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1. Anorganische Faserstäube  (außer Asbest)

Teil A  - Einstufung von anorganischen glasigen Faserstäuben auf Basis von Serosa-Test und chemischer Zusammensetzung

Ausgabe Oktober 1995
(BArbBl. 10/1995 S. 46)

1. Problematik, Aufgabenstellung

Unter Berücksichtigung der gesamten gegenwärtigen Datenlage ergibt sich, daß die langgestreckte Gestalt von Staubteilchen ein krebserzeugendes Agens darstellt, sofern die Partikeln hinreichend lang, dünn und biobeständig sind (1,2,3,4,25). Dementsprechend wird davon ausgegangen, daß die kanzerogene Potenz pro Faser mit zunehmender Länge und Biobeständigkeit stärker wird, sowie mit zunehmenden Durchmesser abnimmt. Nach der WHO-Definition von faserigen Staubpartikeln muß das Verhältnis von Länge zu Durchmesser mindestens 3 zu 1 betragen. Die im Hinblick auf Kanzerogenität und Fibrogenität nach dieser Definition als relevant angesehenen Fasern müssen mindestens 5 µm lang und dürfen höchstens 3 µm dick sein (5).

Jeder Faserstaub besteht aus einer Mischung unterschiedlich langerund dicker Fasern. ihre Biobeständigkeit hängt in erster Linie von der chemischen Zusammensetzung des Fasertyps ab, bei wenig beständigen Fasern allerdings auch von ihrer Größe, wobei sich dickere Fasern langsamer auflösen als dünnere und längere Fasern eher zu brechen scheinen als kürzere.

Das Ineinandergreifen mehrerer Faktoren, die in ihrer Gesamtheit die kanzerogene Potenz eines Faserstaubes bestimmen, machen es nur näherungsweise möglich, die kanzerogene Potenz einer Faserstaubprobe aus der Luft am Arbeitsplatz aufgrund der physikalischen und chemischen Faseranalyse vorauszusagen. Hier bestehen noch viele offene Fragen. Hierzu gehört beispielsweise auch die Schwierigkeit, biologische Ergebnisse, die mit einer bestimmten Faserprobe erhalten wurden, für arbeitsplatztypische Fasern zu interpretieren, wenn die geprüfte Probe von arbeitsplatztypischen wesentlich abweicht, aber hierüber keine ausreichend präzisen Daten vorliegen.

Andererseits sind für regulative Maßnahmen zum Gesundheitsschutz in Anbetracht der Vielzahl der vorliegenden und produzierbaren Faserstäube Analogieschlüsse und Gruppenbildungen unumgänglich. Es scheint weder notwendig noch vertretbar, auch solche Faserstäube einem Kanzerogenitätstest zu unterziehen, deren kanzerogene Potenz sich aus Fasergröße und Biobeständigkeit in Analogie zu ähnlichen geprüften Faserstäuben abschätzen läßt. Für eine solche Prüfung müßte zumindest eine gut begründete Hypothese über zusätzliche einstufungsrelevante Eigenschaften vorliegen.

Die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der DFG beurteilt aufgrund ihres Mandats krebserzeugende Stoffe unabhängig von ihrer kanzerogenen Potenz nur nach der wissenschaftlichen Evidenz ihres kanzerogenen Potentials. Der AGS hat darüber hinaus die Aufgabe, bei seinen Vorschlägen auch die kanzerogene Potenz des jeweiligen Stoffes zu berücksichtigen.

Insbesondere war für die vielen derzeit marktüblichen glasigen silikatischen Fasertypen (sie gehören zu den sogenannten künstlichen Mineralfasern) sowie für die naheliegenden Neuentwicklungen ein Bewertungssystem zu entwickeln, das auf den vorhandenen Ergebnissen aus Kanzerogenitätsprüfungen basiert.

2. Bewertung von Inhalationsstudien für die Einstufung von Faserstäuben

Die inhalative Exposition gegenüber arbeitsplatztypisch relativ dicken und langen Keramikfasern in den Experimenten der RCC-Laboratorien ergab auf der Basis der jeweiligen Faserzahlkonzentrationen bei Ratten eine etwa l0fach stärkere Wirkung pro Keramikfaser im Vergleich zu den verwendeten Krokydolithfasern (Faserdefinition nach WHO) und eine rund 50fach stärkere Wirkung im Vergleich zu Chrysotilfasern (6, 7, 8, 10). Zwar wurde die Exposition gegenüber Krokydolith nach 10 Monaten wegen zu hoher Mortalität beendet, gegenüber 24 Monaten bei den anderen Faserstäuben. Die Ergebnisse verschiedener Inhalationsversuche mit Fasern weisen aber darauf hin, daß die Exposition im zweiten Versuchsjahr, falls überhaupt, dann nur einen geringen zusätzlichen kanzerogenen Effekt ausübt (8).

Die verwendeten Krokydolithfasern waren im Mittel länger als am Arbeitsplatz üblich (19), so daß im Mittel von einem noch größeren Unterschied als 1 zu 10 zwischen Keramik- und Krokydolithfasern ausgegangen werden muß, wenn man den Inhalationsexperimenten den hohen Rang an Zuverlässigkeit und Aussagekraft einräumt, den die Autoren ihnen beimessen.

Die Untersuchungen weisen außerdem aus, daß in Inhalationsexperimenten bei weitem nicht so hohe Konzentrationen der relativ dicken arbeitsplatztypischen Faserstäube aus handelsüblichen Mineralwollen geprüft werden können wie bei den relativ dünnen Asbestfasern. Eine inhalative Kanzerogenitätsprüfung solcher Fasern kann daher selbst dann negativ ausfallen, wenn die kanzerogene Potenz pro Faser kaum geringer ist als die von Keramikfasern, d. h., wenn sie die kanzerogene Potenz von Krokydolith übersteigt.

Da Krokydolithfasern für den Menschen einen der stärksten krebserzeugenden Stoffe darstellen, können die negativen Inhalationsversuche keinesfalls als entlastend bewertet werden, die mit den gezwungenermaßen vielfach niedriger dosierten arbeitsplatztypischen Faserstäuben aus handelsüblichen Glas-, Stein- und Schlackenwollen durchgeführt wurden bzw. werden (9,10).

Das zu erwartende Krebsrisiko durch arbeitsplatztypische Asbeststäube läßt sich aus der Zusammenführung von Ergebnissen mehrerer Studien ermitteln.

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