21. Es wird davon ausgegangen, dass "geschützte Lebensräume" im Sinne dieses Straftatbestandes die nach der Vogelschutz- und der FFH-Richtlinie auszuweisenden besonderen Schutzgebiete sind; wären darunter nur die im Sinne des Anhangs I der FFH-Richtlinie beziehungsweise die nach Artikel 4 Abs. 1 und 2 der Vogelschutz-Richtlinie zu schützenden Lebensräume europäischer Vogelarten zu verstehen, ergäbe sich im Hinblick auf das Nachfolgende kein Unterschied. (setzt Annahme von Ziffer 19 voraus; bei Annahme entfällt Ziffer 22)
Der Straftatbestand ist äußerst problematisch und hätte weit reichende Konsequenzen für den verwaltungsrechtlichen Vollzug des Gebietsschutzes. Der Straftatbestand müsste hinsichtlich seiner Bestimmtheit nämlich den Erfordernissen des Artikels 103 Abs. 2 GG genügen. Es müsste dann genau normiert sein, was eine "erhebliche Schädigung" ist. Dies wäre mit den herkömmlichen Mitteln der Ausweisung allerdings nur mit ganz erheblichen Schwierigkeiten zu bewerkstelligen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in vielen Schutzgebieten der Anteil des eigentlich zu schützenden Lebensraums gerade einmal 30 % ausmacht. Bei Orchideenwiesen etwa verbietet sich die genaue Benennung der Vorkommen, weil dies erfahrungsgemäß Sammler anziehen würde und die Orchideen so einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt wären. Ferner sind viele nach den beiden Naturschutzrichtlinien zu schützenden Lebensräume auf bestimmte Nutzungen angewiesen. Gleichzeitig unterliegt ihre Ausprägung oder ihr Erhaltungszustand im Hinblick auf natürliche Gegebenheiten - insbesondere das Wetter - natürlichen Schwankungen. Danach kann eine erhebliche Schädigung geschützter Lebensräume von Jahr zur Jahr unterschiedlich beurteilt werden. Andererseits kann die schlechte Ausprägung eines Lebensraumtyps heute langfristig im Hinblick auf die Zielsetzungen der Naturschutzrichtlinien unschädlich sein. So ist es in einem Wald beispielsweise in Folge von Windwurf, anderen natürlichen Schadensereignissen oder der natürlichen Sukzession unvermeidlich, dass sich der Erhaltungszustand des Waldes für einen Zeitraum von 30 bis 50 Jahren verschlechtert. Wollte man insoweit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügen, müssten die Schutzgebiete in einer bisher nicht üblichen Detailschärfe erfasst und die Daten dauerhaft qualitätsgesichert werden, um auf ... diese Art und Weise den Umfang der von einem Dritten oder dem Bewirtschafter - nur er könnte wohl grob fahrlässig oder vorsätzlich handeln - verursachten Störung oder Beeinträchtigung überhaupt nachweisen zu können. Land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung werden zum Zwecke der Gewinnerzielung durchgeführt. Es ist hierzu unvermeidlich, dass einzelne Flächen im Rahmen der Betriebsabläufe vorübergehenden Beeinträchtigungen unterworfen sind. Dies fällt nicht ins Gewicht, solange im Rahmen eines auch Naturschutzaspekte einbeziehenden Verständnisses der guten fachlichen Praxis insgesamt ein Ausgleich stattfindet. Dies ist besonders ausgeprägt in der Forstwirtschaft, bei der die Ernte alter und damit für den Naturschutz wertgebender Bestände Hand in Hand geht mit der Nachzucht neuer Bestände. Hier müssten künftig im Wege der Ausweisung die Bereiche genau bezeichnet werden, in die eingegriffen beziehungsweise nicht eingegriffen werden darf. Dabei würden voraussichtlich weitere Schwierigkeiten entstehen, weil die in großflächige Schutzgebiete einbezogenen Grundstücke einer Vielzahl von Eigentümern gehören oder einer Vielzahl von Nutzungsberechtigungen unterliegen. Damit diese Eigentümer und Nutzer nicht dem Risiko der Strafverfolgung ausgesetzt werden, müsste ein jeweils gebietsbezogenes System der Zuteilung von Nutzungsrechten eingerichtet werden. Eine gewinnorientierte freie Land- und Forstwirtschaft wäre in solchen Gebieten durch die auf diese Weise entfachte Bürokratie kaum noch möglich. Nicht nur diese Bürokratie, sondern auch die entstehenden Entschädigungsansprüche würden Kosten in erheblichem Umfang verursachen.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die vorgesehene Regelung von erheblicher praktischer Bedeutung für Bauprojekte sein kann. Denn gerade bei linienförmigen Maßnahmen, für die aufwändige Genehmigungsverfahren betrieben werden (Planfeststellungsverfahren), kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in den Bereichen, in denen daran anschließend die erforderlichen Baumaßnahmen durchgeführt werden müssen, geschützte wildlebende Tiere oder Pflanzenarten angesiedelt haben, die nicht Gegenstand der im Rahmen des Zulassungsverfahrens zu erteilenden Befreiung sind. Werden diese im Zuge der Baudurchführung beseitigt oder getötet, wäre der Straftatbestand erfüllt. Um diesem Risiko zu entgehen, müssten vor jedem Baubeginn aufwändige Untersuchungen durchgeführt werden um sicher zu gehen, dass sich auf dem Baufeld tatsächlich keine geschützten Tiere oder Pflanzenarten befinden. Gegebenenfalls müsste ergänzend der Planfeststellungsbeschluss geändert werden.