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Regelwerk, Arbeitsrecht

Bearbeitung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
- Nordrhein-Westfalen -
RdErl. d. Innenministeriums

Vom 03.02.2004
(MBl. Nr. 9 vom 05.03.2004 S. 229)
Gl.-Nr.: 20531



1 Allgemeines

1.1 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Minderjähriger und Erwachsener - gleich welchen Geschlechts - sind in den vergangenen Jahren zunehmend enttabuisiert worden und damit weiter in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Aufgrund der Schwere dieser Delikte und ihrer Folgen für die Opfer bedarf die Behandlung durch die Strafverfolgungsorgane besonderer Behutsamkeit.

1.2 Ziel dieses Erlasses ist es, eine vorurteilsfreie, sachorientierte Ermittlungsarbeit zu fördern, die auf die psychische Belastung der Opfer besondere Rücksicht nimmt.

1.3 Mit dieser Zielsetzung sind bei der Bearbeitung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung folgende Grundsätze zu beachten:

2 Verhalten bei der Anzeigenerstattung

2.1 Tataufklärung sowie Einstellung des Opfers zur Tat und ihren Folgen werden wesentlich von den Erstkontakten mit der Polizei bestimmt. In dieser Situation sind Einfühlungsvermögen und Zurückhaltung geboten.

2.2 Erforderliche Fahndungsmaßnahmen sind mit Nachdruck einzuleiten. Das Opfer soll erkennen können, dass der Einsatz der Polizei der Schwere des Delikts angemessen ist, und zwar auch dann, wenn sich der Wahrheitsgehalt der Aussagen noch nicht beurteilen lässt.

2.3 Die Befragung durch erstbefasste nicht spezialisierte Kräfte im Zuge der Anzeigenaufnahme hat sich auf den groben Sachverhalt, den Ort und den Zeitpunkt der Tat sowie auf Hinweise zu Tätern, Zeugen und möglichen Tatspuren zu beschränken.

2.4 Fragen zu den persönlichen Verhältnissen des Opfers, zur Vorgeschichte der Tat und zu Einzelheiten des Tathergangs sind zu diesem Zeitpunkt unnötig. Die Äußerung von Zweifeln am Wahrheitsgehalt der Angaben oder Vorwürfe gegen das Opfer haben zu unterbleiben. Das Opfer soll auf die Möglichkeit hingewiesen werden, eine am Verfahren nicht beteiligte Person seines Vertrauens zu benachrichtigen oder hinzuzuziehen. Das "Merkblatt über die Rechte von Verletzten und Geschädigten im Strafverfahren" ist auszuhändigen.

2.5 Soweit erforderlich, ist zur Beweissicherung und zur Opfernachsorge eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Eine schnelle Weiterbearbeitung durch das zuständige Kriminalkommissariat ist sicherzustellen.

2.6 Neben der Beweissicherung während der ärztlichen Untersuchung des Opfers sind weitere Maßnahmen der Spurensuche und -sicherung bzw. des Spurenschutzes unverzüglich zu veranlassen.

2.7 Beamtinnen und Beamte, die Kontakte mit Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erwarten, können dem beiliegenden Merkblatt (Anlage) Empfehlungen für ein sachgerechtes Verhalten entnehmen.

3 Sachbearbeitung

3.1 Die Bearbeitung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist grundsätzlich speziell fortgebildeten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern zu übertragen. Mit dieser Aufgabe sind nur Beamtinnen und Beamte zu betrauen, die sich durch vorurteilsfreie Haltung, Einfühlungsvermögen, Toleranz und Kommunikationsfähigkeit auszeichnen.

3.2 Bei den Polizeibehörden ist ein Verzeichnis über die speziell fortgebildeten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter vorzuhalten, auf das jederzeit zurückgegriffen werden kann.

4 Vernehmung des Opfers

4.1 Bei der Vernehmung ist auf die seelische Ausnahmesituation des Opfers Rücksicht zu nehmen. Daher ist eine Vernehmungssituation zu schaffen, die frei von äußeren Störungen, Misstrauen und Vorwürfen ist. Durch verständnisvolle Haltung, Geduld, Ruhe und Pausen soll eine Atmosphäre des Vertrauens erreicht werden, die dem Opfer die Schilderung der Tat erleichtert. Eine rücksichtsvolle Behandlung erhöht die Aussagebereitschaft und trägt zur Wahrheitsfindung bei. Dem Opfer ist zu verdeutlichen, dass die Zeugenbelehrung kein Ausdruck des Misstrauens ist.

4.2 Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sollen darüber informiert werden, warum polizeiliche Maßnahmen erforderlich und auch den Intimbereich berührende Fragen notwendig sind.

4.3 Auf Wunsch des Opfers ist der Anwesenheit einer Person seines Vertrauens bei der Vernehmung grundsätzlich stattzugeben, wenn der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird. Steht aber das Opfer zu dieser Person in einem Abhängigkeitsverhältnis, so ist in deren Abwesenheit zu klären, ob sie bei der Vernehmung anwesend sein soll.

4.4 Vernehmungen des Opfers sind durchgehend von derselben Beamtin bzw. demselben Beamten durchzuführen. Ein Wechsel während der Vernehmung hat grundsätzlich zu unterbleiben.

4.5 Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind ausdrücklich auf die Möglichkeit hinzuweisen, sich - ggf. später - durch eine gleichgeschlechtliche Vernehmungsperson vernehmen zu lassen. Wünsche des Opfers hinsichtlich des Geschlechts der Vernehmungsperson sind möglichst zu berücksichtigen. Die Polizeibehörden stellen sicher, dass im Rahmen der personellen Möglichkeiten geschulte Beamtinnen zur Verfügung stehen. Dabei sind auch Beamtinnen außerhalb der zuständigen Kriminalkommissariate zu berücksichtigen.

4.6 Da mehrmalige Vernehmungen des Opfers zu einer erheblichen Belastung führen können, sind Folgevernehmungen durch eine sinnvolle Gestaltung des zeitlichen Ablaufs der Ermittlungen möglichst zu vermeiden. Wird eine Folgevernehmung erforderlich, sind dem Opfer die Gründe hierfür darzulegen.

5 Weitere Maßnahmen

5.1 Grundsätzlich ist von einer direkten Gegenüberstellung des Opfers mit Tatverdächtigen abzusehen. Wahlgegenüberstellungen sind so durchzuführen, dass das Opfer von den Teilnehmern nicht gesehen wird. Auch unbeabsichtigte Begegnungen des Opfers mit Tatverdächtigen sind möglichst zu verhindern.

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