Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher junger Gewalttäter

A. Problem

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher junger Gewalttäter

Der Bundesrat hat in seiner 811. Sitzung am 27. Mai 2005 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage

Entwurf eines Gesetzes zur Vermeidung von Rückfalltaten gefährlicher junger Gewalttäter

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Jugendgerichtsgesetzes

Das Jugendgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3427), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Änderung der Strafprozeßordnung

§ 275a der Strafprozeßordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 4
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes

Das Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 5
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Begründung

I. Allgemeines

Ergibt sich während des Straf- oder Jugendstrafvollzugs die besondere Gefährlichkeit eines schuldfähigen Straftäters, sind Mechanismen erforderlich, um den Schutz der Bevölkerung vor diesen Tätern zu gewährleisten. Die geltende Rechtslage gewährleistet diesen Schutz nicht in ausreichendem Maße.

Jüngste Erfahrungen zeigen, dass es schuldfähige Täter gibt, die schwerste Straftaten begehen, nach Jugendstrafrecht verurteilt werden und trotz der Einwirkung des Jugendstrafrechts zum Entlassungszeitpunkt hoch gefährlich sind, ohne dass dieser Gefährlichkeit mangels Krankheitswerts durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet werden kann.

Gegen Jugendliche sowie Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, kann gemäß § 7 - gegebenenfalls in Verbindung mit § 105 Abs. 1 - JGG die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht verhängt werden. Der Gesetzentwurf schafft nunmehr in einem neuen § 7 Abs. 2 JGG-E die Möglichkeit, nachträglich Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die Anordnung von Sicherungsverwahrung bei Aburteilung durch das Tatgericht scheidet auch weiterhin aus. Jugendliche oder Heranwachsende mit erheblichen Reiferückständen erhalten daher auf jeden Fall die Chance, diese Rückstände durch die Einwirkungen des Jugendstrafvollzugs auszugleichen. Erst vor Ende des Vollzugs kann mit der für eine Prognoseentscheidung erforderlichen Sicherheit beurteilt werden, ob sie als hoch gefährlich einzuschätzen sind und der Schutz der Bevölkerung vor schweren Straftaten es erfordert, sie weiter in Gewahrsam zu halten. Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird ferner dadurch Rechnung getragen, dass die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung an strenge Voraussetzungen, was das Gewicht der begangenen und drohenden Straftaten und die Festlegung der Gefährlichkeit anbelangt, geknüpft wird. Ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung liegt schon deshalb nicht vor, weil es hier nicht um Bestrafung, sondern um eine Maßregel der Besserung und Sicherung geht. Darüber hinaus soll das Gericht mindestens einmal jährlich zu überprüfen haben, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen ist.

Der Gesetzentwurf stellt ferner Heranwachsende, auf die allgemeines Strafrecht zur Anwendung kommt, insoweit den Erwachsenen gleich. Durch Aufhebung der Sondervorschriften zur Sicherungsverwahrung für Heranwachsende in § 106 Abs. 3 bis 5 JGG wird auch in diesem Bereich die volle Anwendung des allgemeinen Strafrechts ermöglicht.

Des Weiteren sollen die Vorschriften über die Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwachsende geändert werden, um der sehr bedenklichen, nach Regionen und Delikten höchst unterschiedlichen Sanktionspraxis der Jugendgerichte entgegenzuwirken. Der Entwurf sieht auch vor, bei Heranwachsenden das Höchstmaß der Jugendstrafe auf 15 Jahre anzuheben.

Darüber hinaus ist es zur Verbesserung des Schutzes der Allgemeinheit erforderlich, die Führungsaufsicht zu stärken. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die Allgemeinheit besonders gefährdende Lücken des Führungsaufsichtsrechts zu schließen. Die vorgesehene grundlegende Reform des Führungsaufsichtsrechts bleibt hiervon unberührt.

Als besonders dringlich ist eine Strafbewehrung einer Therapieweisung sowie eines Kontaktverbotes anzusehen. Verweigert sich ein Proband einer für sinnvoll erachteten Therapie, ist es notwendig, ihn auch mit dem Druckmittel der strafrechtlichen Ahndung zur Durchführung der Therapie zu motivieren. Daneben soll die unbefristete Führungsaufsicht als weitere Möglichkeit bestehen bleiben. Auch muss der Führungsaufsichtsstelle ein Druckmittel zur Einhaltung von Kontaktverboten an die Hand gegeben werden. Als effektiv erweist sich hier nur die Strafbewehrung.

II. Zu den einzelnen Bestimmungen

Zu Artikel 1 (Änderung des Jugendgerichtsgesetzes)

Zu Nummer 1 (§ 7 Abs. 2 - neu - JGG)

§ 7 JGG sieht bislang vor, dass als Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts lediglich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden können. Durch Anfügung eines neuen Absatzes 2 wird nunmehr - angelehnt an die Formulierung in § 66b Abs. 2 StGB - die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ermöglicht. Erforderlich ist eine Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren wegen oder auch wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung. Hinzu kommen Taten des schweren Raubes ( § 250 StGB), des Raubes mit Todesfolge (§ 251 StGB), des räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) und der räuberischen Erpressung (§ 255 StGB). Noch vor Ende des Vollzugs dieser fünfjährigen Jugendstrafe müssen darüber hinaus Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Hierbei folgt schon aus dem Umstand, dass das Tatgericht weiterhin keine Möglichkeit haben wird, Sicherungsverwahrung anzuordnen, dass es sich nicht um Tatsachen handeln muss, die erst nach der Verurteilung eingetreten sind, sondern Tatsachen genügen können, die auch dem Tatgericht schon bekannt waren, aus rechtlichen Gründen aber nicht die Anordnung der Sicherungsverwahrung begründen konnten. Das Gericht kann die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Hierzu kann auf die zu § 66 und § 66b StGB in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Neben der Entwicklung des Verurteilten im Vollzug werden bei der auf Grund umfassender Gesamtwürdigung zu treffenden Gefährlichkeitsprognose vor allem die Anlasstat des Verurteilten, die bekannte prädeliktische Persönlichkeit einschließlich der bekannten Kriminalität und die postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung einschließlich der Perspektiven und Außenbezüge zu berücksichtigen sein (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. Februar 2004, BVerfGE 109, 190 ff.). Was die Bewertung der Entwicklung im Vollzug anbelangt, wird häufig von wesentlicher Bedeutung sein, inwieweit sich durch die Einwirkung des Jugendstrafrechts und etwaige altersbedingte Reifeprozesse die Kriminalitätserwartung verändert hat.

Die Regelung stellt sicher, dass auch in den sehr seltenen Fällen, in denen Straftäter schon sehr früh sehr schwerwiegende Straftaten begehen und bei denen abzusehen ist, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit erneut solche schwersten Taten begehen werden, diese in die Sicherungsverwahrung übernommen werden können, ohne dass schwerste Wiederholungstaten abgewartet werden müssten. Auch der Ersttäter, der trotz aller Einwirkungen des Jugendstrafvollzugs und trotz Reifeprozessen kraft Alterung hoch gefährlich erscheint, kann daher in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden.

Der Täter muss sich einer oder mehrerer sehr schwerwiegender Taten gegen die Person schuldig gemacht haben. Entsprechend § 66b Abs. 2 StGB beschränkt sich die Regelung auf Straftaten aus dem 13., 16. und 17. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches und einige wenige weitere Delikte, durch die die Opfer regelmäßig seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dadurch Rechnung getragen. Darüber hinaus muss der Täter zu einer zeitigen Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt sein, um das Gewicht der von ihm bereits ausgegangenen und im Falle von Wiederholungstaten drohenden Gefährlichkeit zu kennzeichnen. Eine Freiheitsstrafe in dieser Höhe kann wegen einer einzelnen Straftat aus dem genannten Bereich verhängt worden sein. Liegen mehrere Straftaten vor, die mit einer Einheitsstrafe geahndet werden, so genügt es, wenn zumindest eine Katalogtat mit abgeurteilt wurde. Das Prinzip der Einheitsstrafe lässt eine weitere Differenzierung nicht zu, da für die einzelnen Straftaten keine gesonderten Strafen festgesetzt werden. Die geforderte Mindesthöhe der Jugendstrafe von fünf Jahren stellt jedoch ausreichend sicher, dass nur Täter aus dem Bereich der schwersten Jugendkriminalität überhaupt für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung in Betracht kommen können.

Zu Nummer 2 (§ 82 Abs. 1 Satz 3 - neu - JGG)

Für die Vollstreckung der nachträglichen Sicherungsverwahrung sollten die allgemeinen Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften gelten, zumal es kaum Fälle geben wird, in denen die Altersgrenze des § 85 Abs. 6 JGG noch nicht erreicht ist, und die Maßregel der nachträglichen Sicherungsverwahrung einen besonderen Jugendvollzug nicht kennt.

Zu Nummer 3 (§ 105 Abs. 1, 1a - neu - , 3 JGG)

Die Änderungen der Vorschrift stellen klar, dass der Regelfall die rechtliche Gleichstellung der Heranwachsenden mit den Erwachsenen ist und nur ausnahmsweise bei erheblichen Entwicklungsverzögerungen die Anwendung von Jugendstrafe in Betracht kommt.

Der Begriff der Jugendverfehlung und die bisherige Differenzierung zwischen den Nummern 1 und 2 in § 105 Abs. 1 JGG der bisherigen Fassung werden ebenso aufgegeben wie die Anknüpfung an einen tatsächlich nicht bestehenden Normtyp des Jugendlichen.

Die Feststellung, ob der Täter entwicklungsmäßig "noch einem Jugendlichen gleichstand" oder ob eine "Jugendverfehlung" vorliegt, erfordert nach geltendem Recht einen Vergleich des Täters mit einem "normalen" Jugendlichen. Hierbei handelt es sich aber um eine fiktive Größe, die in der Realität mit ihren vielfältigen Abstufungen und Nuancen keine Entsprechungen findet. Ein empirisch abgesichertes Leitbild eines "normalen" Jugendlichen konnte die Wissenschaft bisher nicht erbringen (vgl. Eisenberg, JGG, 10. Auf1. 2004, § 105 Rnr. 7). Die Beurteilung der Frage, ob Jugendstrafrecht oder allgemeines Strafrecht anzuwenden ist, hängt daher häufig von äußerlichen Umständen und Zufälligkeiten ab. Zum Teil wird sogar die Auffassung vertreten, dass die Entscheidungen nach § 105 Abs. 1 JGG in einem im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Artikels 103 Abs. 2 GG problematischen Ausmaß von der Subsumtion normativer Begriffe abhängen (vgl. Eisenberg, a.a.O., Rnr. 3). Die dadurch hervorgerufenen Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung können in der Praxis zu Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit führen (vgl. Brunner/Dölling, JGG, 11. Auf1. 2002, Einleitung II, Rnr. 2).

Der Begriff der "Jugendverfehlung" nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG hat sich zudem als zu unbestimmt und in seinem Verhältnis zur Regelung in § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG als problematisch erwiesen. Es erscheint daher vorzugswürdig, auf diesen Begriff völlig zu verzichten und ausschließlich auf die Entwicklung des Heranwachsenden abzustellen. Die Anwendung von Jugendstrafrecht ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine erhebliche Verzögerung in der sittlichen oder geistigen Entwicklung gegeben ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist im Einzelfall festzustellen, eine schematische Bejahung von Entwicklungsverzögerungen ist verfehlt. Die Entwicklungsverzögerung muss dabei so schwerwiegend sein, dass es ausnahmsweise geboten erscheint, den Heranwachsenden nicht wie einen Erwachsenen, sondern noch wie einen Jugendlichen zu behandeln und das erzieherische Instrumentarium des Jugendstrafrechts anzuwenden.

Ferner wird klargestellt, dass die Anwendung des Jugendstrafrechts nur bei solchen Tätern in Betracht kommt, die mit den jugendspezifischen Maßnahmen des JGG noch zu erreichen sind. Sind solche erzieherischen Maßnahmen zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung nicht (mehr) erforderlich oder von vornherein aussichtslos, gilt das allgemeine Strafrecht, das allerdings bei der Ahndung der Straftaten auch die Berücksichtigung erheblicher Reifeverzögerungen zum Zeitpunkt der Tat in vielfältiger Weise - zum Beispiel durch die Annahme eines minder schweren Falles - zulässt.

Mit der Änderung des § 105 Abs. 3 JGG wird dem Richter die Möglichkeit eingeräumt, in den Fällen, in denen (ausnahmsweise) Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt, bei schwersten Straftaten auf Grund der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe von bis zu fünfzehn Jahren zu verhängen.

Zu Nummer 4 (§ 106 Abs. 3 bis 6 JGG)

Das in § 106 Abs. 3 Satz 1 JGG immer noch enthaltene grundsätzliche Verbot der Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen Heranwachsende auch bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts hat sich nicht bewährt. In der Praxis treten zwar selten, aber doch immer wieder Fälle auf, in denen heranwachsende Täter bereits schwerste oder eine so große Zahl von schweren Straftaten begangen haben, dass von einer gravierenden Gefährlichkeit für die Allgemeinheit ausgegangen werden muss. Dass das Gesetz die Anordnung von Sicherungsverwahrung bei einem Heranwachsenden ausschließt, bei dem die Voraussetzungen des Erwachsenenstrafrechts vorliegen, kann nicht überzeugen. Der Gedanke, dass auf die Sicherungsverwahrung bei einem frühkriminellen Hangtäter nicht verzichtet werden kann (vgl. BGH, NStZ 1989, 67; NStZ-RR 2001, 13) trifft auf ihn ebenso zu wie auf einen über 21 Jahre alten Erwachsenen.

Die seit dem 1. April 2004 durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3007) geltende Lösung einer Vorbehaltssicherungsverwahrung, die sich an § 66a StGB anlehnt, aber keine vorbehaltlose Anordnung gemäß § 66 StGB zulässt, ist inkonsequent und wird dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nicht gerecht. Es besteht kein durchgreifender Grund dafür, dass gegen Heranwachsende, bei denen sämtliche Voraussetzungen des § 66 StGB vorliegen, (vorbehaltlose) Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden kann. Die zudem im Gesetz vorgesehene Begrenzung der Möglichkeit der Anordnung vorbehaltener Sicherungsverwahrung auf Fälle, in denen der Verurteilung eine der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Straftaten zu Grunde liegt, darüber hinaus das Opfer schwer geschädigt oder gefährdet worden ist, die Anlasstat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren geahndet wurde und die Voraussetzungen bezüglich der Art der Tat auch hinsichtlich der erforderlichen Vortat(en) vorliegen, schränkt den Anwendungsbereich so massiv ein, dass damit nahezu kein Sicherheitsgewinn zu erzielen ist.

Notwendig bleibt auch die ersatzlose Streichung des § 106 Abs. 4 JGG, wie er durch das oben genannte Gesetz zum 1. April 2004 eingeführt worden ist: Danach kann das Gericht anordnen, dass bereits die Strafe in einer sozialtherapeutischen Anstalt zu vollziehen ist. Gegen den Fortbestand dieser Regelung spricht insbesondere, dass die Gerichte bei der Auswahl therapiegeeigneter Sexualstraftäter in der kurzen Zeitspanne einer Hauptverhandlung in der Regel überfordert wären. Die Belegung teurer Therapieplätze mit ungeeigneten Sexualstraftätern und eine Vergeudung wichtiger Behandlungsressourcen wären die Folge. Deshalb ist es weitaus sachgerechter, die Therapiegeeignetheit eines Sexualstraftäters nach einer gewissen Beobachtung im Justizvollzug durch erfahrene Vollzugstherapeuten beurteilen zu lassen. Auf diese Weise werden die Aussichten verbessert, dass eine Therapie auch zum Erfolg führt. Darüber hinaus wäre den Justizvollzugsanstalten die Entscheidung über die Rückverlegung von therapieunwilligen und therapieresistenten Gefangenen entzogen. Bis zur Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung müsste der Gefangene weiterhin in der sozialtherapeutischen Einrichtung verbleiben, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf das Behandlungsklima für die übrigen Gefangenen. Letztlich sind auch keine Gründe dafür ersichtlich, warum hier eine andere Beurteilung als bei Erwachsenen (vgl. § 9 StVollzG) geboten sein sol1. Die Verlegung in die Sozialtherapie kann auch während des Vollzugs der Jugendstrafe erfolgen.

Der durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1838) neu eingeführte Absatz 5, der eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Heranwachsenden ebenfalls nur unter den vorgenannten unzulänglichen Voraussetzungen des § 106 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 JGG ermöglicht, ist aufzuheben. Auch insoweit stellt der Entwurf die Gleichbehandlung aller nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten sicher.

Als Folge dieser Gleichstellung bleibt auch für die in § 106 Abs. 6 JGG geregelte nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Erledigterklärung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neben § 66b Abs. 3 StGB kein eigenständiger Anwendungsbereich.

Zu Nummer 5 (§ 108 Abs. 3 Satz 2 JGG)

§ 108 Abs. 3 JGG begründet die sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer in Fällen, in denen die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist. Auch durch die Einbeziehung der Heranwachsenden in die Regelungen des allgemeinen Strafrechts über die Sicherungsverwahrung soll sich an der Zuständigkeit der Jugendkammer nichts ändern. Es genügt insoweit, die Verweisung auf die aufzuhebenden Absätze 3, 5 und 6 des § 106 JGG zu streichen.

Zu Artikel 2 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Zu Nummer 1 ( § 67e Abs. 2 StGB)

Nach § 67e Abs. 2 StGB hat das Gericht bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung mindestens alle zwei Jahre zu prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die Tatsache, dass bei Jugendlichen und Heranwachsenden, die Jugendlichen gleichstehen, mit Nachreifeprozessen zu rechnen ist, erfordern hier ein kürzeres Prüfungsintervall als es bei nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilten angemessen ist. Selbstverständlich ist auch bei den nach Jugendrecht Verurteilten das Gericht auch außerhalb dieses Überprüfungsintervalls zur Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung berechtigt.

Zu Nummer 2 (§ 68b Abs. 1 Satz 1 StGB)

Für den Schutz der Allgemeinheit, gerade bei gefährlichen Sexualstraftätern, ist es notwendig, Kontaktverbote bezüglich einer bestimmten Person oder Personen einer bestimmten Gruppe in den Katalog der strafbewehrten Weisungen nach § 68b StGB mitaufzunehmen. Bisher sind Kontaktverbote nur als nicht strafbewehrte Weisungen möglich. Verstößen kann nicht wirkungsvoll begegnet werden. Durch die Aufnahme in den Katalog der strafbewehrten Weisungen wird eine nachhaltigere Einwirkung auf den Probanden ermöglicht.

Darüber hinaus wird die Weisung, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, ebenfalls in den Katalog des § 68b Abs. 1 StGB mitaufgenommen.

Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) wurde für das Gericht erstmals die Möglichkeit geschaffen, auch ohne Einwilligung des Betroffenen anzuordnen, dass sich der Verurteilte einer Heilbehandlung unterzieht, wenn diese nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist (§ 68b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB). Hier kommt insbesondere die psychotherapeutische Behandlung in Betracht. Bei Verurteilten, die einer solchen Weisung nicht nachkommen oder in eine vom Gericht für erforderlich gehaltene Weisung im Sinne von § 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB (mit körperlichem Eingriff) nicht einwilligen und die auf Grund der Nichtaufnahme einer Behandlung für die Allgemeinheit weiterhin gefährlich sind, wurde es beim damaligen Gesetzesvorhaben noch für ausreichend gehalten, über die damals befristete Höchstdauer der Führungsaufsicht von fünf Jahren hinaus in diesen Fällen die unbefristete Führungsaufsicht anzuordnen (§ 68c Abs. 2 StGB) und die Führungsaufsicht nach § 68e Abs. 1 StGB erst dann enden zu lassen, wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte auch ohne sie keine Straftaten mehr begehen wird.

Es hat sich allerdings gezeigt, dass das Druckmittel der unbefristeten Führungsaufsicht nicht genügt, um die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern wirksam zu schützen. Es ist daher notwendig, die Weisung, sich einer Heilbehandlung ohne körperlichen Eingriff zu unterziehen, in den Katalog der strafbewehrten Weisungen aufzunehmen.

Eine Strafbewehrung der Weisung, sich einer Heilbehandlung mit körperlichem Eingriff oder einer Entziehungskur zu unterziehen, kann hingegen nicht in Betracht kommen. Dies würde der gesetzgeberischen Wertung widersprechen, dass solche Weisungen nur mit Einwilligung des Verurteilten erteilt werden dürfen (§ 56c Abs. 3 Nr. l, § 68b Abs. 2 Satz 2 StGB). Diese von der Verfassung geprägte Wertung schließt auch die Möglichkeit des Betroffenen ein, die einmal erteilte Einwilligung (etwa konkludent durch Nichtbefolgung der Weisung) zurückzunehmen, ohne dafür mit Bestrafung bedroht zu werden. Dass (auch) in diesen Fällen gemäß § 68c Abs. 2 StGB die unbefristete Führungsaufsicht eingreifen kann, steht dieser Wertung nicht entgegen; diese Folge liegt auf anderer Ebene: sie bezweckt allein die Sicherung der Allgemeinheit und hat keinen Strafcharakter.

Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit soll bei einem Verstoß gegen die nicht zustimmungsbedürftige Behandlungsweisung sowohl die Möglichkeit der Anordnung der unbefristeten Führungsaufsicht als auch die strafrechtliche Sanktionsmöglichkeit zur Verfügung stehen. Durch das Strafantragserfordernis in § 145a Satz 2 StGB wird gewährleistet, dass der Führungsaufsichtsstelle am Einzelfall orientiert verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Damit wird auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt.

Durch die Aufnahme der Therapieweisung in den Katalog der strafbewehrten Weisungen wird auch weiterer legitimer Initialzwang erzeugt.

Die Effizienz therapeutischer Maßnahmen hängt nicht von der Initialmotivation ab. Bei Personen, die sich unbeeinflussbar behandlungsablehnend verhalten, wird eine Therapie zwar kaum Erfolg haben können. Die Erfahrungen im Justizvollzug zeigen aber, dass zunächst Behandlungsunwillige mit geeigneten Möglichkeiten der Auseinandersetzung an eine Therapie herangeführt werden können. Es ist daher notwendig, mit allen Mitteln zu versuchen, bei behandlungsbedürftigen, aber behandlungsunwilligen Probanden die Bereitschaft für eine Therapiemaßnahme zu wecken.

Zu Nummer 3 ( § 145a Satz 1 StGB)

Die Erhöhung des Strafrahmens soll die Bereitschaft der Probanden stärken, strafbewehrte Weisungen zu befolgen. Dadurch wird auch der Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern erhöht.

Zu Artikel 3 (§ 275a Abs. 1 Satz 1, 3, Abs. 5 Satz 2, 3 StPO)

§ 275a StPO regelt das Verfahren zur Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung. Durch die Streichung der Sonderregeln der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung für Heranwachsende, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt wurden, in § 106 Abs. 3 bis 6 JGG sind auch die entsprechenden Verweisungen im Verfahrensrecht zu streichen. Durch die Neueinführung einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung auch für nach Jugendstrafrecht Verurteilte ist ein entsprechender Verweis auf den neu geschaffenen § 7 Abs. 2 JGG-E erforderlich. Der Begriff der Freiheitsstrafe umfasst ebenso wie in anderen Vorschriften der StPO (vgl. § 112a Abs. 1 StPO) auch die Jugendstrafe. Das Verfahren ist in jedem Fall der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung in § 275a StPO in gleicher Weise geregelt.

Dies gilt auch für den wohl seltenen Ausnahmefall, dass über die Verhängung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 JGG-E bei einem - zu diesem Zeitpunkt - Heranwachsenden zu entscheiden ist. Die Vorschriften über das Jugendstrafverfahren, § 109 JGG, sind nicht anzuwenden. Insbesondere die Beteiligung der Jugendgerichtshilfe erscheint nicht geboten. Im Rahmen der nach § 275a Abs. 4 Satz 2 StPO einzuholenden Sachverständigengutachten werden Tatsachen im Sinne des § 38 Abs. 2 Satz 2 JGG über die Persönlichkeit, die Entwicklung und die Umwelt des Verurteilten ohnehin zu erheben sein. Bei einem Verurteilten, der die letzten fünf Jahre in Haft verbracht hat, wird die Jugendgerichtshilfe auch eher selten über aktuelle Informationen zu den vorgenannten Gesichtspunkten verfügen. Im Bedarfsfalle steht es dem Gericht aber auch frei, im Rahmen einer umfassenden Sachaufklärung auch einen Vertreter der Jugendgerichtshilfe zu hören.

Zu Artikel 4 (§§ 74f, 120a GVG)

Die mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I S. 1838) neu eingefügten §§ 74f und 120a GVG regeln die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für die Entscheidung über die im Urteil vorbehaltene und über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung. Auch insoweit sind die durch die Streichung des § 106 Abs. 5 und 6 JGG erforderlichen Anpassungen des Textes vorzunehmen. Ferner ist durch die Aufnahme von Verweisungen auf den neuen § 7 Abs. 2 JGG-E sicherzustellen, dass auch im Falle der zu Jugendstrafe Verurteilten jeweils das Tatgericht für die Entscheidung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung zuständig ist. Hat das Jugendschöffengericht als Tatgericht entschieden, ist für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung die Jugendkammer zuständig. § 74f Abs. 2 GVG bewirkt lediglich eine Zuständigkeitsverlagerung vom Amts- auf das Landgericht, lässt aber die Zuordnung zum Jugendgericht unberührt.

Da gemäß § 102 JGG die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte durch die Vorschriften des JGG nicht berührt wird, kann es auch vorkommen, dass ein Strafsenat gegen einen Jugendlichen als Tatgericht entscheidet. Daher ist auch in § 120a Abs. 1 GVG die Verweisung auf § 7 Abs. 2 JGG-E anstelle der aufgehobenen Absätze 5 und 6 des § 106 JGG aufzunehmen.

Zu Artikel 5 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

Die Änderung des § 105 JGG gilt nur für Taten, die nach Erlass dieses Gesetzes begangen werden. Die Änderungen im Bereich der Sicherungsverwahrung sind, da es sich dabei um Maßregeln der Besserung und Sicherung handelt, gemäß § 2 Abs. 6 StGB sofort nach dem Inkrafttreten des Gesetzes anzuwenden (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004, BVerfGE 109, 133-190).