Der Bundesrat hat in seiner 890. Sitzung am 25. November 2011 gemäß § § 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Vorhaben der Kommission, durch Maßnahmen im Bereich des Vertragsrechts die Entwicklung des europäischen Binnenmarkts weiter zu fördern, es Unternehmen zu ermöglichen, bei grenzüberschreitenden Geschäften Standardisierungsvorteile zu nutzen und ihre vertragsrechtsbedingten Transaktionskosten zu reduzieren, und zugleich durch umfassende Verbraucherschutzvorschriften ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten.
- 2. Der Bundesrat sieht in dem Verordnungsvorschlag einen wichtigen Schritt zur Intensivierung und Stärkung des Binnenmarktes zum Vorteil von Unternehmen sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern. Er stellt fest, dass mit der Beschränkung der Verordnung auf ein Kaufrecht der Vorschlag des Bundesrates in seiner Stellungnahme zum "Grünbuch der Kommission: Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen" aufgegriffen worden ist, nicht zuerst ein Europäisches Vertragsrecht zu schaffen, sondern zunächst das in der Praxis wichtige Kaufrecht zu regeln, weil dieses am häufigsten relevant wird (BR-Drucksache 413/10(B) ).
Rechtsgrundlage
- 3. Der Bundesrat bittet zu prüfen, ob sich die Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht wie vorgeschlagen auf Artikel 114 AEUV stützen lässt oder ob Artikel 352 AEUV die einschlägige Rechtsgrundlage ist.
Nach dem in Artikel 5 Absatz 2 EUV normierten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung darf die EU nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig werden, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Artikel 114 AEUV gestattet Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Einrichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben. Sowohl nach dem Wortsinn als auch nach der Rechtsprechung des EuGH setzt eine Rechtsangleichung voraus, dass eine Maßnahme auf das bestehende nationale Recht einwirkt und nicht zusätzlich neben das bestehende mitgliedstaatliche Recht tretende Regelungen schafft (EuGH, Urteil vom 2. Mai 2006, Rechtssache C-436/03). So hat es der EuGH in der oben genannten Entscheidung im Fall der Europäischen Genossenschaft für nicht vertretbar gehalten, eine Angleichung der Rechtsvorschriften anzunehmen, weil die Verordnung über die Europäische Genossenschaft die bestehenden nationalen Regelungen zu den Gesellschaftsformen unverändert ließ und nur zusätzlich die Option einräumte, die Europäische Genossenschaft als Gesellschaftsform zu wählen.
Das gleiche Regelungsmodell scheint dem Vorschlag für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht zugrunde zu liegen. Denn die beabsichtigte Verordnung zielt nicht auf eine Änderung des bestehenden innerstaatlichen Vertragsrechts der Mitgliedstaaten, sondern schafft eine fakultative zweite Vertragsrechtsregelung in jedem Mitgliedstaat. Es bestehen daher Zweifel, ob die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten durch den Verordnungsvorschlag angeglichen werden. Liegt keine Rechtsangleichung vor, könnte die Verordnung statt auf Artikel 114 AEUV nur auf Artikel 352 AEUV gestützt werden.
Zur Vorlage im Einzelnen
- 4. Durch die Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts werden Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmer voraussichtlich über Jahre hinweg mit einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit belastet werden. Im Interesse aller Marktteilnehmer und zur Förderung der Akzeptanz der fakultativen Vertragsrechtsregelung sollten diese Unsicherheiten durch Maßnahmen sowohl im gerichtlichen als auch im außergerichtlichen Bereich auf ein Minimum reduziert und zugleich effektive Strukturen und Instrumente zur Rechtsdurchsetzung geschaffen werden.
Daher sollten zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung flankierende Maßnahmen auf dem Gebiet des Internationalen Zivilverfahrensrechts geprüft werden. Als weiteres Instrument, um die Durchsetzung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts zu erleichtern und damit die Akzeptanz vor allem auf Käuferseite zu stärken, sollte die beabsichtigte Verordnung einen Rahmen für Einrichtungen und Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung bei grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen setzen. Zugleich sollte sich die EU zur Förderung derartiger Einrichtungen und Verfahren verpflichten.
- 5. Der Bundesrat befürwortet grundsätzlich, dass das Gemeinsame Europäische Kaufrecht in jedem Mitgliedstaat als fakultatives zweites Kaufrecht zur Verfügung steht (vgl. Artikel 3 des Verordnungsvorschlags). Die Vertragsparteien müssen seine Anwendung für grenzübergreifende Verträge ausdrücklich vereinbaren (vgl. Artikel 8 des Verordnungsvorschlags) und dabei das Standard-Informationsblatt in Anhang II der Verordnung verwenden (vgl. Artikel 9 des Verordnungsvorschlags). Durch diese Optin-Lösung ist dem fakultativen Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht die Möglichkeit eröffnet, sich der Konkurrenz zu anderen Rechtsordnungen zu stellen und sich insoweit zu bewähren. Der Bundesrat begrüßt, dass das Gemeinsame Europäische Kaufrecht jedenfalls bei Verbraucherinnen und Verbrauchern nur insgesamt und nicht auch teilweise Anwendung finden darf.
- 6. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, den räumlichen Anwendungsbereich des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts grundsätzlich auf grenzübergreifende Verträge zu beschränken. Nach der Stellungnahme des Bundesrates zum Grünbuch vom 17. Dezember 2010 (BR-Drucksache 413/10(B) ) sollte ein fakultatives Europäisches Vertragsrecht der Rechtszersplitterung entgegenwirken und den Weg für einen einfacheren grenzüberschreitenden Handelsverkehr innerhalb Europas ebnen. Mit dem Verordnungsvorschlag der Kommission steht Europa am Beginn dieses Weges. Angesichts des Charakters der Vorlage als Pilotprojekt ist es verfrüht, bereits jetzt eine Ausdehnung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts auf innerstaatliche Rechtsgeschäfte zuzulassen. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts im innerstaatlichen Bereich in Betracht gezogen werden kann, bedarf vertiefter Prüfung und kann erst auf der Grundlage einer Praxisanhörung entschieden werden. Der Bundesrat schlägt deshalb vor, über eine solche Erweiterung des Anwendungsbereichs zu einem späteren Zeitpunkt und erst nach der vierjährigen Erprobung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts im grenzüberschreitenden Bereich (Artikel 15 des Verordnungsvorschlags) zu entscheiden.
- 7. Der Bundesrat ist auch der Auffassung, dass der vorgelegte Verordnungsvorschlag noch der Verbesserung bedarf, und bittet daher die Bundesregierung, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass insbesondere die nachfolgenden Regelungen geändert werden:
- 8. Die Bezeichnung "Gemeinsames Europäisches Kaufrecht" ist insofern missverständlich, als dieses Kaufrecht nur in der EU und auch im EWR anwendbar ist, nicht jedoch in Europa insgesamt. Es gilt folglich nicht für die Schweiz und andere europäische Staaten, die weder Mitglied der EU noch der EFTA sind. Es wäre daher konsequenter, die Verordnung als "Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames EU-Kaufrecht" zu bezeichnen. Der Bundesrat bittet, die Bezeichnung der Verordnung daraufhin zu überprüfen.
- 9. Im Vorschlag wird durchgängig der Begriff "grenzübergreifend" im Zusammenhang mit Verträgen verwendet, die von Vertragspartnern aus unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten geschlossen werden. Die bisher übliche Terminologie dafür ist jedoch "grenzüberschreitend". Da jedoch nicht erkennbar ist, dass mit dem Begriff "grenzübergreifend" etwas anderes als mit "grenzüberschreitend" gemeint ist, sollte im Sinne einer besseren Rechtsetzung in der deutschen Sprachfassung der Begriff "grenzüberschreitend" auch weiterhin verwendet werden.
- 10. Der Verordnungsvorschlag sieht einen beschränkten sachlichen Anwendungsbereich für das Gemeinsame Europäische Kaufrecht vor. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich eine Einschränkung. Eine abschließende Bewertung des durch die Artikel 5 und 6 des Verordnungsvorschlags festgelegten Anwendungsbereichs kann erst nach der erforderlichen Praxisanhörung vorgenommen werden.
- 11. Der Bundesrat hält die Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts auf Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern für sachgerecht. Für eine Anwendung dieses Instruments auch im unternehmerischen Rechtsverkehr sprechen beachtliche Gründe. Jedoch lässt die vorgeschlagene Regelung befürchten, dass die Abgrenzung zwischen KMU und sonstigen Unternehmen in der Praxis Schwierigkeiten bereiten wird, da die Erfüllung der Kriterien (weniger als 250 Mitarbeiter, Jahresumsatz unter 50 000 000 Euro) dem Vertragspartner regelmäßig unbekannt sein wird bzw. diese auch ständigen Schwankungen unterliegen dürfte. Darüber hinaus ist bislang ungeklärt, welche Rechtsfolgen eine Missachtung der Vorgaben des Artikels 7 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags nach sich ziehen würde. Der Bundesrat regt daher an, den persönlichen Anwendungsbereich insoweit zu überprüfen sowie ggf. in praktikabler Weise zu präzisieren.
- 12. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die vorvertraglichen Informationspflichten des Verordnungsvorschlags nur dann ihre volle Wirkung entfalten können, wenn sie unabhängig vom tatsächlichen Zustandekommen des Vertrages gelten. Der Bundesrat sieht daher die Anknüpfung der vorvertraglichen Informationspflichten an den Vertragsschluss gemäß Artikel 11 Satz 2 des Verordnungsvorschlags als nicht sachgerecht an. Der Bundesrat hält es für erwägenswert, den Eintritt der vorvertraglichen Wirkungen des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts nicht erst an eine Verwendungsvereinbarung, sondern schon daran anzuknüpfen, dass der Unternehmer seine Leistungen grenzübergreifend und mit der Option des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts anbietet.
- 13. Zur Vermeidung von Disparitäten sollte im Interesse der Rechtsanwender sowohl in inhaltlicher als auch in sprachlicher Hinsicht ein uneingeschränkter Gleichlauf zwischen den Vorschriften des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts und der bereits beschlossenen Richtlinie über die Rechte der Verbraucher hergestellt werden, soweit die beiden Rechtsakte identische Regelungsbereiche beinhalten.
- 14. Der Entwurf eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts stellt sich als wesentlicher Schritt zur Fortentwicklung des europäischen Vertragsrechts dar. Er ist geeignet, die rechtliche Gestaltung von Massengeschäften im Binnenmarkt, aber auch die nationalen Vertragsrechte wesentlich zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund erscheint es bereits im Interesse der Minimierung künftiger rechtlicher Unwägbarkeiten sowie auch der Akzeptanz des neuen Regimes bei den angesprochenen Wirtschaftsteilnehmern unabdingbar, die Regelungen über das Gemeinsame Europäische Kaufrecht einem umfassenden, sorgfältigen Beratungsprozess ohne vermeidbaren Zeitdruck zu unterziehen. Der Bundesrat hält eine ergebnisoffene und umfassende Diskussion dieses Vorschlags für unverzichtbar. In diese Erörterung sollten nicht nur die Rechtswissenschaft, Verbände und einige Stakeholder, sondern insbesondere auch die Richterschaft und die rechtsberatenden Berufe eingebunden werden. Nur auf diesem Wege wird ein unionsrechtliches Gesetzgebungsverfahren zureichende und tragfähige Entscheidungsgrundlagen gewinnen können.
- 15. Der Bundesrat behält sich eine nähere Bewertung der vorgeschlagenen Regelungen, insbesondere eine Beurteilung der damit verbundenen Auswirkungen auf das Verbraucherschutzniveau, vor, sobald die Ergebnisse der erforderlichen Praxisanhörung vorliegen.
Direktzuleitung an die Kommission
- 16. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.