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DGUV Information 250-109 - Leitfaden für Betriebsärzte und Betriebsärztinnen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) Information
(Ausgabe 10/2015aufgehoben)
Zielgruppe und Ziele des Leitfadens
Der Leitfaden wendet sich in erster Linie an Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, die einen Einstieg und praktische Hilfen für das Thema betriebliches Eingliederungsmanagement und Wiedereingliederung kranker Beschäftigter im Betrieb suchen, um aktiv diesen Prozess zu begleiten. Er bietet Argumentationshilfen für die Etablierung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, Hinweise für die praktische Umsetzung vorrangig in kleinen und mittleren Unternehmen und im Anhang ausgewählte Internetlinks.
1 Rechtliche Grundlagen
Seit Mai 2004 gelten ergänzende Vorschriften zur Prävention im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). In § 84 wird der Arbeitgeber aufgefordert, betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) unter bestimmten Voraussetzungen durchzuführen. Ziele dieser Vorschrift sind, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz des betroffenen Mitarbeiters zu erhalten.
§ 84 Abs. 2 SGB IX
Die stufenweise Wiedereingliederung ist als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen in § 74 SGB V beziehungsweise als Leistung aller Rehabilitationsträger in § 28 SGB IX festgelegt. Die konkrete Ausgestaltung liegt in den Händen der jeweiligen Akteure und ist wichtiger Bestandteil betriebsärztlichen Handelns, da nur der Betriebsarzt bzw. die Betriebsärztin die Anforderungen der Tätigkeit und die aktuell vorhandenen Fähigkeiten aus medizinischer Sicht zur Deckung bringen kann.
2 Was umfasst Betriebliches Eingliederungsmanagement?
BEM ist ein Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Sind Beschäftigte sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt insgesamt 6 Wochen oder länger innerhalb eines Jahres arbeitsunfähig, ist ein BEM durchzuführen. Das Unternehmen ist verpflichtet, ein BEM anzubieten. Die Initiative zur Durchführung eines BEM kann jedoch auch von der betroffenen erkrankten Person dem Betriebsarzt oder der Betriebsärztin und der Schwerbehindertenvertretung ausgehen. Es umfasst Maßnahmen, um Beschäftigte mit gesundheitlichen Problemen dauerhaft am Arbeitsplatz einzusetzen oder dort nach längerer Krankheit wieder einzugliedern. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um neu hinzugetretene dauerhafte oder zeitlich befristete Behinderungen oder um chronische Erkrankungen handelt. Ebenso ist es unerheblich, ob die Ursachen der Gesundheitsstörung arbeitsbedingt sind. Sollte eine Wiedereingliederung am bisherigen Arbeitsplatz nicht möglich sein, soll eine Eingliederung an einem alternativen Arbeitsplatz im Unternehmen angestrebt werden.
Das Gesetz verlangt in § 84 SGB IX vom Unternehmen lediglich Maßnahmen zur Wiedereingliederung im Einzelfall. Aufgrund der unterschiedlichsten persönlichen und betrieblichen Gegebenheiten ist aber eine systematische, strukturierte und überprüfbare Vorgehensweise unabdingbar (Management). Die Etablierung eines BEM als Managementsystem hat Vorteile. Es stellt Transparenz her, sichert die Gleichbehandlung aller Beschäftigten und unterstützt alle Seiten bei einem Wiedereingliederungsfall.
Die betriebliche Fachkompetenz spielt in einem erfolgreichen Eingliederungsmanagement eine entscheidende Rolle. Die Kernaufgaben sind in Tabelle 1 dargestellt.
Tabelle 1: BEM und Betriebsarzt bzw. Betriebsärztin
Frühzeitige Erkennung von Rehabilitationsbedarf | Beratung und Untersuchung der beschäftigten Person vor der Eingliederungsmaßnahme |
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Zu den Maßnahmen des BEM gehören beispielsweise das Erkennen von betrieblichen Ursachen von Gesundheitsstörungen, insbesondere von physischen und psychischen Belastungen sowie anderen ungünstigen Arbeitsplatzbedingungen, die Erstellung eines Wiedereingliederungsplanes, die stufenweise Wiedereingliederung und die Entwicklung eines Kataloges von Hilfsmaßnahmen.
Außerhalb des Betriebes finden sich Partner wie Rehabilitationsträger, Integrationsämter und Integrationsfachdienste. Ihre Aufgaben enthält Tabelle 2.
Ansprechpartner für die zuständigen Rehabilitationsträger sind örtliche "gemeinsame" Servicestellen.
Tabelle 2: Aufgaben externer Partner
Gesetzliche Krankenversicherung | Kostenübernahme |
Gesetzliche Unfallversicherung | Kostenübernahme nach Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten |
Agentur für Arbeit | Kostenübernahme |
Gesetzliche Rentenversicherung | Kostenübernahme |
Integrationsämter | Kostenübernahme bei Arbeitsplatzgestaltungen, immer nachrangig |
Integrationsfachdienste | Reintegrationsbetreuung mit Beratung |
Wann kommt BEM zur Anwendung?
Liegt bei einer beschäftigten Person eine Arbeitsunfähigkeit für einen Zeitraum von sechs Wochen oder mehr innerhalb der letzten 12 Monate vor, muss das Unternehmen dieser Person ein BEM anbieten. Der Begriff Arbeitsunfähigkeit umfasst dabei Kurzerkrankungen, lang andauernde Erkrankungen, dauernde Arbeitsunfähigkeit und die krankheitsbedingte Leistungsminderung. Auch wiederholte Erkrankungen, deren Arbeitsunfähigkeit kürzer als sechs Wochen dauert, fallen unter diese Regelung, wenn sie in der Summe mehr als sechs Wochen andauern.
Dabei können die einzelnen Gesundheitsstörungen auch voneinander unabhängige Ursachen haben.
Angestrebt wird eine Wiedereingliederung an dem bisherigen Arbeitsplatz. Sollten gesundheitliche Einschränkungen dem entgegenstehen, die sich nicht durch eine Anpassung des Arbeitsplatzes ausgleichen lassen, erfolgt die Suche nach einem alternativen Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens.
Wer ist beteiligt?
Die betroffene Person muss ihre Zustimmung zur Teilnahme am Verfahren des BEM geben. Ohne seine Zustimmung, also gegen den Willen des Betroffenen, werden keine Aktivitäten des BEM gestartet. Er kann eine gegebene Zustimmung auch zurückziehen oder zu einem späteren Zeitpunkt als vom Unternehmen angeboten am BEM teilnehmen. Mit der verspäteten Zustimmung läuft die betroffene Person jedoch Gefahr, dass bestimmte Maßnahmen nicht mehr möglich oder sinnvoll sind. Das Selbstbestimmungsrecht des Arbeitnehmenden ist in den § § 1 und 84 Abs. 2 SGB IX genannt. Ziel aller Beteiligten bei der Durchführung des BEM muss die Sicherung des Beschäftigungsverhältnisses sein.
Das Integrationsteam
In größeren Betrieben übernimmt oft ein Integrationsteam die Koordination und Abstimmung der notwendigen Maßnahmen bei einer Wiedereingliederung. Wer gehört in das Integrationsteam und welche Funktion hat dieses Team?
3 Die Rolle des Betriebsarztes bzw. der Betriebsärztin
Der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin ist für eine zentrale und vermittelnde Rolle im BEM besonders geeignet. Er oder sie verfügt einerseits über die medizinischen Fachkenntnisse, um die medizinischen Berichte zu bewerten, die gesundheitliche Situation des Beschäftigten zu beurteilen und mit den behandelnden Ärzten unter Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht zu sprechen. Andererseits kennt er oder sie die Bedingungen und Anforderungen des Arbeitsplatzes und steht im Kontakt zu allen betrieblichen Akteuren. Der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin ist somit in der Lage, das positive Fähigkeitsprofil und noch bestehende Einschränkungen des Betroffenen mit den Anforderungen am Arbeitsplatz abzugleichen und notwendige Maßnahmen für die Wiedereingliederung abzuleiten.
Sofern in größeren Betrieben im Rahmen des Eingliederungsmanagements ein Integrationsteam gebildet wird, gehört auch der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin in dieses Team. In kleinen Betrieben ist aufgrund der knappen personellen Ressourcen oft die Bildung eines Integrationsteams nicht möglich und aufgrund des eher seltenen Ereignisses einer Wiedereingliederung auch nicht sinnvoll. In diesen kleinen Betrieben kann der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin im Einzelfall im Auftrag des Unternehmens auch die Steuerung des BEM übernehmen.
Sofern die Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen steht, unterbreitet das betriebsärztliche Personal dem Unternehmen und der Mitarbeitervertretung Vorschläge für die generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Organisation, Ergonomie, Führungsverhalten), um das Risiko weiterer Ausfallzeiten aufgrund dieser Bedingungen bei allen Mitarbeitern des Arbeitsbereiches zu minimieren.
Betriebsärztliche Unterstützung des Unternehmens und der Personalabteilung
Vorteile der Einbindung der Betriebsärztin oder des Betriebsarztes aus Sicht der Mitarbeitervertretung
Die Etablierung eines strukturierten BEM als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements liegt im Interesse der Mitarbeitervertretung, da es dem Erhalt der Leistungs- und Erwerbsfähigkeit der Belegschaft sowie der Unterstützung vorübergehend oder dauerhaft leistungsgewandelter Beschäftigten dient. Der Betriebsarzt kann sowohl den Aufbau eines BEM als auch die Wiedereingliederung im Einzelfall auf vielfältige Weise unterstützen. Folgende Aspekte haben aus Sicht der Mitarbeitervertretung besondere Bedeutung:
Betriebsärztliche Hilfestellung für die betroffenen Mitarbeitenden
Die Rolle des Betriebsarztes aus der Sicht aller Mitarbeiter
4 Vorteile des BEM für den Betrieb
Das BEM zielt darauf ab, die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen möglichst vollständig wiederherzustellen. Tatsächlich bietet dieses Feld eine Vielzahl attraktiver Gestaltungsmöglichkeiten, die dabei helfen, Kosten für ein Unternehmen einzusparen. Im Einzelnen kann dies so aussehen:
Die Einstellung einer Ersatzkraft entfällt. So spart das Unternehmen Kosten bei der Lohnfortzahlung als auch Kosten für die Ersatzkraft. Durch den raschen Wiedereinstieg können dem Betrieb Qualitätsstandards erhalten bleiben, denn die Kompetenzen des betroffenen Mitarbeitenden können baldmöglichst weiter genutzt werden. Die Auswertung des Einzelfalls kann insbesondere bei betrieblichen Ursachen der Arbeitsunfähigkeit wertvolle Erkenntnisse für den Betrieb bieten: Durch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen lässt sich die Situation für alle Beschäftigten verbessern und das Risiko arbeitsbedingter Ausfallzeiten minimieren. Die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeitenden können sich verbessern.
Insgesamt hat ein BEM einen positiven Einfluss auf das Unternehmensimage. Der Betrieb gilt als vorbildlich und fair im Umgang mit gesundheitlich beeinträchtigten Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen. Das positive Unternehmensimage bietet einen Wettbewerbsvorteil bei der Gewinnung von Personal. Auch haben Unternehmen Ansprüche auf externe Leistungen wie zum Beispiel Beratung durch die Integrationsämter oder durch die Unfallversicherungsträger. Unter Umständen sind bestimmte Maßnahmen sogar finanziell förderungswürdig. Nach § 84 Abs. 3 SGB IX können Rehabilitationsträger und Integrationsämter Unternehmen, die ein BEM einführen, durch eine Prämie oder einen Bonus fördern. Sollte es trotz aller Maßnahmen doch zu einer Kündigung kommen, wird durch das BEM rechtskonformes Handeln erreicht.
5 Umsetzung in der Praxis
Etablierung des BEM im Betrieb
Empfehlenswert ist die Einführung des BEM im Betrieb, bevor es zum Auftreten eines konkreten Falles kommt, um Missverständnisse und Verunsicherung der Beschäftigten zu vermeiden. Die frühzeitige Entwicklung und Etablierung eines systematischen BEM und die ausführliche Information der Belegschaft über das Vorgehen können grundsätzliches Vertrauen in das Verfahren schaffen und den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung erleichtern.
Die Unternehmensleitung sollte gemeinsam mit der Mitarbeitervertretung diese Informationen persönlich kommunizieren, um deutlich zu machen, dass sie diese Maßnahme mitträgt. Die so informierten Beschäftigten werden nach längerer Arbeitsunfähigkeit nicht von einem Angebot zur Unterstützung der Wiedereingliederung überrascht. Mit einem sorgfältig formulierten Einladungsschreiben, an einem BEM-Verfahren teilzunehmen, kann der betroffene Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin dieses Angebot eher als präventive Unterstützung begreifen. Ohne entsprechende Vorbereitung könnten betroffene Mitarbeitende das Angebot als Kontrolle und Zweifel an einer tatsächlich noch bestehenden Arbeitsunfähigkeit empfinden oder befürchten sogar, dass die im Rahmen des BEM erhobenen Informationen der Vorbereitung einer krankheitsbedingten Kündigung dienen.
Die Ausgestaltung des BEM muss sich an den Gegebenheiten des jeweiligen Betriebes orientieren. So wird sie in einem Großbetrieb anders aussehen als in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).
In einem Großbetrieb ist die Installierung eines Integrationsteams mit regelmäßigen Treffen sinnvoll und machbar, für KMU ist eine weniger aufwendige Vorgehensweise erforderlich.
BEM und Datenschutz
Datenschutz ist von außerordentlicher Bedeutung, weil sensible Daten im Rahmen eines BEM anfallen. Sie sind einer größeren Zahl von Beteiligten innerhalb und außerhalb des Betriebes zugänglich. Das für die Durchführung des BEM-Prozesses im Betrieb unabdingbare Vertrauen der Mitarbeitenden ist nur dann gewährleistet, wenn diese sicher sein können, dass ihre Daten nicht an Unbefugte geraten oder für andere als im BEM vorgesehene Zwecke missbraucht werden. Dieses sensible Thema muss deshalb im Rahmen der Etablierung eines BEM sorgfältig und schriftlich, zum Beispiel in einer entsprechenden Betriebsvereinbarung, geregelt sein.
Medizinische Daten können in der Akte des betriebsärztlichen Personals bleiben und brauchen den Akteuren des BEM in den meisten Fällen nicht offenbart zu werden. Die Anlage einer gesonderten BEM-Akte unabhängig von den Gesundheitsunterlagen des Betriebsarztes oder der Betriebsärztin ist regelmäßig erforderlich. Für die betrieblichen Planungen reicht in der Regel die Kenntnis der resultierenden Einschränkungen, die sich auf die Tätigkeit am bisherigen Arbeitsplatz auswirken. Die Beteiligten am BEM-Verfahren, wie die Mitglieder des Integrationsteams und Vorgesetzte der oder des Betroffenen, sind zum Schutz der personenbezogenen Daten des Beschäftigten zu verpflichten. Der Datenschutz ist bei der Auswahl der Arbeitgebervertretung für das Integrationsteam besonders relevant. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sollte die Arbeitgebervertretung nicht aus der Personalabteilung stammen und nicht mit Personalentscheidungen betraut sein. Dann kann auch die Arbeitgebervertretung gegenüber dem Unternehmen und der Personalabteilung bezüglich der personenbezogenen Daten der einzugliedernden Person zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.
In die Personalakte gehören lediglich folgende Einträge: Das Einladungsschreiben des Betriebes an die betroffene Person, die Zustimmung oder Ablehnung des Mitarbeiternden zu einem BEM-Verfahren und die Tatsache, dass ein BEM-Verfahren durchgeführt wurde. Zudem werden in der Personalakte die durchgeführten Maßnahmen zur Wiedereingliederung sowie Zeitpunkt und Ergebnis der Beendigung des BEM-Verfahrens dokumentiert. Alle anderen Informationen und Erkenntnisse, die im Rahmen des Verfahrens gesammelt wurden, werden in der gesonderten BEM-Akte - wie Personalunterlagen - separat unter Verschluss aufbewahrt.
BEM als ergebnisoffenes Verfahren
In Gesprächen mit Betroffenen muss deutlich gemacht werden, dass BEM grundsätzlich ein ergebnisoffenes Verfahren ist. Es erhöht zwar die Chancen einer erfolgreichen Wiedereingliederung lange erkrankter Beschäftigten deutlich, kann aber keine Garantie dafür liefern. Dieser Tatsache müssen sich alle Mitwirkenden bewusst sein. Der Wiedereingliederungsplan muss bei Bedarf an den Fortschritt und die Genesung des einzugliedernden Betroffenen angepasst werden. Zeitliche Veränderungen des Plans erfordern eine Abstimmung mit dem Betrieb und dem Leistungsträger der Wiedereingliederung.
Führungskräfte von den Vorteilen eines BEM überzeugen
Ein erfolgreiches BEM ist nur dann möglich, wenn die Führungskräfte des Betriebes von seinen Vorteilen überzeugt sind. Dazu ist eine umfassende Information der Führungskräfte über Ziele und Ablauf des Verfahrens erforderlich. Schulungen können hier das notwendige Verständnis schaffen, sie sollten nach Möglichkeit durch Praxisberichte anderer Führungskräfte, die bereits Beschäftigte wiedereingegliedert haben, ergänzt werden.
6 Wie kann der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin den Einzelfall begleiten?
Es bietet sich an, folgende Themen bereits im Rahmen der Etablierung eines Eingliederungsmanagements zu klären, um die spätere betriebsärztliche Planung und Begleitung einer Wiedereingliederung im Einzelfall zu erleichtern.
Die Personalabteilung ist zunächst von den Vorteilen einer frühzeitigen Einbindung des betriebsärztlichen Personals zu überzeugen. Für die sorgfältige Planung einer Wiedereingliederung werden mindestens mehrere Wochen, in manchen Fällen mehrere Monate benötigt, bis eine Wiedereingliederung beginnen kann. Ein frühzeitiges betriebsärztliches Gespräch mit der betroffenen Person bietet die Chance, unter Umständen noch nicht begonnene Rehabilitationsmaßnahmen zu beschleunigen und die Notwendigkeit einer zusätzlichen berufsbezogenen Rehabilitation zu prüfen. Neben der Anforderung von ärztlichen Unterlagen und der Erstellung eines Leistungsprofils führt insbesondere die Beantragung technischer Hilfsmittel zur Anpassung des Arbeitsplatzes zu manchmal monatelangen Wartezeiten bis zu deren Genehmigung.
BEM ist ein Anlass für die betriebsspezifische Betreuung nach der DGUV Vorschrift 2.
Das Budget für die betriebsärztliche Planung und Begleitung einer Wiedereingliederung ist im Vorfeld abzusprechen. In der Regel vergrößert sich der Zeitaufwand für die Planung der Wiedereingliederung mit der Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Eine genaue Abschätzung kann der Betriebsarzt oder die Betriebsärztin jedoch erst nach einem ersten Gespräch mit dem Mitarbeitenden vornehmen.
Das betriebsärztliche Personal benötigt Informationen, wer in der Region z.B. technische Hilfsmittel, Arbeitsassistenz oder psychosoziale Unterstützung anbietet und dazu berät. Die gemeinsamen Servicestellen, die Integrationsfachdienste, die örtlichen Arbeitsagenturen sowie gegebenenfalls ambulante Reha-Einrichtungen können wertvolle Hinweise liefern.
Es bietet sich an, zum Beispiel durch die Personalabteilung bereits im Rahmen der Etablierung eines BEM bei den Trägern der Rehabilitation und anderen Leistungsträgern die Ansprechpartner für den Betrieb zu erfragen, um im Einzelfall direkt mit der zuständigen Person in Kontakt treten zu können. Eine Übersicht hierzu bietet der Leitfaden "Wiedereingliederung" des VDBW (siehe Anhang).
Phasen der Begleitung im Einzelfall
Vertrauen des Betroffenen gewinnen
Auch wenn der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin bereits Informationen zum BEM seitens der Personalabteilung schriftlich oder in einem persönlichen Gespräch erhalten hat, sollte das betriebsärztliche Personal in seinem Gespräch mit dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin unter vier Augen noch einmal erläutern, welche Vorteile Maßnahmen der Wiedereingliederung für die betroffene Person bieten und welche weiteren Schritte zur Planung der Wiedereingliederung erforderlich sind. Der Hinweis, dass die Einwilligung in das BEM-Verfahren jederzeit widerruft werden kann, fördert das Vertrauen.
Unabdingbar für das Vertrauen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin ist die Zusicherung des Betriebsarztes, dass alle medizinischen Angaben selbstverständlich der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen und die Person selbst "Herr des Verfahrens" bleibt.
In diesem Zusammenhang bietet es sich an, alle schriftlichen Empfehlungen zum Einsatz des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin während und nach der Wiedereingliederung vor einer Weitergabe an das Unternehmen abzustimmen.
Erstellung eines Fähigkeitsprofils
Anhand der vorliegenden Berichte und der Untersuchung der betroffenen Person bildet ein vom betriebsärztlichen Personal ggf. in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt oder Ärztin erstelltes Fähigkeitsprofil des Betroffenen, das mit dem betrieblichen Anforderungsprofil abzugleichen ist, die Grundlage für die weiteren betrieblichen Planungen. Die Betonung der verbliebenen Fähigkeiten und Stärken stärkt dabei das oft durch die lange Erkrankung reduzierte Selbstvertrauen der betroffenen Person.
Klärung der Anforderungen am Arbeitsplatz und Vergleich mit dem Leistungsprofil
Bei körperlichen Einschränkungen der betroffenen Person und körperlich schwerer Arbeit oder manuellen Tätigkeiten bietet sich eine gemeinsame Arbeitsplatzbegehung mit den Betroffenen, den Vorgesetzten und der Sicherheitsfachkraft an, um notwendige Anpassungen des Arbeitsplatzes, den Einsatz spezieller Hilfsmittel oder die vorübergehende Einschränkung bestimmter Tätigkeiten zu erörtern sowie ggf. den Plan zur stufenweisen Wiedereingliederung entsprechend zu modifizieren.
Bei Einschränkungen des Betroffenen, zum Beispiel Verminderung der Konzentrationsfähigkeit, der Ausdauer oder der Kommunikationsfähigkeit, ist eine detaillierte Besprechung der Arbeitsorganisation und der Aufgaben mit den Vorgesetzten und den Betroffenen erforderlich.
Bei komplexen Einschränkungen oder Arbeitstätigkeiten wird die Führungskraft der betroffenen Person um die Erstellung eines Anforderungsprofils des Arbeitsplatzes gebeten. Die Beschreibung gleicher Kriterien im Anforderungs- und Leistungsprofil erleichtert deren Abgleich erheblich. Bei leistungsgewandelten Mitarbeitern hinsichtlich geistiger oder seelischer Fähigkeiten bietet sich das Iga-, IMBA- oder MELBA-Verfahren an. Einzelheiten enthält Tabelle 3.
Wenn eine Wiedereingliederung am alten Arbeitsplatz nicht in Frage kommt, bietet der Vergleich des Leistungsprofils mit den Anforderungsprofilen der in Frage kommenden Arbeitsplätze optimale Voraussetzungen, um den am besten geeigneten alternativen Arbeitsplatz für die betroffene Person zu finden. Die Vorstellungen, Ziele und Lösungsideen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin sollten in diesem Prozess berücksichtigt werden.
Beschaffung von Hilfsmitteln
Die Frage nach der Bereitstellung und Kostenübernahme für spezielle Arbeitsmittel richtet sich an den zuständigen Träger der Rehabilitation, ggf. auch an das Integrationsamt. In diesem Zusammenhang ist das Aufstockungsverbot zu beachten.
Zum Erhalt des Arbeitsplatzes sind je nach zurückgelegten versicherungspflichtigen Zeiten gesetzlicher Krankenversicherungs- oder Rentenversicherungsträger des Betroffenen zuständig, bei der Wiedereingliederung nach einem Arbeitsunfall oder bei einer Berufskrankheit der zuständige gesetzliche Unfallversicherungsträger.
Sofern ein Grad der Behinderung bei dem Betroffenen anerkannt wurde, kann auch das Integrationsamt Leistungen erbringen, wenn kein anderer Leistungsträger die Kosten übernimmt. Für Beamte und sonstige Menschen ohne sozialversicherungspflichtige Zeiten ist das Integrationsamt immer zuständig. Die technische Beratung der Integrationsfachdienste kann in jedem Fall wertvolle Hinweise zur Auswahl geeigneter Hilfsmittel geben.
Tabelle 3: Instrumente zur Wiedereingliederung
igaCheck | igaCheck ist ein Instrument, mit dem die beruflichen Anforderungen, Belastungen und Gefährdungen in jeder Branche und für jede Tätigkeit systematisch erfasst werden können. IgaCheck liegt in einer Kurzversion mit 30 und einer Detailversion mit 80 Fragen vor. |
IMBA | IMBa ist ein Instrument zur Förderung der Eingliederung von Behinderten in das Arbeitsleben. Es dient in der Arbeitstherapie bzw. in der tätigkeitsorientierten Rehabilitation als Instrument zur Qualitätssicherung. Anmeldung und spezielle Software erforderlich. |
MELBA | MELBa erstellt psychologische Merkmalprofile zur Eingliederung Behinderter in Arbeit. In dem Verfahren werden die Fähigkeiten einer Person und die Anforderungen einer Tätigkeit in einem Fähigkeits- und Anforderungsprofil dokumentiert. Dazu stellt das Verfahren ein Fähigkeits- und ein Anforderungsprofil bereit. Der Vergleich dieser beiden Profile soll eine fähigkeitsadäquate Platzierung ermöglichen. Anmeldung und spezielle Software erforderlich. |
Wichtig ist die frühzeitige Beantragung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit einem Kostenvoranschlag des benötigten Hilfsmittels, da vor der Bestellung die Entscheidung des Leistungsträgers abgewartet werden muss. Die Fristen gemäß SGB IX sind zur Vermeidung von Nachteilen für den Betroffenen kurz gehalten, der zweite eingeschaltete Reha-Träger ist in jedem Fall entscheidungspflichtig, unabhängig von seiner tatsächlichen Zuständigkeit.
Planung der Wiedereingliederung mit den betrieblichen Akteuren
Bei der Besprechung im Integrationsteam oder mit dem Vorgesetzten sollte dem betroffenen Mitarbeiter immer seine Teilnahme angeboten werden. Die Besprechung von medizinischen Aspekten über die aus der Erkrankung resultierenden Einschränkungen hinaus ist in der Regel entbehrlich. Sollen medizinische Angaben trotzdem besprochen werden, ist dies nur nach schriftlicher Entbindung des Betriebsarztes von seiner ärztlichen Schweigepflicht durch den Mitarbeiter möglich. Die Entbindung von der Schweigepflicht kann sich auch auf nur einzelne Informationen beziehen. In diesen Fällen sollte der Mitarbeiter unbedingt an der Besprechung teilnehmen, um sicher zu sein, dass nicht mehr erörtert wird als vorher besprochen.
Bei der zeitlichen Planung der Wiedereingliederung sind neben arbeitsorganisatorischen Belangen auch Behandlungstermine des Mitarbeiters und z.B. die Fahrtzeiten zum Arbeitsplatz zu berücksichtigen.
Begleitung während der Wiedereingliederung
Vor Beginn des BEM sollte der Arbeitsbereich der betroffenen Person über Ablauf und Inhalte informiert werden. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ist beispielsweise während einer stufenweisen Wiedereingliederung gemäß SGB V weiterhin krankgeschrieben und erhält keinen Lohn von dem Unternehmen. Es besteht auch kein Anspruch des Unternehmens auf bestimmte Arbeitsleistungen. Stattdessen soll der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin testen, welche Tätigkeiten bereits gut verrichtet werden können und für welche Arbeiten vielleicht unterstützende Hilfsmittel erforderlich sind. Deshalb ist der Wiedereingliederungsplan nicht nur hinsichtlich der Arbeitszeit, sondern bei Bedarf auch hinsichtlich der Arbeitsschwere gestaffelt. Diese Aufklärung der Abteilung beugt einer Überforderung der betroffenen Person durch zu hohe kollegiale Ansprüche vor.
Unternehmen und Beschäftigte müssen wissen, dass der vorläufige Wiedereingliederungsplan jederzeit an die Genesung angepasst werden kann und grundsätzlich nicht zeitlich befristet ist und die Wiedereingliederung auf keinen Fall den Heilungsverlauf behindern darf. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neigen nach langen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer Wiedereingliederung zu einem übermäßigen Engagement und beachten Signale ihres Körpers wie eine Beschwerdezunahme während der Wiedereingliederung nicht ausreichend.
Neben einem verbindlichen Wiedervorstellungstermin beim betriebsärztlichen Personal vor der nächsten Belastungsstufe sollte der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin aufgefordert werden, sich bei Zunahme der Beschwerden umgehend an seinen Betriebsarzt oder seine Betriebärztin zu wenden.
Evaluation nach der Wiedereingliederung
Um die Prozesse für die Zukunft zu optimieren, bietet sich eine Befragung der betroffenen Person und seines bzw. seiner Vorgesetzten nach der Wiedereingliederung an, wie sie die Eingliederung erlebt haben und ob Erwartungen oder Wünsche an das betriebsärztliche Personal unerfüllt geblieben sind.
Nützliche Internetlinks | Anhang |
Rechtsfragen
Arbeitsrecht
www.arbeitsrecht.de
Arbeitsrecht und Sozialrecht
www.ausportal.de
Schwerbehindertenrecht mit Gerichtsentscheidungen
www.bezirkoberbayern.de
Sozialpolitische Informationen
www.sozialpolitikaktuell.de
Hilfen für die Praxis
Bundesagentur für Arbeit
www.agentur.de
Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter
www.integrationsaemter.de
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
www.barfrankfurt.de
Deutsche Rentenversicherung
www.deutscherentenversicherungbund.de
Deutsches Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung (DNBGF)
www.dnbgf.de
Gemeinsame Servicestelle
www.rehaservicestellen.de
igaCheck
www.igainfo.de
IMBA
www.imba.de
Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) - Betriebliches Eingliederungsmanagement
www.igainfo.de/veroeffentlichungen/igareporte/igareport-24
MELBA
www.melba.de
Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte e.V. (VDBW) - Leitfaden Wiedereingliederung
www.vdbw.de
Zentrum Bayern, Familie und Soziales
www.zbfs.bayern.de/behinderungberuf/themen/betrieblicheseingliederungsmanagement/index.php
ENDE |
(Stand: 25.07.2024)
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