umwelt-online: SSK - KiKK-Studie - Bewertung der epidemiologischen Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (2)

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5 Bewertung der KiKK-Studie

5.1 Bewertung des Designs der KiKK-Studie

5.1.1 Expositionserfassung und radioökologische Aspekte

In der KiKK-Studie wird die Distanz zum nächsten Kernkraftwerk als Proxy für die Exposition gegenüber ionisierender Strahlung verwendet. Das gewählte Expositionsmaß 1/Abstand wird begründet mit einem vereinfachten gemittelten theoretischen Ausbreitungsmodell. Im Folgenden wird in Bezug auf die Expositionserfassung separat diskutiert, inwiefern aus radioökologischer Sicht der Abstand zum nächsten Kernkraftwerk die Exposition gegenüber ionisierender Strahlung widerspiegelt. Danach wird die Anwendung der Abstandsabhängigkeit in der Studie erörtert.

Distanz zum Kernkraftwerk als Expositionssurrogat

Mit dem Abstandsmaß wird nicht berücksichtigt, dass die Emissionen für die verschiedenen untersuchten Anlagen stark unterschiedlich sind und zeitlich variieren. Die Expositionen der Referenzperson Kleinkind unterscheiden sich um ca. einen Faktor 100 zwischen den Kernkraftwerken und in den verschiedenen Jahren. Dies stellt jedoch keine Beeinträchtigung der Analyse dar, da ein Fall mit 3 Kontrollkindern jeweils bezüglich Anlagenstandort und Diagnosezeitpunkt "gematcht" wurde. Problematischer ist die Tatsache, dass aufgrund der meteorologischen Verhältnisse eine deutliche Richtungsabhängigkeit der Ausbreitung zu erwarten ist. Mit dem isotropen Ausbreitungsmodell wird dies nicht berücksichtigt, was zu einer Fehlklassifikation der Exposition führt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass wegen einer solchen Fehlklassifikation eine Assoziation beobachtet wird, wenn tatsächlich keine besteht. Dasselbe gilt auch für die Strahlenexpositionen durch Ableitungen mit dem Abwasser, die geographisch an anderen Orten stattfinden und mit dem Abstandsmaß auch nicht berücksichtigt sind. Jedoch sind solche Expositionen im Vergleich zu denen aus Ableitungen mit der Fortluft sowieso von untergeordneter Bedeutung für die Bevölkerungsexposition.

Das Hauptproblem bei der Expositionsabschätzung ist, dass die Strahlenexpositionen gegenüber natürlichen und zivilisatorischen (einschließlich medizinischen) Quellen nicht ermittelt wurden. Diese Expositionen sind um Größenordnungen höher als die Strahlenexpositionen, die auf Kernkraftwerke zurückgeführt werden können, und weisen keine Abstandsabhängigkeit auf. Auch die Schwankungsbreite dieser Strahlenexpositionen ist im Untersuchungsgebiet erheblich höher als die Strahlendosen durch Kernkraftwerke. Daher ist der Abstand kein Maß für die individuelle Strahlenexposition.

Durch die ausschließliche Betrachtung des Abstandes zum Kernkraftwerk wird in der KiKK-Studie ein völlig unzureichendes Bild der gesamten Strahlenexposition der Betroffenen vermittelt. Dabei wurde die Fülle an Informationen, die über die natürliche und zivilisatorische Strahlenexposition der Bevölkerung, über die Ableitungen aus Kernkraftwerken und die dadurch bedingten Strahlenexpositionen sowie über andere zivilisatorische Strahlenexpositionen im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte angesammelt wurde, sowie das verfügbare radioökologische Wissen nicht genutzt. Ferner wurde kein Versuch unternommen, Strahlenexpositionen durch Kernkraftwerke zu berechnen, wie dies bei einer vergleichbaren französischen Studie gemacht wurde. Eine solche Modellierung der Strahlenexposition wäre nach Einschätzung der SSK bei entsprechendem Aufwand auch bei der KiKK-Studie möglich gewesen und hätte hilfreiche zusätzliche Erkenntnisse geliefert.

Kategorielle oder stetige Auswertung

Bei der statistischen Auswertung kann man die Daten in Kategorien einteilen und auswerten oder eine stetige Funktion an die Daten anpassen. Beides hat Vor- und Nachteile. Bei der kategoriellen Auswertung sind keine Annahmen über die Kurvenform der Expositions-Wirkungs-Beziehung nötig. Dafür hat eine Auswertung mit einem kontinuierlichen Expositionsmaß grundsätzlich eine höhere statistische Macht (Power) als eine kategorielle Auswertung. Bei der Anpassung eines

kontinuierlichen Expositionsmaßes an eine stetige Funktion besteht aber unter anderem die Gefahr, dass signifikante Effekte in einer oder mehreren Kategorien den gesamten Kurvenverlauf als erhöht erscheinen lassen, ohne dass dies in den übrigen Kategorien der Fall ist. Bei der gewählten stetigen Funktion (l/r) besteht insbesondere das Problem, dass es sich um eine nichtlineare Transformation des Abstandsmaßes handelt. Damit üben Beobachtungen in kleiner Distanz zum Kernkraftwerk einen größeren Einfluss auf die Schätzung des Abstandskoeffizienten aus als Beobachtungen in großer Distanz. Diese sogenannte "Hebelwirkung" ist in Abbildung 2 graphisch dargestellt. Die in der KiKK-Studie bestimmten Abstände der Fälle und Kontrollen von den Kernkraftwerken lagen zwischen 1 km und 92 km. Für das Abstandsmaß x = 1/r bedeutet dies, dass alle Werte im Intervall 1/km und 0,01/ km liegen. Von diesem Intervall entfallen auf Entfernungen kleiner 5 km 80 % [1/km, 0,2/km]. Aus Abbildung 2 wird ersichtlich, dass eine lineare Regression mit 1/Abstand als erklärende Variable fast unweigerlich signifikant werden muss, wenn sich das Ergebnis für die innerste Kategorie von den anderen Kategorien unterscheidet, obwohl nur ein geringer Anteil der Kontrollen und Fälle aus diesem Bereich stammen. Aus diesem Grund erachtet die SSK eine kategorielle Auswertung als adäquater.

Abbildung 2:

Ergebnis der kategoriellen Auswertung (Punkte) für akute Leukämien bei Kindern unter 5 Jahren vs. 1/Abstand. Die Balken in x-Richtung kennzeichnen die Breite der jeweiligen Regionen, die Balken in y-Richtung die 95 %-Konfidenzintervalle der Odds Ratios. Die Darstellung entspricht der Darstellung in Abb. 1, lediglich die x-Achsen sind unterschiedlich ( Abb. 1: x = r in km, Abb. 2: x = 1/r in km-1)

5.1.2 Auswahl der Studiengebiete

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