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Regelwerk

Geschlechtsspezifische Unterschiede der Strahlenempfindlichkeit - epidemiologische, klinische und biologische Studien
- Stellungnahme der Strahlenschutzkommission -

Vom 22. März 2010
(BAnz. Nr. 93a vom 25. Juni 2010 S. 1)




Bekanntmachung einer Stellungnahme der Strahlenschutzkommission (Geschlechtsspezifische Unterschiede der Strahlenempfindlichkeit - epidemiologische, klinische und biologische Studien vom 22. März 2010.

Nachfolgend wird die Stellungnahme der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 236. Sitzung der Kommission am 17./18. September 2009, bekannt gegeben.

1 Einleitung

Die Internationale Strahlenschutzkommission (International Commission on Radiological Protection - ICRP) hat sich auch in ihren neuesten Empfehlungen dafür ausgesprochen, die Berechnung der effektiven Dosis trotz möglicherweise bestehender geschlechtsspezifischer Unterschiede bei den strahleninduzierten Risiken für Mann und Frau auf die gleiche Weise durchzuführen [ICRP 07]. Zwar befürwortet die ICRP geschlechts- und sogar altersspezifische Ansätze zur retrospektiven individuellen Risikoabschätzung nach externer oder interner Exposition mit ionisierender Strahlung, für die Zwecke des Strahlenschutzes besteht sie jedoch auf einer einheitlichen Berechnung der effektiven Dosis. Dementsprechend stellen die von der ICRP eingeführten Gewebewichtungsfaktoren (wT) über das Alter und das Geschlecht gemittelte Werte dar. Dies gilt auch für die weibliche und männliche Brust sowie die Gonaden. Die ICRP begründet ihr Vorgehen unter anderem mit den großen Unsicherheiten bei der Berechnung der Gewebewichtungsfaktoren und mit möglichen diskriminierenden Auswirkungen, falls geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Berechnung von Risiken gemacht würden.

Andere nationale und internationale Institutionen betonen jedoch mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede. So werden zum Beispiel im aktuellsten Bericht des National Research Council (NRC) der USa sowohl für solide Tumoren als auch für Leukämien mit einer für die amerikanische Bevölkerung typischen Altersverteilung für Männer und Frauen unterschiedliche zusätzliche Fälle nach Exposition mit ionisierender Strahlung errechnet [NRC 06]. Auch die wissenschaftliche Kommission der Vereinten Nationen zur Wirkung atomarer Strahlung (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation - UNSCEAR) geht davon aus, dass sowohl das zusätzliche relative als auch das zusätzliche absolute Risiko für alle soliden Tumoren zusammen für Frauen etwa einen Faktor 2 höher ist als für Männer [UNSC 08].

Epidemiologische Studien belegen eine für Frauen signifikant niedrigere spontane Tumorinzidenz als für Männer. So werden bei SEER 1 (1975-2005) alterskorrigiert und für alle Krebsarten zusammen für Frauen 403 und für Männer 519 Fälle pro 100.000 Personen [Rie 08] angegeben. Bezieht man sich auf einzelne Krebserkrankungen, so sind bestimmte Tumorentitäten bei Männern häufiger als bei Frauen (wie z.B. Leberkrebs, Plattenepithelkarzinome und Lymphome), während bei Frauen Meningiome und Schilddrüsentumoren häufiger auftreten als bei Männern. Es ist ungeklärt, ob die Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede in der spontanen Tumorinzidenz durch genetische und/oder hormonelle Faktoren begründet sind und welchen Einfluss berufliche Faktoren und Verhalten ("life style") haben.

Hinweise auf Unterschiede in der Strahlenempfindlichkeit männlicher und weiblicher Gewebe gibt es aus klinischen Studien, in denen die frühen bzw. späten Nebenwirkungen nach Strahlen- und kombinierter Strahlen-/Chemotherapie geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselt wurden [Bor 09]. Allerdings gibt es bisher nur wenige Studien, die systematisch mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Sensitivität gegenüber ionisierender Strahlung analysiert haben. Hingegen wurden in einer Vielzahl epidemiologischer Studien geschlechtsspezifische Unterschiede in der strahleninduzierten Tumorinzidenz und -mortalität analysiert. Dabei kommt den Studien an den Atombombenüberlebenden (Life Span Study, LSS), an den Betroffenen von Tschernobyl und an Kollektiven, die therapeutischer Strahlung ausgesetzt waren, hohe Bedeutung zu (siehe Kapitel 2, sowie Anhang 1 und 2). Die Ergebnisse dieser Studien bezüglich geschlechtsspezifischer Unterschiede sind allerdings häufig an der Grenze der Signifikanz, wobei der Modus der Berechnung einen wichtigen Einfluss hat, und teilweise widersprechen sich die Ergebnisse verschiedener Studien. Signifikante Unterschiede werden jedoch für die durch solare Strahlung verursachte Inzidenz von Nicht-Melanom-Krebserkrankungen sowie die altersstandardisierte Mortalität von malignen Melanomen der Haut beobachtet, die bei Männern signifikant höher sind als bei Frauen [SSK 08].

Um geschlechtsspezifische Unterschiede in der Strahlenempfindlichkeit gesichert nachzuweisen, sind Studien sowohl an geeigneten Zell- wie auch an Tiermodellen sehr wichtig. Nachweislich geeignete Modelle können dann verwendet werden, um die biologischen und molekularen Grundlagen der postulierten geschlechtsspezifischen Strahlenreaktionen aufzuklären (siehe Übersicht bei [Bor 09]). Es gibt kaum systematische Studien über die potentiellen molekularen und zellulären Grundlagen geschlechtsspezifischer Strahlenreaktionen. Das langfristige Ziel sollte sein, nachzuweisen, ob es statistisch signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede in der Strahlenempfindlichkeit nicht nur auf zellulärer, sondern insbesondere auch auf der Ebene von Organismen, d. h. beim Menschen und in geeigneten Tiermodellen, gibt. Auf der Grundlage von eindeutig bewiesenen geschlechtsspezifischen Unterschieden im Tiermodell sollten sich danach Analysen über die möglichen zellulären und molekularen Grundlagen der postulierten geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Strahlenempfindlichkeit beim Menschen anschließen.

2 Epidemiologische Studien

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