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Entwicklung einer gezielten innovativen medizinischen Strategie für die dynamische Mehrstufen-Behandlung des akuten Strahlensyndroms *
- Stellungnahme der Strahlenschutzkommission -
Vom 18. April 2012
(eBAnz. AT vom 26.09.2012 B4)
Literatur
1 Problematik der "Behandlung von Strahlenexponierten nach Strahlenunfällen"
Als relevante Szenarien eines Strahlenunfalles, bei denen mit einer großen Zahl von Personen mit einer erhöhten Strahlenexposition zu rechnen ist, sind insbesondere Industrieunfälle, Unfälle in kerntechnischen Anlagen oder akzidenteile Überexpositionen, z.B. im Zusammenhang mit einer Strahlentherapie, vorstellbar. Für alle drei Szenarien gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl von realen Ereignissen. Je nach Betrachtungsweise und Risikoeinschätzung/-bewertung sind zu den beschriebenen Szenarien weitere mögliche Szenarien terroristischen Ursprungs zu nennen. Hierzu gehören: das Ausbringen einer stationären Strahlenquelle (engl. Radiological Dispersal Devices, RDD), das Zünden einer sogenannten schmutzigen Bombe (engl. Dirty Bomb) bis hin zum Einsatz einer kleinen Atomwaffe (engl. Improvised Nuclear Device, IND). Letzteres Szenario wird in den USa derzeit für das Bedrohungsszenario "Nummer 1" gehalten.
Bereits aus dieser kurzen Betrachtung von Szenarien folgt, dass die mögliche Opferzahl von wenigen Patienten (klassischer Industrieunfall) bis zu einer größeren Anzahl (z.B. kerntechnischer Unfall oder Dirty-Bomb-Szenario) reichen kann, wobei bei letzteren die Ressourcen für deren Behandlung limitiert sind.
2 Sachstand zu derzeitigen Behandlungsoptionen
Im Jahr 2009 fand ein von der World Health Organization (WHO) veranstalteter Konsensusworkshop in Genf zum Thema "Evidenzbasierte Prinzipien der Therapie von Strahlenschäden" statt. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Journal of Disaster Medicine and Public Health Preparedness der American Medical Association veröffentlicht. Kurz zusammengefasst werden dort in zwei Arbeiten alle derzeit verfügbaren und evidenzbasierten Therapieoptionen behandelt - in der ersten Arbeit zum hämatopoetischen System (Dainiak et al. 2011a) sowie in der zweiten zu den übrigen Organsystemen (Dainiak et al. 2011b).
Beim hämatopoetischen Strahlensyndrom, mit Ausnahme der Gabe von Wachstumsfaktoren und der Stammzelltransplantation in bestimmten Einzelfällen, sowie bei der Therapie des kutanen Strahlensyndroms, mit Ausnahme der Therapie mit externen Steroiden, zeigt sich, dass bislang kaum evidenzbasierte Therapieoptionen vorliegen. Dies liegt zum einen an den dosisabhängig sich entwickelnden obligaten Multiorganinteraktionen bis hin zum Multiorganversagen. Zum anderen ist die besondere Situation der Strahlenforschung auf diesem Spezialgebiet dadurch gekennzeichnet, dass Forschungsarbeiten zum Ablauf einer "akzidentellen Strahlenexposition" mit Ganzkörper- bzw. signifikanter Teilkörperstrahlenexposition und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Behandlung in Deutschland nicht im allgemeinen Fokus stehen und daher kaum gefördert werden. All diese Faktoren haben Einfluss auf die Prognose des Patienten. Deshalb ist es erforderlich, neue Therapieansätze zu entwickeln und die Forschung auf diesem Gebiet in Deutschland zu fördern.
3 Mögliche Therapiekonzepte
Ein zukünftiger Therapieansatz könnte neben anderen Möglichkeiten vorsehen, bei dafür geeigneten Patienten nach akzidenteller Strahlenexposition eine Behandlungsstrategie mit nichtembryonalen Stammzellen zu entwickeln. Diese Behandlung sollte als sogenanntes "Bridging" dienen, um die Kaskade der sich bei signifikanter Strahlenexposition zwangsläufig entwickelnden Multiorganinteraktionen bis hin zum strahleninduzierten Multiorganversagen positiv beeinflussen zu können. Ziel sollte es sein, die notwendige Zeit zu gewinnen, um anschließend dem Teil der Patienten, der davon profitieren kann, eine HLA *-gematchte Stammzelltherapie mit hämatopoetischen Vorläuferzellen anbieten zu können. Das Ziel ist dabei, das klinische Resultat (Einheilen und Akzeptieren des Stammzelltransplantates) deutlich zu verbessern. Die notwendigen Abläufe und Verfahren, insbesondere die Therapie mit nichtembryonalen Stammzellen, aber auch logistische Erfordernisse rund um die hämatopoetische Stammzelltherapie, sollten neu entwickelt und validiert werden. Parallel dazu sollten geeignete Biomarker einer Strahlenexposition betrachtet werden.
All dies sind Faktoren, welche eine weitere Bearbeitung der Thematik aus Sicht der Strahlenschutzkommission (SSK) als dringend angeraten erscheinen lassen. Voraussetzung ist jedoch, dass eine enge strahlenbiologische Betreuung der Projekte gewährleistet wird. Nur dann kann sichergestellt werden, dass es nicht zu einer "Entkopplung" der zellbiologischen von den strahlenbiologisch und strahlenmedizinisch relevanten Inhalten kommt, oder aber neuere strahlenbiologische Erkenntnisse nicht genügend berücksichtigt werden, wie dies bei vergleichbaren Projekten aus den USa teilweise zu beobachten war.
4 Stellungnahme
In der Behandlung von Strahlenexponierten in Folge von Strahlenunfällen ist es notwendig und zielführend, durch eine Überbrückungstherapie den Ablauf des strahleninduzierten Multiorganversagens positiv zu verändern und die notwendige Zeit zu gewinnen, um eine zielgerichtete Mehrstufenbehandlung anbieten zu können. Die erfolgreiche Durchführung neuer Forschungsansätze würde einen wertvollen Beitrag zur Erweiterung der bisher nur eingeschränkt vorhandenen Therapieoptionen nach akzidenteller Strahlenexposition liefern.
Die SSK empfiehlt, neue Therapieansätze zur Entwicklung einer gezielten innovativen medizinischen Strategie für die dynamische Mehrstufen-Behandlung des akuten Strahlensyndroms, auch unter den Bedingungen eines Massenanfalls von Patienten, aus fachlich strahlenbiologischer und strahlenmedizinischer Sicht grundsätzlich zu fördern. Da die Fragestellung nicht auf Deutschland beschränkt ist, sollte die internationale Kooperation gesucht werden.
Literatur
Dainiak, N. et al. 2011a |
(Stand: 16.06.2018)
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