind Abweichungen in der Überlagerungsatmosphäre zu prüfen (z.B. Bildung explosionsfähiger Atmosphäre, Freisetzen von oxidierenden Gasen wie Chlor oder NOx, Verlust der Phlegmatisierung bei zerfallsfähigen Gasen).

Es ist zweckmäßig, eine strukturierte Sicherheitsbetrachtung durchzuführen, die beispielsweise wie in Schema 2 gezeigt ablaufen kann.

Schema 2: Ablauf der Sicherheitsbetrachtung

Das Ergebnis einer Sicherheitsbetrachtung muß mit der Bewertung des Normalbetriebes sowie der betrachteten Störungen und den festgelegten Maßnahmen (s. Abschnitt 6) dokumentiert werden, wobei zur Identifizierung der Störungen auf die Tabellen 1 und 2 zurückgegriffen werden kann.

6. Auswahl und Umfang der Maßnahmen

6.1 Kriterien

Das Gefahrenpotential exothermer Reaktionen ist anhand der Kenngrößen der gewünschten Reaktion einschließlich der Neben- und Folgereaktionen zu bewerten (im besonderen mit QR und dM/dt). Mögliche Störungsauswirkungen, d.h. die Temperaturerhöhung ΔTStörung im System infolge der Energiefreisetzung und die erhöhte Gasfreisetzung Δ(dM/dt)Störung - die i.a. zum Druckaufbau führt - sind zu betrachten. Gilt im besonderen für die Temperatur und für die Gasfreisetzung (korreliert mit Druckaufbau)

TProzeß + ΔTStörung < Tmax.Auslegung

und

(dM/dt)Prozeß + Δ(dM/dt)Störung < (dM/dt)max.Auslegung

d.h. werden auch unter Störungsbedingungen die Auslegungsgrenzen - Index "max. Auslegung" - der verfahrenstechnischen Anlage nicht überschritten und damit der bestimmungsgemäße Betrieb nicht verlassen, so wird die chemische Reaktion in dem vorliegenden Verfahren mit der bestehenden Ausrüstung auch unter den betrachteten Störungsbedingungen als ausreichend sicher beherrscht angesehen.

In anderen Fällen, d. h. wenn die Betrachtung der Störungen zeigt, daß die Ungleichungen nicht erfüllt werden, sind zusätzliche Maßnahmen und ihr Umfang so festzulegen, daß eine ernste Gefahr vernünftigerweise ausgeschlossen werden kann.

6.2 Auswahl von Maßnahmen

Bei den zusätzlichen Maßnahmen kann unterschieden werden zwischen vorbeugenden Maßnahmen zur Verhinderung eines unkontrollierten Reaktionsablaufs und konstruktiven Maßnahmen zur Verhinderung unzulässiger Auswirkungen eines unkontrollierten Reaktionsablaufs. Hier kommen - je nach den Bedingungen des Einzelfalls alternativ oder in Kombination - in Frage:

Grundsätzlich ist den vorbeugenden Maßnahmen der Vorzug zu geben; die jeweilige Reihenfolge der Beispiele stellt keine Wertung dar. Die Begründung für die Auswahl der Maßnahmen muß nachvollziehbar sein.

6.3 Umfang der Maßnahmen

Im Fall eines erheblichen zu erwartenden Schadensausmaßes kann zur Reduzierung der Wahrscheinlichkeit des Ereigniseintritts wie folgt vorgegangen werden:

  1. Kann das Ergebnis nur aufgrund mehrerer voneinander unabhängiger Fehler eintreten, so ist für den Einzelfall festzustellen, ob zusätzliche ereignisverhindernde Maßnahmen erforderlich sind. Insbesondere ist zu prüfen, inwieweit die zum Ereignis führenden Fehler bzw. Störungen tatsächlich unabhängig voneinander sind und inwieweit ihr gleichzeitiges Auftreten vernünftigerweise nicht unterstellt zu werden braucht.

    Beispielsweise ist bei Fehlern, die den Verfahrensablauf zunächst nicht beeinträchtigen und daher möglicherweise nicht umgehend behoben werden, nicht ohne weiteres auszuschließen, daß ein zweiter Fehler auftritt, bevor der erste Fehler abgestellt ist. Gleiches gilt für Fehler, die nicht bemerkt werden. Solche Fehler sind wie abhängige Fehler zu bewerten.

    Führt die Fehleranalyse zu dem Ergebnis, daß der Ereigniseintritt aufgrund der Unwahrscheinlichkeit des gleichzeitigen Auftretens der hierzu notwendigen Fehler vernünftigerweise auszuschließen ist, so sind keine zusätzlichen sicherheitstechnischen Maßnahmen erforderlich

    Falls das Ereignis trotz der zu seinem Eintritt notwendigen besonderen Fehlerkombinationen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, reicht i.d.R. jeweils eine zusätzliche ereignisverhindernde Maßnahme zur Unterbrechung der Fehlerwege zum Ereignis aus.

  2. Folgt jedoch bereits auf einen einzelnen Fehler der Ereigniseintritt, so muß der entsprechende Fehlerweg in jedem Fall sicherheitstechnisch hoch verfügbar unterbrochen werden. Dies gelingt z.B. durch Einsatz redundanter Maßnahmen ("Einzelfehlertoleranzprinzip" /15/) oder einzelner "fehlersicherer" Maßnahmen. Hier sind i.d.R. allein organisatorische Maßnahmen nicht mehr ausreichend.


Diese Vorgehensweise wird an den Beispielen im Anhang 2 ausführlich erläutert.

Werden konstruktive Maßnahmen zur Verhinderung unzulässiger Auswirkungen eines unkontrollierten Reaktionsablaufs ergriffen, so gelten druckfeste Bauweise oder Druckentlastung als "sicherheitstechnisch hoch verfügbar". Eine konstruktive Maßnahme, im besonderen die Druckentlastung, kann dann zweckmäßig und auch erforderlich sein, wenn aufgrund der Komplexität der möglichen Kausalketten eine vollständige Betrachtung der Abweichungen, ihrer Ursachen und Auswirkungen nicht mehr hinreichend zuverlässig möglich ist. Die druckfeste Bauweise ist wegen der notwendigen Festigkeit gegen extreme Drücke i.d.R. apparatetechnisch nicht vertretbar. Ebenso kann die gefahrlose Ableitung aus Druckentlastungssystemen im Einzelfall technisch schwierig und sehr aufwendig sein, z.B. sofern Auffangsysteme erforderlich werden. In neueren Ausarbeitungen /16, 17/ ist beschrieben, unter welchen Bedingungen und wie eine gefahrlose Ableitung aus Druckentlastungssystemen möglich ist.

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Besondere Verbindungstypen und Stoffe Anhang 1:

Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit!

1.1. Besondere Verbindungstypen

Häufig verwendete Verbindungstypen, bei denen erfahrungsgemäß eine hohe thermodynamische Instabilität verbunden mit starker Energiefreisetzung zu erwarten ist.

1.1.1 Typische funktionelle Gruppen thermodynamisch instabiler Verbindungen

-NOX Nitro- und Nitrosoverbindungen
-ONOX Ester der Salpetersäure und der salpetrigen Säure
Halogenstickstoffverbindungen (X=Halogen)
Diazoniumsalze, weiter auch Triazene, Tetrazene
-N=N- Azoverbindungen
-O-O- Peroxide, Persäuren
Hinweis: zahlreiche ungesättigte Kohlenwasserstoffe, Aldehyde, Ketone, Ether und einige cyclische Kohlenwasserstoffe (z.B. Dekalin) neigen in Gegenwart von Luft zur Bildung von Peroxiden
Ozonide
-C=C- Acetylen, Acetylide
-N3 Stickstoffwasserstoffsäure, Azide
-HN-NH- Hydrazide
-ClOx Sauerstoffsäuren des Chlors und deren Salze
Fulminate, weiter auch Oxime, Salze von aci-Nitroverbindungen

1.1.2. Polymerisierbare Verbindungen

Olefine (X= z.B. -F, -Cl, -CN, -COOR,-CH=COR,-C6H5)
Epoxide
  Aziridine
Diketen

Katalytische Effekte durch Säuren, basen, Radikalbildner, Metalle und Metallsalze sind zu berücksichtigen.

1.2. Oxidationsmittel

Häufig verwendete Oxidationsmittel, die in Mischung mit brennbaren/reduzierenden

Stoffen zu starker Energiefreisetzung führen können:

HClO4 (konz.) / Perchlorate
HNO3 (konz.) / Nitrate
CrO3 / Chromate
KMnO4
Chlorate
Nitriersäuren
Alkylnitrite
H2O2
Peroxide
SO3/Oleum
Sauerstoff / Ozon
Chlor

1.3. Reduktionsmittel

Häufig verwendete Reduktionsmittel, die mit oxidierenden Stoffen zu starker Energiefreisetzung führen können:

Metalle (z.B. Na, Zn)
metallorg. Verbindungen
Hydride (z.B. LiAlH4, NaBH4)
Silane
Wasserstoff.

.

Beispiele  Anhang 2:

Die in der vorliegenden Regel vorgeschlagene Vorgehensweise soll im folgenden an einigen Beispielen von "Semi-Batch"-Reaktionen erläutert werden.

Zur Vereinfachung der Darstellung und zur Verdeutlichung der wesentlichen Schritte bei der Beurteilung und Bewertung einer Reaktion und der Entscheidungsfindung über Art und Umfang der erforderlichen Maßnahmen wurden drei "didaktische" Beispiele (Fälle 1 - 3) gewählt, die gekennzeichnet sind durch folgende Eingrenzungen:

  1. Es wird eine nur einstufige homogene Reaktion durchgeführt. Nebenreaktionen sollen nicht ablaufen. Die Reaktionsmechanismen bleiben für die betrachteten Vorgänge unverändert. Wechselwirkungen der chemischen Stoffe und Reaktionsgemische mit den Apparatewerkstoffen werden ausgeschlossen.
  2. Relevante Stoffeigenschaften sowie verfahrens- und anlagentechnische Parameter sind für die Beispiele und die angegebenen Lösungen vollständig bekannt, jedoch stark abstrahiert und nur so weit nötig angeführt. Erforderliche Berechnungen erfolgten auf der Grundlage der in der vorliegenden Regel angegebenen Literatur.
  3. Es wird nur ein bestimmter (immer gleicher) Ausschnitt aus dem Spektrum möglicher Störungen betrachtet.
  4. Die betrachteten Störungen sollen als voneinander unabhängig angesehen werden und beruhen auch nicht auf einer gemeinsamen vorgelagerten Ursache. Ebenso sollen die getroffen Maßnahmen unabhängig voneinander wirken können.
  5. Die vorgeschlagenen technischen und organisatorischen Maßnahmen sind ausschließlich "vorbeugender" Art und stellen jeweils nur eine Alternative aus verschiedenen möglichen und gleichwertigen Problemlösungen dar. Es wird mit den Beispiellösungen also nicht ausgeschlossen, daß hier auch die "konstruktiven" Maßnahmen druckfeste Bauweise oder Druckentlastung (erforderlichenfalls mit Rückhalte-System) zum Ziel führen können, wobei i.d.R. weitergehende Untersuchungen und Erkenntnisse als hier benutzt nötig werden.
  6. Es wird vorausgesetzt, daß die Maßnahmen für die jeweiligen Beispiele realisierbar und auch umgesetzt sind.

Daraus folgt, daß die Beispiele und Lösungen nicht auf jeden Einzelfall der Praxis, bei dem weitaus komplexere Gegebenheiten vorliegen können, unmittelbar und ohne Ergänzung oder Modifikation übertragen werden dürfen. Im besonderen darf die Störungsbetrachtung nicht auf die für die Beispiele ausgewählten Störungen beschränkt bleiben, und mögliche Abhängigkeiten der Störungen voneinander sind zu ermitteln und angemessen zu berücksichtigen..

2.1 Verfahren und Apparate

In einem gegen sein Beatmungssystem nicht absperrbaren Reaktionskessel, der über seinen Mantel mit einem offenen Wasserkreislauf beheizt und gekühlt werden kann, sollen unter Rührung exotherme Reaktionen vom Typ

  a + B C   (Fälle 1 und 3)
und        
    D    
  a + B C (Fall 2)

durchgeführt werden. Hierzu soll in den Fällen 1 und 3 die Komponente B bei Raumtemperatur im Reaktor vorgelegt werden. Im Fall 2 wird B gelöst in einem inerten Lösungsmittel D im Reaktor vorgelegt. Anschließend wird auf annähernd Solltemperatur geheizt (Tsoll = 80 °C). Die Komponente A, die kalt (Raumtemperatur) in einer Dosiervorlage bereitgestellt wird, soll dann über einen bestimmten Zeitraum mit konstanter Geschwindigkeit zudosiert werden. Die bei der Reaktion freiwerdende Wärme wird über das Heiz-/Kühlwasser abgeführt (siehe Bild 1).

2.2 Gefahrenpotential

Die Reaktion ist in allen Fällen exotherm, die jeweilige Reaktionswärme QR ist bekannt, so daß der adiabatische Temperaturanstieg mit jeweils ΔTadiab > 50 K festliegt. Unterhalb von 60 °C beginnt die Reaktion "einzuschlafen", so daß dann mit unerwünschter Akkumulation der Reaktanden zu rechnen ist. Bei erneutem Anspringen der Reaktion wären hohe Reaktionsleistungen zu erwarten.

Aufgrund von DTA- und kalorischen Messungen wurde ermittelt, daß sich das Endprodukt oberhalb der Grenztemperatur Texo stark exotherm in einem unkontrollierten Reaktionsablauf

C → Zersetzungsprodukte

zersetzt. Dabei findet eine starke Gasentwicklung statt, die die Auslegungsgrenzen des Behälters überschreiten würde:

(dM/dt)Zersetzung > (dM/dt)max. Auslegung.

Die jeweiligen Temperaturen Texo für die Fälle 1 - 3 konnten entsprechend den Meßergebnissen festgelegt werden. Sie liegen deutlich oberhalb 100 °C. Wegen der Verknüpfung von Texo mit der Gasentwicklung muß hier die Auslegungsgrenze hinsichtlich der Temperatur (Tmax. Auslegung) gleich Texo gesetzt werden (sofern nicht z.B. werkstofftechnische Bedingungen eine niedrigere Maximaltemperatur vorgeben, hier nicht zu betrachten).

2.3 Normalbetrieb

Die Untersuchungen der Ausgangskomponenten a und B zeigen Exothermien und Gasentwicklung erst oberhalb von 300 °C. Diese liegen energetisch bei 300 J/g, so daß explosive Eigenschaften oder Deflagrationsfähigkeit nicht zu erwarten sind. Untersuchungen von Proben der Reaktionsmischungen zu unterschiedlichen zeitlichen Phasen der Reaktion zeigen keine Notwendigkeit, Texo herabzusetzen, und bestätigen die Reaktionswärme des gewünschten Prozesses.

Die Stoffe a und B sowie die Reaktionsgemische haben unterhalb von Texo nur einen vernachlässigbaren Dampfdruck. Das in Fall 2 verwendete Lösungsmittel D ist in einem weiten Temperaturbereich für die betrachtete Reaktion chemisch inert, es hat einen hohen Siedepunkt Ts (> 180 °C) und ist thermisch stabil bis über 200 °C.

Eine signifikante Gasentwicklung ist somit nur in Verbindung mit der Zersetzungsreaktion des Stoffes C zu erwarten; für den Normalbetrieb sind alle möglicherweise entstehenden Dampf-/Gasmengen mit der vorhandenen Ausrüstung beherrschbar. Aus verfahrenstechnischen Gründen und hier insbesondere wegen der relativ hohen adiabatischen Temperaturanstiege ΔTadiab (> 50 K) müssen Wärmeabfuhrleistung und Reaktionsleistung aufeinander abgestimmt sein. Die Kühlleistung ist daher hier so gewählt, daß die bei der vorgesehenen Dosiergeschwindigkeit freiwerdende Reaktionswärme bei der Solltemperatur abgeführt wird.

Der Normalbetrieb kann somit als sicher betrachtet werden.

2.4 Abweichungen (Störungen)

An den drei Beispielen, für die die oben genannten Bedingungen gleichermaßen gelten, die sich aber hinsichtlich einiger Reaktions- und Verfahrensdaten unterscheiden, werden jeweils folgende Störungen betrachtet, die das Temperaturniveau in Richtung Texo verschieben können:

I. Abweichungen in den Reaktionsbedingungen (siehe Tabelle 1)

  1. zu hohe Reaktionstemperatur
  2. verzögerter Reaktionsstart (infolge zu niedriger Temperatur, führt zu Akkumulation mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung)
  3. nur halbe Einsatzmenge der Komponente D.

II. Abweichungen im anlagentechnischen Betrieb (siehe Tabelle 2)

  1. Rührerausfall (führt zu Akkumulation mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung)
  2. Kühlungsausfall zu Beginn der Reaktion (z.B. Versagen der Kühlwasserpumpe)

2.5 Verschiedene Fälle mit Maßnahmenvorschlägen

2.5.1 Fall 1

Reaktion A1 + B1 → C1

Wichtige Daten und Informationen zur Beurteilung:

Stoff/Reaktion Daten und Informationen
A1 Reinstoff; thermisch stabil bis oberhalb Texo
B1 Reinstoff; thermisch stabil bis oberhalb Texo
C1 Texo = 180 °C; (dM/dt)Zersetzung > (dM/dt)max. Auslegung
A1 + B1 → C1 spontane Reaktion bei 80 °C; Texo =180 °C;.
ΔTadiab.. = 75 K.

Fall 1

Abweichung Auswirkung Bewertung mögliche Gegenmaßnahmen
Temperatur zu hoch Die maximal mögliche Heiztemperatur beträgt wegen des offenen Wasserkreislaufs 95 °C. Durch die äußere Beheizung kann Texo somit nicht erreicht werden. Auslegungsgrenzen Tmax und (dM/dt)maxwerden nicht überschritten. Sicherheitstechnisch unkritisch. Keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
Temperatur zu niedrig Verzögerter Reaktionsstart, Akkumulation der Reaktanden mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung.

Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Die maximal erreichbare Temperatur ist TProzeß + ΔTadiab. Mit TProzeß < 80 °C und ΔTstörung < ΔTadiab bleibt das System jedoch unterhalb Texo.

Auslegungsgrenzen Tmax und (dM/dt)max werden nicht überschritten. Sicherheitstechnisch unkritisch. Keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
Zu wenig LösungsmittelAusfall des Rührers Die Störung ist irreal, da kein Lösungsmittel benötigt wird. Akkumulation der Reaktanden mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung. Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Die maximal erreichbare Temperatur ist

TProzeß + ΔTadiab.

Mit TProzeß = 80 °C und ΔTStörung ≤ ΔTadiab bleibt das System unterhalb Texo.

Auslegungsgrenzen Tmax und (dM/dt)max werden nicht überschritten. Sicherheitstechnisch unkritisch. Keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
Ausfall der Kühlung (zu Beginn der Reaktion) Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Die maximal erreichbare Temperatur ist

TProzeß + ΔTadiab.

Mit TProzeß < 80 °C und ΔTStörung < ΔTadiab bleibt das System jedoch unterhalb Texo.

Auslegungsgrenzen Tmax und (dM/dt)max werden nicht überschritten. Sicherheitstechnisch unkritisch. Keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
Damit ist die in Bild 1 dargestellte Ausrüstung des Reaktionskessels sicherheitstechnisch ausreichend.

Bild 1:Reaktionskessel (schematisch)

2.5.2 Fall 2

    D  
Die Reaktion A2 + B2 C2

soll in einem Lösungsmittel D durchgeführt werden. Die Komponente B2 soll in vorgegebener Menge von Lösungsmittel D gelöst sein.

Wichtige Daten und Informationen zur Beurteilung:

Stoff/Reaktion Daten und Informationen
A2 Reinstoff; thermisch stabil bis oberhalb Texo
B2 Lösung in D; thermisch stabil bis oberhalb Texo
C2 Texo = 180 °C; (dM/dt)Zersetzung > (dM/dt)max. Auslegung
D chemisch inert; Ts > 180 °C; thermisch stabil bis über 200 °C
D
A2 + B2 C2
spontane Reaktion bei 80 °C; Texo = 180 °C;
ΔTadiab. = 75 K; (dQR/dt) Normalbetrieb = 95 kW;
Produkt aus Wärmedurchgangskoeffizient und
Wärmeaustauschfläche k x F = 4,5 kW/K

Fall 2

Abweichung Auswirkung Bewertung mögliche Gegenmaßnahmen
Temperatur zu hoch Die maximal mögliche Heiztemperatur beträgt wegen des offenen Wasserkreislaufs 95 °C. Durch die äußere Beheizung kann Texo somit nicht erreicht werden. Auslegungsgrenzen werden nicht überschritten. Sicherheitstechnisch unkritisch. Keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
Temperatur zu niedrig Verzögerter Reaktionsstart, Akkumulation der Reaktanden mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung.

Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Die maximal erreichbare Temperatur ist

TProzeß + ΔTadiab.

Mit TProzeß < 80 °C und ΔTStörung < ΔTadiab bleibt das System jedoch unterhalb Texo.

Auslegungsgrenzen werden nicht überschritten. Sicherheitstechnisch unkritisch. Keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
Zu wenig Lösungsmittel Im Falle der nur halben Lösungsmittelmenge D bleibt Texo unverändert 180 °C, die adiabatische Temperaturerhöhung steigt jedoch unter Berücksichtigung der verminderten Menge von D und damit der geänderten Gesamtwärmekapazität der Reaktionsmischung auf ΔTadiab = 112 K an. Ebenso erhöht sich die Reaktionsleistung, sie kann jedoch immer noch durch die Reaktorkühlung sicher abgeführt werden (ΔTStörung = ca. 17 K). Somit bleibt das System auch im Falle dieser Störung unterhalb Texo. Sicherheitstechnisch nur kritisch bei gleichzeitigem Auftreten eines zweiten unabhängigen Fehlers (z.B. "Ausfall des Rührers" oder "Ausfall der Kühlung zu Befinn der Reaktion"). aus Betrachtung der Fehler kombinationen: Sicherstellung der korrekten Menge D durch eine geeignete organisatorische Maßnahme (Sicherheitstechnische Betriebsanweisung)
Ausfall des Rührers Akkumulation der Reaktanden mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung. Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Die maximal erreichbare Temperatur ist TProzeß + ΔTadiab. Mit TProzeß = 80 °C und ΔTStörung < ΔTadiab bleibt das System unterhalb Texo. Sicherheitstechnisch nur kritisch bei gleichzeitigem Auftreten eines zweiten unabhängigen Fehlers (z.B. "zu wenig Lösungsmittel"). aus Betrachtung der Fehlerkombinationen: Einfache Verriegelung des Einlaufventils der Komponente A2 mit der Rührerfunktion (Ventil schließt bei stehendem Rührer), SIS_
Ausfall der Kühlung (zu Beginn der Reaktion) Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Die maximal erreichbare Temperatur ist TProzeß + ΔTadiab. Mit TProzeß = 80 °C und ΔTStörung < ΔTadiab bleibt das System unterhalb Texo. Sicherheitstechnisch nur kritisch bei gleichzeitigem Auftreten eines zweiten unabhängigen Fehlers (z.B. "zu wenig Lösungsmittel"). aus Betrachtung der Fehlerkombinationen: Einfache Verriegelung des Einlaufventils der Komponente A2 mit der Temperaturüberwachung im Reaktor (Ventil schließt bei Erreichen einer Maximaltemperatur von z.B. 100 °C), TIS+
Die sich aus dieser Gefahrendiskussion ergebende zusätzliche Ausrüstung des Reaktionskessels ist in Bild 2 dargestellt.

Bild 2: Ausrüstung des Reaktionskessels (schematisch), Fall 2.

2.5.3. Fall 3

Reaktion A3 + B3 → C3

Wichtige Daten und Informationen zur Beurteilung:

Stoff/Reaktion Daten und Informationen
A3 Reinstoff; thermisch stabil bis oberhalb Texo
B3 Reinstoff; thermisch stabil bis oberhalb Texo
C3 Texo = 120 °C; (dM/dt)Zersetzung > (dM/dt)max. Auslegung
A3 + B3 → C3 Spontane Reaktion bei 80 °C; Texo = 120 °C; ΔTadiab. = 225 K


Fall 3

Abweichung Auswirkung Bewertung mögliche Gegenmaßnahmen
Temperatur zu hoch Die maximal mögliche Heiztemperatur beträgt wegen des offenen Wasserkreislaufs 95 °C. Durch die äußere Beheizung kann Texo somit nicht erreicht werden. Auslegungsgrenzen werden nicht überschritten. Sicherheitstechnisch unkritisch. Keine zusätzlichen Maßnahmen erforderlich.
Temperatur zu niedrig Verzögerter Reaktionsstart, Akkumulation der Reaktanden mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung. Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Die maximal erreichbare Temperatur kann nun mit TProzeß + ΔTadiab (auch für TProzeß < 80 °C) Texo überschreiten. Bei vorhandener Kühlung würden 160 °C erreicht. Auslegungsgrenzen werden überschritten. Behälterversagen mit Stofffreisetzung möglich. Temperaturmessung mit Zulaufsperre (Dosierung der Komponente A3) bei Unterschreiten einer Mindesttemperatur im Kessel, TIS , in redundanter Ausführung
Zu wenig Lösungsmittel Die Störung ist irreal, da kein Lösungsmittel benötigt wird.    
Ausfall des Rührers Akkumulation der Reaktanden mit nachfolgender erhöhter Reaktionsleistung. Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Texo kann überschritten werden. Auslegungsgrenzen werden überschritten. Behälterversagen mit Stofffreisetzung möglich. Drehzahlüberwachung des Rührers mit Zulaufsperre (Dosierung der Komponente A3), SIS_, und Überwachung des Rührmotors mit Zulaufsperre (Dosierung der Komponente A3), EIS_ (diversitäre Redundanz)
Ausfall der Kühlung (zu Beginn der Reaktion) Die Reaktionsleistung kann nicht mehr vollständig durch die Kühlung abgeführt werden, so daß die Temperatur über Solltemperatur steigt. Texo kann überschritten werden. Auslegungsgrenzen werden überschritten. Behälterversagen mit Stofffreisetzung möglich. Temperaturmessung mit Zulaufsperre (Dosierung der Komponente A3) bei Überschreitung einer Maximaltemperatur im Kessel, TIS+, in redundanter Ausführung
Die sich aus dieser Gefahrendiskussion ergebende zusätzliche Ausrüstung des Reaktionskessels ist in Bild 3 dargestellt.

Bild 3: Ausrüstung des Reaktionskessels (schematisch), Fall 3

2.5.4 Beurteilung der Störungen

Die Auswirkungen der betrachteten Störungen und ihre daraus resultierende Bewertung sind im folgenden tabellarisch beschrieben. Den Ausführungen ist zu entnehmen, daß in Fall 1 keine zusätzlichen Maßnahmen, in Fall 2 einfache zusätzliche Maßnahmen und in Fall 3 hoch verfügbare (hier als Beispiel redundante) zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.

Hinweis:

Die Besonderheit im Fall 3 besteht in einer relativ hohen Reaktionswärme mit gleichzeitig niedriger Grenztemperatur Texo. Eine alternative sicherheitstechnische Lösung könnte hier in der gezielten Einflußnahme auf diese beiden Größen bestehen, was z.B. durch eine verfahrens- und anlagenstechnische Umstellung auf eine vollkontinuierliche Betriebsweise (Strömungsreaktor mit Umpumpung unter Zuhilfenahme von Lösungsmittel) erreicht werden kann. Damit lassen sich sowohl (u.a. wegen der kurzen Verweilzeiten und des Verdünnungseffektes) die Grenztemperatur Texo zu höheren Werten verschieben, als auch (wegen des Verdünnungseffektes) die adiabatische Temperaturerhöhung Tadiab verringern. Eine solche Verfahrens- und Anlagenänderung macht in jedem Falle die iterative sicherheitstechnische Bewertung der Reaktion erforderlich; andere Maßnahmen können notwendig werden..

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Literatur  Anhang 3:

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2. R.L. Rogers, "Factfinding and basic data, Part I: Hazardous properties of substances", in "Safety in Chemical Production", Proceedings of the First IUPAC Workshop on Safety in Chemical Productions, p. 5-12, Blackwell Scientific Publications, Oxford, 1991

3. R. Gygax, "Factfinding and basic data, Part II: Desired chemical reactions", in "Safety in Chemical Production", Proceedings of the First IUPAC Workshop on Safety in Chemical Production, p. 13-19, Blackwell Scientific Publications, Oxford, 1991

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5. VDI-Richtlinien 2263, Staubbrände und Staubexplosionen, Blatt 1, Untersuchungsmethoden zur Ermittlung von sicherheitstechnischen Kenngrößen von Stäuben", VDI, Düsseldorf, Mai 1990

6. Th. Grewer, O. Klais, "Exotherme Zersetzung - Untersuchung der charakteristischen Stoffeigenschaften", Schriftenreihe Humanisierung des Arbeitslebens, Bd. 84, VDI-Verlag, Düsseldorf, 1988

7. Th. Grewer, "Thermal Hazards of Chemical Reactions", Elsevier, Amsterdam 1994

8. J.-L. Gustin, "Ablauf durchgehender Reaktionen sowie Auswahl und Führung von sicheren Prozessen", Chem.-Ing.- Techn., 65, 415 (1993)

9. Recommendations on the Transport of Dangerous Goods, Tests and Criteria, United Nations, New York, gültige Fassung Richtlinie 92/69/EWG, Anhang 14

10. T. Grewer, H. Klusacek, U. Löffler, R.L. Rogers, J. Steinbach, DECHEMA-Monographien Band 111, VCH-Verlagsgesellschaft, Weinheim, 1988

11. Expertenkommission für Sicherheit in der chemischen Industrie der Schweiz (ESCIS), "Thermische Prozeßsicherheit- Daten, Beurteilungskriterien, Maßnahmen", Schriftenreihe Sicherheit, Heft 8, SUVA, Luzern, 1988.

12. P. Hugo, "Anfahr- und Betriebsverhalten von exothermen Batch-Prozessen", Chem.-Ing.-Techn. 52, 712 (1980)

13. J. Steinbach, "Chemische Sicherheitstechnik", Verlag Chemie, Weinheim, 1995

14. Ratgeber Anlagensicherheit, Hsg. BG Chemie und VDSI, Universum Verlagsanstalt, Wiesbaden, 1998

15. z.B.: DIN/VDE 0116 "Elektrische Ausrüstung von Feuerungsanlagen", Abschnitt 8.7, Okt. 1989, Beuth Verlag GmbH, Berlin VDI/VDE 2180 Sicherung von Anlagen der Verfahrenstechnik mit Mitteln der Meß-, Steuerungs und Regelungstechnik, 1998, Beuth Verlag, Berlin DIN V 19250 "Grundlegende Sicherheitsbetrachtungen für MSRSchutzeinrichtungen, 1989, Beuth Verlag GmbH, Berlin DIN V 19251 "Leittechnik; MSR-Schutzeinrichtungen, Anforderungen und Maßnahmen zur gesicherten Funktion", 1994, Beuth Verlag GmbH, Berlin NAMUR NE 31 "Anlagensicherung mit Mitteln der Prozeßleittechnik", 1992

16. Leitfaden "Rückhaltung von gefährlichen Stoffen aus Druckentlastungseinrichtungen", TAA-GS-06, 1994

17. L. Friedel, Anleitung "Strömungstechnische Auslegung der Entlastungseinrichtungen für druckführende Anlagenteile", TAA-GS-18, 1998 Weiterführende Literatur:

18. V. Pilz et. al., "Plant and Process Safety", Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry, Vol. B 8, Verlag Chemie, Weinheim, 1995

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20. G. Kreysa, O.-U. Langer, V. Pilz (Hrsg.), "Chemische Reaktionen Erkennung und Beherrschung icherheitstechnisch relevanter Zustände und Abläufe", 35. Tutzing-Symposion, Praxis der Sicherheitstechnik, Vol. 4, DECHEMA, Frankfurt, 1997

21. N. Mitchison, B. Smeder (Hrsg.), "Safety and Runaway Reactions", Institute for Systems Informatics and Safety, Joint Research Centre, European Commission, 1997

22. L. Bretherick, "Handbook of Reactive Chemicals Hazards", Butterworths, London, 1990

23. CCPS, "Guidelines for Hazard Evaluation Procedures", AIChemE, New York, 1985

24. IVSS, "Das PAAG-Verfahren: Methodik, Anwendung, Beispiele", Heidelberg, 2000 IVSS, "Gefahrenermittlung - Gefahrenbewertung", Heidelberg, 1997

25. Merkblattserie Anlagensicherheit der BG Chemie, bisher: R 001, "Exotherme chemische Reaktionen - Grundlagen", ZH 1/89, Heidelberg, 1995 R 002, "Exotherme chemische Reaktionen - Maßnahmen zur Beherrschung", ZH 1/90, Heidelberg, 1996

ENDE

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