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Regelwerk, Arbeitsschutz; Arbeits- und Sozialrecht, BKV

Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung
"Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe"

Vom 1. Juli 2013
(GMBl. Nr. 35 vom 12.08.2013 S. 693)



Zur Übersicht in Anlage 1 der BKV
Zum Merkblatt 1302 siehe
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Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die nachstehende wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung beschlossen, die hiermit bekannt gemacht wird.

Vinylchlorid besitzt nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit Nr. 1302 eine krebserzeugende Wirkung in Bezug auf die Entstehung des Hämangioendothelsarkoms der Leber (Bundesministerium für Arbeit 1985). In der folgenden wissenschaftlichen Stellungnahme wird die Literatur in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Vinylchlorid und primärem Leberzellkarzinom diskutiert:

Gefahrenquellen:

Mit einer Vinylchlorid-Einwirkung muss insbesondere in folgenden Arbeitsbereichen gerechnet werden (IARC 2012):

  1. Herstellung von Vinylchlorid
  2. Herstellung von Polyvinylchlorid
  3. Verarbeitung von Polyvinylchlorid
  4. Verwendung von Vinylchlorid-haltigem Haarspray

Bei der Vinylchlorid-Einwirkung, die im Zusammenhang mit der krebserzeugenden Wirkung dieser Substanz diskutiert wird, handelt es sich in der Regel um Expositionsbereiche über 10 ppm. Eine besonders hohe Vinylchlorid-Einwirkung, die teilweise über 100 ppm lag, wurde bei Autoklavenreinigern beobachtet. Die Verwendung von Vinylchloridhaltigem Haarspray wurde in wenigen Fällen in den sechziger und siebziger Jahren in den USa dokumentiert (IARC 2008, 2012a).

Tier- und Zellexperimentelle Erkenntnisse

Vinylchlorid wirkt gentoxisch und mutagen in verschiedenen Zellsystemen. Die wesentlichen Metaboliten des Vinylchlorids bilden DNS-Addukte. Vinylchlorid verursacht einen Schwesterchromatidaustausch und Chromosomenaberrationen. Vinylchlorid erzeugt in tierexperimentellen Studien Angiosarkome der Leber und in einem Teil der experimentellen Studien auch Leberzellkarzinome (DFG 1977, IARC 2012a).

Epidemiologische Studien

Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse der vorliegenden Kohortenstudien zur krebserzeugenden Wirkung von Vinylchlorid. In der Studie von Ward et al. (2001), die in 19 Vinylchlorid- herstellenden oder -verarbeitenden Betrieben in Großbritannien, Italien, Norwegen oder Schweden durchgeführt wurde, fand sich ein signifikanter Trend zwischen der kumulativen Vinylchloriddosis und dem relativen Risiko für die Entwicklung sowohl des Angiosarkoms der Leber als auch des Leberzellkarzinoms. Dabei ist die Dosis-Wirkungs-Beziehung in Bezug auf das Risiko für die Entwicklung des Angiosarkoms der Leber steiler als für die des Leberzellkarzinoms. Pirastu et al. (2003) berichteten über ein signifikant um den Faktor 21,1 erhöhtes Risiko von Vinylchlorid-exponierten Autoklavenarbeitern in Italien in Bezug auf die Entwicklung des Angiosarkoms der Leber und ein signifikant um den Faktor 3,5 erhöhtes Risiko in Bezug auf die Entwicklung des Leberzellkarzinoms.

Die internationale Agentur für Krebsforschung kam zu dem Ergebnis, dass eine ausreichende Evidenz für eine krebserzeugende Wirkung von Vinylchlorid beim Menschen besteht. Vinylchlorid verursache das Angiosarkom der Leber und das Leberzellkarzinom (IARC 2012a).

Beurteilung

Aufgrund der oben beschriebenen Evidenz empfiehlt der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales neben dem Angiosarkom der Leber die Anerkennung des Leberzellkarzinoms bei Vinylchlorid-exponierten Beschäftigten nach hoher Vinylchlorid-Exposition. Ein Expositionsrichtwert für die Anerkennung der Berufskrankheit kann aufgrund der oben beschriebenen Dosis-Wirkungs-Beziehung wegen der geringen Fallzahlen nicht abgeleitet werden. Als hohe Vinylchlorid-Einwirkung wird eine Expositionshöhe von in der Regel über 10 ppm verstanden. Der wichtigste konkurrierende Ursachenfaktor für das primäre Leberkarzinom ist eine chronische Infektion mit dem Hepatitis-B- oder dem Hepatitis-C-Virus (IARC 2011). Darüber hinaus gibt es Assoziationen mit dem Aktivrauchen von Zigaretten (IARC 2012b).

Literatur

Bundesministerium für Arbeit: Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, Merkblatt für die ärztliche Untersuchung, Bekanntmachung des BMa vom 29.03.1985, Bundesarbeitsblatt 1985, Heft 6, Seite 55 ff.

Deutsche Forschungsgemeinschaft: Vinylchlorid, In: Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe, Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten (maximale Arbeitsplatzkonzentration), Weinheim, Wiley-VCH Verlag, Loseblattsammlung, Lieferung 1977

International agency for research on cancer: IARC Monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans, Vol. 97, 1,3-Butadiene, ethylene oxide and vinyl halides (Vinyl fluoride, vinyl chloride and vinyl bromide) Lyon 2008, p. 311-444

International agency for research on cancer: IARC Monographs on the Evalution of Carcinogenic Risks to Humans, Volume 100, a review of Human Carcinogens, Part B: Biological Agents, Lyon, 2011, p. 91-170

International agency for research on cancer: IARC Monographs on the Evalution of Carcinogenic Risks to Humans, Volume 100, a review of Human Carcinogens, Part F: Chemical agents and related occupations, Lyon, 2012a, p. 451- 478

International agency for research on cancer: IARC Monographs on the Evalution of Carcinogenic Risks to Humans, Volume 100, a review of Human Carcinogens, Part E: Personal habits and indoor cumbustions, Lyon, 2012b, p. 43- 212, p. 373-500

Pirastu R, Baccini M, Biggeri A, Comba P: Cohort study of vinyl chloride exposed workers in Porto Marghera: update of the mortality follow up. Epidemiol Prev 27 (2003) 161- 172

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