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Arbeitsschutz; Arbeits- und Sozialrecht

Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 4110
"Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase"

Stand 1990
(BArbBl. 2/1990 S. 135)



Zur Übersicht in Anlage 1 BKV

I. Vorkommen und Gefahrenquellen

Man unterscheidet je nach Höhe der einwirkenden Temperaturen die Schwelung (450 bis 700 °C) und die Verkokung (über 700 °C). Die Entgasung der Kohle beginnt bereits vor der Schwelung. Bei 100 bis 350 °C tritt eine "Vorentgasung" ein. Es entweichen Wasserdampf, Sauerstoff. Kohlenmonoxid. Kohlendioxid, Methan und Stickoxide. Bei höheren Temperaturen (bis 500 °C) vollzieht sich die "Hauptentgasung". Hier beginnt die thermische Zersetzung (Pyrolyse), bei der u. a. eine Vielzahl von Kohlenwasserstoffen entsteht, darunter bei höheren Temperaturen auch polyzyklische aromatische Verbindungen (PAH = polycyclic aromatic hydrocarbons). In den heute überwiegend eingesetzten Horizontalkammeröfen werden Koksendtemperaturen von 1000 °C und mehr erreicht.

Die Gase am Ofenblock stammen aus allen Temperaturbereichen, die bis zu den Höchststufen der Kohleerhitzung durchlaufen werden.

Das bei der Kohleverkokung erzeugte "Rohgas" wird in einem geschlossenen System auf Umgebungstemperatur abgekühlt, gereinigt und als "Stadtgas" (Brenngas) für Verbrennungszwecke abgegeben.

Unter dem Ausdruck "Kokereirohgase" im Sinne dieser Berufskrankheit werden sowohl das so bezeichnete technische Produkt als auch Luftverunreinigungen verstanden, die beim Betreiben der Ofen, insbesondere beim Beschicken und Entladen der Kammern, aber auch aufgrund von Kammerundichtigkeiten am Ofenblock frei werden.

Durch Leckagen aus den Öfen austretende Gase kühlen in der Außenluft rasch ab. Dabei kondensieren die PAH-Gemische. Sie lagern sich weitgehend anderen Schwebstoffpartikeln an.

Gefährdungen ergeben sich für das am Ofenblock und in seiner unmittelbaren Umgebung eingesetzte Personal. Insbesondere gehören hierzu die Tätigkeiten als

Mit Gefährdungen ist auch bei der Wartung von Rohgasleitungen zu rechnen, wenn solche Arbeiten regelmäßig durchzuführen sind und die Möglichkeit des Freiwerdens von Gasen besteht.

II. Pathophysiologie

Die Kokereirohgase enthalten eine Reihe krebserzeugender Substanzen. Von besonderer Bedeutung für bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen sind PAH-Gemische.

Entsprechend ihrem aerodynamischen Durchmesser werden solche Staubarten und Aerosole in verschiedenen Abschnitten der Atemwege deponiert. Es kann zu Kumulationen kommen und damit an solchen Stellen zu länger anhaltenden, auch über die Zeit der Exposition hinausreichenden Einwirkungen.

Die tracheobronchialen und lungengängigen Fraktionen können als wesentliche Ursache für Karzinome der tieferen Atemwege und der Lungen angesehen werden. Gröbere Partikel stellen Gefährdungen für die oberen Atemwege dar.

III. Krankheitsbild und Diagnose

Die Atemwegstumoren durch Kokereirohgase unterscheiden sich in Verlauf und Symptomatik nicht von solchen anderer Verursachung. Dies trifft auch für die histologische Differenzierung zu. Die diagnostische Abklärung hat sich zu orientieren an den allgemeinen Regeln zur Erkennung von Atemwegstumoren.

IV. Weitere Hinweise

Die Konzentration und Zusammensetzung von Kokereirohgasen an den einzelnen Arbeitsplätzen von Kokereien sind Schwankungen unterworfen. Sie sind abhängig von der Art der Kohle, der Garungszeit, von Witterungseinflüssen sowie von baulichen Bedingungen. Am ungünstigsten sind die Verhältnisse im Sommer und bei Windstille. Auch Überdachungen wirken sich bei ungenügender Belüftung ungünstig aus.

Wegen des langen Intervalls zwischen Beginn der beruflichen Einwirkung und der Tumormanifestation sollten auch ältere, heute nicht mehr gebräuchliche Verfahren der Kohleverkokung Beachtung finden, zumal das Gefährdungspotential dort meist höher einzuschätzen ist als bei den heute gebräuchlichen, in Blöcken zusammengefaßten Horizontalkammeröfen.

Die Tumoren treten im allgemeinen nach mehrjähriger (mindestens 2 Jahre) Exposition gegenüber Kokereirohgasen auf. Bei kürzerer Dauer als 2 Jahre sind an die Intensität der Exposition besonders hohe Anforderungen zu stellen.

Bei der Beurteilung des Risikos sind ggf. langjährige inhalative Rauchgewohnheiten als konkurrierender außerberuflicher Faktor angemessen zu berücksichtigen (Synkanzerogenese).

V. Literatur

Ahland, E.; G. Nashan; W. Peters; W. Weskamp (1977): Schwelung und Verkokung In: J. Falbe, Chemierohstoffe aus Kohle G. Thieme, Stuttgart

Althoff, J. (1980): The local effects of PAH in the respiratory tract; VDI-Berichte Nr. 358, 323 VDI-Verlag, Düsseldorf

Blome, H. (1983): Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) am Arbeitsplatz; BIA-Report 3/83 Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften

Doll, R.; M. P. Vessey; R. W. R. Beasley; A. R. Buckley; E. C. Fear; R. E. W. Fisher; E. J. Gammon; W. Gunn; G. O. Hughes; K. Lee; B. Norman-Smith (1972): Mortality of gasworkers - Final report of a prospective study; British Journal of Industrial Medicine 29, 394

Hurley, J. F.; R. Mcl. Archibald; P. L. Collings; D. M. Fanning; M. Jacobsen; R. C. Steele (1983): The Mortality of Coke Workers in Britain; American Journal of Industrial Medicine 4. 691

IARC/W. H. O. (1973): Dibenzo(a,h)pyrene, in Certain Polycyclic Aromatic Hydrocarbons and Heterocyclic Compounds. IARC;

Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risk of Chemicals to Man.; International Agency for Research on Cancer, Lyon Vol. 3

IARC/W. H. O. (1984): Polynuclear Aromatic Compounds, Part. 3.; Industrial Exposures in Aluminium Production, Coal Gasification, Coke Production. and Iron and Steel Founding; Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risk of Chemicals to Man.; International Agency for Research on Cancer, Lyon, Vol. 34

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