891. Sitzung des Bundesrates am 16. Dezember 2011
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik empfiehlt dem Bundesrat, zu dem vom Deutschen Bundestag am 1. Dezember 2011 verabschiedeten Gesetz die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen zu verlangen:
1. Zu Artikel 4 Nummer 11 (§ 176 Überschrift, Absatz 3 Satz 2 SGB VI), Nummer 12 Buchstabe a (§ 179 Absatz 1 SGB VI), Nummer 14 (§ 220 Absatz 1 Satz 3 SGB VI)
In Artikel 4 sind die Nummern 11, 12 Buchstabe a und Nummer 14 zu streichen.
Folgeänderung:
In Artikel 4 Nummer 1 ist Buchstabe c zu streichen.
Begründung:
Mit der beabsichtigten Änderung der Regelung über die Erstattungspflicht des Bundes für Rentenversicherungsbeiträge behinderter Menschen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ( § 179 SGB VI) sollen die Kosten für die rentenrechtliche Absicherung der im Eingangs- und Berufsbildungsbereich tätigen behinderten Menschen auf die Sozialversicherungsträger übergehen. Es handelt sich um eine unsachgemäße Verschiebung finanzieller Lasten vom Steuerzahler zum Beitragszahler, mit der jährliche Mehrausgaben für die Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 120 Millionen Euro und für die gesetzliche Rentenversicherung in Höhe von 32,5 Millionen Euro entstehen.
Die Eingliederung und soziale Absicherung behinderter Menschen ist als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen und daher aus Steuermitteln zu finanzieren. Sie ist nicht mehr ein Akt der Fürsorge, sondern mit der Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Bundesrepublik Deutschland ein verbrieftes Menschenrecht geworden.
Das Bayerische Landessozialgericht hatte mit Urteil vom 25. Februar 2010 (L10AL 225/ 08) entschieden, dass die bisherige Erstattungspraxis in Übereinstimmung mit dem erklärten gesetzgeberischen Willen steht. Das Urteil ist nach der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde rechtskräftig geworden. Die nunmehr entgegen dieser Entscheidung beabsichtigte Rechtsänderung zu einer über 30 Jahre lang vollzogenen gesetzeskonformen Erstattungspraxis entspricht nicht der ursprünglichen Intention nach einer über das Arbeitsentgelt hinausgehenden gesetzlich festgelegten Mindestabsicherung der in WfbM tätigen behinderten Menschen, die seit jeher durch staatliche Mittel finanziert war.
Zu streichen sind außerdem die im Gesetz als Folgeregelung vorgenommenen Änderungen in § 176 Absatz 3 und § 220 Absatz 1 SGB VI sowie die Angabe zu § 176 in der Inhaltsübersicht.
2. Zu Artikel 14 (§ 7 EntschRG)
Artikel 14 ist zu streichen.
Begründung:
Mit der beabsichtigten Streichung des § 7 EntschRG würde die Erstattung der Aufwendungen, die der Deutschen Rentenversicherung durch die Ausführung des Entschädigungsrentengesetzes entstehen, ab dem 1. Januar 2012 entfallen.
Bei den nach dem Einigungsvertrag weiter zu leistenden sogenannten "VVN-Renten" an Opfer des Nationalsozialismus oder deren Hinterbliebene im Beitrittsgebiet handelt es sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung. Vielmehr hat der Bund gemäß der Bestimmung im Einigungsvertrag die Weiterzahlung der auch in der DDR aus staatlichen Mitteln finanzierten Leistung übernommen. Der Bundesgesetzgeber hat diese Leistung durch das Entschädigungsrentengesetz neu geregelt und die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, jetzt Deutsche Rentenversicherung Bund, mit der Ausführung des Gesetzes beauftragt.
Die Bereinigung von nationalsozialistischem Unrecht ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Kosten nicht nur den Mitgliedern der Sozialversicherung aufgebürdet werden sollte. Es handelt sich bei den Entschädigungsleistungen nach diesem Gesetz eindeutig um eine Kriegsfolgelast, für die nach Artikel 120 GG der Bund die Aufwendungen zu tragen hat. Das wird im Übrigen belegt durch die Zielstellung des damaligen Gesetzgebers (vgl. BT-Drucksache 012/1790), unter Wahrung des Besitzstandes künftig eine Gleichbehandlung von Opfern des Nationalsozialismus in den alten und neuen Bundesländern zu erreichen, sowie durch die verschiedentliche Bezugnahme auf das Bundesentschädigungsgesetz (BEG), z.B. in § 2 Absatz 3 (Dynamisierung), § 3 Absatz 3 (Ausschluss bei Leistungen nach dem BEG), § 8 Absatz 1 des Entschädigungsrentengesetzes (Anknüpfung an den Personenkreis nach § 1 BEG).
Die Kosten sind daher wie bisher vom Bund zu tragen.