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Wissenschaftliche Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Berufskrankheiten
- Parkinson-Syndrom durch Pestizide -
Vom 20. März 2024
(GMBl. Nr. 10/11 vom 20.03.2024 S. 194)
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 5. September 2023 empfohlen, eine neue Berufskrankheit mit der vorgenannten Legaldefinition "Parkinson-Syndrom durch Pestizide" in die Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung aufzunehmen.
Diese Empfehlung wird wie folgt begründet:
1 Vorkommen und Gefahrenquelle
Mit dem Sammelbegriff Pestizide werden Produkte bezeichnet, die als Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln oder in Bioziden enthalten sind. Pflanzenschutzmittel dienen der Gesunderhaltung von Pflanzen, während Biozide zum Schutz des Menschen eingesetzt werden, bspw. im Rahmen der Schädlingsbekämpfung oder als Desinfektionsmittel (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, 2023; Umweltbundesamt, 2023b). Pestizide werden u. a. als Herbizide, Fungizide oder Insektizide (sogenannte Funktionsgruppen) verwendet (Umweltbundesamt, 2023a). Pestizide kommen in erster Linie im Bereich der Landwirtschaft, des Gartenbaus und der Forstwirtschaft sowie der Landschaftspflege zum Einsatz. Hier wird der Begriff Pestizide häufig synonym zum Begriff Pflanzenschutzmittel gebraucht. Darüber hinaus spielt auch die Anwendung von Pestiziden zur Schädlingsbekämpfung in Städten und Gebäuden eine Rolle für die berufliche Anwendung.
Im Rahmen der beruflichen Pestizidanwendung kann es insbesondere zu einer dermalen oder inhalativen Aufnahme kommen, in Einzelfällen (z.B. bei schlechter Arbeitshygiene) auch zur oralen Aufnahme.
2 Pathophysiologie
Hinsichtlich des Parkinson-Syndroms durch Pestizide wird u. a. angenommen, dass Pestizide chronisch über freie Radikale zu oxidativem Stress und damit zur Neurodegeneration führen. Zudem ist die Störung der mitochondrialen Funktion als bedeutender pathobiologischer Mechanismus neben weiteren vermuteten zellulären Störmechanismen (vgl. Abschnitte 2.1 bis 2.3) identifiziert worden (Huang et al., 2022). Es gibt auch Hinweise aus in-vitro-Untersuchungen, dass einige Substanzen direkt zelltoxisch wirken (direkter Zelltod), teilweise sogar spezifisch für dopaminerge Neuronen verglichen mit Kardiomyozyten (Paul et al., 2023).
Dieser primär neurodegenerative Pathomechanismus unterscheidet sich von den Prozessen, die zu den sekundären Parkinson-Syndromen führen, die durch akute Intoxikation (z.B. Mangan, Blei), entzündliche, vaskuläre oder tumoröse Läsionen verursacht werden und nicht primär neurodegenerativ sind.
Die als Pestizide angewendeten Substanzen bzw. Substanzgruppen werden in Studien unterschiedlich gruppiert. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend tierexperimentelle und in-vitro-Befunde jeweils den drei häufigsten Funktionsgruppen zugeordnet dargestellt, d. h. den Fungiziden, Insektiziden und Herbiziden ( Abschnitte 2.1 bis 2.3). Aufgrund der Fülle von experimentellen Untersuchungen kann die nachfolgende Darstellung nicht allumfassend sein, sondern fokussiert hauptsächlich auf Evidenz, die aus tierexperimentellen Untersuchungen (Mäuse, Ratten) gewonnen wurde.
2.1 Fungizide
Zur Funktionsgruppe der Fungizide gehören u. a. die Substanzen bzw. Substanzgruppen:
2.1.1 (Tier-)experimentelle Studien zu Maneb
Die Gruppe um Cory-Slechta, Thiruchelvam, Barlow und Richfield et al. führte eine Reihe von Tierversuchen zu Maneb durch. In ihrer ersten Untersuchung (Thiruchelvam et al., 2000) erhielten männliche, 6 Wochen alte C57BL/6-Mäuse zweimal wöchentlich für 6 Wochen intraperitoneal Kochsalzlösung, 10 mg/kg Paraquat (PQ), 30 mg/kg Maneb (Mb) oder die Kombination aus PQ und Mb. Während 1 bis 3 Tage nach Abschluss aller 12 Injektionen mit PQ, Mb oder PQ+Mb Dopamin (DA) und 3,4-Dihydroxy-Phenylessigsäure (DOPAC) im Striatum erhöht waren, waren sie 7 Tage nach Abschluss reduziert. Fünf Tage nach letzter Injektion waren für PQ+Mb im Striatum bzw. der Substantia nigra (sogenannte Schwarze Substanz) die Immunreaktion für Tyrosin-Hydroxylase (TH) sowie den DA-Transporter, die TH-Protein-Konzentration und die Häufigkeit dopaminerger Neuronen verringert. Nach Abschluss der 12 Injektionen erfolgte die Gabe einer Einzeldosis N-Methyl-4-Phe-nyl-1,2,3,6-Tetrahydropyridin (MPTP) oder von Kochsalzlösung. Die 6-wöchige Exposition mit PQ, Mb oder PQ+Mb zusammen mit einmaliger Kochsalzinjektion verursachte nur geringe Effekte im Hinblick auf die Bewegungsaktivität (alle nicht signifikant verschieden zur doppelten Kochsalzkontrolle). Die alleinige MPTP-Exposition hatte ebenfalls keine Auswirkung. Jedoch löste die MPTP-Exposition eine signifikante Abnahme der Aktivität bei vorexponierten Tieren verglichen mit ausschließlicher Kochsalzexposition aus. Zudem wurde 5 Monate alten Tieren zweimal wöchentlich für 3 Wochen PQ, Mb oder PQ+Mb verabreicht. Drei Monate später war die TH-Konzentration im Striatum für PQ+Mb verglichen mit Kontrolltieren, denen Kochsalzlösung verabreicht wurde, verringert. Diese Versuchsanordnung zeigt laut den Autoren, dass die Veränderungen persistent und nicht lediglich vorübergehend sind. Insgesamt zeigt diese Studie ein größeres Schädigungspotential für PQ und Mb in Kombination als für PQ oder Mb allein; sie zeigte auch, dass eine Exposition mit PQ oder Mb den Nährboden für eine Schädigung durch andere neurotoxische Einwirkungen (hier MPTP) bereiten kann.
(Stand: 17.06.2025)
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