umwelt-online: Wirkung hochfrequenter Felder auf das Genom: Genotoxizität und Genregulation (2)

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3.1.2 Chromosomenaberrationen, Schwesterchromatidaustausche und Mikrokerne

Chromosomen sind komplexe Strukturen, die hauptsächlich aus DNa und Proteinen (Histone und Nichthiston-Proteine) bestehen. In der G0/G1-Phase des Zellzyklus, also vor Beginn der DNA-Synthesephase (S-Phase), enthalten die Chromosomen jeweils ein durchgehendes DNA-Molekül, das eine wesentliche Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Chromosomenstruktur ist. Während der S-Phase wird die DNa repliziert und es entsteht ein Chromosom aus zwei Chromatiden, die jeweils ein strukturgleiches DNA-Molekül enthalten. Die beiden Chromatiden werden bis zum Beginn der Anaphase in der Zentromerregion zusammengehalten, bevor sie auf die Zellpole verteilt werden, um als einsträngige Gebilde in die entsprechenden Tochterkerne einzugehen.

Chromosomenaberrationen (CA) sind Veränderungen in der Struktur der Chromosomen, die im Lichtmikroskop analysiert werden.

Ca entstehen infolge chemischer Veränderungen in der chromosomalen DNA. Die Analyse von Ca ist eine weltweit anerkannte Methode, um festzustellen, ob ein Agens mutagen und somit auch karzinogen ist.

Die nach Einwirkung eines Mutagens auftretenden CA-Typen hängen von der molekularen Struktur der DNA-Läsionen und vom Zellzyklusstadium ab, in dem sie induziert wurden. Ca entstehen stets als Ergebnis der Fehlreparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen (DSB 7), bei denen beide DNA-Stränge gebrochen sind, wobei die Einzelstrangbrüche (SSB 8) in den beiden DNA-Strängen wenige basen voneinander entfernt sein können. "Fehlreparatur" bedeutet, dass "falsche" Enden verknüpft werden, die molekularen Mechanismen sind die gleichen wie bei der "richtigen" Reparatur. DSB werden nur von wenigen Agenzien direkt induziert, hierzu gehören ionisierende Strahlen, Endonucleasen und einige Antibiotika wie Bleomycin. Diese Agenzien induzieren DSB in jedem Stadium des Zellzyklus und führen direkt zu CA. DSB in der G1-Phase führen zu Ca vom Chromosomentyp (etwa dizentrische Chromosomen, Translokationen und Chromosomenbrüche). DSB in der S-Phase ergeben, wenn sie in unreplizierten Bereichen des Chromosoms auftreten, Ca vom Chromosomentyp. Werden DSB in bereits replizierten Abschnitten des Chromosoms induziert, entstehen Ca vom Chromatidentyp (etwa Chromatidentranslokationen und Chromatidenbrüche). Werden DSB in der G2-Phase induziert, entstehen ausschließlich Ca vom Chromatidentyp. Agenzien dieses Typs induzieren somit in dem Zellzyklusstadium CA, in dem sie eingewirkt haben. Die entstehenden Aberrationsmuster erlauben eine Aussage darüber, in welchem Zellzyklusstadium die Behandlung erfolgte.

Die weitaus meisten chemischen Mutagene, aber auch UV-Strahlen, induzieren keine DSB, wohl aber andere Läsionen in den einzelnen Strängen der DNa (Single Strand Lesions; SSL). SSL können in der S-Phase dann zu DSB führen, wenn sie die DNA-Replikation in den Replikationsgabeln behindern. Die so entstehenden DSB betreffen einen der replizierenden DNA-Stränge und somit eine Chromatide. Es kommt daher zu Ca vom Chromatidentyp, auch wenn die Exposition mit dem Mutagen in der G1-Phase erfolgte. Expositionen in der G2-Phase, also nach der DNA-Synthese, führen in der folgenden Mitose nicht zu CA. Agenzien dieses Typs induzieren Ca in Abhängigkeit von der S-Phase. Behandlung von Zellen mit einem CA-induzierenden Mutagen in der G1-Phase und Analyse des Aberrationsmusters in der ersten Mitose nach Exposition erlaubt somit eine Aussage über den Wirkungsmechanismus des getesteten Mutagens. In seltenen Fällen können auch SSL in Cl dann zu Ca führen, wenn während der Reparatur DSB entstehen, die zu Ca "fehlrepariert" werden. Dieser Effekt kann besonders dann auftreten, wenn die G1-Phase künstlich verlängert wird (Liquid Holding Experimente), oder wenn unter in-vivo-Bedingungen beim Menschen periphere Lymphozyten chronisch exponiert werden. Ca dieses Typs sind stets mit Ca vom Chromatidentyp assoziiert. Ca vom Chromosomentyp können nach Induktion von SSL auch dann auftreten, wenn keine Zellzykluskontrolle erfolgt und bereits zweite oder gar dritte Mitosen nach CA-Induktion untersucht werden. Unter derartigen Bedingungen entstehen Ca vom Chromosomentyp aus Ca vom Chromatidentyp, allerdings sind meist auch Ca vom Chromatidentyp vorhanden.

Die hier beschriebenen Zusammenhänge machen deutlich, dass CA-Analysen unter stringenten experimentellen Bedingungen durchgeführt werden müssen, anderenfalls ist keine sinnvolle Aussage über die erhobenen Ergebnisse möglich. Ca müssen in der ersten Mitose nach der Behandlung mit einem Testagens analysiert werden. Die Zellzykluskontrolle kann über den Proliferationsindex nach Einbau von Bromdesoxyuridin (BrdU) erfolgen, das, wenn im Überschuss vorhanden, vorwiegend statt Thymidin (T) in die replizierende DNa eingebaut wird. Nach einem Zellzyklus in Gegenwart von BrdU haben alle Chromosomen die Konstitution TB-TB (M1), nach zwei Zellzyklen TB-BB (M2), nach drei Zellzyklen gibt es in einer Mitose zu gleichen Teilen Chromosomen mit der Konstitution TB-BB und BB-BB (M3). Nach einer speziellen Färbung nach Giemsa können die Chromosomen substitutionstypisch angefärbt werden, wobei in M1-Zellen alle Chromosomen dunkel, in M2-Zellen in allen Chromosomen eine Chromatide dunkel und eine hell (differentielle Färbung) und in M3-Zellen 50 % der Chromosomen differentiell und 50 % durchgehend hell gefärbt sind. Ca müssen in M1-Zellen ausgewertet werden, in differentiell gefärbten M2-Zellen können Schwesterchromatidenaustausche (SCE) analysiert werden, die im Mikroskop als Austausche zwischen dunklen und hellen Schwesterchromatidenabschnitten der einzelnen Chromosomen sichtbar sind. SCE entstehen in der S-Phase als Ergebnis eines auf Rekombination beruhenden Reparaturvorgangs.

Soll vermieden werden, dass alle zu untersuchenden Zellen mit BrdU markiert sind, wird jeweils nur eine Kultur mit BrdU exponiert. Wenn nach einer entsprechenden Fixierungszeit nicht mehr als 10% M2-Zellen vorhanden sind, kann man davon ausgehen, dass die in den nicht mit BrdU exponierten Zellen erhobenen Ergebnisse nicht durch Zellzyklusprobleme verfälscht sind. Die Häufigkeiten von Ml, M2 und M3 können auch zur Kalkulation eines Proliferations- oder Replikations-Indexes verwendet werden.

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